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Digitalisierung in der Architektur: Die Baubranche auf dem Weg in eine neue Ära

Digitalisierung in der Architektur

Wie findet ein Gebäude seinen Platz in der Skyline einer Großstadt? In unserer von Hollywood geprägten Vorstellung geben Bauherren ein Gebäude in Auftrag, legen die wichtigsten Anforderungen fest und machen dann Platz für die Architekten, die scheinbar wie von Zauberhand am Zeichenbrett die ersten Entwürfe aus dem Ärmel schütteln.

Erinnern Sie sich an den Kinoklassiker „Ein Mann wie Sprengstoff“ aus dem Jahr 1949? Der Film beruht auf der legendären Romanvorlage von Ayn Rand und erzählt die Geschichte des ebenso innovativen wie selbstverliebten Architekten Howard Roark, der sich weigert, seine Ideale zu verkaufen. Als Inspiration soll die Biografie des bekannten Architekten Frank Lloyd Wright gedient haben.

Das waren noch Zeiten! Inzwischen sind mehr als siebzig Jahre vergangen und vieles hat sich verändert. Seither hat wohl kaum etwas die Arbeit des Architekten derart geprägt wie die Digitalisierung. Der digitale Wandel im Bauwesen nahm vor ungefähr vierzig Jahren so richtig Fahrt auf. Dabei begann der Prozess der Digitalisierung zunächst als reine „Digitisierung“ (Digitization): Mit den ersten digitalen Werkzeugen und computergestützten Entwurfsmethoden wurden damals analoge Prozesse und Handzeichnungen abgelöst.

Gleichzeitig brachten das stetige Bevölkerungswachstum, die zunehmende Urbanisierung und der fortschreitende Klimawandel wachsende Herausforderungen mit sich. Damit wurden auch die Planungsaufgaben immer komplexer. Nachdem sich in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Endlichkeit der Ressourcen auf unserem Planeten durchgesetzt hat, wird von Planern und Architekten schon lange erwartet, diese effizienter einzusetzen und Bauwerke nachhaltiger zu gestalten.

Digitization vs. Digitalization – der feine Unterschied im englischen Sprachgebrauch

Mit der Zeit wurde aus der „Digitisierung“ etwas Größeres: Digitalisierung. Alles nur Wortklauberei, meinen Sie? Im Gegensatz zum angloamerikanischen Sprachraum ist eine Unterscheidung zwischen Digitization und Digitalization zur Differenzierung der historischen Prozesse in der deutschen Sprache tatsächlich nicht sonderlich verbreitet. Worin besteht also der Unterschied, und was genau versteht man denn nun unter „Digitalisierung“? Digitalisierung (Digitalization) bezeichnet den Einsatz von Technologien und digitalen Daten mit dem Ziel, Arbeitsabläufe zu optimieren, die Kommunikation zwischen Kunden und Unternehmen zu verbessern und neue Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen.

Die Einführung von BIM (Building Information Modeling) vor rund neunzehn Jahren erwies sich als Grundstein und Katalysator für eine zweite digitale Transformation. Die BIM-Methode führt alle Projektinformationen in einer integrierten Plattform zusammen und deckt den gesamten Lebenszyklus vom Entwurf über den Bau bis hin zur Nutzung von Bauprojekten ab. Dadurch wird die Zusammenarbeit von Teams verlässlicher.

Die Entwicklungen im Laufe des vergangenen Jahrzehnts haben eine Zusammenarbeit zwischen vielen verschiedenen Beteiligten über Zeitzonen hinweg an großen Projekten auf der ganzen Welt ermöglicht. Diese neue Arbeitsweise verlangte nach nahtlosen Anbindungsmöglichkeiten, einem schnelleren Zugriff auf Informationen und Projekteinblicken in Echtzeit. So wurde die nächste bedeutende Veränderung eingeläutet: BIM in der Cloud.

Digitalisierung und BIM helfen dem kollaborativen Arbeiten in der Architektur.
Wenn Informationen und Projekteinsichten zentralisiert und unmittelbar zugänglich sind, können Beteiligte auf der ganzen Welt in Echtzeit zusammenarbeiten.

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie brachte eine exponentielle Beschleunigung dieses Wandels mit sich, war die virtuelle Zusammenarbeit nunmehr für viele von uns unumgänglich. Zwar wussten die meisten IT-Entscheidungstragenden längst, dass auf Dauer kein Weg an der Cloud vorbeiführen würde, und hatten in vielen Fällen bereits Roadmaps für die nächsten vier oder fünf Jahre geschmiedet, durch die Pandemie wurden ihre Pläne jedoch bereits mehrere Jahre früher als erwartet zur Realität.

