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Kollege Roboter: Mit der Automatisierung in Fertigung und Bauwesen bricht ein neues Zeitalter an

Seit Beginn des Industriezeitalters stoßen Konstrukteure und Ingenieure immer wieder an die Grenzen des Machbaren.

In der Vergangenheit scheiterte die Umsetzung guter Ideen in marktreife Produkte oftmals daran, dass weder im In- noch im Ausland entsprechende Fertigungsanlagen vorhanden waren.

Der rapide Fortschritt in Bereichen wie Robotertechnik, Automatisierung von Verarbeitungsprozessen, 3D-Druck, generative Gestaltung und Echtzeitreaktion auf Nutzer-Feedback verspricht hier in naher Zukunft erhebliche Erleichterung. Maschinen werden immer lernfähiger, Computer immer leistungsstärker, und Roboter entwickeln sich zunehmend zu kompetenten und intelligenten Arbeitskräften.

Konkret ist mit einer Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine zu rechnen: Die Ingenieure der Zukunft können ihrem Gestaltungsdrang bei der Optimierung ihrer Entwürfe freien Lauf lassen. Diese werden dann von Robotern analysiert und in Form von Baugruppen aus 3D-gedruckten Teilen realisiert. So utopisch diese Vorstellung momentan anmuten mag, dürfte sie schon im Laufe der nächsten zehn Jahre in den Bereich des Möglichen rücken.

Welche Folgen hat die zunehmende Automatisierung für Bauingenieure und Maschinenbauer? Wird sie Arbeitsplätze vernichten oder neue Perspektiven eröffnen?

Meine Antwort auf diese Fragen lautet: Die Roboter wollen uns nichts Böses – ganz im Gegenteil. Sie bereiten den Boden für eine industrielle Revolution, die eine kreativere und (im doppelten Wortsinn) kundennahe Fertigung ermöglicht.

Neue Herausforderungen und Chancen

Derzeit müssen Konstrukteure und Ingenieure noch mithilfe von CAD-Software Geometrien erstellen, um die praktische Machbarkeit ihrer Ideen zu überprüfen. In Zukunft können sie ihre Zeit sinnvoller zur Analyse und Erstellung der Problemdarstellung aufwenden, auf deren Grundlage Computer neue geometrische Optionen berechnen und die menschlichen Kollegen bei der Weiterentwicklung und Nachbesserung ihrer Entwürfe unterstützen. Zugleich wird dadurch das Problempotential zunehmen und neue Herausforderungen und Chancen entstehen lassen.

Nehmen wir das Beispiel SpaceX. Nach wiederholten Bruchlandungen holte das kalifornische Raumfahrtunternehmen im Frühjahr 2016 zwei Raketen erfolgreich aus dem All zurück und landete sie sicher auf einer schwimmenden Plattform im Atlantik. Man stelle sich einmal vor, die Ingenieure hätten bei Projektbeginn die entsprechenden Parameter in ein Tool wie Autodesk Dreamcatcher eingegeben. Man stelle sich weiter vor, die an ihren Raketen angebrachten Sensoren zur Erfassung von Fahrwerksbelastung, Hydraulikversagen und anderen technischen Störungen könnten die entsprechenden Daten in Echtzeit an die Software weiterleiten und dadurch innerhalb von kürzester Zeit Nachbesserungen umsetzen. Der Computer wäre dann in der Lage, bessere und billigere Optionen vorzuschlagen, auf die die Ingenieure womöglich nicht gekommen wären. Die Problemfindung wäre kein punktueller und statischer Prozess mehr, sondern eine ständige dynamische Konvergenzschleife zwischen Planung, Fertigung und Anwendung.

Auch für Tragwerksplaner und Maschinenbauer eröffnen sich durch generative Gestaltung und Automatisierung von Modular- und Fertigbauverfahren neue Möglichkeiten zur Lösung komplexer Probleme. Im Zuge der Konvergenz zwischen Fertigung und Bauwesen werden Bauteile und Funktionseinheiten (einschließlich Stützwände, Rohrbrücken und Vorhangfassaden) zunehmend in Fabriken vorgefertigt. Somit haben Bauingenieure den Kopf und die Hände für die Bewältigung neuer, komplizierterer Herausforderungen frei.

