BIM sorgt für den ersehnten Durchbruch beim Baustoffrecycling
Dass es verschwenderisch ist, Dinge nach ihrem Gebrauch im Restmüll zu entsorgen, um sie anschließend zu verbrennen oder auf einer Deponie zu verklappen – daran zweifelt wohl niemand mehr. Im Haushalt ist Recycling heute selbstverständlich, in der Bauindustrie hat sich die Verwertung von Baustoffen jedoch noch nicht durchgesetzt. Der ReCapture-Service des schwedischen Architekturbüros White Arkitekter verspricht Abhilfe und kommt mit einer Lösung für das Baustoffrecycling auf den Markt.
Es gibt Baustoffe, deren Wiederverwertung längst Normalität ist. Weltweit ganz vorne auf der Liste der im Kreislauf geführten Materialien steht Stahl. Ebenso wächst das Bewusstsein dafür, dass sich grundsätzlich ganze Bauwerke umnutzen und modernisieren lassen. Besonders große Hoffnungen liegen zudem auf BIM (Building Information Modeling). Die Technologie birgt das Potenzial, der Branche den Sprung in das Zeitalter der Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen.
Der große Durchbruch der Branche in Sachen Bauteil- und Baustoffrecycling lässt jedoch auf sich warten. Zwar sind die Vorteile der Kreislaufwirtschaft in aller Munde, in der Praxis fällt es Architektur- und Bauunternehmen jedoch nach wie vor schwer, ihre grünen Ambitionen umzusetzen.
Modernisierung und Nachhaltigkeit
Heute sind Transformationskonzepte für Bestandsgebäude gefragt. Ziel ist es, die vorhandene Substanz, die nicht selten ohnehin unter Denkmalschutz steht, an moderne Wohn- und Arbeitsanforderungen anzupassen. Doch seit jeher ist das Bauen im Bestand zeitaufwändig und beschwerlich, denn so groß das Modernisierungspotenzial eines Gebäudes auch sein mag: Ohne gründliche Bestandsaufnahme ist eine nachhaltige Planung nicht denkbar.
Besonders bei großen und komplexen Bauten erweist sich die Bestandsaufnahme häufig als regelrechte Herkulesarbeit. Zunächst muss jedes Bauteil vom Träger bis zum Bolzen aufgelistet werden. Nachdem das Gebäude gedanklich zerlegt wurde, muss entschieden werden, welche Bauteile und -stoffe erhaltungs- und wiederverwertungswürdig sind. Ist der eingesetzte Stoff beispielsweise giftig oder hat die Aufbereitung eines Bauteils eine schlechte Ökobilanz, ist eine Entsorgung die beste Option.
Liegen diese Daten schließlich vor, so besteht die nächste Herausforderung darin, sie allen Projektbeteiligten zugänglich zu machen und eine effiziente Kommunikation zu ermöglichen. Das Problem bisher: An diesem Prozess sind viele Personen und Dokumente beteiligt und normalerweise sind entsprechend viele Besprechungen erforderlich. Hinzu kommt, dass viele Abläufe noch immer nicht digitalisiert sind. Und obwohl Messungen immer häufiger mit Laserscanner-Technologie erledigt werden, kommt fast niemand im Alltag ohne den guten alten Kugelschreiber aus. Schließlich endet die Bestandsaufnahme meist als Tabellenkalkulation. Mit etwas Glück sind die dort eingetragenen Daten dann auch mit einer Fotodokumentation hinterlegt – aber nicht immer.
Zusätzlich schlägt die mangelnde Standardisierung zu Buche. Die beteiligten Architekten und Ingenieure können unterschiedliche Aufmaßmethoden einsetzen. So ist nicht immer sichergestellt, ob die Bestandsaufnahmen richtig interpretiert werden, oder ob am Ende Äpfel mit Birnen verwechselt werden. Das Beispiel mag zunächst nach Erbsenzählerei klingen. Nimmt man all diese Probleme zusammen, ist der Weg jedoch zäh und mühsam. Diese Schwierigkeiten verhindern bislang, dass Baumaterialien Teil einer Kreislaufwirtschaft werden können.
