Digitalisierung im Bau: Ist Deutschland bereit für die BIM-Anforderungen in diesem Jahr?
Eine aktuelle Studie über den Digitalisierungsgrad deutscher Ingenieurbüros und Tiefbauunternehmen lässt Schlüsse zu, wie gut Deutschland für die BIM-Empfehlungen vorbereitet ist, das seit 31. Dezember 2020 für öffentlich ausgeschriebene Infrastrukturprojekte gilt.
Deutschland hinke in der Digitalisierung hinterher, dieser Satz begegnet einem in der Bauindustrie so häufig, dass man inzwischen beinahe vergisst, seine Wahrhaftigkeit infrage zu stellen. Die USA, Skandinavien und China seien progressiver, das Bestreben nach effizienten Arbeitsmethoden und schlanken, gleichzeitig nachhaltigen und kostengünstigeren Prozessen überlagert dort die Sorge um anstrengende, zeitaufwendige Veränderungsprozesse und einen breiten Datenaustausch.
Tatsächlich bestätigen diese Wahrnehmung einige Studien aus den vergangenen Jahren. Die der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019 zum Beispiel, die sich der Frage annähert, welche Potenziale und Herausforderungen Bürger in Deutschland in der Digitalisierung sehen. Ergebnis: Es herrscht Ambivalenz. Oder die Studie des „Digitalisierungsindex Mittelstand 2019/2020“, die nach der Positionierung deutscher Unternehmen zu diesem Thema fragt. Ergebnis: Aufbruchsstimmung gepaart mit Skepsis.
Und dann gibt es Studien, die sich explizit dem Thema Building Information Modeling (BIM) im Bausektor widmen, in Auftrag gegeben von PwC oder durchgeführt von Unternehmensberatungen wie Dr. Wieselhuber & Partner GmbH. BIM ist als ein Indikator für den Digitalisierungsgrad von Bauunternehmen zu verstehen, unter anderem. Damit gemeint ist eine Methode, die den gesamten Planungs- und Umsetzungsprozess eines Projekts und schließlich auch dessen Gebäudeverwaltung und -bewirtschaftung mit Hilfe digitaler Werkzeuge effizienter gestaltet, alle beteiligten Gewerke miteinander vernetzt und ihre Arbeit in flüssigerer Kooperation verschränken soll.
BIM-Anforderung 2020
Um Bauunternehmen schrittweise an BIM heranzuführen, hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Jahr 2015 einen Stufenplan erstellt. Er sah verschiedene Pilotprojekte vor, die auf die „BIM-Anforderung 2020“ vorbereiten sollten. Am 31. Dezember 2020 trat nun für alle öffentlich ausgeschriebenen Infrastrukturprojekte eine BIM-Empfehlung in Kraft. Das BMVI vergibt jetzt nur noch Aufträge an Unternehmen, die zumindest in der Planungsphase mit BIM arbeiten. Das gilt sowohl für den Infrastrukturbau als auch den infrastrukturbezogenen Hochbau.
Politischer Druck drängt demnach vor allem diejenigen Unternehmen zur Einführung von BIM, die sich öffentlicher Aufträge annehmen wollen. Sind die Unternehmen bereit dafür?
Im Frühjahr 2020 hat das Marktforschungsunternehmen USP Marketing Consultancy im Auftrag von Autodesk 138 Ingenieure aus Ingenieurbüros und Tiefbauunternehmen nach ihrer Einschätzung und ihren Zukunftsplänen befragt. Es handelt sich dabei um eine qualitative Studie, durchgeführt mit Telefoninterviews.
Anhand der Befragung zeichnet sich ab, dass vor allem der erwähnte Stufenplan eine Initialzündung für die BIM-Einführung in vielen Unternehmen war. So ist der Anteil der Projekte, die mit BIM durchgeführt wurden, nach Angaben der Interviewten im Laufe der vergangenen fünf Jahre kontinuierlich gestiegen. Von denjenigen, die noch nicht damit arbeiten, wollen 29 Prozent der Ingenieurbüros und 18 Prozent der Tiefbauunternehmen bis Ende 2022 starten.
Fast zwei Drittel der befragten Ingenieure, die nicht mit BIM arbeiten, haben laut Studie jedoch noch nie vom Stufenplan gehört. Selbst von den befragten aktiven BIM-Nutzern kennen mehr als ein Viertel den Stufenplan nicht.
Dabei sind sich die befragten Unternehmen der Vorteile von Digitalisierung durchaus bewusst. Diejenigen, die BIM bereits nutzen, sehen diese Vorteile deutlicher als jene, die sich (noch) nicht herangewagt haben. Sie schätzen den Effizienzgewinn durch BIM über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, vom Bauablauf bis zur Kostenkalkulation.
Wo stehen Unternehmen im BIM Stufenplan 2020?
Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Reaktion auf BIM bei den 138 Interviewpartnern derzeit noch eher reaktiv, statt proaktiv ist und abhängt von den Anforderungen in Aufträgen und Ausschreibungen. Ein Großteil der Befragten ist sich über den exakten Zeitpunkt, BIM einzuführen, zum Beispiel noch nicht sicher. Als einer der Gründe, warum sie nur zögerlich beginnen, mit BIM zu arbeiten, geben 62 Prozent der Ingenieure und 65 Prozent der Tiefbauunternehmen fehlende Kundennachfragen an. Auch Zeitmangel spiele eine Rolle.
BIM und Generatives Design
Emmanuel Di Giacomo, BIM-Experte bei Autodesk, hält die BIM-Anforderung für einen wichtigen Treiber, um BIM in den Alltag der Unternehmen zu integrieren. Es sei an der Zeit dafür. „Wenn wir über Trends und Innovationen sprechen, meinen wir gar nicht mehr allein BIM. Das ist im Grunde schon 30 Jahre alt“, sagt Di Giacomo. Der nächste Schritt in der digitalen Entwicklung liege in der Künstlichen Intelligenz und im Generativen Design. BIM sei vielmehr als Grundlage für das digitale Denken in Prozessen zu verstehen – als eine Voraussetzung für Trends, die noch kommen werden – oder bereits da sind.
Annäherung an BIM mit Hilfe des Change Managements
Weil BIM nicht nur eine Methode ist, die den Prozess des Planens, Bauens und Betreibens verändert, sondern eine langfristige Unternehmensstrategie, kann das Change Management dabei helfen, die Skepsis gegenüber großen Veränderungen zu nehmen oder zu minimieren. Das Change Management schließt alle nötigen Maßnahmen für den professionellen Weg vom momentanen Ist-Zustand in den Ziel- und Soll-Zustand ein. Workshops, Schulungen, Tagungen führen die Mitarbeiter an den bevorstehenden Wandel heran, vermitteln Kompetenzen, die möglicherweise hinzukommen werden. Eine BIM-Strategie, die konkrete Meilensteine definiert, kann eine erste bewältigte Hürde sein, die den Zugang zum digitalen Planen und den Umgang mit der Cloud einleitet und sicherer macht.