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Frauen in der Architektur: Eine transatlantische Perspektive auf die Gleichstellung

an illustration of a diverse workforce at an architecture firm standing in front of a building model
Mit dem gesellschaftlichen Fortschritt verändern sich auch Berufsfelder wie die Architektur, die sich verstärkt um den Aufbau einer vielfältigeren, inklusiven Belegschaft bemüht.
  • Frauen und marginalisierte Bevölkerungsgruppen sind in der Architektur nach wie vor unterrepräsentiert
  • Firmen und Berufsverbände sind bemüht, dem demografischen Wandel durch Gleichstellungsmaßnahmen und Beseitigung von Einstiegshürden gerecht zu werden
  • Outreach-Programme an Schulen und andere Initiativen zur Förderung von Vielfalt und Inklusion kommen nicht nur den betroffenen Kommunen, sondern auch der Architekturbranche insgesamt zugute

Als Planer unserer gebauten Umwelt leisten Architekten und Architektinnen einen wesentlichen Beitrag zur räumlichen und ästhetischen Gestaltung der Lebenswirklichkeit einer zunehmend von Vielfalt und Heterogenität geprägten Bevölkerung. Beispiel USA: Demografischen Prognosen zufolge ist davon auszugehen, dass nicht-hispanische Weiße schon 2045 weniger als 50 % der Gesamtbevölkerung ausmachen werden. In der Architekturbranche ist von diesem Wandel wenig zu spüren.

Nach Angaben des National Council of Architectural Registration Boards (NCARB) für 2022 waren 69 % aller zugelassenen Architekten in den USA weiße Männer, während Latinos (10,2 %), asiatischstämmige Amerikaner (15 %) und Schwarze (3 %) ebenso unterrepräsentiert sind wie Frauen, die insgesamt im Verhältnis von zwei zu fünf in der Unterzahl sind.

Viele Branchenfachleute sind sich jedoch einig, dass in den letzten Jahren bereits Fortschritte in Richtung Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion – das auch im deutschen Sprachraum häufig anzutreffende Kürzel „DEI“ steht für „Diversity, Equity, Inclusion“ – erzielt wurden. So sieht es auch der Gleichstellungsbeauftragte des globalen Marktführers Gensler, Jason Pugh: „Trotz vielversprechender Bemühungen um mehr Vielfalt und Inklusion hat die Branche noch einen weiten Weg vor sich.“

Gleichstellung ist in der Architekturbranche überfällig

Sichtbar werden die Früchte solcher Bemühungen u. a. an der Besetzung hochrangiger Führungsämter in mehreren US-amerikanischen Berufsverbänden durch Vertreterinnen der doppelt marginalisierten Minderheit der Afro-Amerikanerinnen: Kim Dowdell, die 2024 die Präsidentschaft des American Institute of Architects (AIA) übernahm, Angela Brooks als Vorsitzende der American Planning Association (APA) und Tiffany D. Brown als Executive Director der National Organization of Minority Architects (NOMA). 

Gary J. Nelson von NOMA begrüßt diese Entwicklung als „lange überfällige Beförderung von Angehörigen marginalisierter Gruppen“ und ist überzeugt, dass „es uns immer besser gelingt, jungen Menschen ein Interesse an unserer Branche zu vermitteln“.   

illustration of a diverse workforce at an architecture firm celebrating the promotion of a Black female architect
Auch wenn einige historisch marginalisierte Personen langsam die längst überfällige Beförderung erhalten, hat die Branche noch viel Arbeit vor sich.

Diese Erfolge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Afroamerikaner, die 13 % der US-amerikanischen Bevölkerung ausmachen, mit einem Anteil von 2,5 bis 3 % in der Architekturbranche bereits seit Jahrzehnten signifikant unterrepräsentiert sind. Und der erfreulichen Nachricht, dass Afro-Amerikanerinnen gleich mehrere prominente Führungsrollen besetzen, steht die Tatsache entgegen, dass die Gesamtanzahl aller in den USA zugelassenen afro-amerikanischen Architektinnen aktuell bei 593 liegt.

