Fachkräftemangel im Maschinenbau und wie man ihm entgegen wirken kann
- Fachkräftemangel im Maschinenbau: Wer es schafft, ihm entgegenzuwirken, hat auch nach Corona die Nase vorn.
- Innovative Lernformen und lebenslanges Lernen versprechen die Lösung. “Upskilling” bzw. Weiterbildung heißt das Gebot der Stunde.
- Mitarbeitende sollten selbst den Wunsch entwickeln, neue Technologien zu erlernen und dabei auch von Arbeitgebenden unterstützt werden.
Schon vor der Corona-Pandemie galt der Fachkräftemangel als Hauptsorge der Fertigungsindustrie. So sahen laut PwC Maschinenbau-Barometer Ende 2018 ganze 82 Prozent der befragten Führungskräfte deutscher Maschinenbauer im Fachkräftemangel das größte Wachstumshindernis für ihr Unternehmen. Als Folge des Fachkräftemangels rechnen die Befragten demnach auch mit steigenden Personalkosten, bedingt durch die nötigen Investitionen in qualifiziertes Personal und neue Talente.
Beispiel USA: Laut dem Bureau of Labor Statistics waren in der Fertigung noch im Juni 2019 ganze 486.000 Stellen zu besetzen. Am vorläufigen Tiefpunkt der Pandemie fiel die Anzahl der verfügbaren Jobs im Mai 2020 auf 306.000 und stieg im Juni um zehn Prozent auf 336.000 Stellen an. Noch immer gibt es wegen der Corona-Krise eine erkennbar geringere Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt – auch in Deutschland. Doch sind die damit verbundene Zwangspause und die Zeit der Kurzarbeit erst überwunden, werden sich bestehende Kompetenzdefizite in der Belegschaft wieder deutlich bemerkbar machen.
Dies zeigte sich bereits nach der großen Wirtschaftskrise in den Jahren 2007 bis 2009. Trotz enormer Anstrengungen ist es kaum einem Fertigungsunternehmen gelungen, ausreichend qualifiziertes Personal zur Bedienung der wiederauflebenden Nachfrage zu finden. Dieser Mangel an Fachkräften in der zunehmend technologiebestimmten Fertigungsbranche wurde in vielen Ländern auf ein mangelndes Interesse an MINT-Studienfächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) zurückgeführt. Plötzlich sind besonders Kompetenzen auf den Gebieten der Künstlichen Intelligenz, des maschinellen Lernens, der Software- oder der cloudbasierten Entwicklung gefragt. Aber die Lücke ist nicht nur akademischer oder digitaler Natur. Auch für traditionelle Aufgaben, wie die Bedienung der Maschinen, die Montage, das Qualitätsmanagement oder die technische Arbeitsvorbereitung ist qualifiziertes Personal schwer zu finden.
Teil des Problems sind die demografischen Gegebenheiten. Ob mit 63, 65 oder 67 Jahren: In der Fertigungsbranche gehen mehr Arbeitnehmende in Rente, als neue Talente nachrücken. Aber nicht alle sind davon überzeugt, dass der Fachkräftemangel im Maschinenbau wirklich existiert. So gibt es auch Stimmen, die meinen, es gebe genügend qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Vielmehr seien die Fertigungsunternehmen nicht bereit, ihnen eine attraktive Entlohnung anzubieten. Auch würden die Unternehmen das Problem selbst verschärfen, indem sie bei der Neubesetzung von Stellen immer höhere Anforderungen an die Ausbildung und Berufserfahrung ihrer potenziellen Bewerberschaft stellen.
Für Dr. A. John Hart, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), liegt die Ursache des Problems nicht in übertriebenen Anforderungen an neue Fertigungsmitarbeitenden, sondern vielmehr daran, dass diese in der Lage sein müssen, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen während ihrer gesamten Laufbahn immer wieder sehr schnell anzupassen. „Wir müssen für ein Klima sorgen, in dem die Mitarbeiter selbst den Wunsch entwickeln, neue Technologien zu erlernen und die Möglichkeiten dazu auch von den Arbeitgebern geschätzt werden. Sobald Mitarbeitende im Unternehmen feststellen, dass ihre gegenwärtigen Kompetenzen nicht mehr so stark gefragt sind, sollten sie die Möglichkeit bekommen, neue Fähigkeiten zu erlernen und sich dann selbstbewusst anbieten“, erklärt er seinen Weg.
Die richtigen Fähigkeiten zur richtigen Zeit
Hart weist darauf hin, dass Arbeitnehmende ihre Rolle in der Arbeitswelt der Zukunft besser verstehen müssen. Dementsprechend seien neben institutionellen Ansätzen auch zugängliche Angebote gefragt, die die Arbeitnehmenden in die Lage versetzen, sich auf einem dynamischen Arbeitsmarkt einer technologieintensiven Branche zu behaupten.