Rosige Aussichten also für hochqualifizierte Konstrukteure und Ingenieure. Was aber wird aus Fabrik- und Bauarbeitern? Sie werden sich auf die neuen Realitäten einstellen müssen – sei es durch Umschulung auf anspruchsvollere Tätigkeiten oder durch Wechsel in Wachstumsbranchen wie den Gesundheits- oder Bildungssektor oder erneuerbare Energien. Roboter werden menschliche Arbeitskräfte primär in Bereichen ersetzen, wo es monotone, riskante oder gar unmögliche Aufgaben zu erledigen gilt. Mit anderen Worten: Insgesamt sind die absehbaren Folgen der Automatisierung und Unterstützung durch Roboter positiv zu bewerten.

In den USA gibt es mittlerweile Anzeichen dafür, dass bezüglich Abwanderung und Verlust von Arbeitsplätzen in der Produktion – einst das wichtigste Standbein der US-amerikanischen Volkswirtschaft – das Ende der Fahnenstange erreicht sein könnte. Automatisierte Fabriken und neuartige Unternehmen, die sich auf Sonderanfertigungen nach Kundenwünschen spezialisiert haben, sind die Vorboten dieses Umschwungs.

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In der Ansbacher Speedfactory von Adidas beschleunigen Roboter die Produktion. Mit freundlicher Genehmigung von Adidas.

Kurze Wege, bedarfsgerechte Fertigung

Die Automatisierung macht‘s möglich: Künftig lassen sich Waren zu erschwinglichen Preisen in unmittelbarer geografischer Nähe der Verbraucher herstellen. Das wird dazu führen, dass mehr und mehr Produktionsbetriebe in Länder zurückkehren werden, die derzeit noch vom Import aus Fertigungsmekkas wie China abhängig sind.

Auch beim renommierten Wall Street Journal geht man davon aus, dass sich die fortschreitende Automatisierung gerade für den Mittelstand als Wettbewerbsvorteil erweisen wird: Dank der tatkräftigen Unterstützung von Robotern könnten „kleinere Hersteller den Großkonzernen künftig auf Augenhöhe Konkurrenz machen“. Vor allem in Ländern mit höheren Lohnkosten lassen sich durch den Einsatz von Industrierobotern erhebliche Einsparungen erzielen.

2014 entfiel der Löwenanteil der weltweiten Nachfrage nach Industrierobotern auf fünf Länder: China, Japan, die USA, Korea und Deutschland. Die Aufholjagd hat jedoch längst begonnen, und in naher Zukunft werden weltweit mehr und mehr Unternehmen ihre Produktionsanlagen automatisieren, um die Nachfrage in ihren eigenen Märkten zu bedienen.

Den Stellenwert, den die Fertigungsbranche einst in westlichen Ländern behauptete, wird sie wohl nie wieder erreichen. Jedoch ist es durchaus nicht undenkbar, dass die Automatisierung zu einer Renaissance des herstellenden Gewerbes und damit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führt. Denn die dadurch erzielten Effizienzgewinne ermöglichen einerseits die Rückverlagerung von Produktionsstätten in die Absatzländer und andererseits die Entstehung neuartiger Fertigungszweige, die sich auf die Herstellung kundenspezifischer Produkte spezialisieren.

So arbeitet der Schuhhersteller Under Armour in Baltimore auf Hochtouren an der Realisierung seines „Project Glory“-Konzepts zur Förderung einer Fertigung der kurzen Wege, die globales Denken auf geradezu exemplarische Weise mit lokalem Handeln verbindet: in den USA hergestellte Produkte für US-amerikanische Verbraucher, in Brasilien hergestellte Produkte für brasilianische Verbraucher usw.

Ähnlich hat sich auch Rickshaw Bags in San Francisco eine auf individuelle Kundenwünsche abgestimmte Fertigung vor Ort auf die Fahnen geschrieben. Und in der Speedfactory, die Adidas im Mai 2016 im fränkischen Ansbach eröffnete, sollen Roboter durch bedarfsgerechte Produktion sowie personalisierte Sonderanfertigungen die Durchverkaufsrate und den Absatz am lokalen Markt steigern.

