Von grau zu grün – Wenn aus Flugasche Fliesen werden
Steinkohlekraftwerke produzieren nicht nur Strom, sondern auch enorme Mengen umweltschädlicher Flugasche. Sie wird meist aufgefangen und verschwindet dann in vielen Ländern – statt in der Atmosphäre herumzufliegen – in Böden und Flüssen. Das Unternehmen „Vecor“ aus Hongkong will damit nun aufräumen und recycelt die Flugasche zu Keramikfliesen. Dabei kooperiert Vecor mit Experten aus Deutschland – denn hier wird bereits seit den 1950er-Jahren Flugasche genutzt und zu 100 Prozent wiederverwertet.
Alex Koszo sieht sich als „Technologie-Unternehmer“. Der Ungare kam 2007 nach China und war entsetzt von der extremen Umweltverschmutzung, die er dort sah. Er fand eine Bauindustrie vor, die enormen Müll produzierte. Gleichzeitig beobachtete er einen riesigen Bauboom. „Das war kaum mit dem Mangel an Rohstoffen vereinbar, den wir auf diesem Planeten haben“, berichtet er.
Koszo fand heraus, dass in vielen Länder circa die Hälfte der Flugasche aus Wärmekraftwerken deponiert wird. Damit landen schädliche Stoffe wie Arsen, Quecksilber und Lithium in der Erde und im Grundwasser. Während Länder wie Deutschland bereits seit vielen Jahrzehnten Flugasche recyceln und aus dieser beispielsweise Zement produzieren, hinken Länder wie China, Australien, Russland, Südafrika und die USA noch nach.
Koszo wollte das ändern und arbeitete zunächst mit der australischen Universität von New South Wales in Sydney zusammen. Er kaufte das Patent, um aus Flugasche Ziegelsteine zu produzieren. Wenig später gründete er dann Vecor. Das Unternehmen verfolgt den Ansatz der Kreislaufwirtschaft, auch Circular Economy genannt. Die Flugasche soll aus dem linearen Kohleprozess herausgerissen werden und wertvolle Rohstoffe ersetzen, von denen wir auf diesem Planeten für unseren Bedarf ohnehin viel zu wenig haben.
Wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen
Für die Materialforschung arbeitet Vecor mit der RWTH Aachen zusammen. Gemeinsam mit den Wissenschaftlern fand man heraus, dass aus Flugasche Sand, Zuschlagstoffe, Füllstoffe für Lack und Kunststoff und schließlich Fliesen entstehen können. Letzteres konnte bereits aus dem Labor in die reale Welt übertragen werden und wird heute in der ersten Vecor-Fabrik in Zibo in der chinesischen Provinz Shandong produziert – einem Gebiet mit mehr als 40 Kohlekraftwerken.
Die Autodesk Foundation unterstützt die Idee von Vecor und lieferte verschiedene Software-Lösungen, um die chinesische Vorzeigefabrik zu planen und zu bauen. Der Autodesk-Vertriebspartner Excitech stand dem Vecor-Team sogar mit Schulungen zur Seite. So wurde Plant 3D, Inventor, Navisworks, Revit und AutoCAD eingesetzt, um die Fabrik in 3D zu modellieren. In der Autodesk-Software 3ds Max animierten die Ingenieure schließlich die Fabrik. Mit Vault werden die Daten verwaltet.
„Der Vorteil von Autodesk ist das sehr umfassende Softwareangebot. Die Lösungen decken das gesamte Planungs- und Bauspektrum solch einer neuen Anlage ab. Außerdem ist Autodesk sehr stark im Bereich IoT (Internet der Dinge): Die Forge-Plattform sehe ich als Schlüsselfaktor für die Entwicklung eines digitalen Zwillings unserer Fabrik“, sagt Dave Smith, Chefingenieur bei Vecor.
Als Kollisionsprüfungen am Computer durchgeführt worden waren und alle Rohre da platziert waren, wo sie hingehörten, begann der Bau am chinesischen Standort. Im März 2019 wurde die Fabrik schließlich eröffnet. Weitere sind bereits in Planung.
Flugasche ersetzt zu großen Teilen Ton
Der Verarbeitungsprozess ist genauso einfach, wie clever: Bevor die Flugasche verarbeitet werden kann, wird sie von Eisen und Carbon befreit. „Wir wollen an die Aluminium-Silikate herankommen“, erzählt der Gründer Koszo. Denn diese befinden sich auch im Rohstoff Ton – damit ist Flugasche in der Keramikindustrie ein idealer Ersatz für Ton, der bereits in einigen Ländern vollständig abgebaut und damit verbraucht worden ist. Mit der Flugasche (55 Prozent) und recyceltem Steinmaterial nutzt Vecor für seine Fliesenproduktion 70 Prozent recyceltes Material.
„Wir haben den Produktionsprozess von Keramikfliesen komplett auf den Kopf gestellt und ihn neu erfunden.” Alex Koszo, Gründer von Vecor
Neben dem Recyclingansatz hatte Vecor eine weitere Idee, um die Umwelt zu schonen. „Wir haben den Produktionsprozess von Keramikfliesen komplett auf den Kopf gestellt und ihn neu erfunden“, sagt Koszo. In der traditionellen Produktion werden Unmengen von Wasser verbraucht, um aus den verschiedenen Rohstoffen eine einheitliche Masse zu machen. Diese wird dann erhitzt, um das Wasser wieder „herauszukochen“. Diese Materialvorbereitung dauert normalerweise bis zu 40 Stunden.
Deutscher Hersteller liefert spezielles Mahlwerk
Vecor hingegen wollte Wasser sowie Zeit sparen und entwickelte einen Prozess, der kaum Feuchtigkeit braucht. Dafür arbeitete die junge Firma mit einem deutschen Maschinenhersteller zusammen, der ein spezielles Mahlwerk hierfür liefert. Die komplette Materialvorbereitung dauert damit nur fünf Minuten. Im Ergebnis spart Vecor 85 Prozent Wasser, 70 Prozent Rohstoffe und 15 Prozent Energie. Die Keramikfliesen bestehen aus speziellen porzellanartig verglasten Mikrofasern, wodurch sie sogar härter und widerstandfähiger als herkömmliche Keramikfliesen sind.
Für diese Erfindung gewann Vecor jüngst den „Best of Best“ des deutschen Iconic Awards 2019 in der Kategorie „Innovatives Material“. In der Jurybegründung dazu heißt es: „Eine höchst innovative Fliesenneuheit, die zu 50 Prozent aus Flugasche gefertigt wird, weniger Wasser und Energie für seine Herstellung benötigt und dadurch insgesamt sehr nachhaltig ist.“ Allein im Jahr 2019 gewann Vecor vier weitere Nachhaltigkeitspreise in China und den USA – die Honorierungen zeigen, was für einen Erfolg zirkulares Wirtschaften haben kann.