Gefragte Fähigkeiten bei Architekten: Flexibel sein und kritisch denken
- Der Marktdruck, der technologische Fortschritt und der Klimawandel führen dazu, dass sich die Fähigkeiten im Architekturberuf weiterentwickeln müssen
- Studierende in Architekturstudiengängen und Nachwuchsarchitekten müssen starke technische Fähigkeiten erlernen, ein Verständnis für die Geschichte und Theorie der Architektur gewinnen und ein hohes Maß an kritischem Denken entwickeln, um erfolgreich zu sein
- Im Rahmen ihrer Arbeit müssen sich Architekten mit den Auswirkungen eines Projekts auf den Standort, auf die umliegenden Gemeinden und auf globale und lokale Ökosysteme befassen
So schnell wie sich unsere Welt verändert, wandeln sich auch die Berufsbilder. Diese Beobachtung gilt besonders für den AECO-Sektor (Architecture, Engineering, Construction and Operations). Trotz der steigenden Kosten und hartnäckigen Lieferengpässe wird von den beteiligten Unternehmen erwartet, nicht nur das Planen und Bauen effektiv und nachhaltig zu gestalten, sondern auch den Betrieb von Gebäuden, Infrastrukturen und sonstigen baulichen Anlagen. Dabei sind vor allem in den Architekturbüros neue Fähigkeiten gefragt.
Doch wie macht sich dieser Wandel bemerkbar? Einen großen Einfluss üben technologische Weiterentwicklungen wie maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (KI) aus. Sie können Architekturschaffende dabei unterstützen, stets die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Projekte im Blick zu behalten und gleichzeitig raum- und ressourceneffiziente Entwürfe zu entwickeln. Die Architekten von morgen brauchen ein scharfes technologisches Verständnis, um Probleme auf höchstem Niveau zu lösen.
Gefragte Fähigkeit für Architekten: Technologie mit kritischem Denken verbinden
Architekten müssen längst in der Lage sein, sich in neuer Software zurechtzufinden und ständig neue Werkzeuge einzusetzen. Phil Bernstein, stellvertretender Dekan und Lehrbeauftragter an der Yale University School of Architecture, warnt jedoch davor, den Schwerpunkt dabei zu sehr auf spezifische technische Fähigkeiten zu legen. „Wir vermitteln den Studierenden in erster Linie eine für Architektinnen und Architekten zweckvolle Denkweise“, erklärt er. „Uns ist klar, dass viele Fähigkeiten, die wir ihnen heute mit auf den Weg geben, schon bald irrelevant sein können.“
Das ist an sich nichts Neues. So gehörte Alistair Kell – heute Chief Information Officer bei BDP– im Jahr 1993 in den USA zu den letzten Studierenden, die ihren Abschluss in Architektur noch bekamen, ohne computergestützte Zeichnungen in einem CAD-Programm erstellen zu müssen. Schon bald danach mussten sie die den Umgang mit AutoCAD lernen, denn inzwischen gehörte die Software zu den unabdingbaren Voraussetzungen für eine Anstellung in Architekturbüros.
Von den heutigen Berufseinsteigern werden neben den traditionellen Schlüsselfunktionen der architektonischen Arbeit ganz neue Fähigkeiten erwartet, weiß Kell. So müssen sie nicht nur in der Lage sein, neue technologische Ansätze wie Computational Design oder Skripte und Codes anzuwenden, sondern auch Daten und Datenstrukturen verstehen. Um mit den Daten arbeiten zu können, muss nicht jeder Architekt gleich zum ausgebufften Programmierer werden, denn auch hier lassen sich technologische Fortschritte nutzen. „Heute kann ich auch die KI ein Python-Skript für mich schreiben lassen“, erklärt Bernstein.
Junge Architektinnen und Architekten stellt es kaum vor Probleme, wenn sie für ihre aktuellen Projekte neue Tools einsetzen müssen. „Heutzutage sind die meisten Absolventen von Architekturstudiengängen Digital Natives, die ganz selbstverständlich von einer Technologieplattform zur nächsten wechseln“, so Amy Perenchio, Geschäftsführerin von ZGF Architects.
In der Architekturausbildung wird es jedoch weiter darauf ankommen, ganz bestimmte Denkfähigkeiten unter den Studierenden zu fördern. „Von uns Architekten wird verlangt, dass wir zur Lösung der uns gestellten Aufgaben auch alle uns zur Verfügung stehenden Technologien einsetzen“, verdeutlicht Perenchio. „Das Entwerfen ist jedoch unsere Kernaufgabe und dieser Prozess erfordert von uns vor allem eins: die Fähigkeit, kritisch zu denken.“
Dem stimmt auch Bernstein zu: „Im Kern versuchen wir diesen Menschen zu vermitteln, dass sie die nächste Generation von Denkern sind, die über die gebaute Umwelt nachdenken – darüber, worauf es dabei wirklich ankommt und wie man sie entsprechend gestalten kann.“
Für Kell bleibt die Kreativität eine Schlüsselkomponente des Architektendaseins, von der er hofft, dass der Beruf sie nie verliert. „Architekten müssen es verstehen, Technologie als kreatives Werkzeug zu nutzen, so wie sie einen Bleistift und einen Skizzenblock als Mittel betrachten, mit denen sie sich ausdrücken und kreative Lösungen entwickeln können“, macht er klar.
KI kann innovative Entwürfe fördern
Einen zweifellos gewaltigen Einfluss auf den Berufsstand werden kurzfristig Technologien wie maschinelles Lernen und KI haben. Laut Perenchio sucht die Branche in der aktuellen Phase nach Wegen, wie diese Tools am besten in der Praxis eingesetzt werden können.