Urknall der Kreativität

Lassen sich die gleichen Grundsätze auch auf komplexere Industriegüter anwenden – indem Ingenieure beispielsweise Automatisierungsverfahren wie 3D-Druck und generative Gestaltung zur schnellen Entwicklung und Herstellung anspruchsvoller Geräte nach Kundenwünschen nutzen? Die Folge wäre, dass mehr Ingenieure ein breiteres Ideenspektrum ausreizen, nach Herzenslust experimentieren und die Verantwortung für Machbarkeitsentscheidungen übernehmen. Denn je weniger Zeit sie auf Planung und Entwurf verwenden müssen, desto mehr Gedanken können sie sich über konzeptionelle Fragen machen.

Ich gehe davon aus, dass sich die Berufsaussichten für Ingenieure mit zunehmender Automatisierung eher verbessern werden. Die damit einhergehende Erweiterung des Machbaren bedeutet nicht nur ein breiteres Angebot für Auftraggeber und Endverbraucher, sondern eröffnet mehr Fachkräften mit entsprechender Ausbildung und Qualifikation Chancen, neu entstehende Nischen zu besetzen. Ebendieser Entwicklung verdanken wir so coole Erfindungen wie das klima-positive Haus des australischen Architekturbüros ArchiBlox oder das „Taga“-Klapprad, aus dem mit ein paar einfachen Handgriffen ein Kinderbuggy wird.

Angesichts dieser vielfältigen Möglichkeiten, neuartige Produkte zur effizienten und preiswerten Fertigung in automatisierten Fabriken zu entwickeln, stehen (nicht nur) Produktionsingenieuren äußerst spannende Zeiten bevor – zumal Roboter imstande sind, Dinge herzustellen, von denen Menschen bislang höchstens träumen konnten.

Die Automatisierung wird auch dazu führen, dass die Massenproduktion zum Auslaufmodell wird. Allenfalls globale Marktführer wie Nike und Mercedes werden noch Kostenvorteile durch Großserienfertigung erwirtschaften können. Konkret bedeutet das: Auch hier werden Fachkräfte zur Planung und Realisierung zukunftsfähiger – sprich: kleiner und kompakter, dafür aber um so effizienterer – Fabriken gebraucht.

Egal, ob sie ihren Erfindungsgeist in den Dienst eines Großkonzerns oder eines Start-ups stellen – in jedem Fall werden die Ingenieure der Zukunft sehr viel mehr Spielraum zum Tüfteln und Experimentieren haben. In einer Welt, in der Roboter die Schwerarbeit übernehmen, sind der menschlichen Fantasie kaum noch Grenzen gesetzt.

Über den Autor

Dr. Andrew Anagnost ist President und Chief Executive Officer von Autodesk. Bereits seit mehr als 25 Jahren unterstützt er anhand effektiver Produkt-, Business- und Marketinginitiativen die Unternehmensstrategien, Transformationsvorhaben und Produktentwicklung von Unternehmen wie Autodesk, der Lockheed Aeronautical Systems Company und der EXA Corporation. Er promovierte an der Stanford University und arbeitete anschließend als Postdoktorand des National Research Council am Ames Research Center der NASA. Dr. Anagnost schloss sich Autodesk 1997 an und hatte seitdem mehrere Positionen im Bereich Marketing, Neugeschäftsentwicklung, Produktmanagement und Produktentwicklung inne. Bevor er 2017 President und CEO von Autodesk wurde, war er als Chief Marketing Officer und SVP für den Bereich Business Strategy & Marketing tätig. In dieser Rolle plante und lenkte er die Transformation des Geschäftsmodells zum Software-as-a-Service(SaaS)-basierten Angebotsmodell. Zuvor war Dr. Anagnost in diversen leitenden Positionen im Unternehmen tätig. Ganz zu Beginn seiner Karriere bei Autodesk verantwortete er die Entwicklungsaktivitäten für das Fertigungsproduktangebot und steigerte dabei die Umsätze für Autodesk Inventor auf über 460 Millionen Euro. Dr. Anagnost ist Vorstandsmitglied von Autodesk. Er hat einen Bachelor of Science in Maschinenbautechnik von der California State University, Northridge (CSUN), einen Master of Science in Ingenieurwissenschaften und einen Doktor in Luftfahrttechnik und Computerwissenschaft von der Stanford University.

Profile Photo of Andrew Anagnost, Autodesk CEO - DE