Maßgeschneiderte Harley-Davidson Ersatzteile durch Generatives Design
- Das Geschäft mit Motorradersatzteilen brummt: MJK Performance aus Kanada stellt z. B. maßgeschneiderte Aftermarket-Komponenten für Maschinen von Harley-Davidson her
- Die Zielgruppe: Fans, die ihre Motorräder in Sachen Optik und Fahrgefühl nach dem Vorbild europäischer Rennmotorräder nachrüsten möchten
- Dabei setzt das Team auf die Vorteile des Generativen Designs und arbeitet mit der Software Autodesk Fusion 360
Seit 2007 bietet das in Calgary ansässige, fünf Mitarbeitende starke Unternehmen sowohl über die eigene Website als auch über ein weltweites Partnernetzwerk maßgeschneiderte Nachrüstkomponenten für Motorräder aus dem Hause Harley-Davidson an. Neben bewährten Hilfsmitteln wie zwei 5-Achs-Fräsmaschinen, einer 3-Achs-Fräsmaschine und einer Drehbank setzt man dabei immer wieder gerne auf innovative, fortschrittliche Technologien. Wie Miteigentümer und Planungsexperte Phil Butterworth betont, sei die Kundschaft von MJK Performance gerne bereit, für erstklassige Qualität gutes Geld zu zahlen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen sei MJK Performance, so Butterworth, einigermaßen vor den wirtschaftlichen Folgen der pandemiebedingten Lockdowns verschont geblieben: „Wir können auf einen treuen Kundenstamm zählen, der uns auch während der Pandemie erhalten geblieben ist. Da wir außerdem ein kleines Team sind, war es nicht allzu schwer, ein Hygienekonzept einzuhalten. Wir haben das große Glück, nach wie vor rund um die Uhr mit Aufträgen beschäftigt zu sein. Die Produktion läuft immer noch auf Hochtouren.“
Die Entscheidung, die Vorteile des Generativen Designs zu erproben, erschien MJK als logischer nächster Schritt – und die Ergebnisse sprechen für sich: Dem Team ist es gelungen, leistungsstarke Komponenten zu entwickeln, die dem unverkennbaren visuellen Stil von Harley-Davidson treu bleiben, zugleich aber durch eine einzigartige Leichtigkeit überzeugen. In einer ersten Etappe unterstützte die Technologie Butterworth und seine Kollegen bei der Fertigung einer innovativen Gabelbrücke: Diese ist auf der einen Seite mit den Standrohren der Teleskopgabel verbunden, während die andere Seite über an der Vorderradachse angebrachte Sturzpads verfügt.
„Uns geht es in erster Linie darum, unsere Komponenten so leicht und stabil wie möglich zu gestalten. Unsere Produkte sind aber auch für ihr schickes Design bekannt“, so Butterworth. „Herkömmliche Gabelbrücken sind groß und sperrig. Sie gehören wahrscheinlich zu den schwersten Teilen, die wir anbieten. Deshalb haben wir uns darauf konzentriert, eine möglichst leichte Alternative zu entwickeln, ohne Kompromisse in Sachen Optik einzugehen.“ Mit dem Ergebnis war das Team derart zufrieden, dass man noch in derselben Woche mit der Produktion begann.
Wenngleich sein Team bereits zuvor mit dem Konzept des Generativen Designs vertraut war, hatte Butterworth bis dato an der Fähigkeit der Technologie gezweifelt, den optischen Ansprüchen seiner Marke gerecht zu werden.
„Ich habe den Begriff eigentlich immer mit eher merkwürdigen spinnenartigen Formen in Verbindung gebracht“, gesteht er. „Daher rechnete ich bestenfalls mit etwas kantigeren, albern aussehenden Versionen unserer bisherigen Modelle. Aber das Ergebnis hat mich umgehauen. Das Modell war wirklich schnittig – man erkannte, dass Generatives Design im Spiel war, aber zugleich hatte es den ansprechenden, vertrauten Look von Harley-Davidson. Ich persönlich hätte es direkt gekauft. Für uns war klar, dass wir auf dem richtigen Weg waren.“
Nachdem das Team in Autodesk Fusion 360 eine Reihe von Entwürfen erstellt hatte, verbrachte Butterworth nur knapp 20 Minuten damit, Ecken und Kanten abzurunden bzw. zu verfeinern, um die für Harley-Davidson typischen Designmerkmale hinzuzufügen. Dank der mithilfe der Software durchgeführten Leistungssimulation wusste er, dass das Modell die entsprechenden praktischen Anforderungen erfüllen würde, sodass er seine Aufmerksamkeit voll und ganz der Optik widmen konnte.
