Warum der vielversprechende 3D-Druck neue Bauvorschriften erfordert

Der Weg zum Erfolg neuer Technologien im konservativen Baugewerbe ist steinig. Mit entsprechenden Bauvorschriften will der 3D-Druck den Sektor aufmischen.


Beim Bau der Wände eines Verwaltungsgebäudes in Dubai vertrauten die Mitarbeiter von Apis Cor auf 3D-Druck.

Mit freundlicher Genehmigung von Apis Cor.

Beim Bau der Wände eines Verwaltungsgebäudes in Dubai vertrauten die Mitarbeiter von Apis Cor auf 3D-Druck. Mit freundlicher Genehmigung von Apis Cor.

Matt Alderton

16. Juni 2020

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Im 3D-Druckverfahren hergestellte Innenwände. Mit freundlicher Genehmigung von Apis Cor.
Im 3D-Druckverfahren hergestellte Innenwände. Mit freundlicher Genehmigung von Apis Cor.

3D-Druckverfahren im Hochbau sind in den Bauvorschriften noch nicht verankert. Das bringt Hürden im Genehmigungsverfahren mit sich. Ein US-amerikanisches Unternehmen, das 3D-Drucker für die Bauindustrie anbietet, will nun ein Präzedenzfall schaffen, um die Behörden zu überzeugen.

Bauordnungen sind in der Regel das Ergebnis einer bewegten Geschichte – etliche heute selbstverständliche Vorschriften wurden erst nach schwerwiegenden Tragödien auf den Weg gebracht. So führte etwa der Hamburger Brand, der 1842 weite Teile der Altstadt verwüstete, zum Erlass von baubehördlichen Brandschutzordnungen und (angesichts COVID-19 wieder hochaktuellen) Gesetzen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in dicht bevölkerten Stadtgebieten. Doch bei allen Regeln und Richtlinien ist die Bauordnungslandschaft heute zersplitterter denn je. Eine im Jahr 1960 von der deutschen Bauministerkonferenz ARGEBAU vorgelegte Musterbauordnung wurde von den einzelnen Bundesländern zwar zunächst weitgehend übernommen, seither jedoch immer wieder individuell angepasst, ergänzt und bis zur Unkenntlichkeit überarbeitet. Und auch auf internationaler Ebene herrscht ein reges Durcheinander verschiedenster Vorschriften.

Innerhalb dieses unübersichtlichen Umfelds tritt nun eine weitere Herausforderung auf den Plan: die Bewertung neuer Technologien im Kontext der Bauindustrie. Vor allem der 3D-Druck verspricht, den Sektor zu revolutionieren und Bauprozesse schneller, erschwinglicher, sicherer und nachhaltiger zu gestalten – vorausgesetzt, Bauherren können die zuständigen Baubehörden beschwichtigen und deren drängendste Frage beantworten: Sind Gebäude aus dem 3D-Drucker auch wirklich sicher?

Auch Anna Cheniuntai, Gründerin und CEO des in Boston ansässigen Unternehmens Apis Cor, das spezialisierte 3D-Drucker für die Bauindustrie anbietet, kennt diese Hürden: „Der 3D-Druck ist eine wirklich innovative und revolutionäre Technologie. Die Bauindustrie ist hingegen sehr konservativ ausgerichtet, was den Einsatz von 3D-Drucktechnologie in der Praxis erschwert. Unsere größte Herausforderung besteht momentan darin, Normen und Standards zu etablieren, die es Bauaufsichtsbehörden erleichtern, entsprechende Zertifizierungen auszuarbeiten und Baugenehmigungen zu erteilen.“

Zusammen mit dem auf Hochbau spezialisierten Unternehmen Thornton Tomasetti erarbeitet Apis Cor zurzeit einen Industriestandard für 3D-gedruckte Wandstrukturen. Dieser soll – so die Hoffnung der beiden Teilnehmer des Residenzprogramms am Autodesk Technology Center in Boston – einen ersten Schritt in Richtung zukunftsorientierter Bauvorschriften darstellen.

Behörden brauchen Präzedenzfall

Eine 3D-gedruckte Struktur nimmt Form an. Mit freundlicher Genehmigung von Apis Cor.
Eine 3D-gedruckte Struktur nimmt Form an. Mit freundlicher Genehmigung von Apis Cor.