Nun bahnt sich eine vierte transformatorische Veränderung an, die einen weiteren Paradigmenwechsel einzuläuten verspricht – eine Ära, die von einer stärkeren Datenzentralisierung und einem völlig fließenden Informationsaustausch zwischen Projektbeteiligten geprägt ist.

Durch das Ableiten von Projekteinsichten aus zentralisierten Daten wird es möglich sein, Aufgaben wie die Analyse von Bauvorschriften oder die Nachverfolgung von Instandhaltungsplänen zu automatisieren. Dadurch wird an anderer Stelle Zeit frei und die Beteiligten können sich darauf konzentrieren, die Planung, Errichtung und Nutzung der Gebäude effizienter und gleichzeitig ressourcenschonend und kostengünstig zu gestalten.

Der digitale Zwilling: So viele Möglichkeiten für Architektur und Planung

Wir sind also mittendrin in der vierten Phase der digitalen Revolution. Die BIM-Prozesse und alle wertvollen Daten aus der Planungs-, Bau- und Betriebsphase fließen in einen digitalen Zwilling ein ein dynamisches Abbild eines real existierenden Gegenstücks.

Seit jeher kämpfen Bauherren damit, für Unwägbarkeiten bei ihren Projekten von sämtlichen Akteuren innerhalb der Lieferkette zur Kasse gebeten zu werden, und wünschen sich mehr Kostenkontrolle. Laut einer Erhebung von McKinsey aus dem Jahr 2016 sind Kostenüberschreitungen bei Großvorhaben inzwischen die Norm. Demnach überschreiten die meisten Projekte ihr Budget um durchschnittlich 80 Prozent – kein Wunder, denn bisher fehlten auf Bauherrenseite die notwendigen Tools für eine bessere Kontrolle über den Planungs- und Bauprozess.

Zurzeit verfügen die einzelnen Beteiligten jeweils über eigene Modelle. Architekten planen das, was man mit dem bloßen Auge sieht. Mit dem Innenleben der Wände – den Leitungen, Rohren oder Kabeldurchführungen – beschäftigen sie sich weniger. Tragwerksplaner modellieren mit dem Ziel, die Tragfähigkeit des Gebäudes sicherzustellen, sodass es allen äußeren Einwirkungen standhält. Bauunternehmen setzen BIM ein, um Konflikte zu erkennen oder Mengen zu ermitteln.

Für die Bauherren oder Eigentümer einer Liegenschaft sind letztendlich wiederum ganz andere Dinge wichtig. Was sie brauchen, ist eine digitale Abbildung des physischen Gebäudes, die sie bei dessen Betrieb unterstützt. Dabei können Sensordaten genutzt werden, um auf der Grundlage der tatsächlichen Bedingungen Simulationen und Prognosen anzustellen und informierte Entscheidungen zu treffen. Hierzu müssen sie ihre Projektziele bereits in der digitalen Umgebung festlegen und diese dann in die reale Wertschöpfungskette übertragen. Die Erzeugung eines digitalen Zwillings mit modernsten Technologien (wie beispielsweise Autodesk Tandem) ist die beste Möglichkeit, die Bedürfnisse auf Seiten der Eigentümer und Betreiber zu erfüllen. Dies gilt insbesondere für komplexe Bauprojekte wie Krankenhäuser, Schulen und Bürogebäude, bei denen man aus Erfahrung davon ausgehen kann, dass 80 Prozent der Gesamtkosten der Eigentümerschaft auf die Instandhaltungs- und Betriebsphase entfallen. Schließlich reden wir hier über Zeiträume von 30 bis 40 Jahren.

Bisher war es für Architekturbüros üblich, Eigentümern und Betreibern bestimmte Dateien aus der gemeinsamen Datenumgebung (Common Data Environment, CDE) zu übergeben. Diese bildet bekanntlich das Herzstück eines jeden BIM-Projekts. In naher Zukunft werden diese Dateisammlungen durch digitale Zwillinge ersetzt, die auf einer gemeinsamen Datenplattform (Common Data Platform, CDP) basieren, die wiederum das Zusammenführen sämtlicher Dateien und Daten aus den BIM-Prozessen gestattet. Da die auf diese Weise bereitgestellten Daten weitaus aussagekräftigere Einblicke in das Projekt bieten, lassen sich dessen Ziele optimal umsetzen.

Digitalisierung mit BIM sorgt für mehr Nachhaltigkeit bei der Instandhaltung

Es liegt auf der Hand: Erhalten Eigentümer und Betreiber mit der Übergabe einen digitalen Zwilling, haben sie optimale Voraussetzungen, ihre Instandhaltungskosten zu senken und Nachhaltigkeitsziele umzusetzen.