Tatsächlich vergingen zwischen dem Rendering des Modells und der Fertigstellung des ersten Prototyps nur wenige Stunden – mit nahezu perfektem Ergebnis: Die generativen Verfahren erwiesen sich als ideale Ergänzung zu den herkömmlichen Fertigungsmethoden, und der Algorithmus war in der Lage, das Endprodukt im Alleingang zu 80 bis 90 % fertigzustellen. „Wir mussten quasi nur noch das Logo hinzufügen und dem Ganzen den maschinellen Feinschliff verpassen“, erinnert sich Butterworth.
Produktion auf Hochtouren
Neben einem ausgeprägten Sinn für ansprechendes Design ist MJK außerdem für kurze Lieferfristen bekannt. Auch hier ließen sich dank Generativem Design Vorteile erschließen: Betrug die normale Durchlaufzeit einer Komponente für die Harley-Davidsons bisher bis zu zwei Tage, so lassen sich die per Computer generierten Modelle nun innerhalb eines einzigen Tages umsetzen – in Butterworths Augen ein sensationeller Erfolg.
„Man lernt mit der Zeit dazu”, versichert er. „Am Anfang gab es einige Startschwierigkeiten, da das Ganze für mich noch Neuland war. Es gab zum Beispiel eine Menge Begriffe, die ich nicht verstand. Aber wenn man sich darauf einlässt, ist der Prozess wirklich intuitiv.“
Angesichts des Erfolgs seiner Gabelbrücke zieht das Team von MJK in Betracht, auch andere Produkte im generativen Verfahren herzustellen. „Wir experimentieren zurzeit mit Felgen, Kettenantrieben und einer Reihe kleinerer Komponenten“, so Butterworth. „Die Ergebnisse entsprechen noch nicht ganz unseren Vorstellungen, aber wir sind zuversichtlich, dass wir Verbesserungen feststellen werden, je mehr wir über die Technologie lernen.“
Als einer der größten Vorteile hat sich die Zeiteinsparung erwiesen, die sich aus der Möglichkeit ergibt, sämtliche Details in Fusion 360 zu entwerfen, zu simulieren und zu verfeinern. Obwohl das Produkt bei MJK bereits seit Jahren genutzt wird, habe der Einsatz von Generativem Design, so Butterworth, seinem Team neue Chancen eröffnet.
„Die bearbeitbaren Modelle sind von unschätzbarem Wert“, meint er. „Ich weiß, dass eine Komponente sämtliche Leistungstests bestehen wird, noch bevor ich überhaupt mit dem Programmieren der Fräse beginne. Ich muss die Belastbarkeit nicht manuell prüfen und kann übermäßigen Planungsaufwand vermeiden. Keine Ahnung, wie die Gewichtsoptimierung im Rahmen der Simulation genau funktioniert – aber auf jeden Fall hat das im Generativen Design entworfene und anschließend im CNC-Fräsverfahren mit 2,5-Achs-Bearbeitung gefertigte Modell unsere Anforderungen auf Anhieb erfüllt.“
Die Software ermöglicht die Erstellung von Kostenschätzungen für verschiedene Entwürfe und Herstellungsverfahren – eine Funktion, die es dem Team von MJK ermöglicht, flexibel zu bleiben und sich jeweils kurzfristig für die beste Fertigungsmethode zu entscheiden.
Generatives Design als Alleinstellungsmerkmal
Bei allen Vorteilen stellt sich dennoch die Frage: Wie stehen die Kunden von MJK zu Generativem Design? Spielt es – vorausgesetzt, die Komponenten erfüllen ihren Zweck – eine Rolle, ob diese von Mitarbeitenden, einem Computer oder vielleicht sogar im Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine hergestellt wurden? Ist der Einsatz von Generativem Design unter Umständen sogar ein Verkaufsargument?
Tatsächlich stößt die neue Arbeitsweise des Unternehmens bei der technikaffinen Kundschaft laut Butterworth zunehmend auf Anklang. „Begriffe aus den Bereichen der Fertigung und des Designs sind vielen Menschen seit Jahren bekannt. Wenn man damit wirbt, dass man Generatives Design einsetzt, um superleichte und -robuste Motorradkomponenten herzustellen, weckt man dementsprechend das Interesse von Kunden. Sie wollen diese coole Technologie in Aktion erleben.“
Die traditionsreiche Geschichte von Harley-Davidson ist maßgeblich von altbewährten handwerklichen Formgebungs- und Produktionsprozessen geprägt. Dementsprechend mag es unwahrscheinlich erscheinen, dass der Motorrad-Gigant in Zukunft zur Speerspitze der Computer- und Cloud-gestützten Fertigung avancieren wird. Fest steht jedoch: Für die Kunden des Unternehmens ist die Art und Weise, wie bei MJK Performance Vergangenheit und Zukunft verschmelzen, ein wahrer Renner.
Generatives Design – nicht nur bei Harley-Davidson ein Erfolgsgeheimnis
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