Generatives Design und generative KI: Die Zeitenwende in der Fertigung steht bevor
- Die Produktentwicklung schreitet rasant voran, nicht zuletzt dank Technologien wie generativem Design und generativer KI
- Je mehr sich KI-basierte Prozesse bewähren, desto mehr Vorteile treten zutage: Es stehen bessere Iterationen zur Auswahl, von der Konzeption bis zur Produktion vergeht weniger Zeit und die Ergebnisse werden immer besser
- In den kommenden zehn Jahren werden generatives Design und generative KI die Analyse, Automatisierung und Augmentierung der Design-Arbeit unterstützen und dem Menschen den nötigen Raum schaffen, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen
An ihrem Eröffnungstag wurde die Golden Gate Bridge von 32.000 Fahrzeugen überquert. Heute wird sie tagtäglich von über 100.000 Fahrzeugen genutzt, die zudem durchschnittlich fast zwei Tonnen wiegen. Dass ein bald 90 Jahre altes Bauwerk diesen modernen Belastungen nach wie vor noch standhält, ist kaum zu glauben. Der Weg dorthin war jedoch lang und beschwerlich, von den ersten Konzeptzeichnungen im Jahr 1921 über Machbarkeitsprüfungen anhand eines Modells im Maßstab 1:56 bis zur feierlichen Eröffnung der Brücke 1937. Das Ergebnis ist jedoch nach wie vor eine technische Meisterleistung. Hätten die damaligen Ingenieursteams bereits auf generatives Design und generative KI zurückgreifen können, hätte der gesamte Prozess, unterstützt durch digitale Iterationen und Simulationen, vermutlich nur einen Bruchteil der tatsächlichen Zeit erfordert.
Entwickeln heißt immer auch Austesten. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich um Architektur, Ingenieurwesen, Bauwesen und Gebäudebetrieb (AECO), Entwicklung und Fertigung (D&M) oder Medien und Unterhaltung (M&E) handelt: Im Zentrum stehen immer Iteration und Prüfung. Dabei unterliegt die Produktentwicklung einem rasanten Fortschritt: Auf Computer-aided Design (CAD) folgten Automatisierungstechnologien wie das generative Design, die zur Optimierung von Arbeitsabläufen beitrugen, und heute ist es die generative KI, die noch schnellere Prozesse verheißt. Gemeinsam fördern generatives Design und generative KI den Erfindungsreichtum des Menschen und setzen neue Design-Maßstäbe. Jede dieser beiden Technologien birgt bereits allein enormes Potenzial. Doch wenn beide vereint wären, gäbe es so gut wie keine Grenzen mehr.
Präzisionsarbeit
Zu jeder Design-technischen Herausforderung gibt es hunderte, mitunter auch tausende mögliche Lösungsansätze, und lange Zeit war es reine Geistesarbeit des Menschen, daraus geeignete Lösungen herauszufiltern. Generatives Design ging schließlich aus einer elementaren Fragestellung hervor: „Angenommen, der Mensch wäre nicht in der Lage, alle potenziellen Lösungen für den Brückenbau zu erdenken? Angenommen, Software könnte das ändern?“
Dieser Gedanke kam um 2009 herum auf, als die Cloud zunehmend für umfangreiche Berechnungen eingesetzt wurde. Mit der Umkehr der Beziehung zwischen Produktentwicklung und Simulation brach schließlich die Zeit von generativem Design an. Eine Software kann jedes noch so verrückte Brückenkonzept erstellen und alle Konzepte in einer Simulation testen. Einige dieser Brückenkonstrukte fallen vermutlich in sich zusammen, andere wiederum bleiben jedoch stehen und einige sind sogar vielversprechend genug, genauer in Augenschein genommen zu werden.
Generatives Design liefert physikbasierte Endergebnisse, die erstaunlich genau den jeweiligen Design-Parametern entsprechen. Doch wie immer gibt es auch ein „Aber“: Der Mensch muss exakte Vorgaben zum jeweiligen Design-Problem machen. Dies ist äußerst zeitaufwändig, jedoch eine Grundvoraussetzung, um die gewünschten Resultate zu erhalten. Außerdem bedarf generatives Design immenser Rechenkraft, denn komplexe Projekte können schon einmal einen ganzen Tag oder auch länger in Anspruch nehmen – was jedoch nichts daran ändert, dass dies immer noch weit effizienter ist als der Mensch. Beispielsweise konnte das Formel-1-Team von Mercedes mit Hilfe von generativem Design eine Komponente für die Hinterradaufhängung seiner Boliden verbessern. Die Vorbereitung war zwar kostspielig und zeitintensiv, heraus kam jedoch ein Fertigungsverfahren, das statt 6 Wochen nur noch 48 Stunden dauert.
Häufig wird generativem Design der Stempel eines reinen Produktionstools aufgedrückt, obwohl sich die Technologie für alle erdenklichen Entwicklungs- und Fertigungsprozesse eignet. In der Medien- und Unterhaltungsbranche etwa dauert es in der Regel Monate, den Produktionsplan zu erstellen, umfasst er doch mehrere zehntausend Aufgaben, die zudem häufig aufeinander aufbauen. Hier wurde auf Grundlage von generativem Design die generative Planerstellung entwickelt. Wenn irgendetwas den Zeitplan durcheinanderbringt, kann die Software in kurzer Zeit alle daraus resultierenden Veränderungen ermitteln und Anpassungen vornehmen – eine unverzichtbare Fähigkeit für immer komplexer werdende Produktionen.
