Skip to main content

Igor Sikorski, Erfinder des Helikopters, erfüllte der Menschheit den Traum vom Schweben

Igor Sikorsky mit Hubschrauber. Bildgestaltung: Earl Otsuka.

Helikopter sind heutzutage nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken – Flugdrohnen sind mittlerweile sogar beliebte Kinderspielzeuge. Dass der Ursprung des maschinell betriebenen Schwebeflugs in einer abgehobenen Idee des russischen Ingenieurs Igor Sikorski liegt, ist dabei den wenigsten bewusst.

Am 14. September 2019 jährte sich Sikorskis Jungfernflug im Helikopter zum 80. Mal. Der Fluggerätehersteller Sikorsky Aircraft, der mittlerweile zum Rüstungs- und Technologiekonzern Lockheed Martin gehört, besteht seit 1923 und baut seit 1939 Helikopter für den militärischen und zivilen Gebrauch vom Tourismus bis zum Rettungseinsatz.

Igor Sikorskis Entwurf für den 1930 patentierten Helikopter. Mit freundlicher Genehmigung von Igor I. Sikorsky Historical Archives, Inc.
Igor Sikorskis Entwurf für den 1930 patentierten Helikopter. Credit: Igor I. Sikorsky Historical Archives, Inc.

„Sikorski wuchs in einer Zeit auf, in der das Konzept des Personentransports durch Fluggeräte noch als unerreichbarer Traum galt“, erzählt Dan Libertino, der Präsident der Igor I. Sikorsky Historical Archives. „Doch letztendlich konnte er sogar miterleben, wie der erste Mensch den Mond betrat. Er zählte zu einer kleinen Gruppe genialer Vordenker an, die diesen unerreichbaren Traum in die Realität umsetzen sollten.“

Sikorski kam am 25. Mai 1889 in Kiew zur Welt. Schon als kleiner Junge baute und steuerte er Modellflugzeuge und war begeistert von den Visionen Leonardo Da Vincis für die Luftfahrt, ganz besonders von seinem Konzept der „Luftschraube“, einem fantasievollen Entwurf eines Helikopters aus dem 15. Jahrhundert. Mit nur zwölf Jahren konstruierte Sikorski ein Modell eines Helikopters aus Bambus und Seidenpapier, das mit einem Gummiband betrieben wurde und tatsächlich abhob. Als er 14 Jahre alt war, läuteten die Gebrüder Wright im weit entfernten Kitty Hawk an der Ostküste der USA die Ära des maschinell betriebenen Flugverkehrs ein.

Paris, das damalige europäische Zentrum für Luftfahrtforschung

Sikorski studierte drei Jahre lang an der Kiewer Marineakademie und anschließend Maschinenbau am Polytechnischen Institut in Kiew. Noch als Student reiste er nach Paris, ins damalige europäische Zentrum für Luftfahrtforschung.

Igor Sikorski vor dem ersten Modell des Flugzeugtypen Ilya Muromets S-22 im Winter 1913–1914. Bild öffentlich zugänglich auf Wikimedia Commons.
Igor Sikorski vor dem ersten Modell des Flugzeugtypen Ilya Muromets S-22 im Winter 1913–1914. Bild öffentlich zugänglich auf Wikimedia Commons.

Als er 1909 mit einem 25 PS starken Anzani-Motor von seiner Reise zurückkehrte, baute Sikorski seinen ersten Helikopter in voller Lebensgröße, der über zwei gegenläufige Rotoren verfügte. Der 3-Zylinder-Motor mit 3,1 Liter Hubraum – das gleiche Modell, das Louis Blériot in seinem Flugzeug verwendete, in dem er als erster Mensch den Ärmelkanal überflog – reichte jedoch nicht aus, um seine Maschine in die Luft zu heben. Sikorskis zweiter Versuch im Jahr 1910 sah schon wesentlich vielversprechender aus: Die Maschine schaffte es immerhin, sich selbst vom Untergrund zu lösen, doch das zusätzliche Gewicht ihres Piloten Sikorski hielt sie unbeirrbar auf dem Boden der Tatsachen.

Sikorski wandte sich daraufhin von seinem Traum des vertikalen Flugs ab und beschäftigte sich mit konventionelleren Fluggeräten: den Starrflügelflugzeugen. Anfang des Jahres 1911 entwickelte er sein erstes praxistaugliches Doppeldecker-Flugzeug, das Modell S-5, das vier russische Flugrekorde aufstellte: eine Flughöhe von 500 Metern, eine Flugdistanz von 85 Kilometern, eine Flugdauer von 52 Minuten und eine Geschwindigkeit am Boden von 125 km/h.

