Nachhaltiger fliegen durch bionisches Design: Airbus setzt weiter auf Innovationspotenzial
Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dieses Beitrags im Sommer 2016 hatte Airbus gerade ein ehrgeiziges Projekt zur Neugestaltung seiner A320-Familie in Angriff genommen. Durch mehr Nachhaltigkeit im Flugzeugbau will der Konzern bis 2050 seine Treibhausgasemissionen halbieren. Mithilfe von Generativem Design wurden unter anderem Pläne für eine bionische Trennwand zwischen Besatzung und Passagieren entworfen. Neue Herstellungsmöglichkeiten ließen das Projekt weiter reifen.
Die Trennwand sollte im additiven Verfahren gefertigt werden und um 45 Prozent leichter sein als das heute verwendete Modell. Leider lässt ein marktreifes Verfahren zur additiven Metallfertigung bislang auf sich warten, und so blieb die bionische Trennwand auf dem digitalen Reißbrett. Die Technologie des Generativen Designs hat sich hingegen rasant weiterentwickelt und damit auch völlig neue Möglichkeiten für traditionelle Fertigungsverfahren wie das Metallgießen eröffnet.
Von diesen Fortschritten konnte auch Airbus profitieren und das Problem der bionischen Trennwand noch einmal neu angehen. Der aktuelle Entwurf – ebenfalls mithilfe von Generativem Design erzeugt – wird zunächst als Kunststoffform im 3D-Druck hergestellt. Die Trennwand selbst wird anschließend aus einer für die Luftfahrt zugelassenen Metalllegierung gegossen.
Bei gleichem Gewicht und gleicher Stärke wie das ursprünglich geplante Modell ermöglicht der neue Entwurf nicht nur vergleichbare Treibstoffeinsparungen, sondern ist gleichzeitig weitaus kosteneffizienter in der Fertigung. Alles Wissenswerte zu den Hintergründen dieser bemerkenswerten Innovation und dem Einzeller, der als Inspiration für die bionische Trennwand diente, können Sie im Originalbeitrag unten nachlesen.
– Erin Hanson, Chefredakteurin von Redshift
Stellen Sie sich vor, Sie fliegen zu einem Urlaubsziel. Um plötzliche Turbulenzen zu vermeiden, ändern die Tragflächen des Flugzeuges ihre Form. Die Maschine wird im Flug von etwas getroffen und das entstandene Loch schließt sich vor Ihren Augen von selbst. Oder der Flugzeugrumpf wird transparent und Sie können in alle Richtungen hinaus schauen.
Das ist die im Jahr 2011 präsentierte Vision der Concept Cabin von Airbus. Das klingt wie futuristisches Fachchinesisch aber – Sie haben es erraten – diese Zukunft beginnt hier und heute.
Airbus arbeitete jüngst mit dem New Yorker Architekturbüro The Living zusammen, um mithilfe generativer Designsoftware und 3D-Druck eine sogenannte bionische Trennwand zu entwickeln. Diese dünne, aber enorm wichtige Wand, die Besatzung und Passagiere trennt, sieht einen Zugang zur Notfallbahre vor und trägt auch den Klappsitz für die Besatzung bei Starts und Landungen.
Die bionische Trennwand wiegt 30 Kilogramm und ist damit 45 Prozent leichter als herkömmliche Trennwände, was zu enormen Einsparungen von Treibstoff und CO2-Emissionen führt. Aber das Außergewöhnlichste an der Airbus-Trennwand ist, dass ihr Design von einem Einzeller inspiriert wurde: dem Schleimpilz.
Generatives Design nimmt die Natur als Vorbild
„Der Schleimpilz ist ein hochinteressanter Organismus“, sagt Bastian Schäfer, Innovation Manager bei Airbus. „Stellen Sie sich vor, wie er auf Nahrungssuche über den Waldboden kriecht. Dafür breitet er sich in verschiedene Richtungen aus und bildet redundante Verbindungsnetzwerke von seinem Körper zu den ihn umgebenden Nahrungsquellen aus. Wir kopieren genau dieses Verhalten, um strukturelle Verbindungen innerhalb einer Trennwand zu finden. Mithilfe eines Algorithmus verbinden wir nicht nur alle Schnittstellen der Trennwand mit der Primärstruktur des Flugzeugs, sondern auch die, an denen innerhalb der Trennwand die Besatzungssitze verankert sind. Dies ermöglicht uns, ein multiredundantes strukturelles Netzwerk innerhalb der Trennwand zu konstruieren.“
Um den von Schäfer angesprochenen Algorithmus zu generieren, entwickelte The Living eine spezielle Software für Generatives Design. Vor dem Hintergrund der beiden Ziele – Gewichtsreduzierung und Leistungsfähigkeit – wurden Rahmenbedingungen in diese Software eingegeben, um die Erstentwürfe zu erstellen. Es wurde eine Gewichtsreduzierung von 30 Prozent angestrebt – das Team erreichte jedoch satte 45 Prozent.