David Beach, Associate Professor an der Drury University im US-amerikanischen Springfield, ist überzeugt, dass KI als technisches Werkzeug „unglaublich nützlich“ sein wird. Schließlich könne sie Kontrollen und Bilanzierungen übernehmen und so helfen, die Arbeitslast zu reduzieren, die mit der Modellierung oder mit redundanten Aufgaben verbunden ist. Kell ist derselben Meinung und verspricht sich von der Technologie nicht weniger als das Ende der „Plackerei, die in der ständigen Wiederholung der immergleichen Arbeit liegt“.
Beach zufolge wird besonders der Einsatz von KI im Entwurfsprozess für bahnbrechende Veränderungen sorgen. Früher hätte ein Team mehrere Monate dafür gebraucht, dutzende verschiedene Entwurfsvarianten zu entwickeln. „Jetzt können wir diese Art iterativer Entwurfsprozesse innerhalb von Minuten oder Stunden durchführen“, beschreibt er die Vorteile.
Um KI jedoch effektiv als Entwurfswerkzeug einsetzen zu können, kommt es seiner Meinung nach darauf an, „ein wirklich starkes Bewusstsein für ganzheitliches, analytisches und konzeptionelles Denken zu entwickeln“.
Das sieht Kell ähnlich: „Es geht nicht nur um Software.“ Zwar sei diese von elementarer Wichtigkeit, aber im Kern leben Architekturschaffende von ihren künstlerischen Fähigkeiten. „Es ist ein Beruf, der sich durch eine Sensibilität für Formen und ein individuelles Gespür für Raum und Materialität auszeichnet“.
„Den Prinzipien nach Vitruv muss selbstverständlich immer Rechnung getragen werden” stellt er klar. Dabei bezieht er sich auf die drei Hauptanforderungen an die Architektur nach Vitruv, die ein gelungener Entwurf immer erfüllen muss: Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit). „Wir müssen die Technologie so lenken, dass diese Prinzipien erfüllt werden. Der Anspruch an die Rolle des Architekten muss sein, das Leben der Menschen zu bereichern, nicht nur ihre Anforderungen zu bedienen.“
Architektur hat großes Potenzial zur Milderung unserer weltweiten Krisen
Eine der bedeutendsten Aufgaben der Architektur ist heute die Auseinandersetzung mit dem menschengemachten Klimawandel. Bernstein erkennt in der Lehre einen Paradigmenwechsel zu einem ganzheitlichen Ansatz. Das Selbstverständnis der Architektur habe sich in den letzten 20 Jahren von dem Anspruch „schöne Objekte zu entwerfen“ dahingehend gewandelt, dass sich „Objekte optimal in den Kontext einfügen“ sollen.
So bemühe man sich inzwischen viel stärker darum, im Entwurfsprozess „die Beziehung zwischen dem Entwurfsobjekt und seinen Auswirkungen auf die umgebenden Systeme einzubeziehen“. Die Betrachtung der Wechselwirkungen mit der Umgebung ist nicht auf den eigentlichen Standort oder das unmittelbare Quartier begrenzt, sondern erstreckt sich auch auf das gesamte Stadtgebiet, die angrenzende Region und letztlich die globalen Ökosysteme.
Darüber hinaus setzt auch Kell große Hoffnungen in neue Tools. „Mit den Technologien, die der Branche inzwischen zur Verfügung stehen, lassen sich Herausforderungen wie der Klimawandel besser meistern. So können wir unter anderem bereits in den frühen Entwurfsphasen den verkörperten Kohlenstoff berechnen und darauf hinwirken, diesen Aspekt der Projektauswirkungen zu reduzieren“.
„Gerade für eine effektive Reaktion auf den Klimawandel braucht es datengestützte digitale Lösungen, die sich in Architektur- und Ingenieurbüros immer stärker etablieren“, so Kell weiter. „Dennoch müssen wir das technologische Verständnis weiterentwickeln, um ihr volles Potenzial zu nutzen.“
Einen wichtigen Beitrag sollten Architekten in ihrer Rolle als „Baufachleute“ laut Beach auch bei Modernisierungsmaßnahmen übernehmen. Dabei sollten nicht nur die nutzungsseitigen Anforderungen an die Gebäude berücksichtigt werden, sondern auch die Auswirkungen der klimatischen Bedingungen auf seine Performance, wenn sich diese während der Nutzungslebensdauer verändern.
Zudem müssen Studierende seiner Meinung nach in der Lage sein, sich auf kommende Herausforderungen einzustellen. Dazu zählen Probleme in der Lieferkette, der Fachkräftemangel und steigende Kosten ebenso wie die Bewältigung einer potenziell stark zunehmenden Umweltmigration. Zu den vielversprechenden Ansätzen zählt Beach in diesem Zusammenhang Konzepte wie Vorfertigung und Modularität. „Wir glauben nicht zwangsläufig, dass man in Zukunft alle Bauaufgaben so lösen wird, aber unsere Studierenden müssen in der Anwendung dieser Bauweisen sehr versiert sein.“
Neben der so wichtigen Auseinandersetzung mit dem Klimawandel sieht Perenchio auch die Notwendigkeit, „Wege zu finden, um die Gesellschaft einzubinden und Randgruppen eine Stimme zu geben“. Dafür müssen Teammitglieder entsprechende soziale Kompetenzen mitbringen. „Sie brauchen viel Empathie und emotionale Intelligenz“, so Perenchio weiter.
Zwar müssen alle Architekten die weiterreichenden Auswirkungen eines Projekts berücksichtigen – für die jüngeren Generationen wird der Druck jedoch umso größer, findet Beach: „Sie müssen unbedingt herausfinden, wie wir die anstehenden Veränderungen am besten bewältigen können und wie wir verantwortungsvoll mit der Umwelt und den Menschen umgehen.“