Sikorski entwickelte eine Reihe von erfolgreichen Flugzeugen mit einfachen und doppelten Tragflächen. Die bekanntesten Maschinen dieser Zeit waren die Modelle von S-21 bis S-27, große Flugzeuge mit mehreren Antrieben. Die S-21 war das erste Flugzeug mit vier Motoren, das sich je in die Lüfte erhob, und das erste, bei dem Cockpit und Kabine integriert waren.

Nach der Oktoberrevolution floh Sikorski 1918 nach Paris und begann, einen großen Bomber im Auftrag der USA zu entwerfen. Der Waffenstillstand vom 11. November 1918 beendete jedoch seine Arbeit frühzeitig. Wenige Monate später wanderte er in die USA aus und arbeitete als Gründer der Sikorsky Aero Engineering Corporation weiterhin an Entwürfen für Tragflächenflugzeuge.

Die Modelle seiner Firma gehörten zu den Fliegern, mit denen Pan American Airways die ersten Interkontinentalflüge durchführte. Mit seinem Unternehmen entwickelte er auch Wasserflugzeuge, einschließlich der Clipper-Modelle für bis zu 40 Passagiere.

Seine Clipper-Entwürfe wurden zwar bis ins Jahr 1942 produziert; Sikorski selbst widmete sich jedoch bereits ab 1938 wieder seinem Traum des vertikalen Abhebens. Der erste funktionstüchtige Helikopter, der VS-300, wurde von Sikorski entworfen und von der Firma umgesetzt, die mittlerweile als Vought-Sikorsky Aircraft Division eine Tochter der United Aircraft Corporation war.

Dieses Modell verfügte als erster Helikopter über einen Hauptrotor, der ihn abheben ließ, und einen Heckrotor, um das Gegendrehmoment auszugleichen. Der Jungfernflug dieses ersten Hubschraubers fand – wenngleich aus Sicherheitsgründen noch angeleint – am 14. September 1939 auf dem Firmengelände in Stratford im US-Bundestaat Connecticut statt und Sikorski übernahm höchstpersönlich die Bedienung.

Igor Sikorski im Cockpit des VS-300 beim Jungfernflug des ersten Helikopters am 14. September 1939. Mit freundlicher Genehmigung der Igor I. Sikorsky Historical Archives, Inc.

Igor Sikorski mit seinem zweiten Helikopter, dem H-2, in Kiew im Jahr 1910. Mit freundlicher Genehmigung der Igor I. Sikorsky Historical Archives, Inc.

Igor Sikorskis Flugschein. Mit freundlicher Genehmigung der Igor I. Sikorsky Historical Archives, Inc.

Igor Sikorski zusammen mit Orville Wright kurz vor der Auslieferung des ersten Helikopters (XR-4) an das US-Militär auf dem Wilbur-Wright-Flugplatz im Jahr 1942. Mit freundlicher Genehmigung der Igor I. Sikorsky Historical Archives, Inc.

Sikorski hatte das Geheimnis des vertikalen Flugs gelüftet: Es lag darin, die Drehgeschwindigkeit der Rotoren verstellen zu können. Ebenso wie Starrflächenflugzeuge Propeller mit variabler Drehzahl nutzen, um den Schub optimal einstellen zu können (ähnlich wie das Getriebe in einem Kraftfahrzeug), machte die Kontrolle über die Drehzahl des Hauptrotors den vertikalen Aufstieg überhaupt erst möglich.

Nach dem erfolgreichen Jungfernflug des VS-300 entwickelten sich Sikorskis Helikopterentwürfe rasant weiter. Sikorski konstruierte immer raffiniertere und leistungsfähigere Helikopter, die vom Aufklärungs- und Spähgerät über den Kampfeinsatz und die Truppenlogistik bis hin zum Schwerlasttransport eine große Bandbreite an Funktionen übernehmen konnten.

Ein Leben für die Luftfahrt

Auch nach Sikorskis Pensionierung Ende der 1950er-Jahre ebbten seine Entschlossenheit und sein Drang, neue Modelle zu entwerfen und zu konstruieren, nicht ab. So blieb er für viele weitere Jahre beratender Ingenieur und ging weiterhin regelmäßig zur Arbeit. Der Vordenker der Luftfahrt starb am 26. Oktober 1972 im Alter von 83 Jahren.

