Skip to main content

Mit Vollgas in Richtung Zukunft: GM setzt beim Automobilbau auf Leichtigkeit und Effizienz

GM consolidated an eight-part seat bracket into a single part using generative design and additive manufacturing.

Von Instrumenten wie Schlagzeug, Keyboards oder E- und Bass-Gitarren über Lebensmittel wie Nahrungsrationen für Astronauten und Soldaten bis hin zu Kleidung, Prothesen oder sogar menschlichen Ersatzorganen und zweistöckigen Betonhäusern – im Zeitalter der additiven Fertigung und des 3D-Drucks scheint nahezu nichts mehr unmöglich. Wäre es bei so vielen Anwendungsmöglichkeiten verkehrt, in Zukunft auf 3D-gedruckte Autos zu hoffen?

Keineswegs. Tatsächlich stellte Local Motors mit dem Strati bereits 2015 einen elektrischen Zweisitzer-Roadster vor, der in gerade mal 44 Stunden gebaut wurde und zu 75 Prozent aus 3D-gedruckten Bauteilen bestand. 2016 zog Divergent Microfactories nach und veröffentlichte mit dem 700 PS starken Blade das erste „Superauto“ mit Karosserie und Fahrwerk aus dem 3D-Drucker.

Doch nicht nur die erfinderischen Emporkömmlinge oder Experimentierfreudigen der Branche setzen neuerdings in Sachen Automobilbau auf 3D-Druck. Statt sich mit außergewöhnlichen Machbarkeitsnachweisen um Schlagzeilen zu reißen, investieren auch etablierte Automobilhersteller verstärkt in inkrementelle Innovation und messbare Verbesserung. Beispielhaft für diesen Ansatz ist General Motors: Die 3D-gedruckten Bauteile des Unternehmens sollen neben mehr Leistung auch größere gestalterische Flexibilität und Möglichkeiten zur Personalisierung bieten.

Software für Generatives Design fördert eine völlige neue Art der Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Computern – und macht bisher unmögliche Konzepte möglich. Mit freundlicher Genehmigung von General Motors.
Software für Generatives Design fördert eine völlige neue Art der Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Computern – und macht bisher unmögliche Konzepte möglich. Credit: General Motors.

„Ein Fahrzeug besteht im Durchschnitt aus 30.000 Einzelteilen“, erklärt Kevin Quinn, Director of Additive Design and Manufacturing bei GM. „Uns geht es nicht darum, alle 30.000 Bauteile zu drucken. Wir gehen das Ganze sehr realistisch an. Wir konzentrieren uns auf Fertigungsmöglichkeiten, die dem Unternehmen und unseren Kunden einen Mehrwert bieten. Für uns zählt weniger, was wir tun könnten, sondern vor allem, was wir tun sollten.“

Bahnbrechende Gestaltung

Wenn man additive Fertigung als Tür zur Zukunft der Automobilbranche versteht, dann ist Generatives Design der Schlüssel, der das passende Schloss öffnet. „Bei gleichzeitiger Nutzung der Cloud und Künstlicher Intelligenz ermöglicht uns Generatives Design, unterschiedliche Gestaltungsoptionen für die Bauteile und Komponenten unserer Fahrzeuge zu erwägen. Dadurch kommt es zu einem produktiven Austausch zwischen Ingenieur und Computer“, so Quinn. „Aus diesem Zusammenspiel ergeben sich Lösungen für Bauteile, die sich weder Ingenieure noch Computer im Alleingang ausdenken könnten.“

Konkret sieht dieser Ansatz folgendermaßen aus: Nachdem ein Ingenieur die jeweiligen Ziele und Möglichkeiten eines Konzepts abgesteckt hat – wobei Faktoren wie Materialien, Fertigungsmethoden und Budget eine maßgebliche Rolle spielen –, gibt er die entsprechenden Parameter in die Software ein. Diese ermittelt und beurteilt anschließend anhand eines Algorithmus alle möglichen Gestaltungsoptionen und empfiehlt auf Basis dieser Berechnungen eine optimale Lösung.

Außergewöhnliche Fahrzeugteile dieser Art wären ohne die Möglichkeiten der additiven Fertigung nicht denkbar. Mit freundlicher Genehmigung von General Motors.
Außergewöhnliche Fahrzeugteile dieser Art wären ohne die Möglichkeiten der additiven Fertigung nicht denkbar. Credit: General Motors.

„Die Kombination aus Generativem Design und additiver Fertigung birgt das Potenzial, unsere Branche völlig umzuwälzen“, meint Quinn und weist darauf hin, dass die eingeschränkten Funktionalitäten herkömmlicher Fertigungswerkzeuge – wie Fräsmaschinen und Spritzgussformen – der Automobilbranche seit jeher Steine in den Weg gelegt haben. So lassen sich damit beispielsweise nur sehr einfache Formen herstellen.

Hinzu kommt, dass traditionelle Fertigungswerkzeuge sowohl kostspielig als auch in ihrem Anwendungsbereich begrenzt sind, sodass finanzielle Erwägungen jegliche Experimentierfreude oft im Keim ersticken. Generatives Design und additive Fertigung versprechen hingegen unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten bei geringem Investitionsaufwand. Eine geeignete Software-Lösung und ein 3D-Drucker reichen aus, um verschiedenste Bauteile in jeder erdenklichen Ausprägung herzustellen – darunter organische Formen und interne Gitterstrukturen, die dank additiver Fertigung überhaupt erst möglich werden.

