Energiewende: CO₂ in wertolle Baustoffe umwandeln
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet in einem Kohlekraftwerk im US-Bundesstaat Wyoming vielversprechende Lösungen zur Abwendung der Klimakatastrophe entwickelt werden? Dort treffen beim Finale des NRG COSIA Carbon XPRIZE geniale und originelle Einfälle zur CO2-Sequestrierung aufeinander. Ziel ist die Erfindung möglichst klimaschonender Verfahren zur Umwandlung von Industrieemissionen in alternative Brennstoffe, Hartbeton, Kohlenstofffasern und andere wertvolle Werkstoffe, um ihre Ablagerung in der Atmosphäre zu verhindern.
Nach mehreren Vorausscheiden liefern sich die zehn verbleibenden Bewerber aus fünf Ländern – USA, Kanada, Indien, China und Großbritannien – einen harten Konkurrenzkampf um zwei Hauptpreise in Höhe von jeweils 7,5 Millionen US-Dollar (ca. 6,8 Millionen Euro). Dazu müssen sie die Wirksamkeit ihrer Konzepte zur Verbesserung der Kohlenstoffbilanz CO2-erzeugender Kraftwerke unter Beweis stellen und Wege finden, aus Kohlendioxid und anderen chemischen Nebenprodukten marktfähige Produkte herzustellen. Beide Endrunden werden in Forschungszentren an der vordersten Front des Kampfes gegen die Erderhitzung ausgetragen: im Wyoming Integrated Test Center beim Kohlekraftwerk Dry Fork Station bzw. im Alberta Carbon Conversion Technology Centre beim Erdgaskraftwerk Shepard Energy Centre im kanadischen Calgary. Als Wettbewerbssieger sollen die Teams gekrönt werden, deren Lösungsansätze die höchste Kapazität zur Bindung und Umwandlung von CO2 aufweisen.
Nach Berechnungen des Weltklimarats (IPCC) kann die Erderhitzung nur durch eine konsequente globale Reduzierung der anthropogenen CO2-Emissionen auf ein überlebensfähiges Niveau begrenzt werden. Allein durch den Umstieg auf erneuerbare Energien, das haben Forscher der Stanford University in einer aktuellen Studie aufgezeigt, lässt sich eine emissionsfreie Zukunft nicht verwirklichen.
Ausschließlich Erneuerbare Energien können den Planeten nicht retten
„Diesem Irrtum sitzen viele Menschen auf“, so Mohammed Imbabi, dessen Team CCM es ins Finale des XPRIZE geschafft hat. Der Dozent an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der University of Aberdeen erläutert: „Zwar stimmt es, dass erneuerbare Energien aus natürlichen Quellen stammen. Der Bau der Maschinen, die zu ihrer Gewinnung erforderlich sind, ist jedoch mit hohen kumulierten CO2-Emissionen verbunden. Das heißt, der Trend zu erneuerbaren Energien trägt nur bedingt zur Verbesserung der Umweltbilanz bei.“
Gaurav N. Sant leitet als Gründer und CEO von CO2Concrete das Team Carbon Upcycling UCLA, dem Forscher und Energieexperten der University of California in Los Angeles angehören. „Die gesamte Energiewirtschaft – Kohle- und Erdgaskraftwerke, petrochemische Betriebe, Betonwerke – ist sehr kohlenstoffintensiv. Andererseits trägt sie zur Verbesserung unserer Lebensqualität bei, deswegen wird ein Verzicht auf diese Werkstoffe und Anlagen nicht so einfach möglich sein. Sinnvoller ist es, stattdessen die Akkumulierung der von diesen Industrien verursachten CO2-Emissionen in der Atmosphäre zu mindern, indem man positive Verwertungspfade für CO2 entwickelt.“
Auf einen dieser Verwertungspfade konzentriert sich Sants Team: die Herstellung von Zement, der als Bindemittel für die Herstellung und Härtung von Beton unverzichtbar ist. Laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur macht die Zementherstellung mit sieben Prozent den zweitgrößten Anteil – hinter der Eisen- und Stahlproduktion – an den weltweiten Industrieemissionen aus.
Die Entwicklung von Verfahren zur Sequestrierung, Verwertung und Speicherung von CO2-Emissionen (CCUS) ist kein neuer Gedanke. Erschwinglich wurden die betreffenden Konzepte jedoch erst durch Innovationen auf den Gebieten der Werkstoffforschung und Verfahrenstechnik, die neue Verwertungspfade für CO2 erschlossen. „Bislang bedeutete CO2-Sequestrierung die Abscheidung und unterirdische Deponierung von reinem CO2 in mit Salzwasser gefüllten porösen Gesteinsschichten“, so Sant. „Das ist mit hohen Kosten verbunden und wirtschaftlich einfach nicht rentabel.“
Den Heilsweg zur Lösung des CO2-Problems ausgerechnet in der Zementproduktion zu suchen, mag zunächst recht widersinnig klingen. Der Baustoff gilt nicht umsonst als „Klimakiller“: Bei der herkömmlichen Betonherstellung auf Zementbasis werden große Mengen von CO2-Gasen in die Atmosphäre abgestoßen, und die zur Zementproduktion erforderlichen Drehöfen verbrauchen Unmengen an Energie, um Temperaturen von ca. 1.450 Grad Celsius zu erreichen.