Auch die politische Stimmung in den USA ist den Erfolgsaussichten einschlägiger Bemühungen um mehr Vielfalt eher abträglich, wie Pugh anmerkt. „Insgesamt scheinen Gleichstellungsmaßnahmen und -initiativen im Zuge eines allgemeinen Backlash zunehmend unter Beschuss zu geraten. Das hat leider bereits dazu geführt, dass einige Architekturbüros, die 2020 noch vollmundige Bekenntnisse zugunsten von Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion abgelegt haben, sich inzwischen davon distanzieren.“

Nelson weist ebenfalls darauf hin, dass Frauen und Angehörige ethnischer Minderheiten nicht nur in Entscheidungsträgerfunktionen (etwa als Geschäftsführende oder Mitinhabende von Planungs- und Architekturbüros) weiterhin sehr stark unterrepräsentiert sind, sondern im Durchschnitt auch weniger verdienen als ihre weißen Kollegen.

Globale Einstiegshürden für Frauen und marginalisierte Bevölkerungsgruppen in die Architektur

In Großbritannien sieht die Lage nicht viel anders aus. „Die britische Architekturbranche ist nicht repräsentativ für die Gesellschaft, der sie dienen soll“, meint Robbie Turner, der als Director of Inclusion and Diversity am Royal Institute of British Architects (RIBA) für Gleichstellungsinitiativen zuständig ist. „Im gesamten Berufsstand sind Frauen im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil deutlich unter- und Weiße deutlich überrepräsentiert.“ Nur 31 % aller britischen Architekten seien Frauen, nur 2 % Schwarze (verglichen mit einem Bevölkerungsanteil von 4 %) und nur 1 % Menschen mit Behinderungen (bei einem Bevölkerungsanteil von 21 %).

Einen Grund für dieses Missverhältnis sieht Turner in der historischen Wahrnehmung der Architektur als „Beruf für privilegierte Weiße“. Pugh teilt diese Ansicht und weist darauf hin, dass der Beruf des Architekten früher eher den Söhnen sozioökonomisch bessergestellter Familien mit entsprechenden Beziehungen vorbehalten blieb. Frauen und Angehörige ethnischer Minderheiten bzw. anderer marginalisierter Gruppen waren weder im Berufsstand selbst noch in der universitären Forschung und Lehre vertreten.

Als weiteres Hindernis kommen die hohen Kosten für den Berufseinstieg hinzu. Insbesondere in den USA stehen astronomischen Studiengebühren (zwischen 50.000 und 175.000 USD) vergleichsweise niedrige Einstiegsgehälter gegenüber. Aus Stellenausschreibungen auf Indeed.com geht hervor, dass Berufsanfänger in mehreren US-Bundesstaaten nur mit einem Jahresgehalt von 35.000 USD (33.000 Euro) rechnen können.

Bis zur Zulassung durch die zuständige Architektenkammer müssen Berufsanwärter zudem eine jahrelange Studien- und Ausbildungszeit in Kauf nehmen, die gerade für angehende Architekten aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen ebenfalls eine erhebliche Einstiegshürde darstellt. Der US-amerikanische National Council of Architectural Registration Boards (NCARB) hat dieser Einsicht im vergangenen Jahr durch eine Lockerung der strengen Fristen für die Ablegung der einschlägigen Zulassungsprüfungen Rechnung getragen.

Vielfalt und Inklusion als Wettbewerbsvorteil 

an illustration of an architecture firm seeing profits rise because the diverse workforce built a thriving community
DEI ist eine Chance für beide Seiten: Gemeinschaften profitieren von einer integrativen Architektur, und Unternehmen erzielen bessere Geschäftsergebnisse und haben einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz.

Eines steht fest: Von mehr Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion in der Architekturbranche profitieren sowohl die Menschen, deren Lebenswelt sie gestaltet, als auch die Firmen selbst. 

Über ihre Bedeutung als ethischer Imperativ hinaus wirken sich einschlägige Initiativen, Richtlinien und Maßnahmen auch unterm Strich auf die Geschäftsergebnisse aus. Mitarbeitende mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen bringen einen Erfahrungsschatz mit, der das Unternehmen objektiv bereichert und ihm handfeste Wettbewerbsvorteile verschafft, meint Ramona Blake, die bei Mozilla als Vice President für die Förderung von Vielfalt, Gleichstellung, Inklusion und Nachhaltigkeit zuständig ist.

