Bahnprojekt mit digitalem Ansatz: Luxushotel auf Rädern rollt bald in Frankreich an
- Für das Bahnprojekt „Le Grand Tour“ entsteht ein neuer Luxus-Hotelzug, mit dem Fahrgäste bald sechs Tage und fünf Nächte lang quer durch Frankreich reisen können
- Verantwortlich für die Entwicklung und luxuriöse Ausstattung des Fahrzeugs zeichnet das französische Kleinunternehmen Les Ateliers de Fabrication Ferroviaire (AFF), das mit dem Auftrag eine Wachstumschance nutzt
- AFF verfolgt einen digitalen Ansatz und setzt auf Tools wie 3D-Modellierung, um besonders effizient arbeiten und Designprozesse koordinieren zu können
Jules Verne, Autor des Klassikers Reise um die Erde in 80 Tagen, war nicht nur Schriftsteller, sondern auch erklärter Eisenbahn-Romantiker: Der Anblick einer Dampfmaschine oder einer prachtvollen Lokomotive bereitete ihm demnach ein ebenso großes Vergnügen, wie ein Gemälde von Raffael oder Correggio zu betrachten. Mit einer ähnlichen Faszination lässt sich wohl die gegenwärtige Rückkehr im Tourismus zu dieser mitunter etwas altmodisch anmutenden Form der Fortbewegung erklären. Ob in der Luxusklasse, im Schlafwagen oder ganz traditionell unterwegs – Bahnfahren erlebt derzeit eine Renaissance. Das im nordfranzösischen Somain ansässige Unternehmen Les Ateliers de Fabrication Ferroviaire (auch bekannt als Arlington Fleet France, AFF) arbeitet derzeit daran, die lange Geschichte der Zugreisen in Frankreich in der Gegenwart fortzuschreiben. Bei der Umsetzung des Projekts spielen digitale Tools eine entscheidende Rolle.
Seit mehr als zwei Jahren arbeiten Konstrukteure und Handwerker im Bereich Umgestaltung, Instandsetzung und Wartung von Schienenfahrzeugen im Auftrag von AFF an der Realisierung neuer Reisezugwagen. In nicht allzu ferner Zukunft wird der Hotelzug zu „Le Grand Tour“ aufbrechen, einer einzigartigen Reise in der Tradition der Belle Époque, die Fahrgäste sechs Tage und fünf Nächte lang auf Schienen quer durch Frankreich führen soll. Bereits jetzt, noch bevor der Zug überhaupt aus dem Bahnhof gerollt ist, schlägt das Projekt hohe Wellen.
Beschleunigte Entwicklung
„Ein Projekt wie dieses ist für das Unternehmen bisher einmalig und setzt völlig neue Maßstäbe“, so Willy Snauwaert, technischer Leiter bei AFF. „Statt um Wartungsarbeiten kümmern wir uns plötzlich um Fertigung auf Haute-Couture-Niveau.“
Ursprünglich beschäftigte das Unternehmen 15 Angestellte und war für die Instandhaltung von Güter- und Personenwagen zuständig. Nach seinem Einstieg in das Projekt stellte AFF innerhalb von sechs Monaten 70 neue Mitarbeitende aus verschiedensten Branchen ein – darunter Fachkräfte für Ingenieurwesen und Mechanik, Heizungs-, Sanitär- und Elektroanlagen, Tischlerei und Industriedesign –, um die Anforderungen seines Kunden Puy du Fou, dem Unternehmen hinter dem Luxuszug-Projekt, erfüllen zu können.
Die Mitgestaltung eines solchen prestigeträchtigen Fernzugs mit gehobenem Service und Komfort bedeutete für AFF auch eine Erweiterung des eigenen Leistungsportfolios, insbesondere im Bereich der Instandhaltung. Durch die konzeptuelle Ausrichtung des Projekts gelang es dem Unternehmen, ein neues Marktsegment zu erschließen. Mit Annehmlichkeiten wie einem Gourmet-Bordrestaurant und einem persönlichen Butler für jedes Abteil spricht es in erster Linie luxusaffine Zugreisende an. Das Konzept scheint gut anzukommen: Obwohl die Jungfernfahrt des neuen Zuges noch aussteht, gehen bereits die ersten Reservierungen ein. Snauwaert hebt den Vorzeigecharakter des Projekts hervor, das dem Unternehmen vergleichbare Märkte in Europa eröffnen könnte. „Das Projekt ist sowohl in technischer als auch regulatorischer Hinsicht außergewöhnlich“, meint er.
