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Digitaler Zwilling: Wie intelligente Datenmodelle unsere Zukunft gestalten

Als Stephen Spielberg vor zwanzig Jahren mit den Vorbereitungen zur Verfilmung von Philip K. Dicks Kurzgeschichte „Der Minderheiten-Bericht“ (engl. „Minority Report“) begann, zog er die anerkanntesten Größen aus Wissenschaft und Technik zurate, um sich mit ihrer Unterstützung auszumalen, wie die Städte der Zukunft aussehen könnten. Im Film offenbart sich dem Zuschauenden einerseits ein düsteres, dystopisch anmutendes Bild der Stadt Washington, D.C., im Jahr 2054. Gleichzeitig genießen die Bewohner dieser fiktiven Zukunft jedoch auch die Vorzüge intelligenter digitaler Technologien, darunter fahrerlose Autos, Retina-Scans zur Anzeige personalisierter Werbung oder auch sprachgesteuerte Smart-Home-Systeme.

Erschienen futuristische Technologien dieser Art vor zwei Jahrzehnten noch unvorstellbar, so sind viele von ihnen heute Realität. Gestengesteuerte Computer, zielgruppenspezifische Online-Werbeanzeigen und Kühlschränke, die eigenständig Milch bestellen, wenn sie ausgeht, gehören zu unseren alltäglichen Begleitern.

Damit nicht genug: Moderne „Smart Buildings“ – zu Deutsch „intelligente Gebäude“ – kennen Ihre Adresse, Ihren Terminkalender, ja sogar Ihre bevorzugte Art, Ihren morgendlichen Kaffee zu genießen. Je intelligenter und autonomer Gebäude und Städte werden, desto ausgeklügelter werden auch die für ihre Planung, Verwaltung und Wartung verwendeten Werkzeuge und Hilfsmittel.

Dass die Architektur-, Ingenieur- und Baubranche dem Rest der Industrie in puncto Digitalisierung und datengesteuerter Entscheidungsfindung zurzeit noch hinterherhinkt, ist kein Geheimnis. Unter Branchenfachleuten scheint jedoch allmählich das Bewusstsein dafür zu steigen, dass es neuer Denk- und Arbeitsweisen bedarf, um sich auf Dauer auf dem Markt behaupten zu können.

In einer Zeit, in der Innovationen wie das Internet der Dinge (IoT), Künstliche Intelligenz (KI) und Cloud-Computing die digitale Transformation der Architektur, Ingenieur- und Baubranche vorantreiben, gewinnt eine weitere Technologie an Bedeutung: digitale Zwillinge. Einschlägige Werkzeuge werden zunehmend leistungsfähiger und Planungsexperten und Bauunternehmer erkennen die damit einhergehenden Möglichkeiten zur Optimierung der vom Menschen gebauten Welt.

Ein digitaler Zwilling ist ein dynamisches, „lebendiges“ Modell eines physischen Objekts oder einer physischen Umgebung.
Ein digitaler Zwilling ist ein dynamisches, „lebendiges“ Modell eines physischen Objekts oder einer physischen Umgebung.

Was ist ein digitaler Zwilling – eine Definition

Ein digitaler Zwilling ist eine digitale Darstellung eines Objekts bzw. einer physischen Umgebung wie etwa eines Autos, einer Brücke oder eines Gebäudes. Dabei handelt es sich weniger um ein 3D-Modell im traditionellen Sinne als vielmehr um ein Informationsmodell: Im Rahmen der Planungsphase entsteht eine zentrale, für sämtliche Projektbeteiligte zugängliche Datenreferenz, die vom Entwurf über die Konstruktion bis hin zur Inbetriebnahme und Wartung jede Phase des Lebenszyklus des jeweiligen Bauobjekts umfasst. Selbst Pläne für die zukünftige Nutzung oder Wiederverwendung können enthalten sein.

Im Gegensatz zu statischen Darstellungen sind digitale Zwillinge dynamische, „lebendige“ Datenmodelle, die mithilfe von KI, maschinellen Lernalgorithmen und IoT-Technologien während des gesamten Lebenszyklus mit ihren physischen Gegenstücken kommunizieren und Daten austauschen. Dies macht sie zu lernfähigen Modellen, die sich weiterentwickeln und Änderungen in Echtzeit widerspiegeln können. Die Vorteile sind vielfältig: Anwender können Problemen vorbeugen, noch bevor sie überhaupt entstehen, neue Möglichkeiten erschließen und zukunftsfähige Entwürfe gestalten.