Neben seiner Arbeit als Professor für Maschinenbau leitet Hart das Laboratory for Manufacturing and Productivity und das Center for Additive and Digital Advanced Production Technologies am MIT. Darüber hinaus hat er einen Online-Kurs für Fachkräfte entwickelt, die sich mit dem industriellen 3D-Druck vertraut machen möchten.
Hart kennt die traditionellen Schulungsformate für Fachkräfte in der Fertigungsbranche nur zu gut. „Es gibt immer eine Lücke zwischen den Kompetenzen, die Fertigungsmitarbeiter zu einem bestimmten Zeitpunkt mitbringen, und den Skills, die sie brauchen, um viele der neuartigen Fertigungstechnologien zu beherrschen, zu implementieren und umzusetzen“, sagt er mit Blick auf Technologien wie Robotik, Automatisierung oder 3D-Druck. Wichtig sei auch die Fähigkeit, Wissen aus Daten zu extrahieren und auf die Fertigung anzuwenden. „Es gibt einen zunehmenden Bedarf an einer praktischen Ausbildung, die die Lücke zwischen Lehre und technischem Studium schließen kann.“
Außerdem wünscht sich Hart neue Formate für Schulungen und Qualifizierungen – innovative Lernformen, welche die traditionellen Abschlüsse überholen. Dabei müsse der Fokus auf einem kontinuierlichen Lernprozess mit Upskilling und Reskilling liegen. Um dieses Niveau an stetiger Weiterbildung, Höherqualifizierung und Umschulung des Personals zu erreichen, sei auch staatliche Unterstützung in Form von Schulungsprogrammen gefragt. Doch auch die Fertigungsunternehmen müssen mitziehen und dafür sorgen, dass sie „die Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden über die normalen täglichen Aufgaben hinaus fördern“, macht Hart deutlich.
„Natürlich kann man an einem tollen Online-Kurs teilnehmen und dort auch Fragen stellen. Ohne praktische Erfahrung werden dabei jedoch kaum ausreichende Kompetenzen aufgebaut.“ – Dr. A. John Hart
Sicher stehen digitale Kompetenzen – sogenannte „Digital Skills“ – heute ganz oben auf der Liste der gefragten Fähigkeiten in einem Fertigungsunternehmen. Hart macht aber deutlich, dass Ingenieure als Anwender von Technologien wie maschinelles Lernen nicht gleich voll qualifizierte Datenwissenschaftler sein müssen. „Sie sollten allerdings verstehen, welche Fragen man stellen kann, und welche Antworten darauf plausibel und relevant sind“, erklärt er weiter.
Die Extraktion von Wissen aus Daten gehört in vielen Unternehmen zu den Kernkompetenzen. Dafür werden manchmal Datenwissenschaftler aus anderen Branchen eingestellt, die zusammen mit den eigenen Fachkräften Werkzeuge für Aufgaben wie Vor-Ort-Analysen oder die schnelle Werkstoffcharakterisierung entwickeln. Hart unterstreicht, wie wichtig es dabei ist, mit Experten anderer Fachgebiete zusammenarbeiten zu können. Es geht also nicht unbedingt darum, alle notwendigen Fähigkeiten selbst zu beherrschen.
Lebenslanges Lernen als Lösung für den Fachkräftemangel im Maschinenbau
Hart hat einen zwölfwöchigen Kurs über additive Fertigungstechniken für innovative Konstruktionen und Produktionsverfahren entwickelt, der sich an Fachkräfte richtet. „Darin werden die Grundlagen und die Anwendungen des 3D-Drucks vermittelt. Die Zielgruppe sind Ingenieure, Manager, Geschäftsführer und Fertigungsmitarbeiter“, erläutert der Initiator. „Das Interesse ist groß. Von der frischgebackenen Ingenieurin bis hin zu leitenden Angestellten möchten alle lernen, wie ihr jeweiliges Unternehmen von Anwendungen der 3D-Druck-Technologie profitieren könnte. Bisher haben rund 5.000 Menschen den Kurs absolviert. Einige von ihnen haben gerade eine neue Position übernommen und möchten den 3D-Druck in ihrem Unternehmen voranbringen.“
Hart lehrt auch die Grundlagen der Fertigungsprozesse – wiederum in einem speziellen offenen Online-Format, dem sogenannten „Massively Open Online Course“ (MOOC). Der Kurs bietet eine breite Einführung in Fertigungsprozesse und ist eine Art Online-Version der Vorlesungen über Fertigungsprozesse, die er für die Studierenden am MIT hält. Auch an diesem Grundlagenkurs, der sich eher an Einsteiger in die Materie richtet, haben in den letzten Jahren Tausende Menschen aus der ganzen Welt teilgenommen. Mehr als 400 von ihnen haben ihn mit einem MITx-Zertifikat abgeschlossen.