Wissenschaftliche Fortschritte in der Erforschung der CO2-Mineralisierung (der Umwandlung von CO2-Gasen in feste Carbonate) leiten jedoch einen allmählichen Perspektivwechsel ein. So hat Sants Unternehmen CO2Concrete eine Methode zur Umleitung der Verbrennungsgase aus Fabrikschornsteinen in eine Kammer entwickelt, die quasi wie ein Umluftherd funktioniert. Bei Umgebungstemperatur und -druck wird aus verdünntem CO2 ein Härtungsmittel mit einem Kohlenstoffanteil von bis zu 60 Prozent am Gesamtgewicht hergestellt. Der mit oft unerschwinglichen Kosten verbundene Schritt der CO2-Abscheidung entfällt bei diesem Verfahren.
Das dabei gewonnene Produkt sei „funktional und kostenmäßig gleichwertig mit herkömmlichem Zement“, versichert Sant. Unter Berücksichtigung der Umweltkosten, wie sie etwa im Rahmen des Emissionshandels mit CO2-Zertifikaten transparent werden, erweist sich dieses Verfahren im Vergleich zur traditionellen Zement- bzw. Betonherstellung sogar um einiges rentabler.
Wandel in der Zementproduktion
Durch eine breite Einführung dieser Technologie ließen sich die weltweit durch Zementproduktion verursachten CO2-Emissionen von aktuell drei Milliarden Tonnen pro Jahr um bis zu ein Drittel reduzieren, glaubt Sant.
Das US-amerikanische Energieministerium teilt seine Zuversicht und investiert Milliardenbeträge in die Förderung einschlägiger Initiativen zur Sequestrierung, Verwertung und Speicherung von CO2. Die im Bundeshaushalt 2018 vom US-Kongress verabschiedeten Steuervergünstigungen für Unternehmen, die Kohlenstoffemissionen sequestrieren oder umwandeln, wird nach Prognosen der Internationalen Energieagentur das Investitionsvolumen innerhalb der nächsten sechs Jahre um eine Milliarde US-Dollar (ca. 910 Millionen Euro) erhöhen.
Unter den zahlreichen Start-ups, die sich in diesem heiß umkämpften Markt tummeln, konnte das kanadische Unternehmen CarbonCure sich als aussichtsreicher Kandidat im Wettstreit um staatliche Fördermittel und private Investitionen positionieren. Der XPRIZE-Finalist arbeitet mit Betonherstellern an etwa 150 unterschiedlichen Standorten weltweit – darunter Unternehmen wie Lafarge, Thomas Concrete und Ozinga – mit dem Ziel zusammen, Produkte aus CO2-Recyclingverfahren in etablierte Produktionsstätten einzubringen.
Jennifer Wagner, die bei CarbonCure als Executive Vice President für die Unternehmensentwicklung zuständig ist, führt das rapide Wachstum ihrer Firma auf deren Nutzenversprechen zurück. „Viele der Lösungen, die derzeit auf diesem Gebiet entwickelt werden, sind nur aus ökologischer Sicht vorteilhaft“, erläutert sie. „Wir verbinden Umweltschutz mit handfesten ökonomischen Vorteilen. Kosten sparen wollen alle Unternehmen – selbst wenn ihnen der Klimawandel egal ist.“
Die Initiative wird aus dem mit einer Milliarde US-Dollar dotierten Fonds „Breakthrough Energy Ventures“ unterstützt. Betonhersteller kaufen CO2 in Gaszylindern, wie sie bei der Produktion kohlensäurehaltiger Getränke zum Einsatz kommen. Anschließend wird das CO2 durch eine Spritzvorrichtung, die auf gängige Beton- oder Schüttgutmischer aufgesetzt werden kann, zu extrem hartem Beton verarbeitet. Die durch dieses Verfahren erzielte CO2-Ersparnis liegt bei durchschnittlich 15 kg pro Kubikmeter.
Mehrere XPRIZE-Finalisten, darunter Imbabis Team CCM, haben sich auf breitere branchenübergreifende Ansätze zur Verwertung von sequestriertem CO2 spezialisiert. „Nur mit Zement lassen sich die weltweiten CO2-Emissionen in Höhe von 40 Milliarden Tonnen pro Jahr nicht kompensieren“, meint Imbabi.
Zu diesem Zweck hat sein Team eine umgerechnet 2,3 Millionen Euro teure Maschine zur Umwandlung von Kohlenstoffemissionen in gefällte Kalziumcarbonate entwickelt, die dann u. a. bei der Herstellung von Papierbeschichtungen, Kunststoffen, Pharmazeutika, Lebensmitteln und Zahnpasta verwendet werden können. Verdünntes CO2 lässt sich zudem durch die Reaktion mit magnesiumhaltigen Lösungen, die als Abfallprodukte aus der Erdöl- und Erdgasförderung anfallen, zu gefälltem Magnesiumcarbonat verarbeiten, einem leichten, hitzebeständigen Verbundstoff, der bei der Herstellung von Feuerschutzplatten und Dämmprodukten eingesetzt werden kann.
Inwieweit die XPRIZE-Jury die vielseitige Verwendbarkeit der von CCM entwickelten Technologien zu würdigen weiß, wird sich bei der Preisvergabe im Juni 2020 zeigen. Fest steht aber schon jetzt, dass jeder Ansatz zur Sequestrierung und Verwertung von CO2 einen Sieg im Wettbewerb um eine kohlenstoffneutrale Zukunft bedeutet.