Nachdem der RWTH Aachen-Professor Günther Schuh mit der Gründung der StreetScooter GmbH für Furore sorgte, legte er wenig später mit der Elektroautomarke e.GO nach. Das Aachener Unternehmen produziert heute Elektro-Fahrzeuge in Serie und ist damit in den Fokus von etablierten Automobilherstellern und der Fachpresse gerückt. Neben der Elektromobilität setzt e.GO vor allem auf eine smarte Fabrik. Mit modernsten Planungsmethoden spart das Start-up Zeit und Geld, indem es alle Baubeteiligten digital zusammenbringt.
Seit Jahrzehnten ist die Hochschule RWTH Aachen eine Kaderschmiede für die deutsche Automobilbranche. Einmal fertig studiert, verließen die Ingenieurtalente oft ihre Universitätsstadt und gingen zu Audi, BMW & Co. Jetzt aber gibt es auch in Aachen einen Automobilhersteller: die e.GO Mobile AG. Es ist ein Unternehmen auf dem Campus der RWTH Aachen mit dem Ziel, bezahlbare Elektromobilität auf die Straßen zu bringen. Mit dem Elektro-Kleinwagen e.GO Life produziert das Start-Up mit bereits 500 Mitarbeitern einen Stadtwagen für Endkonsumenten sowie einen Elektrokleinbus, den e.GO Mover.
Die e.GO Fabrik wurde digital mit Autodesk-Software geplant. Im integrierten Fabrikplanungsmodell wurden alle Baubeteiligten zusammengebracht. Credit: e.GO Mobile AG
In gerade einmal zwei Jahren sind bei e.GO zwei Fabriken entstanden. Credit: e.GO Mobile AG„Wir sehen nicht nur das Fahrzeug als Produkt, sondern auch unsere Fabrik“, betont Matthias Bertling, der ursprünglich Gruppenleiter bei dem Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen war und nun – wie viele andere Kollegen von ihm auch – zu e.GO wechselte. Bertling ist für die Fabrikplanung des Unternehmens zuständig. „Wir haben bei e.GO die modernste Fabrikplanungsmethode umgesetzt, die man sich derzeit auf dem Markt vorstellen kann“, ist sich Bertling sicher. In gerade einmal zwei Jahren sind bei e.GO zwei Fabriken in Aachen entstanden – und zwar parallel zur Produktentwicklung des Fahrzeugs und der Prozessgestaltung in der Fabrik. Eine dritte Fabrik befindet sich derzeit im Bau. Auch sie soll maximal flexibel gestaltet sein. Möglich ist das vor allem durch ein Cloud-basiertes BIM-Modell, das alle Gewerke vereint. Experten sprechen daher auch von „Integrierter Fabrikplanung“.
Von 2D auf 3D
In aller Regel bestehen Fabriklayouts heute immer noch aus reinen Strichzeichnungen in 2D: Unterbeauftragte Gewerke werden nicht digital integriert und wenn, dann nur als Platzhalter. Das Gebäude, die Technische Gebäudeausrüstung (TGA) und die Infrastruktur werden nicht oder nur unzureichend betrachtet, obwohl entsprechende Daten vorliegen.
Das Unternehmen e.GO hatte hingegen einen viel höheren Anspruch. Man wollte die Prozesse und Abläufe grundlegend verändern, um die Planungs- und Realisierungsdauer und somit die Produkteinführungszeit zu reduzieren. Und: Alle Baubeteiligten sollten in die Planung mit eingebunden werden: Architekten, Fabrikplaner, Bauunternehmer, Montageexperten, Brandschützer und andere Behörden. Ihre Entwürfe, Daten und Informationen wie Kosten, Lieferanten, Material und Flächengröße treffen sich zentral im integrierten Fabrikplanungsmodell. Wie bei einer Softwareentwicklung kommen die Baubeteiligten in Scrum-Logik alle drei Wochen während der Planungszeit zusammen, um im zentralen Modell die neusten Informationen einzuspeisen, Daten abzugleichen und sich auszutauschen.