Eine 2020 von McKinsey & Company durchgeführte Umfrage ergab, dass Unternehmen, die sich für Vielfalt engagieren, tendenziell Innovation fördern, überkommene Denkmuster hinterfragen und ihre finanziellen Ergebnisse verbessern. Am stärksten waren diese Vorteile bei Unternehmen ausgeprägt, deren Führungskräfte und Mitarbeitende gemeinsam eine Kultur der Inklusion kultivieren, die ihnen das Gefühl vermittelt, am Arbeitsplatz wertgeschätzt zu werden, und sie befähigt, ihr authentisches Selbst einzubringen und einen sinnvollen und bewussten Beitrag zu leisten.

Die Umfrageergebnisse wiesen zudem eine eindeutige Korrelation zwischen Zugehörigkeitsgefühl und Engagement für das Unternehmen nach. Befragte aus allen Bevölkerungsschichten gaben an, dass sie die inklusive Unternehmenskultur potenzieller Arbeitgeber als Kriterium bei Berufsentscheidungen berücksichtigten und sich eine stärkere Förderung von Vielfalt und Inklusion am Arbeitsplatz wünschten.

Durch gezielte Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt und Inklusion in der Architekturbranche lässt sich gewährleisten, dass die Wünsche und Bedürfnisse sämtlicher Bevölkerungsschichten und -gruppen bei der Planung der gebauten Umwelt berücksichtigt werden. „Wir müssen dafür sorgen, dass unser Berufsstand besser in der Lage ist, Dialoge [mit Angehörigen verschiedener Gruppen und Gemeinschaften] zu führen“, resümiert Turner. „Nur so stellen wir sicher, dass wir den Ansprüchen einer Gesellschaft gerecht werden, die sich im Umbruch befindet.“

Outreach-Angebote für zukünftige Nachwuchskräfte

In der Praxis umfassen diese Fördermaßnahmen u. a. das Engagement von Berufsverbänden und Architekturbüros im Rahmen von Outreach-Programmen und Partnerschaften mit Schulen in ihren Kommunen, um Jugendliche aus allen Bevölkerungsschichten für Berufsangebote im Bereich Architektur, Ingenieurwesen und Bauwesen zu begeistern.

So berichtet Renee Byng Yancey, die ehemalige Beauftragte für Gleichstellung, Vielfalt und Integration bei der AIA, über eine neue Kooperation ihrer Organisation mit den Girl Scouts. Auf Initiative der ehemaligen AIA-Präsidentin Emily Grandstaff-Rice nahmen Vertreterinnen der AIA am Treffen der Pfadfinderinnen in Florida teil, wo sie das Gespräch mit Pfadfinderinnen und Gruppenleiterinnen suchten und Mentoring und Schnupper-Aktivitäten anboten.

Die NOMA organisiert im Rahmen ihres Project Pipeline Ferienlager, um eine größere Anzahl von Jugendlichen an die Architektur heranzuführen und langfristig die Zahl der zugelassenen Architekten aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu erhöhen.

Als Gleichstellungsbeauftragte bei der SSOE Group, einem weltweit tätigen Ingenieur- und Architekturbüro, vertritt Candice Harrison die Überzeugung, dass das Interesse für Ingenieurwesen und Architektur schon im Grund- und Mittelschulalter geweckt werden muss. Zu diesem Zweck unterhält SSOE beispielsweise eine Partnerschaft mit der Hawkins STEMM Academy in Toledo im US-Bundesstaat Ohio, wo das Team die Schulkinder durch praxisbezogenes Lernen mit Karrierechancen in den Bereichen Ingenieur-, Planungs- und Bauwesen vertraut machen will.

illustration of kids learning about architecture in grade school, going on a field trip and making models
Einige Architekturbüros beteiligen sich an Outreach-Programmen und Partnerschaften mit Schulen in ihren Gemeinden, um das Interesse von Kindern an Architektur, Ingenieurwesen und Bauwesen schon früh zu wecken.

„Wir haben ein Team von Mitarbeitenden aus unserem Unternehmen, das an diesen Aktivitäten an den Schulen teilnimmt“, sagt Harrison. „Die Grund- und Mittelschule ist der ideale Zeitpunkt, um die Kinder mit Ingenieurtechnik und Architektur vertraut zu machen, damit sie schon vor der Highschool ein Interesse an der Branche entwickeln. Auf diese Weise können sie die richtigen Kurse belegen, die ihnen später den Weg zur erfolgreichen Bewerbung um einen entsprechenden Studienplatz ebnen.“ SSOE bietet auch berufsbezogene Praktika für Highschool-Schüler und -Schülerinnen in Portland (Oregon) an.