Dabei gehört das Bauwesen zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftszweigen. Nach vorsichtigen Schätzungen werden weltweit 30 Prozent der Primärrohstoffe für die Zwecke der Bauindustrie abgebaut. Gleichzeitig ist die Branche für 25 Prozent der weltweit anfallenden Abfälle verantwortlich. Laut den Erkenntnissen der jährlichen Kreislaufwirtschaftsstudie des UK Green Building Council ist zu befürchten, dass sich die Rohstoffgewinnung in den kommenden drei Jahrzehnten verdreifachen wird. Ohne eine entsprechende Umstellung der baubetrieblichen Prozesse wird sich demnach auch das Abfallaufkommen bis zum Jahr 2100 verdreifachen.
Gleichzeitig werden Baustoffe immer teurer, sodass sich das Baustoffrecycling wirtschaftlich lohnt. Die Einsparungen, Geschäftsmöglichkeiten und betrieblichen Verbesserungen, die sich durch die Anwendung der Prinzipien der Kreislaufwirtschaft bis 2030 ergeben, summieren sich laut einer Studie der Ellen MacArthur Foundation, McKinsey und dem Stiftungsfonds für Umweltökonomie und Nachhaltigkeit allein in Europa auf ein Ertragspotenzial von umgerechnet 1,8 Billionen Euro jährlich.
ReCapture steht für konsequente Wiederverwertung
Das Architekturbüro White Arkitekter hat sich auf die Fahnen geschrieben, den Wiedereinsatz von Baustoffen und -teilen zu vereinfachen. Das Unternehmen zeigt der Baubranche, wie sich die ökologischen und wirtschaftlichen Vorteile der Kreislaufwirtschaft nutzen lassen. Als eines der führenden europäischen Architekturbüros will man selbst bereits bis 2030 alle Projekte klimaneutral gestalten.
Dementsprechend hat sich das Unternehmen konsequent dem nachhaltigen Planen und Bauen verschrieben. Für das kürzlich fertiggestellte Selma Lagerlöf Center – ein städtisches Verwaltungsgebäude und Kulturzentrum im schwedischen Göteborg – erzielten die Innenarchitekten im Hinblick auf Möbel und Materialien eine beeindruckende Wiederverwertungsrate von 92 Prozent. Verglichen mit neuen Materialien konnten dadurch umgerechnet rund 895.000 Euro gespart werden. Das entspricht fast 70 Prozent.
Der Coup: Unter dem Label White ReCapture bietet das Unternehmen seit Neuestem datengestützte Lösungen für die umfassende Erfassung und Katalogisierung sämtlicher Bauteile eines Gebäudes an – von Ziegelsteinen über Türen, Decken und Fassaden bis hin zu Tragwänden. Durch diesen Service wird der Aufwand bei der Beurteilung des Wiedernutzungspotenzials der Bauteile reduziert.
Während die Daten mit dem Laserscanner zügig aufgenommen werden können, sorgen spezielle BIM-Werkzeuge für eine effektive Verwaltung der Datenmengen. Am Ende finden sich alle Einzelteile in einem 3D-Modell wieder, das zu einem digitalen Zwilling weiterentwickelt werden kann, wobei wie gewohnt alle wichtigen Informationen aus der Bau- und Betriebsphase in das Modell einfließen können. Diese Informationen können dann mithilfe von Software analysiert werden. Hier braucht nur noch festgelegt zu werden, welche Bauteile sich wiederverwenden lassen.
Im Modell werden alle relevanten Informationen über die verbauten Materialien und Bauteile zusammengeführt: Gewicht, Abmessungen, Kosten, Lage im Bauwerk und Wiederverwertungspotenzial. In den digitalen Zwilling fließen nach und nach alle Daten über die Planung, den Bau und die Gebäudeleistung ein. So haben Architekten, Fachplaner, Bauunternehmen, Ingenieure und Bauherren alle Informationen zur Hand und können jederzeit darauf zurückgreifen, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
„Es ist nicht immer einfach, dem Auftraggeber anhand von klassischen Zeichnungen zu vermitteln, wie das Konzept in der Realität aussieht“, erklärt Niklas Eriksson, Spezialist für umweltspezifische Fachplanung und Leiter der ReCapture-Abteilung. „Mit diesem Service schaffen wir eine gemeinsame Grundlage. Wir können den Bauherren bereits früh im Projekt verschiedene Optionen präsentieren, deren Umsetzung sie besser verstehen können.“
„In der Vergangenheit konnte man Auftraggebern diese Informationen schlecht vermitteln, ohne die Baustelle zu besichtigen“, fährt er fort. „Heute sehen wir uns stattdessen einfach das digitale Modell an, werten die Informationen aus und teilen es mit den relevanten Projektbeteiligten“.