Auch bei der Produktverbesserung erzielt generatives Design mittlerweile Fortschritte, die früher undenkbar waren, zum Beispiel in Form von Komponenten, die 40 % weniger Material benötigen, 40 % leichter und günstiger sowie 30 % stärker sind als alles Vorhergewesene. Derartige Erfolge waren auch das ursprüngliche Ziel der Technologie und von Software wie Autodesk Fusion, und heute erschaffen sie Dinge, die das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigen.
Ein Manko hat generatives Design jedoch: Die Technologie betrachtet nicht alle in der Vergangenheit konstruierten Brücken, um davon zu lernen und neue Entwürfe darauf aufzubauen. Oder vereinfacht ausgedrückt: Generatives Design nutzt keine Daten. Hier kommt die generative KI ins Spiel.
Schnellere Entwicklung mittels großer Datenmengen
Künstliche Intelligenz hat bislang drei Phasen durchlaufen: Sie fand zunächst langsam Verbreitung, wurde dann gemieden, da niemand so recht daran glaubte, und feierte dann ein Comeback. Mit diesem Comeback konnte sich KI-Technologie schlussendlich durchsetzen und ist nun aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Einen großen Anteil daran hatte sicherlich der Chatbot ChatGPT, womit KI quasi über Nacht der Durchbruch gelang. Nachdem die Entwicklung künstlicher Intelligenz zwei Jahrzehnte lang immer weiter vorangeschritten war, konnte das Unternehmen OpenAI endlich zeigen, wozu eine KI imstande ist.
Generative KIs werden mit Unmengen an Daten gefüttert und können Verbindungen aufdecken, die kein Mensch erkennt. Zudem bietet die Technologie eine einfache Handhabung, hohe Zugänglichkeit und einen kurzen Turnaround, sodass schon nach wenigen Sekunden mehrere Lösungen parat stehen. Für Kreative, die einen Entwurf iterativ immer weiter ausarbeiten, ist das ein wichtiger Faktor. Sie erhalten dadurch neue Anreize und lernen immer weiter dazu, können durch Eingabe zusätzlicher Parameter die Ergebnisse jedoch auch weiter optimieren – ein Zykluskonzept, das Fachkräften aus den Bereichen AECO, D&M sowie M&E entgegenkommt.
Präzision gehört hingegen nicht zu den Stärken generativer KI, weshalb ein Brückenentwurf zwar inspirierend sein kann, aber nicht gleich 1:1 umgesetzt werden sollte. Denn generative KI nimmt keine Simulationen vor und berücksichtigt nicht alle Details, die für den Bau einer echten Brücke von Belang sind. Stattdessen zieht die Technologie die Daten vergangener Brücken heran. Demgemäß ergeben sich Entwürfe, die im Hinblick auf den Konstruktionsplan weniger spezifisch sind als bei generativem Design.
Damit eine generative KI zweckdienliche Resultate liefern kann, muss das zugehörige neuronale Netz angemessen trainiert werden, und zwar mit einem Datensatz, der die vom Menschen gewünschten Ergebnisse für spezifische Abfragen enthält. Für ein optimales Ergebnis müssen diese Daten darüber hinaus organisiert vorliegen und der KI in der Cloud bereitgestellt werden. Das ist auch der Grund, warum ChatGPT so beeindrucken konnte: Das Programm hatte Zugang zum gewaltigen Wortschatz des Internets. Bei jedem KI-Projekt entfallen ungefähr 80 % der Vorbereitung darauf, die Daten in eine Form zu bringen, mit der das jeweilige KI-System auch etwas anfangen kann. Ist diese Vorarbeit erst einmal geleistet, kann generative KI schier Unglaubliches vollbringen. McKinsey zufolge liegt der prognostizierte Produktivitätswert im Bereich von umgerechnet 2,4 bis 4,1 Milliarden Euro.
Mit vereinter Kraft
Entwicklungs- und Fertigungsteams auf der ganzen Welt arbeiten daran, die Früchte der letzten 15 Jahre Forschung in den Bereichen generatives Design und Simulation zu ernten und generative KI mit ins Boot zu holen. Generatives Design genießt in der Produktentwicklung und in der Fertigung bereits einen guten Ruf, und auch das Vertrauen in KIs steigt fortlaufend, obgleich der Technologie teilweise noch mit einer gewissen Skepsis begegnet wird. Laut dem anstehenden „State of Design & Make“-Report für 2024 von Autodesk vertrauen 76 % der branchenführenden Unternehmen der KI-Technologie, 78 % gehen davon aus, dass KIs ihre jeweilige Branche voranbringen werden, und 79 % sind der Ansicht, dass KIs die Kreativität fördern.
Mit beiden Technologien vereint wäre vieles möglich: So könnte die generative KI zu Beginn einige erste Lösungsentwürfe erzeugen, die anschließend entweder direkt einem Iterationsprozess unterzogen oder aber in Anwendungen für generatives Design eingespeist werden, um als Basis von Simulationen und den entsprechenden, den Anforderungen genügenden Ergebnissen zu dienen. Mit zunehmender Datenoptimierung könnten generative KI und generatives Design dann früher oder später einen organisch anmutenden Ablauf mit präzisen Resultaten erreichen.
Die KI-bedingte Revolution, die wir derzeit erleben, hat gerade erst begonnen und wird in der kommenden Dekade noch mit viel Überraschendem und Erstaunlichem aufwarten – vor allem, wenn sie zusammen mit generativem Design zu schnelleren, einfacheren und genaueren Arbeitsabläufen führt. Dies wird die Analyse, Automatisierung und Augmentierung der Design-Arbeit unterstützen und dem Menschen den nötigen Raum schaffen, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Somit sehen wir einer Zukunft innovativer, weltverändernder Ideen entgegen, deren Speerspitze die Entwicklungs- und Fertigungsteams ihrer Zeit bilden.