Die Rolle des digitalen Zwillings in der Architektur-, Ingenieur- und Baubranche

In der Architektur-, Ingenieur- und Baubranche bezeichnen digitale Zwillinge detailgetreue Nachbildungen von Bauwerken und den dazugehörigen Systemen.

So lassen sich beispielsweise folgende Umgebungen in Form eines digitalen Zwillings darstellen:

  • Gebäude
  • Infrastrukturen wie z. B. Brücken
  • Ökosysteme mit komplexen vernetzten Strukturen wie z. B. Bahnnetze, Büroanlagen oder Städte

Die Funktion digitaler Zwillinge in der Baubranche

Im Bauwesen dienen digitale Zwillinge zur Verarbeitung verschiedener Arten von Informationen, darunter:

  • Betriebsdaten in Zusammenhang mit HLK- und HLSE-Systemen (Heizung, Lüftung, Sanitär, Elektro)
  • Bauteil- und Wartungsdaten
  • mittels IoT-Sensoren erhobene Daten

Zu Beginn eines Neubauprojekts wird ein digitaler Zwilling erstellt, der es Architekten, Ingenieuren und Bauunternehmern ermöglicht, gemeinsam mit dem Bauherren Leistungsziele und gewünschte Ergebnisse zu bestimmen. Im weiteren Projektverlauf auf fortlaufender Basis erhobene Daten werden unter Verwendung einer Plattform wie Autodesk Tandem in das Modell eingepflegt. Auch nach der Projektübergabe erhebt der virtuelle Zwilling weiterhin Betriebsdaten, was nicht nur die Leistungsoptimierung und langfristige Wartung, sondern auch die Planung etwaiger Stilllegungen oder Umnutzungen erleichtert.

Im Bauwesen ermöglichen digitale Zwillinge die Verarbeitung von Daten in Zusammenhang mit HLK- und HSLE-Systemen, Bauteilen und Wartungsarbeiten sowie Umgebungsbedingungen.
Im Bauwesen ermöglichen digitale Zwillinge die Verarbeitung von Daten in Zusammenhang mit HLK- und HSLE-Systemen, Bauteilen und Wartungsarbeiten sowie Umgebungsbedingungen.

In dem Maße, in dem der digitale Zwilling aus den von seinem physischen Gegenstück gelieferten Daten lernt und sich weiterentwickelt, ist er in der Lage, Simulationen und Prognosen anhand von Echtzeit-Bedingungen zu generieren. Für Bauunternehmer eröffnen sich dadurch verschiedenste Einsatzmöglichkeiten für digitale Zwillinge: So wäre es beispielsweise denkbar, ein Gebäude mit einer Solarfassade auszustatten, deren Paneele dem Stand der Sonne folgen, oder die Luftzirkulation im Inneren des Gebäudes derart anzupassen, dass die Verbreitung von Krankheitserregern auf ein Minimum reduziert wird.

Digitale Zwillinge versprechen darüber hinaus folgende Vorteile bei der Optimierung von Bauwerken:

  • Optimierung von Verkaufsräumen auf der Grundlage von Kundenverhalten und -gewohnheiten
  • Automatisierung landwirtschaftlicher Produktion in Innenräumen für ideale Wachstumsbedingungen
  • Prognostizieren von Wartungsproblemen in Ölraffinerien
  • Gestaltung von Gesundheitseinrichtungen zwecks effizientem Patientenfluss und gemäß Personalanforderungen

Wie digitale Zwillinge Planung und Konstruktion in Einklang bringen

In der praktischen Anwendung machen digitale Zwillinge Daten nutzbar, die zuvor ausschließlich in isolierten Systemen gespeichert oder gar in Papierform aufbewahrt wurden. So wird während des gesamten Projektlebenszyklus – von der Planung bis hin zur etwaigen Stilllegung eines Bauwerks – eine engere, effektivere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Teams gefördert. Dabei sind sämtliche Projektbeteiligte dank der Kombination statischer Daten wie Bauteilspezifikationen und Wartungsplänen mit dynamischen Daten wie Auslastungsquoten und Umgebungsbedingungen in der Lage, fundiertere Entscheidungen zur Optimierung der Leistung und des Lebenszyklus eines Bauobjekts zu treffen.