Stellen Sie sich beispielsweise ein Gebäude vor, bei dem die Liegenschaftsverwaltung alle sechs Monate die Filter der Klimaanlagen ersetzen muss. Diese und ähnliche Aufgaben wurden bisher oftmals mithilfe einer Tabellenkalkulation in MS Excel erledigt, in der alle Teile der Gebäudetechnik sowie die vorgesehenen Instandhaltungsarbeiten aufgelistet sind. In manchen Fällen sind darüber hinaus Informationen über den Standort der Filter, die Kosten für deren Austausch und die vom Instandhaltungspersonal für den Filterwechsel benötigte Zeit enthalten.

Wesentlich einfacher lassen sich derartige Informationeneinschließlich der Instandhaltungshistoriemit BIM überblicken. Die Gebäudeverwaltung kann den Einbauort der Filter im Modell abfragen und sieht auf einen Blick, an welche Systeme sie angebunden sind. Im Modell sind die Betriebsdaten für jedes spezifische Bauteil sofort abrufbar.

Digitale Zwillinge ermöglichen es Planern und Fachingenieuren, häufiger Simulationen durchzuführen und so für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen.

Gehen wir noch einen Schritt weiter und stellen wir uns vor, welches Potenzial die Künstliche Intelligenz (KI) in diesem Zusammenhang birgt. Endlich kann die Gebäudeverwaltung die Vorteile der vorausschauenden Wartung und Instandhaltung in vollem Umfang ausnutzen. Jedes System oder jede Komponente hat einen historischen Kontext. Die Verwaltung weiß nicht nur, wo sich diese Komponente befindet und woraus sie besteht, sondern kennt auch die relevanten Begleitumstände: Sie weiß, wie die einzelnen Gebäudeabschnitte genutzt werden, und sieht auf einen Blick, welche Witterung die Funktion der Komponente zuletzt beeinflusst haben könnte. Anhand von Erfahrungswerten aus der Nutzung und durch den Einsatz von maschinellem Lernen kann die Gebäudeverwaltung Vorhersagen darüber treffen, wann ein System wahrscheinlich an seine Leistungsgrenze stößt, und rechtzeitig entsprechende Wartungsmaßnahmen ergreifen. Diese Möglichkeiten eröffnet der digitale Zwilling, indem er den Wert der BIM-Prozesse nutzbar macht.

Darüber hinaus lassen sich digitale Zwillinge zur Steigerung der ökologischen Nachhaltigkeit einsetzen. Gebäude sind für rund40 Prozentaller städtischen Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Klimabilanz von Gebäuden zu optimieren und den Verbrauch von Strom, Wärme und Wasser zu senken. Wenn Gebäudemanager sich ausschließlich nach statischen Abbildungen richten, wissen sie nicht, wo sich die Hotspots befinden. Anders sieht es aus, wenn sie sich die Sensordaten in einem 3D-Modell anzeigen lassen. Wenn diese Sensoren im ganzen Gebäude verteilt sind, geben sie Aufschluss darüber, wie viel Energie bestimmte Gebäudeteile verbrauchen oder wo Wärme verloren geht.

Während eines kürzlich realisierten Projekts trafen sich Ingenieure von Autodesk mit einem leitenden Verwaltungsbeamten im französischen Grenoble. Dabei stellten die Ingenieure den Prototyp eines digitalen Zwillings eines Bürogebäudes der Regionalregierung vor. Anhand dessen konnte der Beamte nachverfolgen, was in dem realen Gebäude vor sich ging. So änderte sich beispielsweise die Raumfarbe in Abhängigkeit von der Raumtemperatur. Das Gebäude befindet sich in einer kalten Bergregion. Es war bereits am Montagmorgen um sechs Uhr großzügig geheizt, obwohl die meisten Menschen das Gebäude gar nicht vor neun Uhr betraten.

Digitalisierung in der Architektur mithilfe des digitalen Zwillings
Mithilfe eines digitalen Zwillings sind Eigentümer und Betreiber in der Lage, ihre Gebäude nachhaltiger zu bewirtschaften. Wichtige Kennzahlen wie Temperaturschwankungen und Stromverbrauch lassen sich in dynamischen 3D-Datenmodellen visualisieren.

Der Beamte fragte sich sofort, warum das Gebäude während dieser drei Stunden geheizt wurde, obwohl es leer stand. Dann fiel ihm auf, dass die Farbe eines Raums mitten im Gebäude ständig zwischen Blau und Rot wechselte. Wie man ihm erklärte, beschwerte sich die Person, die in diesem Raum arbeitete, stets über zu warme Raumtemperaturen und öffnete häufig das Fenster, um den Raum mit der kalten Bergluft zu kühlensogar über Nacht.

