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Die Kommerzialisierung des Weltraums: 4 Vorhersagen zum Goldrausch des 21. Jahrhunderts

Das Erste, was vielen von uns zum Thema „Kommerzialisierung des Weltraums“ einfällt, ist wohl Richard Bransons Raumfahrtunternehmen Virigin Galactic. Der Weltraumtourismus erfreut sich seit einiger Zeit großer Aufmerksamkeit – was auf der einen Seite für jede Menge Hype sorgt, auf der anderen Seite allerdings nur einen beschränkten Ausschnitt des weitaus größeren Gesamtbilds darstellt.

Nach einer Reihe von Verzögerungen und Rückschlägen schloss die VSS Unity, das zweite für die kommerzielle Nutzung entwickelte Raumflugzeug von Virgin Galactic, im Dezember letzten Jahres erfolgreich ihren zweiten Testgleitflug ab. Rund 700 Raumfahrtbegeisterte im Alter von 10 bis 90 Jahren – darunter übrigens auch Leonardo DiCaprio – haben sich bereits für jeweils $250.000 ihren Platz an Bord der VSS Unity gesichert und warten nun ungeduldig darauf, bei ihrem ersten suborbitalen Flug das Weltall zu erkunden und für ein paar Minuten in völliger Schwerelosigkeit zu schweben. Doch die zukünftigen Astronauten müssen sich wohl noch etwas länger gedulden, bevor dieser Traum wahr wird.

Es leuchtet ein, dass die Kommerzialisierung des Weltraums weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen wird. So ist es zum Beispiel durchaus denkbar, dass Regierungsbehörden wie NASA ihre Führungsrolle im Bereich der Raumfahrt und Flugwissenschaft abgeben müssen. Infolge der Konkurrenz durch Privatunternehmen (darunter auch Elon Musks SpaceX und Jeff Bezos’ Blue Origin) wird die Weltraumindustrie ohne Zweifel nach anderen Regeln spielen müssen – sowohl auf der Erde als auch im All. Die Folgen werden tiefgreifend sein: völlig neue Arten von Unternehmen, die Erschließung neuer Ressourcen sowie bahnbrechende Innovationen in einer ganzen Reihe unterschiedlicher Branchen, von der Pharma- und Energie- bis hin zur Fertigungs- und Bauindustrie. Wir verraten Ihnen, was die Zukunft bringt.

Space Mining: Schürfen von Rohstoffen im All

Wenige Industrien schaden der Umwelt so sehr wie der Bergbau. Gerade deshalb sollten wir uns alle auf den Tag freuen, an dem es uns gelingt, unsere Rohstoffe von Asteroiden, dem Mond und anderen Planeten zu beziehen, und wir der Erde ihre wohlverdiente Pause gönnen dürfen. Zugegebenermaßen wäre es utopisch, zu behaupten, dass Asteroid Mining bereits in naher Zukunft realisierbar sein wird, nicht zuletzt wegen der weitaus höheren Kosten des Abbaus von Rohstoffen im Weltall als hier auf der Erde. Ist der Startschuss jedoch erst einmal gefallen, wird Asteroid Mining schnell zu einem sich selbsterhaltenden Geschäftsbereich heranwachsen. Vorausgesetzt, dass es Unternehmen gelingt, passende Raumfahrzeuge für den Abbau von Asteroiden im All zu entwickeln, werden sie nicht nur dieser Industrie einen ordentlichen Schub verpassen, sondern auch in der Lage sein, Rohstoffe zurück zur Erde zu transportieren.

Unternehmen wie Planetary Resources und Deep Space Industries arbeiten bereits fleißig daran, Asteroid Mining möglich zu machen. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass Unternehmer in einer ersten Phase zunächst eine Mondstation errichten, dort Rohstoffe abbauen und diese zum Unterhalt der Station einsetzen werden.

Ebenso wahrscheinlich ist es, dass kommerzielle Unternehmen noch vor Regierungsorganisationen auf diesem Gebiet Fuß fassen werden. Wenn ich aus meiner Zeit als Postdoc-Stipendiat bei der NASA etwas gelernt habe, dann dass Bemühungen seitens von Regierungsbehörden immer eine ganze Menge von bürokratischen Hürden und einen gewissen Konservatismus zu überwinden haben. Tatsächlich werden besonders gewagte und anspruchsvolle Projektideen – und in diese Kategorie fällt auch die Asteroid Redirect Mission der NASA zur Umleitung von Asteroiden – oft noch weit vor ihrer Umsetzung verworfen, da sie das festgelegte Budget sprengen oder schlicht und einfach als zu riskant gelten.

Regierungsbehörden bevorzugen Projekte, die mit einem möglichst geringen Risiko verbunden sind, wohingegen Unternehmen, die einen gewerblichen Zweck verfolgen, in der Regel eher bereit sind, Risiken einzugehen und dementsprechend alles in die Umsetzung geplanter Projekte investieren und schneller zur Tat schreiten.