BIM und der digitale Zwilling

Der Anbruch des digitalen Zeitalters in der Baubranche ist nicht zuletzt dem Siegeszug von BIM (Building Information Modeling, zu Deutsch „Gebäudedatenmodellierung“) zu verdanken: Multidisziplinäre Modelle und Cloud-Tools für die Zusammenarbeit ermöglichen eine effektivere Planung und Verwaltung von Bauobjekten und den dazugehörigen Systemen.

Da Prozesse im Rahmen eines dynamischen, bidirektionalen Informationsmanagements in Echtzeit anhand von Daten optimiert werden können, lässt sich mithilfe digitaler Zwillinge die gesamte Tragweite der von BIM gebotenen Vorteile ausschöpfen. Während eine BIM-Komponente nicht zwingend erforderlich ist, entfalten digitale Zwillinge ihr volles Potenzial erst durch die Integration der Arbeitsabläufe und des Datenaustausches, die dem BIM-Prozess zugrunde liegen. Kurz gesagt: Mit BIM gelangen Bauunternehmer schneller ans Ziel.

Was hält die Zukunft für BIM und digitale Zwillinge bereit?

In Zukunft werden digitale Zwillinge sich zu einem festen Bestandteil des BIM-Prozesses entwickeln und in diesem Zusammenhang sämtlichen an einem Bauprojekt beteiligten Stakeholdern eine einheitliche, standardisierte Umgebung bieten, um bessere Einblicke in Projektdaten zu erhalten. Der Mehrwert der so gewonnen Erkenntnisse ist dabei keineswegs auf einzelne Projekte beschränkt, lassen sich historische Daten doch in der Planungs- und Entwurfsphase neuer Projekte wiederverwerten. Datenanalysen unter Verwendung maschineller Lernverfahren versprechen in dieser Hinsicht kontinuierliche Verbesserungen.

Wie füreinander geschaffen: Smart Cities und digitale Zwillinge

Digitale Zwillinge müssen nicht zwingend als in sich geschlossene Einzelmodelle fungieren, sondern können zu einem ganzheitlichen, vernetzten Ökosystem zusammengefügt werden, dessen Leistung sich im Laufe der Zeit optimieren lässt.

Aus dieser Perspektive betrachtet, offenbart sich das weitreichende, über Einzelprojekte hinausgehende wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenzial digitaler Zwillinge. So würde beispielsweise der Einsatz von Geodatenmodellierungs-Lösungen und IoT-Sensoren in Smart Cities die Analyse und Optimierung der Leistung von Strom- und Funknetzwerken, öffentlichen Verkehrsmitteln, Sicherheitssystemen und Infrastrukturen anhand von Echtzeit-Daten denkbar machen. Und nicht nur das: Intelligente Städte dieser Art könnten sich darüber hinaus an sich verändernde Klimabedingungen anpassen und Simulationen durchführen, auf deren Grundlage Vorbereitungen für Notsituationen wie Pandemien und Naturkatastrophen getroffen werden könnten.

Dank ihrer Fähigkeit, Daten zu verschiedensten relevanten Aspekten wie Bevölkerungswachstum, Rohstoffen oder Klimabedingungen zu erheben und auszuwerten, versprechen die virtuellen Helfer, Städte im Hinblick auf potenzielle Gefährdungen widerstandsfähiger zu gestalten und der Industrie die Bewältigung globaler Herausforderungen zu erleichtern.

Tatsächlich lässt sich dieses Phänomen bereits weltweit beobachten. So etwa im Rahmen des Projekts Virtual Singapore, das ein dreidimensionales Modell der Stadt Singapur sowie eine kollaborative Plattform umfasst, über die Experten mit verschiedenen Hintergründen Tools zur Lösung der kompliziertesten Anliegen der Stadtplanung entwickeln können. Diese reichen von der Verbesserung öffentlicher Parkanlagen bis hin zur Ausarbeitung von Evakuierungsplänen.