Aus Sicht der Auftraggeber sei dies laut Erikson ein echter Durchbruch, denn dadurch seien diese in der Lage, bereits zu Beginn eines Projekts Entscheidungen bezüglich der Stoffströme zu treffen. Dies sei wichtig, da die Weichenstellung bezüglich der Materialbeschaffung rechtzeitig erfolgen könne.
Für den neuen Service setzt man bei White Arkitekter voll und ganz auf Autodesk BIM 360, Revit und ReCap. Diese Lösungen erleichtern nicht nur die Zusammenarbeit über den gesamten Projektlebenszyklus hinweg – auch wichtige umweltspezifische Fragestellungen können anhand des Modells geklärt werden. So bekommt der Bauherr beispielsweise Informationen über die Toxizität von Baustoffen oder deren CO2-Bilanz an die Hand.
Auch Bewertungsmethoden für nachhaltiges Bauen wie LEED, BREEAM, GreenBuilding und Miljöbyggnad lassen sich integrieren und können während des gesamten Projektlebenszyklus kontinuierlich angewendet werden.
Wiederverwertung statt Bauabfälle bewährt sich in der Praxis
Der von White Arkitekter angebotene ReCapture-Service wird im Rahmen zahlreicher Projekte in Anspruch genommen – darunter das Krankenhaus Bromma Sjukhus im Zentrum von Stockholm. Das ursprünglich 1971 errichtete Gebäude wird auf einer Fläche von 35.000 Quadratmetern modernisiert und soll nach seiner Sanierung neben einer Klinik für Geriatrie und einer Seniorenwohnanlage auch Einkaufsläden und Cafés beherbergen.
„Wir möchten so viel von dem Gebäude und seinen Bauteilen wiederverwenden wie möglich“, erklärt Architekt Björn Johansson die ehrgeizigen Ziele des Projekts. „Mit diesem Service ist es uns gelungen, das Baustoffrecycling in den Planungsprozess zu integrieren. Wir sind gerade dabei, in einem Revit-Modell alles zu erfassen, was sich wiederverwerten lässt. Dabei wird jedes Altbauteil zu einer neuen Planungskomponente.“
Auch für die Neugestaltung des Heinzelmann-Areals in Reutlingen wurde der Service genutzt, um den Bestand in dem 10.000 Quadratmeter großen Quartier, das durch Fabrikgebäude aus dem späten 19. Jahrhundert geprägt wird, genau zu katalogisieren. Das dabei erstellte 3D-Modell bildet die ideale Grundlage für die weitere Zusammenarbeit zwischen Architekten, Tragwerkplanern, Maschinenbauingenieuren und Beteiligten anderer Fachdisziplinen wie der Denkmalpflege oder dem Brandschutz.
„Aus Alt mach Neu“ heißt das Motto für die Zukunft
Bestandsgebäude werden zunehmend als regelrechte Lagerstätten für wiederverwertbare Baustoffe gesehen, aus denen am Ende ihrer Lebensdauer neue Bauwerke entstehen können.
Aber um diese Ambitionen auch umzusetzen, benötigen Architekten praktische Werkzeuge, die es ihnen ermöglichen, Projektbaustellen mit nichts weiter als ihrem Smartphone zu besichtigen und schnell und einfach wiederverwertbare Materialien zu erfassen. Auf BIM basierende Lösungen wie ReCapture können der Baubranche zu dem langersehnten Durchbruch auf dem Weg in eine Kreislaufwirtschaft verhelfen.
Je mehr Informationen Architekten zu Beginn eines Projekts zur Verfügung stehen, umso transparenter können sie in Bezug auf Materialien, Kosten und Wiederverwertbarkeit gegenüber ihren Auftraggebern sein – und umso besser können sie deren Nachhaltigkeitsziele effektiv unterstützen. Galt in der Baubranche bisher noch viel zu oft „Abriss und Ersatz“ als Mittel der Wahl, steht der Sektor nun vor einem Kulturwandel in Richtung einer nachhaltig gebauten Umwelt auf der Grundlage des Kreislaufprinzips.