e.GO Lux, eine Konzeptstudie, die an den e.GO Mover angelehnt ist. Der Elektro-Kleinbus e.GO Mover wird bereits in verschiedenen Städten getestet, u. a. im Olympiapark München im Rahmen des öffentlichen Verkehrsbetriebs. Credit: e. GO Mobile AG
Vodafone-Geschäftsführer Hannes Ametsreiter und e.Go Geschäftsführer Prof. Dr. Günther Schuh bei der Einführung des 5G-Netzes in der Fabrik. Im Hintergrund der Elektro-Kleinwagen e.GO Life. Credit: e.GO Mobile AG
Bei der integrierten Fabrikplanung von e.GO werden vor allem Lösungen von Autodesk eingesetzt. „Autodesk hat den Vorteil, sowohl Software für Maschinenbauer als auch für Architekten anzubieten. Damit vereint Autodesk gleich mehrere Disziplinen, die in einer Fabrik aufeinandertreffen: Architektur und Maschinenbau, aber auch Infrastruktur und die TGA“, so Bertling. Autodesk Revit kommt bei der Planung des Gebäudes und der TGA zum Einsatz, mit AutoCAD und Inventor modelliert man die Objekte in der Fabrik wie beispielsweise die Maschinen, mit Infraworks lässt sich die Umgebung abbilden und mit Navisworks führen die Baubeteiligten die Kollisionsprüfung durch. Das Koordinationsmodell, das alle Fachplanungen miteinander verknüpft, lässt sich in Autodesk VRED visualisieren. Die BIM 360-Plattform dient als zentraler Ablageort aller Daten mit Kommentarfunktion und Vault verwaltet die Informationen.
Digitales Datenmodell begleitet Fabrik über gesamten Lebenszyklus
„Mit dieser integrierten Fabrikplanung können wir bis zu 35 Prozent der Gesamtkosten sparen. Fehler werden früher erkannt und die Planungs- und Bauzeit verkürzt sich enorm“, weiß Bertling die Vorteile von digitalem Bauen zusammenzufassen. Ist die Fabrik einmal fertig und die Produktion angelaufen, ist das zentrale Datenmodell aber nicht passé. Ganz im Gegenteil: Das Modell begleitet die Fabrik über ihren gesamten Lebenszyklus: von der Planung, dem Bau bis zum Betreiben. Sind weitere Fabriken geplant, lässt sich das Modell sogar kopieren.
„Wir haben aufgehört, die Fabrikplanung als Projekt zu betrachten, das mit Erreichen der Kammlinie abgeschlossen ist. Die Fabrik wird als Objekt des kontinuierlichen Wandelns betrachtet“, sagt Bertling. Ziel soll es sogar sein, Echtzeitdaten aus der Fabrik an das digitale Modell zu geben, um den Ist-Zustand der Fabrik entweder vor Ort oder aus der Ferne zu beobachten, zu kontrollieren und gegebenenfalls einzugreifen. Möglich ist das dank des 5G-Netzes, welches e.GO als erster Automobilhersteller in seine Fabrik integrierte. Damit geht e.GO – statt sich mit „Level of Detail 500“ zufrieden zu geben – einen Schritt weiter und nennt diese Live-Übertragung „Level of Excellence“.
Das erste e.GO-Werk ist mittlerweile eine Vorzeigefabrik – bereits heute kommen mehr als 10.000 Besucher im Jahr. Nicht selten sind darunter Vorstände und Manager von den etablierten Automobilmarken. Das Aachener Unternehmen „One Factory“ möchte das Konzept der integrierten Fabrikplanung am Beispiel von e.GO nun professionell vermarkten, um die Idee der integrierten Fabrikplanung in die Welt hinauszutragen – ein Schachzug, der nicht nur Automobilhersteller hellhörig machen wird.