Out of the box – wie der Konzern STRABAG Generatives Design für nachhaltigeres Bauen einsetzt
- Das österreichische Unternehmen STRABAG gehört zu den weltweit zehn größten Baukonzernen. Die Themen Innovation und Digitalisierung werden dort seit Jahren intensiv vorangetrieben und sind seit Anfang 2020 in einem gesonderten Vorstandsressort gebündelt
- Weil vor allem in der frühen Planungsphase eines Bauprojekts der Einfluss auf Kosten, Termine, Qualität und Ressourcen am größten ist, setzt STRABAG genau dort an
- Generatives Design gibt den Planenden bei STRABAG und ZÜBLIN, der deutschen Konzerntochter für Hoch- und Ingenieurbau, Automatisierungstools an die Hand, mit denen sie vernetzter, effizienter und nachhaltiger arbeiten
Konstantinos Kessoudis steht in Stuttgart in der Teeküche im VR-Center des sogenannten ZÜBLIN-Hauses. Neben ihm leuchtet eine riesige Leinwand den Raum aus – von der Decke hängen mehrere Kameras. Im Gespräch geht es um die Herausforderungen der Digitalisierung in der Bauindustrie. Kessoudis zieht aus dem Regal hinter ihm eine Teebox heraus und beginnt zu erzählen:
„Die Teebox ist das Gebäude. Die Teebeutel dort drin sind die standardisierten Bauteile, die in dem Gebäude verbaut sind. Allerdings fehlt hier die Flexibilität, die Boxen sind vorkonfiguriert – unsere Bauwerke haben aber eine große Varianz. Die Teebeutel einzeln in der Planung zu managen, zu beliebigen Boxen zusammenzufassen – je nach Bauwerk – und diese auch noch mit der Fertigung zu vernetzen, das wäre schon ideal.“
Kessoudis – bei der SID, STRABAG Innovation & Digitalisation, Bereichsleiter in der Direktion BIM 5D – spielt damit auf die Maschinenbauer an, die schon seit den 1990er-Jahren in diesem „Teeboxsystem“ arbeiten – mit standardisierten und an die Fertigungsprozesse vernetzten Bauteile. Damit seien sie viel effizienter als die Bauleute. Als Paradebeispiel nennt er die sogenannte integrierte Fabrikplanung aus der Automobilbranche.
„Auf der Baustelle hingegen fehlt uns genau diese Anbindung der Planungselemente, der Teebeutel, an den Produktionsprozess“, so Kessoudis. Doch auch im Bausektor hat mittlerweile ein Umdenken in Richtung schlankere Prozesse stattgefunden, ist er doch inklusive Rohstoffbeschaffung, Bauprozess und Betrieb für fast 40 % der globalen CO2-Emmissonen verantwortlich.
Automatisierung und Vernetzung als Schlüssel für einen modernen Bau
Im Gespräch mit Kessoudis fallen immer wieder Worte wie Automatisierung und Vernetzung: „Mit Vernetzung reduzieren wir Ineffizienzen wie das Suchen auf der Baustelle.“ „Automatisierung hilft uns, wettbewerbsfähiger, aber auch nachhaltiger zu werden.“ Der gelernte Bauingenieur meint damit nicht nur die Verbindung zwischen Planung und Baustelle, sondern auch die Reduktion von Material sowie weniger schwere körperliche Arbeit auf der Baustelle durch den Einsatz von Robotik, 3D-Druck mit Beton, Visualisierungen mit Hilfe von VR-Brillen, aber auch Künstliche Intelligenz in der Planungs- und insbesondere der Bauphase.
Mit all diesen Innovationen will STRABAG den Bau produktiver gestalten und holt sich dafür Partner aus der Industrie wie Autodesk mit an Bord. Die Zusammenarbeit mit dem Softwareanbieter manifestiert sich in einem sogenannten „Letter of Intent“, der erstmalig 2020 vom Vorstandsvorsitzenden von Autodesk Andrew Anagnost und dem STRABAG-Digitalvorstand Klemens Haselsteiner unterschrieben worden ist. Erst vor Kurzem haben sich beide Partner entschieden, die erfolgreiche Zusammenarbeit fortzuführen. „Autodesk ist für uns ein perfekter Partner, weil der Softwareanbieter sowohl die Bau- als auch die Fertigungsindustrie im Blick hat und wertvolle Erfahrungen aus beiden Branchen in unsere Kooperation einbringen kann“, so Haselsteiner.
Generatives Design optimiert die Planungsphase bei STRABAG
STRABAG setzt seit Jahren klar auf innovative Technologien. Generatives Design ist dabei einer von vielen Innovationstreibern und beschäftigt bei STRABAG mittlerweile eine ganze Gruppe unter Dr. Marco Xaver Bornschlegl innerhalb der sogenannten STRABAG Innovation & Digitalisation, kurz SID. Fabian Evers ist der Leiter dieses Teams. Auch er nimmt das Wort „Automatisierung“ immer wieder in den Mund. „Wir denken die Planung neu: Uns geht es um automatisierte Prozesse. Wir übersetzen Architektur- und Bauwissen in Algorithmen, um die Planung zu automatisieren. Ist die Planung automatisiert, können wir schließlich auch die Gebäude optimieren“, erklärt der gelernte Architekt.