Diese beiden Beispiele veranschaulichen den Mehrwert, den die Digitalisierungin der Gestalt von digitalen Zwillingen, die aus einem cloudbasierten BIM-Prozess hervorgehen für Gebäudeeigentümer schafft.

Daten für das nächste Projekt

Digitale Zwillinge ermöglichen es Planern und Fachingenieuren, häufiger Simulationen durchzuführen und so für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen. So erwiesen sich im Zuge der COVID-19-Pandemie zuletzt besonders Modelle für Personenbewegungen zur Infektionsprävention in Gebäuden als hilfreich.

Zur Erstellung solcher Simulationen können Projektbeteiligte die Einsichten heranziehen, die sie während der Planungs-, Bau- und Nutzungsphase des Objekts sammeln konnten. An dieser Stelle erzeugen Technologien wie Generatives Design, KI und maschinelles Lernen, die Nutzern von Tools wie Autodesk Spacemaker zur Verfügung stehen, einen Mehrwert. Jede Einsicht, die dabei gewonnen wird, kann für die nächste Projektentwicklung genutzt werden.

Spacemaker unterstützt Architekten und Fachplaner beispielsweise dabei, die Planung von Schulgebäuden zu optimieren, indem Entwürfe für Hunderte von Schulen herangezogen werden, die vergleichbare Rahmenbedingungen in puncto Größe, Lage und Anforderungen aufweisen. Das System kann sogar moderne Konzepte wie Social Listening einsetzen. Dabei werden Erwähnungen und Ranking dieser vergleichbaren Projekte in verschiedenen SocialMedia-Kanälen berücksichtigt. Die so erfassten Sentiment-Daten können einem Architekten als wertvolle Informationsquelle dienen, wenn er die Modernisierung eines Gebäudes plant oder einen neuen Entwurf erarbeitet.

Simulationen erleichtern die Planung in der Architektur
Mit Simulationen zum optimierten Entwurf: Generatives Design, KI und maschinelles Lernen bieten dem Architekten Einsichten, die aus einer Vielzahl ähnlicher Projekte stammen.

Wenn das Team weiß, dass ein bestimmtes Projekt um 30 Prozent schneller fertiggestellt werden konnte als eine bestimmte Alternative, oder dass ein vergleichbares Projekt mit Fertigteilen sehr erfolgreich war, hat es genau die Informationen zur Hand, die es braucht, um von Anfang an erfolgversprechende Konzepte zu entwickeln. Diese wichtigen Kenntnisse können schließlich in den BIM-Prozess und in den digitalen Zwilling einfließen.

Der digitale Zwilling erfasst weit mehr als das Bauwerk. Auf Ebene der Stadt- und Verkehrsplanung können digitale Zwillinge genutzt werden, um die Errichtung und Unterhaltung von Brücken, Straßen, Autobahnen und Versorgungsinfrastrukturen zu optimieren.

Die AEC-Branche hat sich seit den Zeiten von Winkelmesser, Zirkel und Zeichenschiene enorm verändert. Der digitale Wandel und die Digitalisierung werden dazu beitragen, das Planen und Bauen durch Automatisierung und Zugriff auf Informationen schneller und besser zu machen, sodass die Bedürfnisse von Eigentümern und Nutzern besser erfüllt werden können.

Architekten wie Howard Roark aus dem zu Beginn erwähnten Filmklassiker wüssten die zusätzliche Zeit sicher zu nutzen, um ihrem ausgeprägten Drang nach Kreativität und Innovation nachzugehen. Das Wichtigste an der Digitalisierung ist jedoch, dass sie uns hilft, unsere Städte angesichts der zukünftigen Herausforderungen smarter und resilienter zu machen.

Über den Autor

Nicolas Mangon ist Vice President für Architektur, Ingenieur- und Bauwesen, Unternehmensstrategie und Marketing bei Autodesk. Außerdem ist er ein glühender Verfechter von Building Information Modeling (BIM). Nicolas Mangon sieht seine Aufgabe darin, die Transformation der Branche durch BIM und die Cloud anzuführen. Er erhielt seine Ausbildung am Institut für Infrastruktur und Tiefbau der renommierten Pariser Ecole Spéciale des Travaux Public und setzt auf die kontinuierliche Weiterentwicklung innovativer Lösungen für Architektur, Ingenieur- und Bauwesen.

Profile Photo of Nicolas Mangon, Autodesk VP - DE