Bauen mit Bambus: Ist der klimafreundliche Baustoff nur etwas für die Tropen?
Entweder wird das Bauen mit Bambus bisher geradezu fahrlässig unterschätzt oder der Baustoff wird für immer ein eigenwilliges regionales Phänomen bleiben. Dabei hat Bambus als Baumaterial enormes Potenzial – vor allem mit Blick auf den Klimawandel.
Wussten Sie es? Bambus zählt zu den Gräsern und damit nicht zur Gruppe der echten Gehölze. Der Naturbaustoff vereint die Druckfestigkeit von Beton mit der Zugfestigkeit von Stahl. Im Gegensatz zu diesen konventionellen Baustoffen weist Bambus jedoch einen entscheidenden Vorteil auf: Statt im Herstellungsprozess Kohlendioxid freizusetzen, bindet der nachwachsende Rohstoff das Treibhausgas beim Wachsen. Die Pflanze regeneriert sich nach der Ernte schnell und schießt in nur einer Woche einen knappen Meter in die Höhe. Dank seines überwiegend hohlen Aufbaus ist Bambus ausgesprochen leicht. „Da kann kein Holz mithalten“, sagt Joana Gomes von CO-LAB. Das mexikanische Architekturbüro hat erst kürzlich die Planung für den Luum-Tempel fertiggestellt – einen mit Bambus errichteten Pavillonbau in Tulum im Südosten von Mexiko.
Der Anbau von Bambus ist geografisch hauptsächlich auf Lateinamerika und Asien konzentriert. Als natürlicher Rohstoff sind die Bambushalme unregelmäßig geformt und nicht überall gleich dick. Zudem sind die Segmente (Internodien) unterschiedlich lang. Für die Verarbeitung ergeben sich daraus besondere Herausforderungen. Möchte man Bambus auch außerhalb der Tropen einsetzen, muss der Wandaufbau den Anforderungen des Wärmeschutzes genügen. Auch hier scheint es zunächst wenig hilfreich, dass sich die Bambushalme nicht eng aneinanderfügen lassen.
Bambus verbessert die CO2-Bilanz
Doch längst arbeiten Konstrukteure an Systemen, die diese Einschränkungen nichtig machen könnten. Ziel ist es, Baustoffe aus Bambus so praxistauglich wie Bauholz zu machen und dabei die besonderen ästhetischen Eigenschaften der Pflanze, wie die harmonische Segmentierung und die natürliche Textur, zu erhalten. Vor dem Hintergrund, dass der Klimawandel besonders den Entwicklungsländern in den Tropen zu schaffen macht, scheint es geradezu segensreich, Hochbauten potenziell mit einem Baustoff zu errichten, der die CO2-Bilanz verbessern und damit Teil der Lösung für diese Probleme sein könnte. „Wir beginnen gerade erst, das Potenzial von Bambus als Baustoff zu begreifen“, mein Gomes.
Mit Bambus werden oft ganz bestimmte Orte und Umgebungen assoziiert. Der Anblick von Bauwerken aus Bambus erinnert viele unweigerlich an einen tropischen Regenschauer und exotische Vögel, die am Horizont entlang fliegen. Bambus kann eine echte Hommage an ferne Orte sein, so zum Beispiel, wenn das Material in Luxushotels verbaut wird. Dies wird manchmal auf die Spitze getrieben, sodass das Material oft seinen ursprünglichen Charakter verliert. „Bambus wird entweder mit anspruchsloser provisorischer Architektur in Asien oder Mittelamerika oder aber mit kitschigen Südseeklischees in Verbindung gebracht”, meint Katie MacDonald. Sie ist Professorin für Architektur an der University of Tennessee in Knoxville und befasst sich mit dem Einsatz von Bambus.
„Um die Anwendungsmöglichkeiten von Bambus wirklich zu erweitern, brauchen wir neuartige und dynamische Verbindungssysteme, mit denen sich die unterschiedlich ausgebildeten Enden effizient verbinden und deren Ungleichmäßigkeiten ausgleichen lassen“, sagt Elora Hardy, Gründerin von Ibuku, einem auf Bambus spezialisierten Architekturbüro aus Bali. Das Unternehmen nutzt Autodesk AutoCAD und hat damit unter anderem das beeindruckende Öko-Resort Bambu Indah entworfen.
