Planung einer Ausstellungshalle für die Autodesk University
Das Generative Design (GD) ist ein Verfahren, bei dem der Computer anhand von grob definierten Zielen und Abhängigkeiten eine Reihe möglicher Entwurfslösungen berechnet, unter denen dann die vielversprechendsten ausgewählt werden. Während das generative Design in der Fertigungsindustrie immer mehr Verbreitung findet, ist dieser Ansatz als Alternative für die Planung von Architekturräumen noch recht wenig erforscht.
Der Grundriss der Ausstellungshalle an der AU Las Vegas 2017 wurde mithilfe generativer Planungsverfahren entwickelt. So erhielten die wichtigsten Beteiligten an diesem Projekt die Gelegenheit, eine neuartige und äußerst leistungsstarke Planungsmethode kennenzulernen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über den Prozess bei der Planung der AU-Ausstellungshalle anhand detaillierter Einblicke in die Einzelschritte des generativen Designverfahrens: 1. Definition des Planungsraumes auf Grundlage eines eigenen Geometriesystems, 2. Auswertung der berechneten Varianten anhand der Entwurfsziele, 3. Weiterentwicklung zu Entwurfsgenerationen mithilfe evolutionärer Algorithmen.
Projektvisionen
Der Planungsprozess orientiert sich fast immer an bereits Dagewesenem. So kommt es zwar zu effizienten, aber immer auch relativ absehbaren Resultaten. Was aber geschieht, wenn wir unsere vorgefassten Meinungen ausblenden und bewusst ein Ergebnis haben wollen, das neu ist und uns selbst überrascht?
Nach dem erfolgreichen Einsatz generativer Designtechniken für die Autodesk-Büros im MaRS Discovery District in Toronto entschieden sich die Designer von The Living, dieselbe Methode auch bei der Planung der Ausstellungshalle für die AU Las Vegas anzuwenden. Trotz einiger Vorbehalte zu Beginn, die darauf hinwiesen, dass dieses Verfahren noch nie für eine temporäre Ausstellung verwendet worden war, entstand im Näherungsverfahren ein überzeugender Entwurf, der die Vorgaben der realen Welt berücksichtigte und sehr gut zur Marke Autodesk passte.
Die Formulierung des Problems
Heuristik
Die Grundrisse von früheren AU-Ausstellungshallen waren das Ergebnis von traditionellen Planungsprozessen, gekennzeichnet von altbewährten „Faustregeln“ und menschlicher Intuition. Zu nennen wären hier etwa die typische symmetrische Anordnung von Saalelementen rund um einen geometrischen Mittelpunkt und die Zusammenfassung mehrerer Programmstände bzw. ihre örtliche Nähe, was nach bisherigen Erfahrungen für genügend Aufmerksamkeit sorgt. Um einen Begriff aus der Informatik zu entlehnen, kann diese Art der Problemlösung als „heuristisch“ bezeichnet werden: einfache Problemlösungsstrategien, die sich in der Vergangenheit als recht erfolgreich erwiesen haben. Dieser Ansatz ist effizient, kann aber niemals ein optimales Ergebnis liefern, besonders nicht bei komplexeren Fragestellungen. Aus diesem Grund gibt es in der Informatik das Konzept der Metaheuristik. Dabei handelt es sich um Optimierungstechniken für komplexe Probleme, die anhand von Leistungskriterien in näherungsweisen Lösungsschritten zu zunehmend besseren Ergebnissen kommen.
Mehr als nur Faustregeln: Metaheuristik
In enger Zusammenarbeit mit den Veranstaltern der AU arbeiteten wir eine genaue Beschreibung der Möglichkeiten und Ziele für den Grundriss aus. Uns ging es darum, mithilfe von generativem Design die Einschränkungen, die sich durch die ständige Rückbesinnung auf dieselben Faustregeln ergeben, hinter uns zu lassen und alternative Lösungsmöglichkeiten zu erkunden. Diese sollten aber nicht nur originell sein, sondern gemäß der definierten Entwurfsziele auch zweckmäßiger.
Beschreibung der Problemstellung
Natürlich erfordern nicht alle Problemstellungen ein generatives Designverfahren. Wenn es aber ein Problem gibt, das der Mensch allein nicht zu lösen imstande ist, bietet sich das generative Design an. In unserem Fall war das zu lösende Problem folgendes: Wie muss ein Grundriss aussehen, in dem die Programmstände unter Berücksichtigung aller Anforderungen und gegebenen Einschränkungen verteilt und in Zonen maximaler Aktivität und Sichtbarkeit positioniert sind und der gleichzeitig eine neue sowie interessante Designlösung bietet?