Seit seiner Gründung konnte Apis Cor die Vorzüge des 3D-Drucks im Rahmen einer Handvoll Projekte unter Beweis stellen. Mithilfe eines mobilen Betondruckers baute das Unternehmen im Jahr 2016 im russischen Stupino das laut eigenen Aussagen erste „vor Ort“ gedruckte Haus der Welt. Das rund 37 Quadratmeter große, kreisförmige Gebäude wurde innerhalb von nur 24 Stunden für knappe 10.000 US-Dollar errichtet. Bedenkt man, dass die Hilfsorganisation Habitat for Humanity im Vergleich durchschnittlich 50.000 US-Dollar und acht Monate für den Bau einer knapp 100 Quadratmeter großen Wohnung benötigt, verspricht der Ansatz von Apis Cor eine höhere Zeit- und Kosteneffizienz.

Einen weiteren Erfolg verbuchte Apis Cor im Oktober 2019 mit dem Auftrag, im 3D-Verfahren angefertigte Wandstrukturen für ein zweistöckiges Verwaltungsgebäude in Dubai beizusteuern. Mit 9,5 Meter Höhe und rund 60 Quadratmeter Gesamtfläche entstand hier das bis dato größte Gebäude aus dem 3D-Drucker.

Den Machbarkeitsnachweis hatte das Unternehmen damit zwar in der Tasche, einen ausreichend starken Präzedenzfall jedoch nicht – genau einen solchen braucht es jedoch, um die zuständigen Baubehörden zu überzeugen, grünes Licht für groß angelegte 3D-Druckprojekte zu geben, weiß Patrick Kenny, Partner und Ingenieur bei Thornton Tomasetti.

„Bauwesen und Fertigung sind zwei verschiedene Paar Schuhe“, so Kenny. „Der aktuelle Stand der Baubranche erlaubt es nicht, beliebig viele Exemplare desselben Gebäudes zu errichten. In der Fertigung kann man hingegen die ersten zehn Anläufe ohne größere Konsequenzen vermasseln und den Prozess nach und nach optimieren. Da jedes Gebäude quasi sein eigener Prototyp ist, gehen es die meisten Entscheidungsträger eher konservativ an.“

Genau hier kommen Bauvorschriften ins Spiel. Durch das Definieren allgemeingültiger Normen bringen Baubehörden Gleichförmigkeit in andernfalls uneinheitliche Baustrukturen. Auf der Grundlage vergangener Bauprojekte entwickeln sie Muster, die zukünftig zur Risikominderung beitragen. Das Problem im Hinblick auf neuartige Technologien: Es fehlt an entsprechenden Mustern, die als Orientierung dienen könnten. Genau das möchte man bei Apis Cor nun ändern.

Um den 3D-Druck in den Augen der Baubehörden als sinnvolle Alternative zu positionieren, konzentriert sich das Team ausschließlich auf 3D-gedruckte Wandstrukturen. Das Design ist traditionellen Schalsteinen nachempfunden – inklusive Hohlraum zum Anbringen von Bewehrungsstäben. Obwohl der 3D-Druck in der Theorie radikal neue Formen ermöglicht, ist für das Team von Apis Cor die Suche nach Gemeinsamkeiten mit traditionellen Verfahren ausschlaggebend für die Legitimierung neuer Baumethoden.

Der Vergleich zu herkömmlichem Mauerwerk soll Genehmigungsverfahren erleichtern

3D printing construction printing cement Apis Cor (video: 0:11)

„Ziel ist es, die strukturelle Ähnlichkeit unserer Ergebnisse aus dem 3D-Drucker mit herkömmlichem Mauerwerk aufzuzeigen. Wir sind überzeugt, dass sich so das Genehmigungsverfahren vereinfachen ließe, da die Baubehörden in der Lage wären, sich an den Regeln und Bauvorschriften einer etablierten Sparte zu orientieren“, erklärt Cheniuntai. Der Vorteil für Bauunternehmen bestehe unterdessen darin, dass bewährte Bautechniken – angefangen beim Anlegen von Fundamenten bis hin zur Konstruktion von Dächern – problemlos auf dieses neuartige Verfahren übertragbar seien.