Auch bei Gensler hat man längst erkannt, wie wichtig es ist, zukünftige Nachwuchskräfte bereits an den Schulen und Universitäten zu erreichen. Mit dem Pilotprojekt GAP (Gensler Apprentice Program) möchte das Unternehmen einen unkonventionellen Weg in den Beruf eröffnen, der keinen Hochschulabschluss erfordert und junge Menschen dazu einlädt, Kenntnisse und Kompetenzen in Echtzeit am Arbeitsplatz zu erwerben. Nach zwei Jahren können sie entscheiden, ob sie in Festanstellung für Gensler arbeiten, ein traditionelles Studium absolvieren oder etwas ganz anderes machen wollen. „Es gibt viele Gründe, warum ein College-Studium für manche Jugendlichen einfach nicht in Frage kommt: finanzielle Probleme, der Druck, möglichst schnell ins Berufsleben einzusteigen und Geld zu verdienen, die Familiendynamik oder auch schlechte Noten oder Testergebnisse – wobei wir genau wissen, dass sie keine zuverlässige Auskunft über die Intelligenz oder Eignung einer Person, geschweige denn über ihren zukünftigen Berufserfolg geben“, erläutert Pugh.

Hoffnungen auf eine Zukunft, in der Inklusion selbstverständlich ist

Mit konkreten Schritten zur Förderung von Vielfalt und Inklusion in der Architekturbranche bewegt sich der Berufsstand in Richtung einer besseren Repräsentanz marginalisierter Bevölkerungsgruppen. Berufsverbände und viele Architekturbüros haben ambitionierte Visionen, wie eine echte Gleichstellung aussehen könnte. Yancey möchte langfristig erreichen, dass die AIA sämtliche Einstiegshürden für Berufsanfänger – von hohen Studiengebühren und Ausbildungskosten über fehlende Chancengleichheit bis hin zu niedrigen Einstiegsgehältern – beseitigt.

Lienkie Diedericks, Spezialistin für Inklusion und Vielfalt am RIBA, formuliert ihr Ideal so: „Beim Betreten eines Gebäudes sollen die Menschen sofort das Gefühl haben, dass es für sie gebaut wurde – dass die Person, die das Gebäude geplant hat, aus einem ähnlichen sozialen Umfeld kommt und ähnliche Erfahrungen mitbringt wie sie selbst.“ Die Branche dürfe sich nicht mit der Rolle als „Schöpfer von Schönheit“ begnügen, sondern müsse einen echten Beitrag zum Gemeinwohl leisten.

Harrison wünscht sich, dass die SSOE Group als Arbeitgeber wahrgenommen wird, der sämtlichen Mitarbeitenden ein Gefühl von Zugehörigkeit und Wertschätzung ihres authentischen Selbst vermittelt. Pugh hofft auf eine Zukunft, in der alle Menschen unabhängig von Herkunft und sozialem Hintergrund die gleichen Chancen auf Erfolg haben und die Führungshierarchie seines Unternehmens die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegelt, für die es arbeitet. Nelson beschreibt seine Vision für eine Branche, in der „alle während ihrer gesamten Laufbahn und darüber hinaus nach ihrer Arbeit und nicht nach ihrer Identität beurteilt werden, in der niemand die eigene Kultur an der Tür abgeben muss und das Zusammenwirken von Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen zur Verbesserung unserer gebauten Umwelt beiträgt“.

Die englische Originalfassung dieses Beitrags erschien ursprünglich im März 2017 und wurde für die Neuveröffentlichung überarbeitet.

Über den Autor

Taz Khatri ist lizenzierte Architektin und Inhaberin des Architekturbüros Taz Khatri Studios. Ihr Unternehmen ist spezialisiert auf kleinere gewerbliche Projekte und Mehrfamilienhäuser sowie auf den Denkmalschutz. Wichtige persönliche Themen sind für Khatri die Stadtplanung, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit. Sie lebt und arbeitet in Phoenix, im US-Bundesstaat Arizona.

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