Generatives Design in der Architektur
Das generative Design nutzt künstliche Intelligenz für den Planungsprozess: Mithilfe von metaheuristischen Suchalgorithmen wird innerhalb des festgelegten Planungssystems nach der optimalen Lösung für das definierte Problem gesucht. Dabei hängen die Rahmenbedingungen von drei maßgeblichen Komponenten ab: 1. vom generativen Geometriemodell, das den Planungsraum festlegt, d. h. die Grenzen absteckt, innerhalb derer die Lösung gefunden werden muss, 2. von einer Reihe von Kennzahlen oder Metriken, welche die Ziele des Planungsproblems beschreiben, und 3. vom metaheuristischen Suchalgorithmus, z. B: einem genetischen Algorithmus, der den Planungsraum durchsucht und ausgehend von den definierten Zielen die besten Lösungen findet.
Das generative Design (GD) ist Teil eines größeren Ökosystems. Es reiht sich ein zwischen einer vorangehenden Phase des „prägenerativen“ Designs (Prä-GD) und einer nachfolgenden Phase des „postgenerativen“ Designs (Post-GD).
Prä-GD
In der prägenerativen Phase findet eine enge Zusammenarbeit mit allen Beteiligten statt. Dabei werden die Projektdaten zusammengetragen, die in das generative Modell und in die Auswertungskomponente einfließen sollen.
Datenerfassung: Anforderungen und Einschränkungen
Der erste Schritt besteht in der Erfassung der notwendigen Daten. Maßgeblich waren hier die Informationen über die Grundfläche, die relative Nachbarschaft und die bevorzugten Standorte.
Dabei ergaben sich die folgenden Einschränkungen:
- Einschränkungen bezüglich des Entwurfs: Platzierung eines Teils der Autodesk-Pavillons an den Hauptzugangspunkten nahe des Vortragssaals
- Einschränkungen aufgrund vorhandener Gegebenheiten: Grenzen der Ausstellungshalle, Position der Säulen, Ausgangsbereiche, zentraler Sanitärbereich
- Einschränkungen bezüglich des Zugangs: die wichtigsten fixen Zu- und Ausgangsbereiche der Haupthalle
Formulierung der Ziele
Der zweite Schritt ist die Formulierung der Ziele. Gemeinsam mit den Beteiligten wurden zwei Entwurfsziele ausgearbeitet:
- Aktivität: Maß für die Menge und Verteilung der Zonen mit hohen Besucherströmen, dargestellt durch rote Linien von unterschiedlicher Stärke – je stärker eine Linie, desto dichter der Besucherverkehr
- Sichtbarkeit: Maß für die Nähe eines Standes an den Zonen mit hohen Besucherströmen, dargestellt durch eine farbliche Abstufung von Weiß hin zu Rot – je intensiver das Rot, desto sichtbarer der Stand
Wie bereits erwähnt besteht das generative Design aus drei Hauptkomponenten: 1. dem generativen Modell, das einen breiten Planungsraum von möglichen Lösungen definieren kann, 2. der Auswertungskomponente mit der Definition der spezifischen Entwurfsziele und 3. dem metaheuristischen Suchalgorithmus, in diesem Fall einem genetischen Algorithmus, der sich innerhalb des Planungsraums an immer bessere Lösungen herantastet.
1. Generieren
Unser Geometriesystem orientiert sich an der urbanen Morphologie und der Entwicklung städtischer Zentren. Diese Strategie bietet den Vorteil, dass die möglichen Lösungen sehr weit gegriffen sind: Sie reichen von unregelmäßigen Grundrissen, die wir von europäischen Altstädten kennen, bis hin zu rasterförmigen Mustern, wie sie typisch für Städte wie New York sind. Das Geometriesystem wird in Bereiche unterteilt, in denen dann die Parzellierung und Zuweisung der Programmstände stattfindet.
1. Geometrische Abhängigkeiten definieren und Zonen festlegen, die vom generativen Design ausgeschlossen sind
2. Drei oder mehr Hauptpassagen anlegen, um die Ausstellungshalle in mehrere Makroregionen zu unterteilen
3. Nebenpassagen anlegen, die von den Hauptpassagen abzweigen und die Makroregion in jeweils zwei Unterregionen teilen
4. Ein Raster unterschiedlicher Ausrichtung definieren, das jede Unterregion in einzelne Zellen aufteilt
5. Die zentralen Programmstände entlang der Hauptpassagen platzieren
6. Diese zentralen Programmstände durch Verschmelzung mit den benachbarten Zellen wachsen lassen, bis die gewünschte Grundfläche erreicht ist
7. Die restlichen Zellen mit gewöhnlichen Ständen befüllen
2. Auswerten
Mithilfe der automatisierten Auswertungskomponenten wird jeder berechnete Lösungsvorschlag anhand der beiden definierten Entwurfsziele ausgewertet. Diese numerischen Werte werden vom metaheuristischen Suchalgorithmus herangezogen, um optimale planerische Lösungen zu entwickeln und mit der Zeit zu „lernen“.