Zur gleichen Zeit entsteht in Amaravati, der neuen Hauptstadt des indischen Bundesstaates Andhra Pradesh, eine Smart City im Wert von 6,5 Milliarden US-Dollar. Ermöglicht wird das Projekt anhand eines mehr als 1.000 Datensätze umfassenden digitalen Zwillings, der zur Durchführung der nötigen Sicherheitsprüfungen im Rahmen der relevanten Genehmigungsverfahren, der Überwachung von Baustellen und der Begutachtung von Bauplänen zur Anwendung kommt. So soll gewährleistet werden, dass die Smart City den extremen Wetterbedingungen der Region standhält.

Die Geschichte des digitalen Zwillings

Die 1960er

Die Idee des digitalen Zwillings hat ihren Ursprung in den 1960er Jahren. Damals forschte die NASA an einer „Spiegelungstechnologie“, die dazu dienten sollte, zu Simulationszwecken komplexe Nachbildungen von für die Verwendung im Weltraum vorgesehenen Systemen zu entwickeln.

Diese Simulationen spielten eine entscheidende Rolle im Rahmen der berüchtigten Raumfahrtmission Apollo 13. Nach der Explosion eines Sauerstofftanks an Bord des Raumschiffs gelang es der Bodenkontrolle in einer der zweifellos spektakulärsten Rettungsaktion der Geschichte, die Astronauten aus über 300.000 Kilometer Entfernung unversehrt auf den Erdboden zurückzubringen. Um die für die Vollbringung dieser Heldentat erforderlichen Entscheidungen zu treffen, verließ sich das Team in Houston auf 15 computergesteuerte Modelle, die die Bedingungen an Bord des beschädigten Raumschiffs simulierten. „

Die Idee des digitalen Zwillings hat ihren Ursprung in den 1960er Jahren. Damals forschte die NASA an einer „Spiegelungstechnologie“.
„Houston, wir haben ein Problem.“ Die Bodenkontrolle lotst das beschädigte Raumschiff Apollo 13 auf sicherem Weg zur Erde zurück. Credit: NASA.

Die 2000er

Als Begründer des Konzepts des digitalen Zwillings gilt gemeinhin Dr. Michael Grieves, Chefwissenschaftler für die Erforschung innovativer Fertigungsmethoden am Florida Institute of Technology. Er prägte den Begriff in einer Forschungsarbeit zum Thema Produktlebenszyklusmanagement, die er im Jahr 2002 im Rahmen einer Tagung der Society of Manufacturing Engineers vorstellte. Seine Idee: Für das Lebenszyklusmanagement eines Produktes sei es förderlich, eine entsprechende virtuelle Repräsentation anzufertigen und einen Datenaustausch zwischen physischem und virtuellem System zu ermöglichen.

Wenngleich das Potenzial des Konzeptes auf der Hand lag, erwies sich die Implementierung aufgrund der erforderlichen Voraussetzungen in puncto Rechenleistung, Konnektivität und Datenspeicherung für die meisten Branchen als weitaus zu kostspielig. So blieb das Konzept jahrzehntelang ein Wunschtraum – bis auf KI und IoT spezialisierte Unternehmen vor rund fünf Jahren begannen, an seiner Umsetzung zu arbeiten.

Die 2020er

Schätzungen zufolge soll sich die globale Marktkapitalisierung der Branche rund um die digitalen Zwillinge bis 2026 auf 48,2 Milliarden Dollar belaufen.

Doch während sie in der Fertigung schon längst gang und gäbe sind, ist ihr Einsatz in der weniger standardisierten, stärker fragmentierten und historisch eher innovationsscheuen Architektur-, Ingenieur- und Baubranche noch Neuland. Angesichts des rapide voranschreitenden digitalen Wandels in der Baubranche (angekurbelt durch den Corona-bedingten Übergang zur Telearbeit) scheint sich nun unter zukunftsorientierten Unternehmen allerdings die Annahme durchzusetzen, dass virtuelle Abbilder künftig während des gesamten Lebenszyklus eines Bauprojekts unverzichtbar sein werden – für viele ein Grund, bereits heute an entsprechenden Lösungen zu arbeiten.

