Wie Honda alte Denkweisen ablegt und dank Generativem Design die Kurbelwelle neu erfindet
Der Klimawandel ruft uns alle auf den Plan. Welche Maßnahmen können wir ergreifen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken? Großes Potenzial steckt in kreativen Entwurfskonzepten mit Generativem Design, die die Fertigung leichterer Fahrzeuge mit geringerem Treibstoffbedarf ermöglichen. Honda macht es anhand einer Kurbelwelle vor.
Immerhin gehen laut der Internationalen Energieagentur (IEA) rund 24 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen auf das Konto des Verkehrs, einschließlich Straßen-, Schienen-, Luft- und Seeverkehr. Der größte Anteil entstammt den Auspuffen von Straßenfahrzeugen. Die EU berichtet sogar, dass 30 Prozent des CO2-Ausstoßes ihrer Länder auf den Verkehr zurückzuführen seien, wovon ganze 72 Prozent auf den Straßenverkehr entfallen sollen. Als wirksames Mittel zur Senkung der Kohlendioxidemissionen von Fahrzeugen hat sich die Reduzierung des Gewichts ihrer Konstruktionsteile bewährt.
Der japanische Fahrzeughersteller Honda verfolgt auf der heimischen Insel verschiedene Projekte zur Gewichtsreduzierung seiner Komponenten – vom Fahrgestell über Motoren bis hin zu einzelnen Befestigungsmitteln. Um die Fahrzeuge insgesamt leichter zu gestalten, werden Struktur und Werkstoffe aller Einzelteile neu überdacht. Zurzeit hat Honda R&D – die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Unternehmens – Optimierungen der Kurbelwelle im Visier.
Die Kurbelwelle zählt zu den wichtigsten Funktionsteilen in jedem Motor. Mit ihr werden die Bewegungen und Kräfte der Kolben aufgenommen und in ein Drehmoment umgewandelt. Um ihre Aufgabe erfüllen zu können, muss das Bauteil dauerhaft eine extrem hohe Festigkeit aufweisen.
„An Kurbelwellen werden mehrere funktionelle Anforderungen gestellt“, erläutert Hirosumi Todaka, Maschinenbauingenieur und Konstrukteur für Strömungsmaschinen im fortschrittlichen Technologielabor von Honda R&D. „So muss zum Beispiel der Querschnitt den Beanspruchungen durch den Verbrennungsdruck standhalten, während gleichzeitig die Rotationsbalance aufrechterhalten werden muss. Diese beiden Faktoren haben bis heute die Form der Kurbelwelle bestimmt. An der grundsätzlichen Konstruktion der Kurbelwelle wurde daher in der Motorenentwicklung lange Zeit nicht gerüttelt. Nun aber haben wir uns das ambitionierte Ziel gesetzt, unsere Kurbelwellen 30 Prozent leichter zu bauen als die Konkurrenz.“
Die FuE-Abteilung von Honda hat die Entwicklung der additiven Fertigung seit jeher fest im Blick. Bei der Betrachtung verschiedener Bemessungs- und Konstruktionsverfahren wie beispielsweise der Topologieoptimierung stieß das Team auf die eng verwandte Methode des Generativen Designs. Da letztere die Möglichkeit bietet, mehrere Entwürfe parallel zu erzeugen und iterativ zu verändern, war klar, dass damit die konventionellen Konstruktionsnormen sehr schnell überdacht werden könnten.
Tatsächlich konnte die Branche durch Anwendung des Generativen Designs bereits zuvor erste Erfolge erzielen – allen voran durch die Gewichtsreduzierung von Bauteilen wie Sitzkonsolen, Motorsteuergeräten sowie Rahmenteilen oder der Hinterradschwinge von Motorrädern. „Wir waren auf der Suche nach einem neuen Ansatz, mit dem wir Methoden wie Generatives Design und additive Fertigung einsetzen konnten“, fährt Todaka fort. „Wir wollten vorurteilsfrei an die Aufgaben herangehen und neue Lösungswege finden.“
Ganz in diesem Sinne nahm Honda R&D das Unterfangen in Angriff – in Zusammenarbeit mit Autodesk. Das einzigartige Pionierprojekt war bewusst darauf ausgerichtet, eine flexible Herangehensweise zu fördern. „In unserem Entwurfsprozess ist es uns wichtig, unvoreingenommen zu bleiben und uns auf die wirklich essenziellen Funktionen des Bauteils zu konzentrieren“, erklärt Hisao Uozumi, der mit seiner Forschungsarbeit bei Honda R&D Entwurfsentstehungsprozesse und neue Werkstoffe untersucht. „Die Grundprinzipien dieses Ansatzes sind aus einem gemeinsamen Workshop zur Förderung kritischer Denkweisen hervorgegangen.“
Auf dem Weg zur optimierten Kurbelwelle
Auf der Grundlage der Anforderungen von Honda entwickelte das Autodesk-Team unter Verwendung von Netfabb und Fusion 360 ein Modell zur Fertigung eines ersten Prototyps. „Honda konnte wichtige Erfahrungswerte in Bezug auf das Gewicht und die verschiedenen funktionellen Rahmenbedingungen einbringen. Anschließend sind wir die einzelnen Punkte mit Autodesk durchgegangen. So wurde das Modell Schritt für Schritt verfeinert“, erläutert Todaka das gemeinsame Vorgehen.