Inzwischen wird dieser Gedanke von vielen Architekten aufgegriffen. So hat das American Institute of Architects für die Forschungsarbeit von MacDonald Mittel in Höhe von 30.000 US-Dollar (ca. 27.000 Euro) aus der Upjohn-Initiative bereitgestellt. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Kyle Schumann von der University of Tennessee in Knoxville und Jonas Hauptman von Virginia Tech sollen damit Fertigungssysteme für Bambus entwickelt werden, von denen man sich mehr Vielseitigkeit bei der Verbindung von Bambus-Bauteilen verspricht. Einige Bambussorten weisen einen geringeren Hohlraumanteil im Querschnitt auf. Das Team verwendet diese Sorten und kann die Stäbe in Längsrichtung begradigen. „Dadurch können wir flache Bauteile herstellen, die eher an Holzplatten erinnern“, sagt Schumann.
Neue Fräsmaschine hilft beim Bearbeiten von Bambus
Schumann und seine Forschungspartner haben einen Prototyp für eine Fräsmaschine entwickelt, die kaum größer ist als die ersten Mikrowellen. Die Maschine weist an den Stirnseiten Öffnungen auf, durch welche die Enden der Bambusstäbe eingeführt werden können. Die Stäbe werden in ein Spannfutter eingesetzt, das sich um den Bambusstab schließt. „In etwa so, wie sich die Blende einer Kamera schließt“, erklärt Schumann. Die Maschine bearbeitet den Stab entlang von vier Achsen. Zunächst erfolgt ein Scan zur Aufnahme der Geometrie. Dann wird das Material mit CNC-Technologie in eine beliebige Form gefräst. „Dabei können alle vorstellbaren Geometrien ausgefräst werden, solange es die Wandstärke des Materials hergibt“, sagt MacDonald.
Ziel des Teams ist die Entwicklung eines tragbaren Werkzeugs, mit dem Bauteile und Verbindungen auf der Baustelle entworfen, hergestellt und direkt verbaut werden können. „Die meisten digitalen Fertigungstechnologien sind kostspielig und erst bei großen Mengen durch Skaleneffekte überhaupt realisierbar. Bei diesem Projekt soll jedoch eine erschwingliche Maschine für den Handwerker herauskommen. Dann kann dieser die Technologie für unregelmäßige Bambusstäbe nutzen“, erläutert MacDonald. Aufgrund dieser Vielseitigkeit könnte sich der Einsatz im Holzrahmenbau bei kleineren Gebäuden anbieten. In einer abgespeckten Version könnte die Maschine auch einfach ein Menü mit voreingestellten Verbindungen enthalten, aus denen der Anwender auswählen kann. Diese Funktion könnte vor allem in den Wachstumsmärkten, in denen Bambus angebaut wird, sehr gefragt sein.
Das Team aus Mitarbeitern von der University of Tennessee und Virginia Tech, das zur parametrischen Werkzeugbahnplanung und zur Modellierung des Maschinen-Prototyps übrigens voll auf Autodesk Fusion 360 gesetzt hat, untersucht auch die Anwendungsmöglichkeiten von Bambus in Wandtafeln, ähnlich wie bei Brettsperrholz. Das Team sucht nach Wegen, die Lücken zwischen den gefrästen Brettern aus runden Bambusstäben mit Dämmmaterial zu füllen. Die Zwischenräume könnten beispielsweise mit Myzelien (Pilzhyphen) geschlossen werden – nicht der erste Ansatz zur Nutzung dieses biobasierten Materials als Dämmstoff.
„Bei dem System für das Plattenprodukt geht es eher darum, standardisierte Abmessungen aus Bambus zu erzeugen“, sagt MacDonald. „Das CNC-System soll dagegen eine preisgünstige Maschine werden, mit der beliebige Geometrien möglich sind.“
CO-LAB verwendete Bambusstangen, aus denen geradlinige Streifen geschnitten wurden, benutzte jedoch eher traditionelle Verbindungstechniken. Der Luum-Tempel ist das Herzstück der Wohnsiedlung Luum Zama. Das Besondere an der Projektentwicklung: Luxus-Immobilien, die durch die erhöhte Bauweise leicht über dem Land schweben und kaum einen Eingriff in den umgebenden mexikanischen Urwald darstellen. Der Luum-Tempel ist ein Pavillonbau, der nur fußläufig erreichbar ist. Genutzt wird der ruhige Ort zur Meditation.