Wenngleich sie sich in der Fertigung bereits durchsetzen konnten, müssen digitale Zwillinge ihr Können in der Architektur-, Ingenieur- und Baubranche noch unter Beweis stellen.
Wenngleich sie sich in der Fertigung bereits durchsetzen konnten, müssen digitale Zwillinge ihr Können in der Architektur-, Ingenieur- und Baubranche noch unter Beweis stellen.

Die fünf Arten des digitalen Zwillings

Im Hinblick auf den praktischen Nutzen digitaler Zwillinge lassen sich fünf verschiedene Anwendungsfälle mit unterschiedlichen Komplexitätsstufen unterscheiden. Während grundlegende Modelle lediglich Daten aus verschiedenen Quellen vereinen, sind fortschrittliche digitale Zwillinge in der Lage, autonom zu „denken“ und Aufgaben zu erfüllen.

Anwendungsfall Nr. 1: digitale Zwillinge für Beschreibungszwecke

Bei dieser Art des digitalen Zwillings handelt es sich um eine visuelle Nachbildung eines Bauwerks in Form eines bearbeitbaren Echtzeit-Modells von Planungs- und Konstruktionsdaten. Anwendende können selbst bestimmen, welche Informationen in das Modell einfließen sollen und welche Art von Daten sie daraus ableiten möchten.

Anwendungsfall Nr. 2: digitale Zwillinge für Informationszwecke

Hierbei werden zusätzlich Betriebs- und Sensordaten berücksichtigt. Digitale Zwillinge dieser Art erfassen und aggregieren vorgegebene Daten, um zu überprüfen, dass sämtliche relevanten Systeme zusammenarbeiten.

Anwendungsfall Nr. 3: digitale Zwillinge für Prognosezwecke

Diese Zwillinge sind in der Lage, Erkenntnisse aus Betriebsdaten abzuleiten (ähnlich wie ein Auto, das den Fahrer darüber informiert, dass es an der Zeit für einen Ölwechsel ist).

Anwendungsfall Nr. 4: umfassende digitale Zwillinge

Digitale Zwillinge dieser Art simulieren Zukunftsszenarien und untersuchen die Auswirkungen hypothetischer Vorfälle.

Anwendungsfall Nr. 5: autonome digitale Zwillinge

Hierbei handelt es sich um lernfähige digitale Zwillinge, die in der Lage sind, eigenständig Aufgaben auszuführen und Entscheidungen zu treffen.

Während die Architektur, Ingenieur- und Baubranche die ersten beiden Modellarten bereits für sich entdeckt hat, müssen sich die restlichen Modelle, die von eingebetteten Sensoren und IoT-Technologien mit Echtzeit-Daten versorgt werden, hier erst noch durchsetzen – die Zukunft scheint jedoch vielversprechend.

Über Neubauten hinaus: datengestütztes Gebäudemanagement

Neben Neubauprojekten bieten digitale Zwillinge die Möglichkeit, Einblicke in die Betriebsdaten bestehender Gebäude oder Infrastrukturen zu gewinnen und ggf. neue Nutzungsmöglichkeiten zu erschließen.

Die Anwendung digitaler Zwillinge auf bestehende Strukturen fördert Leistungsverbesserungen, beseitigt Ungewissheiten und verspricht ein besseres Risikomanagement. Die Vorteile für die verschiedenen Akteure entlang der Wertschöpfungskette – Bauunternehmer, Lieferanten, Investoren, Bauherren und Gebäudebewohner – liegen auf der Hand.

Die Integration eines digitalen Zwillings in bestehende Strukturen erweist sich, insbesondere wenn es an entsprechenden digitalen Dateien mangelt, nicht selten als kompliziert. Lösungen für die Umgebungserfassung wie Laserscanner oder Fotogrammmetrie-Technologien können Abhilfe schaffen, indem sie detailgetreue Punktwolkenmodelle erstellen. Erst kürzlich wurde auf diese Weise ein digitaler Zwilling der Kathedrale Notre-Dame de Paris erstellt, der infolge des verheerenden Brandes im Jahr 2019 den Wiederaufbau unterstützt.