„Im Grunde besteht Generatives Design aus der Definition von Zielen“, sagt Schäfer. „Wenn Sie also das Ziel haben, Gewicht zu reduzieren, hilft die Software Ihnen dabei, dies mittels entsprechender Algorithmen zu erreichen. Sie könnten folglich auch andere Ziele vorgeben, wie beispielsweise die statische Belastungsfähigkeit. So legten wir für die bionische Trennwand fest, dass die Durchbiegung der Trennwand bei einem Crashtest mit 16 g maximal 200 mm betragen darf.“
Aus diesen ersten Vorgaben resultierten über 10.000 Designvarianten für die Trennwand. Also führte Airbus eine groß angelegte Datenanalyse durch, um die Zahl der Designvarianten einzugrenzen und das leistungsfähigste und endgültige Design für die Herstellung auszuwählen. „Wir arbeiteten mit einer grafischen Visualisierung der beiden Parameter Gewicht und Durchbiegung und alle Designansätze waren als Punkte innerhalb dieser Graphen dargestellt“, erklärt Schäfer. „Das erleichterte uns die Auswahl einiger dieser Ansätze, die wir anschließend einer detaillierteren Analyse unterzogen.“
Nachdem man sich für einen Entwurf entschieden hatte, setzte Airbus drei verschiedene Systeme zur additiven Fertigung für die Umsetzung ein: den „Bosom Concept Laser M2“, die „EOS M290“ und für die größeren Bauteile die „EOS M400“. „Wir zerlegten die komplette Trennwand in für den verfügbaren Platz im Drucker geeignete Teilkomponenten“, berichtet Schäfer. „Das bedeutet, wir mussten uns entscheiden, welcher Drucker die kleinen, und welcher die großen Bauteile drucken sollte. Anschließend starteten wir den Druckvorgang parallel auf mehreren Systemen. Für die Herstellung einer kompletten Trennwand druckten wir mindestens sieben Chargen.
„Die Trennwand setzte sich aus 116 Einzelteilen zusammen und für jedes mussten auch Verbindungselemente angefertigt werden. Wir waren häufig im Zweifel, ob die Trennwand mit all diesen Bauteilen auch funktionieren würde“, fährt Schäfer fort. „Aber letztendlich passte alles zusammen. Als wir die Trennwand anhoben, war sie überraschend leicht und steif. Das macht mich sehr zuversichtlich, dass diese Technologie erfolgreich sein wird.“
Schäfer stellt fest, dass es in der Vergangenheit nicht möglich war, eine vergleichbare Gewichtseinsparung zu erzielen. „Heute können wir dies erreichen, indem wir einfach Generatives Design und 3D-Druck miteinander kombinieren“, sagt er.
In den meisten Fällen können industrielle generative Fertigungsmaschinen von heute nur kleine Flugzeugkomponenten drucken. Größere Drucker könnten irgendwann auch größere Flugzeugteile herstellen. Über kurz oder lang wird Airbus ein 3D-gedrucktes Cockpit in Angriff nehmen, das doppelt so groß ist als die Trennwand. Es muss von innen vollständig abschließbar und kugelsicher sein. Abgesehen vom Konstruktionsprinzip des Schleimpilzes könnte Airbus noch weitere Algorithmen entwickeln, die sich an Pflanzen orientieren, um zum Beispiel neue Kopfstützen zu entwickeln – wer weiß, was sonst noch alles möglich sein wird? Die Entwicklung von Algorithmen für superstarke Seitenleitwerke oder Bauteilen von Flugzeugtriebwerken auf Basis menschlicher Eigenschaften könnte schon bald Realität werden. Airbus hofft, eines Tages mithilfe von Generativem Design ein ganzes Flugzeug mit 3D-Druck zu fertigen.
„Eine der wichtigsten Visionen von Airbus im Zusammenhang mit der Zukunft des Luftverkehrs ist zweifellos die Nachhaltigkeit“, sagt Schäfer. „Unser engagierter Lebenszyklusansatz bezieht sich nicht nur auf das Produkt selbst, sondern auch auf die Betriebsabläufe und wie wir das Produkt herstellen. So ist es uns möglich, im Flugzeugdesign einen ganz neuen Weg einzuschlagen – in Richtung Bionik. Die bionische Trennwand ist ein Produkt mit Wurzeln im Bereich der Biomimikry. Aber schlussendlich müssen unsere Produkte in ihrer letzten Lebensphase wiederverwertbar sein. Deshalb kümmern wir uns um den gesamten Lebenszyklus eines Produktes. Irgendwann in der Zukunft, vielleicht im Jahr 2020 oder im 22. Jahrhundert, sollte ein Flugzeug dann quasi essbar sein.“