Um Entwicklungs- und Genehmigungsphase schneller abschließen zu können, entschied sich AFF für zwei maßgebliche Schritte. Der erste bestand in der Anschaffung von Schienenfahrzeugen aus den 1960er-Jahren, die anschließend anhand eines bewährten Modells generalüberholt werden sollten. Der zweite Schritt war die vollständige Digitalisierung aller unternehmensinternen Prozesse, die sich die beteiligten Teams wiederum möglichst schnell aneignen mussten, damit sich das Projekt erfolgreich skalieren ließ. Im Februar 2021 begann man bei AFF mit der Umsetzung der digitalen Transformation, die bis September des folgenden Jahres voll an Fahrt aufnahm.
Zeitersparnis dank digitaler Tools
Für die 3D-Modellierung verwendet das Unternehmen Autodesk Inventor. Mithilfe der Software konnte das Team neue Komponenten in das digitale Modell integrieren, Elemente über die Benutzeroberfläche entwerfen und diese schließlich in entsprechende Zeichnungen umsetzen, auf deren Grundlage Bauteile gefertigt wurden. „Ohne das Tool hätten wir das Projekt nicht durchführen können“, so Snauwaert.
Mit Upchain kam eine weitere Autodesk-Lösung zum Einsatz. Die cloudbasierte Software für das Produktdatenmanagement (PDM) ist als Integration in Inventor verfügbar, wo es AFF bei der Verwaltung von Konstruktionsdaten und Entwicklungsprozessen unterstützte. So wollte das Unternehmen etwa sicherstellen, dass bei der parallelen Arbeit am selben Dokument vorgenommene Änderungen nicht versehentlich überschrieben werden. Durch die Gewährleistung reibungsloser Abläufe ohne Verzögerungen durch zeitraubende Datensuche kann das Team sich vollkommen auf die wirklich relevanten Tätigkeiten konzentrieren.
„Wir hatten mit Synchronisierungsproblemen zu kämpfen und mussten diverse Male bittere Datenverluste in Kauf nehmen“, erinnert sich Snauwaert. „Was wir brauchten, war ein digitaler Speicherort, über den wir Zugriff auf jede existierende Version der zu fertigenden Bauteile haben. Mithilfe des Tools können wir Schwächen in unserem Vorgehen identifizieren, entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen und unsere Prozesse kontinuierlich verbessern.“
Auf betrieblicher Ebene verzeichnete AFF dank seines digitalen Ansatzes wertvolle Effizienzgewinne. Üblicherweise macht die Datenrecherche bis zu 20 % der Arbeitszeit im Planungsprozess aus; kommt es zu Datenverlust, können darauf weitere 20 % entfallen. „Auch als kleines Unternehmen kann sich AFF bei der Anwendung dieser Tools auf erstklassigen Support durch Autodesk und RMR verlassen“, so Snauwaert.
Nachdem nun also eine Antwort auf die Archivierungsfrage gefunden ist, nimmt AFF als Nächstes die Optimierung seiner Validierungsverfahren in Angriff, damit 2D- und 3D-Pläne auch bei den zuständigen Mitarbeitenden ankommen. „Im nächsten Schritt konzentrieren wir uns auf den Lebenszyklus von Ersatzteilen, um Einkauf- und Lagerplanung aufeinander abzustimmen“, erklärt Snauwaert.
Wenn die Wagen für „Le Grand Tour“ fertig auf die Strecke gehen, erhofft man sich bei AFF davon auch branchenweite Aufmerksamkeit für die gelungene Integration neuer Technologien. In Sachen digitaler Transformation muss das Unternehmen sich jedenfalls keine Sorgen machen, den Anschluss zu verpassen: Die Weichen für die Zukunft sind gestellt.