„Dennoch lassen sich viele dieser Themen in der Theorie nicht vollständig vermitteln. Die Programmierung eines Roboters oder die Durchführung eines Festigkeitsversuches sind Dinge, die man praxisnah ausprobieren muss“, sagt er. „Natürlich kann man an einem tollen Online-Kurs teilnehmen und dort auch Fragen stellen. Ohne praktische Anwendung werden dabei jedoch kaum ausreichende Kompetenzen aufgebaut. Da unsere Studierenden während der Corona-Pandemie alle online lernen müssen, sammeln wir derzeit viele Erkenntnisse darüber, was in puncto digitales Lernen effektiv ist und was nicht. Dabei muss nicht nur geklärt werden, wie man sich in Videokonferenzen oder Chaträume einwählt. Man muss sich darauf einstellen, den Studierenden Dinge zu schicken und sie mit modernsten Software-Tools zu begeistern. Dann genießen sie auch außerhalb des Campus oder der Werkhalle ein motivierendes Lernerlebnis.“
Dabei setzt Hart auch auf Techniken, die die Online-Lernerfahrung spannender machen können. So hat es sich beispielsweise bewährt, die Studierenden dafür zu sensibilisieren, wie die Fertigung ihr eigenes erlebbares Umfeld beeinflusst. „Wir bitten die Studierenden, sich zu Hause umzusehen. Sie sollen einen Gegenstand suchen, der im Spritzgussverfahren gefertigt wurde, ein Gussteil oder ein Teil aus Blech“, erklärt Hart. „Wenn sie es auseinandernehmen und Fotos vom Aufbau machen und die erforderlichen Festigkeiten berechnen, kann dies für sie eine lebensnahere Lernerfahrung sein.“
Hierbei handelt es sich um Weiterbildungskurse. Wenn man sie absolviert, führt dies nicht zu einem akademischen Grad, wenngleich man ein Zertifikat des Instituts erhält. „Ein Zertifikat vom MIT hat definitiv einen Wert“, ist sich Hart sicher. „Ich bin stolz darauf und möchte dem Ruf der Einrichtung gerecht werden.“
Ginge es nach Hart, so könnten die verschiedensten Institutionen beim Aufbau fehlender Kompetenzen eine Rolle spielen. „Ich hoffe, dass es in Zukunft eine engere Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen unterschiedlicher Größe und Standorte geben wird“, betont er und nennt sein Land als Beispiel: „Die Community Colleges werden eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, dem Fachkräftemangel in der Fertigung zu begegnen und die Arbeitnehmerschaft zukunftsfähig aufzustellen.“
Die globale Sicht
Der Fachkräftemangel in der Fertigungsbranche und im Maschinenbau ist nicht nur in den Vereinigten Staaten erkennbar. „Jemand in Deutschland, China oder Brasilien nimmt die Situation vielleicht nur ein wenig anders war“, sagt Hart mit Blick auf ein globales Problem. „Wie ich gehört habe, gibt es in China einen Mangel an Programmierern für computergesteuerte High-End-Fräsmaschinen, die sehr komplexe Teile für die Flugzeugindustrie herstellen können, beispielsweise Leichtbauteile mit komplexen Geometrien.“
Laut Hart müsse man das Problem also global angehen, während die zunehmende Anwendung der additiven Fertigung die Branche immer weiter in Richtung „Digitale Fertigung“ verändert. Er fügt hinzu, dass die Fertigung sich kostengünstig ins Ausland verlagern lässt. „Aber damit sind nicht nur Niedriglohnländer gemeint“, erklärt Hart. „Viele Länder bilden ein gemeinsames Ökosystem mit Lieferketten, Werkhallen und Fachkräften, die die nötige Flexibilität besitzen, schnell hochskalieren zu können und praktische Erfahrungen aus erster Hand aufzubauen.“
Das MIT bietet auch Summer Bootcamps zu Themen wie 3D-Druck an. Dabei handelt es sich normalerweise um einwöchige Präsenzkurse, die auf dem Campus stattfinden. Dementsprechend konnte die Universität diese Kurse 2020 nicht durchführen. So bleibt Hart nur die Hoffnung, das Angebot mindestens im nächsten Sommer fortsetzen zu können. Diese Kurse sind kurz, aber intensiv. Das bietet Vorteile, insbesondere im Hinblick auf das Netzwerken.
„Wir halten es getreu nach dem Motto des MIT: ‚The mind and hand‘. Das soll heißen, wir lassen praktische Erfahrungen in die Ausbildung einfließen, beschäftigen uns aber auch mit der Theorie und der Analyse“, sagt Hart. „Die besten Ingenieure und Innovationstreiber in der Fertigung beherrschen die wichtigsten technischen Prinzipien zur Lösung wichtiger Aufgabenstellungen. Damit erschaffen sie Technologien und Unternehmen, die unsere Welt nachhaltig voranbringen.“