Die Integration digitaler Zwillinge in bestehende Infrastrukturen

Wie leicht sich ein digitaler Zwilling in eine bestehende Infrastruktur integrieren lässt, hängt maßgeblich von deren Komplexität ab. So stellt etwa eine Wasseraufbereitungsanlage eine weitaus geringere Herausforderung dar als Infrastrukturen, deren Systeme und Vernetzungen schwerer nachzuvollziehen sind. Nichtsdestotrotz ist ein digitaler Zwilling in jedem Fall eine lohnenswerte Investition, der Infrastrukturen jeglicher Art auf Dauer kosteneffektiver, nachhaltiger und widerstandsfähiger macht. Ein Einsatz in größerem Maßstab könnte auf lange Sicht das Entstehen einer nachhaltigeren, agileren und anpassungsfähigeren Gesellschaft fördern.

Die 4 Hauptvorteile digitaler Zwillinge

Digitale Zwillinge bergen sowohl kurz- als auch langfristige Vorteile. Dank ihrer Funktion als „Single Source of Truth“ – d. h. als zentrale, zuverlässige Datenquelle – lassen sich kurzfristig vor allem betriebliche Effizienzen erschließen, Kosten, Risiken und Ungewissheiten reduzieren sowie Arbeitsprozesse optimieren. Langfristig machen sie die von BIM gebotenen Vorzüge während des gesamten Lebenszyklus einer Infrastruktur nutzbar.

1. Bessere Entscheidungen und Renditen für Bauherren

Wenn Daten in verschiedenen unzusammenhängenden Systemen schlummern, ist es für Bauherren unmöglich, ihre Anlagen so effektiv wie möglich zu überwachen und zu verwalten. Digitale Zwillinge sind das ideale Hilfsmittel, um bereits in der Planungs- und Entwurfsphase bessere geschäftliche Entscheidungen zu treffen. Sie bieten Zugang zu umfangreichen, aussagekräftigen Daten, anhand derer Bauherren Leistungsverbesserungen erzielen und den Lebenszyklus ihrer Investitionen verlängern können.

2. Reibungsloser Betrieb und einfachere Wartung für Gebäudemanager

Bauherren und Gebäudebetreiber profitieren vom ersten Tag an von einem effizienten Betrieb, ohne sich mit verwirrenden (oder gar fehlenden) Wartungsunterlagen herumschlagen zu müssen. Die Übergabe analoger, nicht klassifizierter und zusammenhangloser Daten macht die Entwicklung einer integrierten Lösung für die Überwachung, Verwaltung und Optimierung von Anlagen für Bauherren und Gebäudebetreiber zu einer schlicht unlösbaren Aufgabe. So bleiben ihnen die Vorteile intelligenter Gebäude verwehrt; stattdessen müssen sie sich mit isolierten Daten und Systemen, ungenauen Informationen, mangelnder Transparenz und unzureichenden Einblicken in die Leistung ihrer Anlagen herumschlagen.

Indem sie Aggregatdaten auf leicht verständliche Weise zusammenführen, fungieren digitale Zwillinge als virtueller roter Faden. So können sich Betreibende voll und ganz auf ihre Arbeit konzentrieren, anstatt ihre Energie für zeitraubende Aufgaben wie Reparaturen oder Maßnahmen zur Optimierung des Energieverbrauchs aufwenden zu müssen.

Anlagendaten unterliegen einem ständigen Wandel. Mithilfe digitaler Zwillinge können Manager nachvollziehen, wann und von wem Änderungen vorgenommen werden. Gleichzeitig profitieren sie von besser vorhersehbaren Material- und Arbeitszyklen, was die Verschwendung reduziert und die Sicherheit erhöht.

3. Mehr Geschäftserfolg in der Architektur-, Ingenieur- und Baubranche

Je höher das Dienstleistungsangebot und der daraus geschöpfte Mehrwert, umso höher fällt auch die Kundennachfrage aus. Dessen sind sich auch Architektur-, Ingenieur- und Bauunternehmen bewusst: „Unsere Kunden erkennen, dass sich hier eine einmalige Gelegenheit bietet, Bauherren reichhaltigere Daten bereitzustellen“, so Robert Bray, der als Senior Director und General Manager für die Verwaltung von Autodesk Tandem verantwortlich ist. „Die digitale Repräsentation, die der Bauherr bei der Übergabe erhält, kann mit den Betriebssystemen des jeweiligen Bauwerks verbunden werden und dem Bauherren so Antworten auf wichtige Fragen liefern.“

Nahezu 80 % (Seite 6 des PDF-Dokuments) des Gesamtwertes, die eine Anlage über ihren Lebenszyklus hinweg generiert, ergeben sich aus ihrem Betrieb. Wenn Unternehmen noch vor dem ersten Spatenstich gemeinsam mit dem Eigentümer eines Gebäudes die wichtigsten Erwartungen und Prioritäten in puncto Leistung festlegen, lassen sich nicht nur Energieverbrauch und Wartungsmaßnahmen optimieren – auch die Bewohnenden des Gebäudes genießen eine höhere Lebensqualität.