Das wohl beste Beispiel zur Verdeutlichung des Geschäftspotenzials des Generativen Designs sind die Herausforderungen rund um das Thema Elektrofahrzeuge. Dem Enthusiasmus, den die Autobranche dieser neuen Art von Fortbewegungsmittel entgegenzubringen scheint – allein GM plant bis 2023 die Markteinführung von mindestens zwanzig Elektro- oder Brennstoffzellenfahrzeugen –, steht das Problem vergleichsweise höherer Produktionskosten entgegen. Für GM könnte Generatives Design jedoch das Rezept für leichtere Fahrzeugteile und eine kürzere Lieferkette sein, das es ermöglicht, genau diese Hürde zu überwinden.

„Entwicklungen wie Elektromobilität und autonome Fahrzeuge werden die Spielregeln unserer Branche von Grund auf verändern“, meint Quinn. „Wer in Zukunft oben mitmischen will, muss sich in diesen technisch anspruchsvollen Bereichen eine führende Position ergattern. Wir sind überzeugt, dass uns additive Fertigung und Generatives Design dabei helfen werden, uns einen Marktvorsprung zu sichern.“

Eine bessere Sitzkonsole?

In Zusammenarbeit mit Autodesk hatten die Ingenieure von GM kürzlich die Gelegenheit, das generative Design-Tool Fusion 360 für die Gestaltung einer funktionsoptimierten Sitzkonsole zu nutzen, einem typischen Fahrzeugteil, das als feste Basis für Autositze und Sicherheitsgurtschlösser dient. Als Alternative zur herkömmlichen kastenförmigen Sitzkonsole aus acht Einzelteilen generierte die Software mehr als 150 Gestaltungsoptionen, die eher an abstrakte Metallkunstwerke erinnerten. Das Team von GM entschied sich schließlich für ein Modell, das im Gegenteil zur Ausgangsversion nicht aus acht einzelnen, sondern einem zentralen Bauteil besteht und um 40 % leichter sowie 20 % stabiler ist.

„Der Beschluss, acht verschiedene Module zu einem Einzelteil zusammenzuführen, hatte zweierlei Gründe“, schildert Quinn. „Zum einen wäre da der Faktor der Massenoptimierung, zum anderen der zusätzliche Vorteil, dass entlang der Lieferkette Kosten eingespart werden, da wir nicht mehr etliche Einzelteile von mehreren Herstellern beziehen und zusammenbauen müssen.“

Die möglichen Auswirkungen dieser Verbesserungen sind denkbar vielversprechend: Sofern es gelingt, das gleiche Prinzip auf Hunderte oder sogar Tausende von Bauteilen anzuwenden, kommt das Unternehmen dem Ziel, günstigere, leichtere und verbrauchsärmere Fahrzeuge zu produzieren, einen großen Schritt näher.

„Unsere nächste Herausforderung besteht darin, weitere einzigartige und sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten für Generatives Design und additive Fertigung zu ermitteln“, so Quinn. Die Zeichen hierfür stehen gut: GM arbeitet bereits an der Optimierung zahlreicher weiterer Autoteile.

„Angenommen, wir könnten Generatives Design und additive Fertigung nutzen, um unsere Kraftstoffeffizienz zu optimieren und pro Liter einen zusätzlichen Kilometer aus unseren Fahrzeugen herauszuholen oder die Reichweite unserer Elektroautos um 15 Kilometer zu steigern, dann hätte General Motors in Zukunft einen enormen Wettbewerbsvorteil“, fährt er fort.

Langfristige Vorteile statt kurzlebiger Hype

Die verbesserte Leistungsfähigkeit ist überdies nur die Spitze des Eisbergs. GM beabsichtigt, additive Fertigung in Zukunft einzusetzen, um auf kostengünstige und effiziente Weise Ersatzteile innerhalb der Autohäuser des Unternehmens drucken und maßgeschneiderte Fahrzeuge produzieren zu können.

„Zurzeit bedeutet die Produktion individueller oder personalisierter Fahrzeugteile einen enormen Kapitalaufwand für GM, da wir jedes Mal ein geeignetes Werkzeug entwickeln müssen“, erläutert Quinn. „Und da man in solchen Fällen keine Rendite verzeichnet, bleiben in unserer Branche Individualisierungswünsche und -ideen oft auf der Strecke.“

Laut Quinn könnten Kunden von GM dank additiver Fertigung in Zukunft jedoch die Möglichkeit erhalten, individuelle Ausstattungspakete zu erwerben oder ihr Auto mit einzigartigen Schriftzügen oder den Logos ihrer Fußballmannschaft zu verzieren. „Wenn wir wollen, dass unsere Autos in den Augen der Kunden etwas Besonderes darstellen, müssen wir ihnen etwas bieten, was der Konkurrenz fehlt“, erläutert er.

Genau darin, so Quinn, bestehe letztendlich der Zweck guter Technologie: nicht im Entfachen eines kurzlebigen Hypes, sondern im Schaffen eines nachhaltigen Mehrwerts. „Generatives Design und additive Fertigung sind für mich deshalb so spannend, da sie uns in die Lage versetzen, unseren Kunden ein wirklich einmaliges Produkt zu liefern.“

Über den Autor

Matt Alderton lebt und arbeitet in Chicago als freischaffender Publizist. Er hat sich auf Wirtschaftsthemen, Design, Ernährung, Reisen und Technologie spezialisiert. Unter anderem hat der Absolvent der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois bereits über Beanies, Mega-Brücken, Roboter und Hähnchen-Sandwiches berichtet. Er ist über seine Website MattAlderton.com zu erreichen.

Profile Photo of Matt Alderton - DE