Was vorher in einer Excel-Tabelle händisch geplant worden ist, befindet sich von nun an in einem Automatisierungstool. Alles, was der Planende tun muss, sind die Rahmenbedingungen vorgeben und Planungsziele definieren. Diese werden in ein CAD-System eingespeist. Auf dieser Grundlage erstellt der Computer mithilfe von logischen Berechnungen und mittels evolutionären KI-Methoden in kürzester Zeit eine Vielzahl optimaler Entwürfe. Statt drei oder vier, entstehen so hunderte oder tausende Ideen. Diese enthalten zudem mehr und genauere Kennzahlen, als die Designer jemals zusammentragen könnten. Der Planende muss sich nur noch für die beste Lösung entscheiden.
Entwickelt wird diese Planungsmethode beispielsweise gemeinsam mit der STRABAG Real Estate (SRE), um Grundstücke zu bewerten: Innerhalb kürzester Zeit können die Projektentwickler herausfinden, wie eine Fläche bestmöglich bebaut werden kann. Parameter wie die optimale Sonneneinstrahlung, der CO2-Fußabdruck oder die Anzahl der Wohnungseinheiten berücksichtigt das Tool bereits von Anfang an.
Auch in der detaillierten Planung kommt Generatives Design zum Einsatz und „erleichtert den Planenden die Arbeit enorm“, so Evers. „Wir haben standardisierte Treppenhaus- und Aufzugsmodule programmiert, die sich nach Eingabe der Randbedingungen, wie z. B. der Stockwerkshöhe, bis hin zur Plandarstellung in Revit automatisiert generieren.“ Damit müssen die Planenden nicht jedes Mal bei einem neuen Bauprojekt Standardtreppen neu zeichnen, sondern können auf die „Blaupause“ zurückgreifen. Sozusagen ein Paradebeispiel für den „standardisierten Teebeutel“.
„Durch das generativ gestaltete Treppenmodul sparen wir in der Planung viel Zeit: Statt drei Wochen Tüftelei steht eine Treppe innerhalb von einem Tag“, sagt Evers. Die Planenden müssen sich nicht mehr an der Modellierung einfacher Bauteile abarbeiten. Wände lassen sich viel leichter versetzen, um Grundrissvarianten durchzuspielen, da die Module sich vollautomatisch an Änderungen im Modell anpassen. Das verschafft wertvollen Zeitgewinn, um auf individuelle Kundenwünsche eingehen zu können.
Perspektivisch wollen STRABAG und ZÜBLIN nach dem Vorbild des Treppenhauses Teile von Gebäuden oder auch ganze Gebäude als Bausystem – wie in einer Teebox – entwickeln, welche automatisiert geplant, produziert und auf der Baustelle zusammengebaut werden. Damit verbindet der Konzern die Planung mit der Produktion und schließlich der Montage auf der Baustelle – schnittstellenlos und digitalisiert.
Algorithmen vernetzen Planer am Modell
Planende, die vorher in Silos gearbeitet haben, rücken in dieser Arbeitsweise mehr zusammen. Architekten, Tragwerksplaner, Haustechniker, Nachhaltigkeitsexperten, Brandschutzbeauftragte, Fassadenplaner und Statiker kommen an einen Tisch, verstehen Abhängigkeiten besser und betrachten das Gebäude gesamtheitlich. Kurzum: Die Planung wird durch Generatives Design vernetzter.
Einer der größten Vorteile von Generativem Design in der Bauwirtschaft ist jedoch die Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeitsexperten, die konventionell eher erst am Ende der Planungsphase zu Wort kamen, haben durch die neue digitale Planungsmethode bereits zu Beginn eine Stimme, da der CO2-Fußabdruck bereits vom Tool berücksichtigt wird.
„Das ist eine massive Unterstützung Richtung nachhaltigerem Bauen“, findet Evers. Denn Planungsentscheidungen basieren nicht mehr ausschließlich auf Erfahrungswerten der Experten, sondern auf Fakten und Parametern. Würde man ohne Generatives Design ein Kunststofffenster einbauen, weil man es schon Jahre lang so gemacht hat und es kurzfristig ökonomischer ist, schlägt das Automatisierungstool den Planenden nun ein Fenster aus Aluminium vor, da es länger hält und damit nachhaltiger ist.
Mit Automatisierungstools wie mit Generativem Design lässt sich der Planungs- und Bauprozess also revolutionieren, davon ist der Baukonzern STRABAG überzeugt. Prozesse werden beschleunigt, Experten an einen Tisch gebracht, Planung, Produktion und Montage gehen Hand in Hand. Zeit, Kosten und Ressourcen gespart. „Optimierung“ ist das Zauberwort. „Automatisierung“ der Zauberstab. Und die Teebox? Die ist der Hut, aus dem die Planer genormte Bauteile für die Fertigung herauszaubern.