Herstellung von Bauteilen im Weltall per 3D-Druck

Eine weitere neue Industrie besteht in der Konstruktion und dem Betrieb von Satelliten im All. So erspart man sich, diese von der Erde aus in die Umlaufbahn zu schießen. Bereits jetzt wird fleißig an Miniatursatelliten gearbeitet: So verfügt das in San Francisco ansässige Unternehmen Planet beispielsweise über eine ganze Flotte aus sage und schreibe 88 Erdbeobachtungssatelliten. Doch was wäre, wenn man solche Himmelskörper direkt im All statt auf der Erde bauen könnte? Genau das sollen 3D-Drucker jetzt möglich machen.

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der ein Unternehmen einen hochmodernen 3D-Drucker auf den Mond schießt, um das Gerät dann anhand dort abbaubarer Materialien zu betreiben. Man müsste nicht länger mit umständlichen 3-Achs-, Fräs- und Bohrmaschinen arbeiten, geschweige denn Ressourcen von der Erde zum Mond befördern. Stattdessen könnte das Unternehmen ganz einfach auf dem Mond vorhandene Rohstoffe und einen kompatiblen 3D-Drucker einsetzen, um die gewünschten Bauteile herzustellen.

Eine ganze Reihe von Unternehmen (darunter etwa Made in Space) haben sich dieser Idee bereits angenommen und arbeiten zurzeit an ihrer Umsetzung. Das Konzept, Neu- und Ersatzteile direkt im All herzustellen, anstatt sie von der Erde dorthin zu transportieren, verspricht den Teilnehmern der aufkommenden Weltall-Wirtschaft erhebliche praktische und finanzielle Vorteile.

Leichtbauverfahren werden eine entscheidende Rolle bei der Herstellung möglichst leichter, effizienter Designs spielen, die es ermöglichen, Probleme direkt an Ort und Stelle im All anzugehen. Generative Gestaltung kann helfen, per 3D-Druck ausgetüftelte und enorm leichte Formen zu produzieren, was in Sachen minimalem Materialverbrauch einen echten Vorteil bietet.

Apropos minimal: Mikrogravitation stellt einen weiteren Aspekt des Weltalls dar, der zum Aufkommen neuer Geschäftszweige beitragen könnte, insbesondere im Bereich der Pharmaindustrie. Mikrogravitation unterstützt eine möglichst pure Zellbildung, ermöglicht die Herstellung von Arzneimitteln mit einem geringeren Anteil an Verunreinigungen und gewährleistet robustere und einheitlichere Materialstrukturen. So führt das Schweizer/israelische Unternehmen SpacePharma momentan beispielsweise mithilfe seines satellitenbasierten Labors medizinische Experimente direkt im All durch. Hierdurch erhofft man sich, Fortschritte in der Stammzellenforschung, Proteinkristallisation, 3D-Zellkultivierung und Mikrobiologie zu erzielen.

A showing of NASA's TIROS I satellite and its circuitry to Lyndon B. Johnson and U.S. senators on April 4, 1960. 
Lyndon B. Jones (rechts) und vier ehemalige US-Senatoren bei einer Präsentation des NASA-Satelliten TIROS I und seinen Schaltkreisen am 4. April 1960. Mit freundlicher Genehmigung der Library of Congress/Warren K. Leffler.

Roboter als Satellitenmechaniker

Das Weltall birgt für uns Menschen bekanntlich unzählige Gefahren. Der Einsatz von Robotertechnik für die Montage, den Betrieb und die Reparatur von Infrastruktur verringert das mit der Raumfahrt einhergehende Risiko und eliminiert den Bedarf an menschlichen Arbeitskräften im All.

Hinzu kommt, dass Roboter uns im Weltall nicht nur keine Jobs wegschnappen können (nicht, dass es welche gäbe), sondern aufgrund ihrer Assistenzfunktion für Menschen sogar dazu beitragen könnten, neue Arbeitsplätze auf der Erde zu schaffen. Angenommen, ein Unternehmen schießt einen Roboter ins All, damit dieser einen Satelliten reparieren kann. Wer designt und stellt diese Roboter her? Sie müssen nämlich äußerst leicht, robust und flexibel sein. Hier gibt es ein enormes Potenzial für eine völlig neue Branche: Weltraum-Robotertechnik.