Bei seiner bisherigen Arbeit an Motorenteilen für Motorräder und Automobile war Todaka es gewohnt, neue Konstruktionen nach und nach auf der Grundlage seiner bis dahin gesammelten Erfahrungen zu entwickeln, um sie anschließend zu analysieren und schrittweise zu optimieren. Das Ergebnis, das nun mit der neuen Methode entstand, hat ihn förmlich umgehauen. „Das Teil war organisch geformt und erinnerte mich an menschliche Knochen“, schildert er seine ersten Assoziationen. „Nie im Leben wäre ich auf ein solches Design gekommen“.
Im Rahmen einer Reise nach England hatte das Projektteam von Honda R&D die Gelegenheit, in London Schulungen zum Thema Generatives Design zu absolvieren und das Autodesk Technology Center in Birmingham zu besuchen. Ein reger Austausch entstand dabei nicht nur in Bezug auf die neuesten Entwurfstechnologien, sondern auch rund um Themen wie die additive Fertigung. „Die Entwicklung vom Entwurf zum Prototyp wird stark beschleunigt. Dieses Umfeld ist meiner Meinung nach ideal, weil wir das Feedback sehr schnell in unsere Arbeit einfließen lassen können“, schildert Todaka seine Eindrücke vor Ort.
Die im Zuge der Prototypenentwicklung gesammelten Daten ermöglichten es dem Team von Honda, einige Kriterien in Bezug auf Konstruktion und Festigkeit zu überarbeiten. Dadurch ergaben sich neue Nebenbedingungen für die Bauteile, auf deren Grundlage das Team anschließend das Modell für den zweiten Prototyp auf die Beine stellte. „Zum Autodesk-Team zählten Mitglieder mit verschiedensten Hintergründen, darunter auch Leute aus der Raumfahrt”, berichtet Uozumi. „Das Team konnte die Entwicklung unserer Entwürfe mitverfolgen und wir waren in der Lage, unsere Ideen relativ schnell umzusetzen.“
Die konventionelle Topologieoptimierung liefert nur eine einzige Lösung, die anschließend manuell korrigiert werden muss – ein denkbar zeitaufwendiger Prozess. Dagegen hätten die Generativen Design-Funktionen in Fusion 360, so Todoka, eine Vielfalt an Gestaltungsvarianten geliefert, die er als Konstrukteur anderenfalls nicht in Erwägung gezogen hätte. So konnte Honda mit seiner neuen Kurbelwellenkonstruktion beeindruckende 50 Prozent an Gewicht sparen. Blieb nur die Frage zu klären, ob Steifigkeit und Festigkeit mit den Eigenschaften herkömmlicher Kurbelwellen mithalten können würden.
Zu diesem Zweck verbaute das Team den Prototyp in einem Motor, mit dem das Bauteil auf Herz und Nieren geprüft wurde. Die daraus resultierende Datenfülle teilte Honda wiederum mit dem Team von Autodesk, das den Generativen Design-Prozess auf Grundlage dieser Informationen verfeinerte. „Die Anwendung des Generativen Designs auf hochdrehende Motorenteile wie die Kurbelwelle war sowohl für Honda als auch für Autodesk sehr lehrreich“, freut sich Todaka über die Ergebnisse der Zusammenarbeit.
Die Verschmelzung von Entwurfs- und Fertigungsprozessen hat sich als überaus zielführend erwiesen. „Dadurch erhalten wir Modelle, die schon in der Entwurfsphase fertigungsrelevanten Einschränkungen Rechnung tragen können. Schließlich macht es einen Unterschied, ob ein Bauteil mittels additiver Fertigung oder mit der 5-Achs-Fräsmaschine gefertigt werden soll, oder ob es gegossen wird“, bringt Todaka die unschlagbaren Vorteile der neuen Methode auf den Punkt.
Für das Team von Honda steht fest, dass dieses Projekt die Möglichkeiten der additiven Fertigung auf beeindruckende Weise aufgezeigt hat. „Manch einer muss sich zwar erst noch an die neue Form gewöhnen, aber die Auseinandersetzung mit der Technologie war schon jetzt Gold wert“, betont Todaka und räumt gleichzeitig ein, dass die Entwicklung leichterer Bauteile noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Dennoch sieht er Honda auf dem richtigen Weg, was die Umsetzung der Unternehmensziele angeht. „Ich gehe davon aus, dass sich der Generative Design-Ansatz schon bald durchsetzt und die auf diese Weise gefertigten Produkte zur Norm werden. Letzten Endes liegt es in unserer Hand, weiter an Anwendungsmöglichkeiten für diese Technologie zu forschen.“