3. Weiterentwickeln
Im Rahmen dieses Projekts entstanden mehr als 30.000 Entwürfe – 100 Generationen, die mit 320 planerischen Lösungen multipliziert wurden. Wie in der Abbildung unten gezeigt, hat der evolutionäre Algorithmus gelernt, die Eingaben so zu steuern, dass unterschiedliche Familien von vielversprechenden Entwurfsvarianten berechnet werden.
Post-GD
In der postgenerativen Phase rückt wieder der Mensch in den Mittelpunkt. Unter Zuhilfenahme von Raumnavigationstools untersucht der menschliche Planer nun die Pareto-Front der vielversprechendsten Entwürfe, erkundet notwendige Kompromisse zwischen den Metriken und nimmt eine qualitative Gesamtbewertung vor.
Auswählen
Durch direkte Untersuchung der vielversprechendsten Entwürfe identifiziert der Planer zusammen mit den Beteiligten eine kleine Gruppe von Kandidaten, die für die manuelle Verfeinerung ausgewählt werden.
Verfeinern
Nach erfolgter Auswahl einer Handvoll von Kandidaten werden diese manuell verfeinert und noch weiter ausgearbeitet, auch um sicherzustellen, dass alle Anforderungen und Abhängigkeiten erfüllt sind. In unserem Fall nutzten wir die Post-GD-Phase unter anderem dazu, auf Grundlage der Wege mit dem höchsten Besucherverkehr die Hauptkorridore zu definieren, die auch als Orientierungshilfe dienen. Ebenso nutzten wir die Erkenntnisse der Verkehrsprognose dazu, die wichtigsten Autodesk-Pavillons so zu verteilen, dass diese den Besucherstrom von den Haupteingangsbereichen hin zu den Branchenständen leiten.
Fazit
In der Architektur ist das generative Design eine relativ neue Methode, mit der wir in Zusammenarbeit zwischen Mensch und Computer überraschende und neuartige Designs und Entwürfe entwickeln, die Vor- und Nachteile zwischen vielversprechenden Entwurfsvarianten untersuchen, Abhängigkeiten aufzeigen und Entwurfsziele statt Entwurfsformen definieren. So entstehen neue Arten, Architektur zu entwerfen und zu produzieren. Architekten und Bauingenieure erhalten Zugang zum enormen kreativen Potenzial der künstlichen Intelligenz und profitieren von optimierter Zusammenarbeit mit den Auftraggebern.
Lorenzo Villaggi arbeitet in der Planung und Forschung bei The Living, einem Studio von Autodesk. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit generativem Design, neuen Materialien und neuartigen Formen der Visualisierung. In letzter Zeit widmet er sich verstärkt der Erkundung von Raumunterteilungstechniken zur Lösung von raumplanerischen Problemen sowie der Quantifizierung der Raumerfahrung für generative Workflows in der Architektur. Lorenzo Villaggi besitzt einen Masterabschluss in Architektur von der Columbia University Graduate School of Architecture, Planning and Preservation, an der er auch ein Graduiertenkolleg unterrichtet, sowie einen Bachelor-Titel in Architektur vom Politecnico di Milano. Er ist an einer Reihe hochrangiger Architekturprojekte beteiligt, darunter den neuen Autodesk-Büros im MaRS Discovery District in Toronto und dem Laboratory for Embodied Computation an der Universität Princeton. Seine Arbeit wird regelmäßig in Ausstellungen und international bekannten Veranstaltungen wie der Chicago Architecture Biennial, dem World Economic Forum in Davos, der Mailänder Designwoche oder dem MoMA und dem New Museum in New York gezeigt. Lorenzo Villaggi lebt und arbeitet in New York City.
Danil Nagy ist ein führender Designer und Forschungsleiter bei The Living für Autodesk Research in New York City. Seine Hauptforschungsgebiete sind Computational Design, generative Geometrie, Advanced Fabrication, maschinelles Lernen und Datenvisualisierung. Er war Projektmanager der Installation Hy-Fi im Hof des MoMA PS1 in Queens, New York, und ist ein führender Kopf bei der seit Langem bestehenden Zusammenarbeit zwischen Autodesk und Airbus, u. a. auch für die bionische Kabinenwand. Danil Nagy präsentiert seine Arbeit und ist ein gern gesehener Redner bei unterschiedlichen Konferenzen wie dem Design Modeling Symposium, Biofabricate, Techonomy:Bio und SIGGRAPH.
Erfahren Sie mehr zu diesem Thema in den vollständigen Kursunterlagen.