4. Langfristiger Nutzen für die Öffentlichkeit

Die zunehmende Bedeutung digitaler Zwillinge in der Architektur, Ingenieur- und Baubranche erlaubt Planungsexperten und Bauherren, längerfristige und vor allem ganzheitliche Strategien zur Optimierung der Leistung ihrer Anlagen zu entwickeln. In Zukunft könnten digitale Zwillinge die Grundlage für die Planung von Städten bilden, die den verschiedensten globalen Herausforderungen – vom rapiden Bevölkerungswachstum (Seite 1 des PDF-Dokuments) über schwindende natürlichen Ressourcen bis hin zur nächsten Pandemie – besser gewachsen sind.

Digitale Zwillinge sind der Schlüssel zur Entwicklung, Verwaltung und Wartung autonomer Smart Cities.
Digitale Zwillinge sind der Schlüssel zur Entwicklung, Verwaltung und Wartung autonomer Smart Cities.

Die Zukunft digitaler Zwillinge

Angesichts der fortschreitenden Integration künstlicher Intelligenz und maschineller Lernalgorithmen werden sich digitale Zwillinge, unterstützt von neuen innovativen Softwarefunktionen, zunehmend zu intelligenten, autonomen Systemen entwickeln.

Die Nachfrage nach digitalen Zwillingen steigt parallel zur Verbreitung von IoT-Technologien: Einer von MarketsandResearch durchgeführten Studie zufolge werden im Jahr 2026 bis zu 91 % aller IoT-Plattformen entsprechende Funktionen umfassen. Bis 2028 sollen digitale Zwillinge sogar zum Standard bei der Entwicklung von IoT-Anwendungen werden.

Prognosen zufolge wird der Markt für auf digitalen Zwillingen basierende Smart City-Infrastrukturen – angeführt von zukunftsorientierten Stadtverwaltungen, die den Fortschritt bereits jetzt mit offenen Armen willkommen heißen – bis 2026 einen Wert von rund 3,77 Milliarden US-Dollar erreichen. Und laut ABI Research werden bis 2025 weltweit mehr als 500 digitale Zwillinge in Smart Cities in Betrieb sein.

So weit die Industrie noch davon entfernt sein mag, das volle Potenzial dieser intelligenten, vernetzten Ökosysteme auszuschöpfen, beginnen vorausschauende Unternehmen bereits jetzt, den Weg in die digitale Zukunft zu ebnen. Die digitale Transformation der Architektur-, Ingenieur- und Baubranche schreitet unermüdlich voran und wird unweigerlich neue Tools und Best Practices hervorbringen, die es Planungsexperten und Ingenieuren erlauben werden, einen stärker interdisziplinär ausgerichteten Ansatz zu verfolgen.

Die hierzu erforderlichen Daten liegen bereits vor. Die Herausforderung besteht dabei in der Integration nicht-standardisierter Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen in ein branchenübergreifend nutzbares Tool und in einer für Architektur, Ingenieur- und Bauwesen sinnvollen Anwendung der Daten. Fest steht: Diejenigen, die heute die Vorteile von Daten zu nutzen wissen, haben die besten Erfolgsaussichten bei der Schaffung einer besseren Welt von morgen.

Über den Autor

Von ihrem Zuhause in der San Francisco Bay Area aus ist Sarah Jones als Redakteurin bei Redshift für unsere Sparte Architektur, Ingenieur- und Bauwesen und darüber hinaus als Autorin, Musikerin und Content-Produzentin tätig. Ihre Artikel wurden unter anderem in Mix, Audio Media International, Live Design, Electronic Musician, Keyboard, Berklee Today, The Henry Ford und auf Grammy.com veröffentlicht.

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