Statt auf ausgefallenere Baumaterialien wie Kohlefaser oder Biokunststoff greifen Cheniuntai und ihre Kollegen bewusst auf altbekannte Favoriten wie Beton zurück – mit einem entscheidenden Unterschied: Da herkömmlicher Beton sich nicht für 3D-Druckprozesse eignet, kombiniert das Team die grundlegenden Zutaten – Wasser, Sand und Zement – mit einem geheimen Baustoff, das dem Material eine optimale Viskosität und Aushärtezeit verleiht.

„Wir wissen, dass es zunächst darauf ankommt, uns mit den gängigen Baustoffen der Branche so vertraut wie möglich zu machen“, betont Cheniuntai. „Später können wir dann den Schritt zu neuen Materialien wagen.“

Natürlich sind 3D-gedruckte Strukturen, die wie traditionelles Mauerwerk aussehen, nur dann sinnvoll, wenn sie auch aus funktionaler Sicht mit ihrem Vorbild mithalten können. Mit Unterstützung von Briggs Engineering and Testing sowie der University of Connecticut unterzog das Team von Apis Cor seine Wände den gleichen von der internationalen Standardisierungsorganisation ASTM International zertifizierten Tests, denen auch Schalsteine unterliegen. Dazu gehört etwa die Bewertung von Festigkeit, Widerstand, Biegeresistenz und Kompressionsgrad.

„Die Festigkeit eines Schalsteins wird durch die Bestimmung der Belastungsgrenze unter starkem Druck ermittelt. Also haben wir ein 3D-Modul im exakten Format eines Schalsteins derselben Prozedur unterzogen“, erläutert Kenny. Für die Auswertung der Tests ist das Team von Thornton Tomasetti zuständig, das die Ergebnisse in Form eines Dokuments festhält, das problemlos mit Baubehörden geteilt werden kann. „Auf diese Weise möchten wir verdeutlichen, dass dieses neuartige Baumaterial sämtliche Anforderungen der bestehenden, sehr vergleichbaren Bauvorschriften in Zusammenhang mit Schalsteinen erfüllt“, erklärt er.

Im Rahmen zweier geplanter Demonstrationsprojekte gilt es nun, die empirischen Untersuchungsergebnisse auf den Prüfstand der Praxis zu stellen. Das erste Projekt – ein 3D-gedrucktes zweistöckiges Haus in Jackson im US-Bundesstaat Louisiana – soll in gerade einmal zwei Wochen fertiggestellt werden und nur halb so viel kosten wie ein herkömmliches Haus. Das zweite, für das sich Apis Cor mit dem Housing Trust Fund of Santa Barbara County zusammengeschlossen hat, hat die Schaffung erschwinglichen Wohnraums im kalifornischen Santa Barbara mithilfe von 3D-Druckverfahren zum Ziel. Beide Projekte werden voraussichtlich im Herbst 2020 beginnen und den üblichen Genehmigungsprozess durchlaufen müssen – die ideale Gelegenheit, die Vorteile und Governance-Strukturen der 3D-Drucktechnologie vorzustellen.

„Wir wollen an ein paar Orten eine gewisse Anzahl von Leuten von unserem Ansatz überzeugen. Dann hätten wir einen Präzedenzfall, der zeigt, dass ein Gebäude schon einmal in dieser Art gebaut wurde“, meint Kenny. Während bei anfänglichen Projekten Simplizität im Mittelpunkt stehen soll, plant das Team, im Laufe der Zeit zusätzliche Prototypen mit ausgefalleneren Bauformen vorzustellen. Natürlich werden auch diese zunächst die Gunst der Baubehörden gewinnen müssen.

Matt Alderton

Zur Person: Matt Alderton

Matt Alderton lebt und arbeitet in Chicago als freischaffender Publizist. Er hat sich auf Wirtschaftsthemen, Design, Ernährung, Reisen und Technologie spezialisiert. Unter anderem hat der Absolvent der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois bereits über Beanies, Mega-Brücken, Roboter und Hähnchen-Sandwiches berichtet. Er ist über seine Website MattAlderton.com zu erreichen.

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