Der Pavillon ist ein kunstvoll gestaltetes und beeindruckendes Bauwerk. Der Tragwerksentwurf wird geprägt von fünf gewölbeartig ausgeformten Bögen, die den Tempel dank ihrer prägnanten Stützlinie ringsum einladend zur Umgebung hin öffnen und die zusätzlich jeweils um ca. 5,50 Metern in diese Richtung auskragen. Bambus lässt sich durch seine hohe Elastizität gut biegen – ein Vorteil des Konstruktionswerkstoffes, der für das statische Konzept genutzt wurde. CO-LAB und das auf Bambus und andere biologische Bauweisen spezialisierte Unternehmen Arquitectura Mixta schnitten hierfür lange Abschnitte aus jungem Bambus zurecht, der noch hochbiegsam ist. Diese wurden in die gewünschte Form gebogen und anschließend mittels Aluminiumband gebündelt und fixiert.
Gomes wollte für das Tragwerk des Pavillons von Anfang an ein Material, mit dem sich die Biegeradien von (umgekehrten) Kettenlinien realisieren lassen. Für das Projekt nutzte CO-LAB das Verfahren des parametrischen Entwerfens. Heraus kam ein Tragwerk, das von einem prägnanten und abwechslungsreichen Dreieckmuster dominiert wird. Das geometrische Muster, das sich stimmig um die Bögen legt, trägt wirksam zur Harmonie dieses friedlichen Ortes bei.
Dass sich das Gebäude so gut in den unberührten Wald einfügt, liegt auch daran, dass die Bauteile eher zu einer Art Gewebe verschmelzen und nicht mehr als künstliches Bauwerk wahrgenommen werden. Dabei hatte Gomes ursprünglich noch geplant, das Gebäude aus Holz zu errichten – bis sie erfuhr, dass in der Nähe Bambus angebaut wird und erfahrene Handwerker für diese Bauweise verfügbar waren. „Das bot uns ein völlig neues Spektrum an Möglichkeiten“, sagt sie rückblickend.
Bambus steht auch beim Projekt Sombra Verde im Mittelpunkt. Der Entwurf für den Pavillon mit dieser Bezeichnung stammt von zwei Professoren für Architektur an der University of Technology and Design in Singapur. Carlos Bañón und Felix Raspall arbeiten unter dem Namen AIRLAB zusammen und konstruierten den Pavillon anlässlich des Urban Design Festivals, das erstmals 2018 in Singapur stattfand.
Dabei wurde jedes Bauteil aus Bambus zunächst gescannt, um dessen Geometrie aufzunehmen. Anschließend wurde mithilfe eines Algorithmus ein Entwurf entstellt, der spezifische Verbindungsknoten und die dafür erforderlichen Längen der Bambusstäbe vorgibt. Die einzelnen Stäbe wurden entsprechend zugeschnitten. Die insgesamt 36 Verbinder wurden mit einem 3D-Drucker aus PLA (einem biotechnologisch gewonnenen Polymer) gefertigt und wirken dementsprechend futuristisch und bionisch. „Jeder Verbinder ist einzigartig, fügt sich aber systematisch in ein holistisches Ganzes ein“, sagt Bañón. Die Stäbe werden per Hand in die Verbinder gesteckt. Im Gegensatz zu der Forschungsarbeit von Virginia Tech geht es hier um einen Weg, unmittelbar mit Bambus zu konstruieren. Hierfür setzt die Methode auf eine individualisierte Massenfertigung der Verbinder.
Die fertige Konstruktion von Sombra Verde überraschte Bañón und Raspall, denn Festigkeit und Steifigkeit übertrafen die Erwartungen. „Man würde annehmen, dass die fertige Bambuskonstruktion verformbar bleibt. Wenn man sie anhebt, ist sie jedoch verblüffend fest und steif“, sagt Bañón.
Bambus eignet sich hervorragend für Vordächer oder Konstruktionen, die schnell auf- und abgebaut werden können. Der Pavillon wurde an einem Tag von nur sieben Menschen und ohne spezielle Werkzeuge gebaut. Er ist leicht und kann von vier Personen angehoben werden.
Das nächste Anwendungsgebiet für das Konstruieren mit Bambus bezeichnet Raspall als „Regenschirmkinetik“. Darunter versteht er bewegliche Bauteile, die ihre Form ändern können. „Heute beschäftigt sich die Forschung damit, wie wir Bauteile aus Bambus fixieren können. Schon bald werden wir uns damit befassen, wie wir diese Komponenten dynamisch und beweglich zusammenfügen, sodass wir die Werkstoffeigenschaften weiter ausreizen“, sagt er mit Blick in die Zukunft.