Es ist nahezu unmöglich, sich die moderne zivile und militärische Luftfahrt ohne die Erfindung des Helikopters vorzustellen. „Sämtliche Bereiche des US-Militärs und viele Fluggesellschaften nutzen Helikopter von Sikorsky Aircraft“, berichtet Mike Ambrose, der die Konstruktions- und Technologieabteilung von Sikorsky Aircraft leitet. „Wir arbeiten weiterhin an der Reichweite, Geschwindigkeit, Sicherheit, Manövrierbarkeit und der Leistungsfähigkeit, damit unsere Geräte auch unter schwierigen und sich verändernden Bedingungen effektiv einsetzbar bleiben.“

Da Helikopter vertikal vom Boden aufsteigen, sind sie für verschiedene Einsatzbereiche perfekt geeignet, beispielsweise als Fluggerät für Touristen, die sich Wasserfälle auf tropischen Inseln aus der Nähe ansehen wollen, oder als Rettungsflugzeug, um gestrandete Seeleute von sinkenden Schiffen zu fischen. Als fliegende Kräne transportieren sie Baumaschinen auf die höchsten Hausdächer, als Kriegsgeräte unterstützen sie Bodentruppen und befördern Soldaten, Feuerwehrleute und Katastropheneinsatzkräfte an Orte, die sonst nur schwer erreichbar sind. Allein im Jahr 2018 retteten Fluggeräte von Sikorsky Aircraft 1.636 Menschenleben. Und die Firma arbeitet seit dem Jahr 2013 an Technologien für die autonome oder optional bemannte Luftfahrt.

„Unsere Innovationskultur lässt sich vollständig auf Igor und unsere fähigen Teams zurückführen, die seinem Vorbild gefolgt sind“, erklärt Ambrose. „Die Marktneuheiten, an denen wir heute arbeiten, übertragen Igors Ansatz in die heutige Zeit, jeden Menschen, egal woher und zu welcher Zeit, sicher nach Hause zu bringen.“

Vor kurzem jährte sich die Mondmission von Apollo 11 zum 50. Mal – ein Ereignis, das auch die historische Bedeutung von Helikoptern wieder ins kollektive Bewusstsein rückte. Schließlich war es ein Helikopter des Modells SH-3D, genannt „Sea King“, der die Astronauten der Apollo 11 aus ihrer Kapsel im Pazifik barg und sie zurück an Land brachte. Auch in der weiteren Geschichte der US-Raumfahrtprogramme übernahmen Fluggeräte von Sikorsky Aircraft die Bergung der Astronauten aus dem Atlantik und Pazifik.

Am 24. Juli 1969 wird der Astronaut Neil Armstrong vom Helikopter Nr. 66, einem SH-3D „Sea King“ von Sikorsky Aircraft, bei der Bergung der Apollo 11-Astronauten an Bord gezogen. Mit freundlicher Genehmigung des Naval History and Heritage Command in Washington, D.C. Fotografie von PH2 Milt Putnam, Soldat der U.S. Navy.
Am 24. Juli 1969 wird der Astronaut Neil Armstrong vom Helikopter Nr. 66, einem SH-3D „Sea King“ von Sikorsky Aircraft, bei der Bergung der Apollo 11-Astronauten an Bord gezogen. Mit freundlicher Genehmigung des Naval History and Heritage Command in Washington, D.C. Fotografie von PH2 Milt Putnam, Soldat der U.S. Navy.

Ohne die einzigartigen Einsatzmöglichkeiten von Helikoptern wäre eine solche Bergung aus dem Ozean wesentlich schwieriger, wenn nicht sogar völlig unmöglich. Helikopter haben schon regelrecht Kunststücke vollbracht, die mit anderen Einsatzgeräten nicht denkbar gewesen wären. Und sie alle gehen zurück auf die Träumereien eines russischen Jugendlichen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der die weitsichtigen Visionen eines Genies aus der Renaissance zum Leben erweckte.

„Igors Vermächtnis ist in allem zu spüren, was wir hier tun“, sagt Ambrose stolz. „Er wird bei uns verehrt. Seine Entschlossenheit, Kreativität und Zielstrebigkeit begleitet einen in unserem Betrieb auf Schritt und Tritt, vom technischen Forschungslabor bis hin zu jedem Helikopter, der den Hangar verlässt. Igor Sikorski erfand den Helikopter, um Menschenleben zu retten, und jeden Tag sind die Mitarbeiter von Sikorsky Aircraft stolz darauf, Maschinen zu konstruieren, die genau das können.“

Über den Autor

Gary McCormick ist seit 1981 als Maschinenbauer in der Planung, Fertigung und Prüfung tätig. Allerdings ist er auch einer jener seltenen Maschinenbauer im Silicon Valley, die ihr professionelles Leben nicht ausschließlich damit verbringen, Gehäuse mit interessantem elektronischem Innenleben zu entwickeln: Seit 2011 verwirklicht er sich nämlich auch als freier Schriftsteller (und widerlegt die These, Ingenieure könnten keine guten Geschichten schreiben).

Profile Photo of Gary McCormick - DE