Sollte es sich aus finanzieller Sicht irgendwann als lukrativ erweisen, könnten gewerbliche Unternehmen jegliche Wartungs- und Reparaturarbeiten an ihren sich in der Umlaufbahn befindenden Satelliten von speziell zu diesem Zweck entwickelten Robotern durchführen lassen. Dann müssten Ingenieure ihre Raketen nicht mehr so häufig in das sogenannte Friedhofsorbit befördern, zusehen, wie sie in der Erdatmosphäre verglühen oder sie im „Raumschiff-Friedhof“ im Pazifischen Ozean versenken. Die finanziellen Vorteile der Möglichkeit, Satelliten über einen längeren Zeitraum in der Umlaufbahn zu halten und gleichzeitig weniger kostspielige Upgrades und Modifikationen vornehmen zu müssen, liegen auf der Hand.

Sobald die Kosten der Raumfahrt entsprechend sinken, wird ein gerissener Unternehmer die Chance ergreifen und sich als Rohstofflieferant für den Bereich der Weltraum-Robotertechnik etablieren. Eine solche vom Weltraum ausgehende Rohstofflieferkette wäre eine absolute Neuheit.

Entstehen neuer Lieferketten

Elon Musk plant eine regelmäßige Frachtroute zum Mars. Was erhofft er sich davon? Ganz einfach: einen kontinuierlichen Austausch von Rohstoffen zwischen Erde und Mars. Ist die hierfür notwendige Infrastruktur erst mal entwickelt, sind nach oben im wahrsten Sinne des Wortes keine Grenzen mehr gesetzt.

Ich wäre überrascht, wenn es in den nächsten 50 Jahren nicht wenigstens ein Unternehmen gäbe, das auf dem Mond oder in der niedrigen Erdumlaufbahn Rohstoffe für gewerbliche Zwecke abbaut. Die Voraussetzung hierzu ist natürlich, dass es gelingt, die exorbitanten Kosten zu senken, die das Befördern von Himmelskörpern jeder Art in die Umlaufbahn derzeit noch mit sich bringt. Genau das haben sich Unternehmen wie SpaceX zur Mission gemacht: Die erschreckend niedrigen Preise des US-amerikanischen Raumfahrtunternehmens lassen die Kompetenz bereits jetzt erblassen. Je weiter die Kosten sinken, umso stärker wird die Kommerzialisierung des Weltalls voranschreiten.

Das ist auch der Grund, weshalb Musk seine Testraketen wieder auf der Erde landen lässt. Raketen sind teuer, also lohnt es sich für Unternehmen, sie möglichst oft wiederzuverwerten, da sich so die Kosten für ihren Abschuss erheblich reduzieren lassen.

Lockheed Martin und Northrop Grumman werden zwar einerseits auch privat betrieben, andererseits handelt es sich dabei um gigantische Organisationen – sozusagen Biester mit hungrigen Mäulern – und ihre Lieferketten sind extrem kostspielig. Start-ups, die neu zur Lieferkette hinzustoßen, unterliegen keiner vergleichbaren Preisstruktur, weshalb sich speziell für diese Unternehmen neue Lieferketten bilden.

Musk setzt zu einem Großteil auf vertikale Integration – das heißt, seine Technologie stammt aus Eigenproduktion –, wohingegen größere Anbieter von Raketenabwehrsystemen wie Lockheed und Northrop pseudo-politische Funktionen erfüllen und ihre Produkte weltweit vertreiben. Musks Wunsch, eine möglichst zuverlässige und kosteneffektive Produktion zu gewährleisten, hat ihn dazu bewegt, Privatverträge zur Beförderung von Satelliten zu schließen, mit möglichst wenigen Anbietern aus anderen Lieferketten zusammenzuarbeiten und sich verstärkt auf vertikale Integration zu konzentrieren.

Sobald die Kosten der Raumfahrt entsprechend sinken, wird ein gerissener Unternehmer die Chance ergreifen und sich als Rohstofflieferant für den Bereich der Weltraum-Robotertechnik etablieren. Eine solche vom Weltraum ausgehende Rohstofflieferkette wäre eine absolute Neuheit.

Derweilen wird der Weltraumtourismus weiterhin an Beliebtheit gewinnen. Und eines Tages werden betuchte Geschäftsleute ihren Urlaub fernab von der Erde verbringen. Sie haben zufällig ein paar Millionen Euro zu viel rumliegen? Wie wäre es mit einer Woche auf dem Mond? Daran arbeitet übrigens bereits der Hotel-Magnat Robert Bigelow – und die Aussicht von der Hotel-Suite wird zweifellos atemberaubend sein.

Über den Autor

Dr. Andrew Anagnost ist President und Chief Executive Officer von Autodesk. Bereits seit mehr als 25 Jahren unterstützt er anhand effektiver Produkt-, Business- und Marketinginitiativen die Unternehmensstrategien, Transformationsvorhaben und Produktentwicklung von Unternehmen wie Autodesk, der Lockheed Aeronautical Systems Company und der EXA Corporation. Er promovierte an der Stanford University und arbeitete anschließend als Postdoktorand des National Research Council am Ames Research Center der NASA. Dr. Anagnost schloss sich Autodesk 1997 an und hatte seitdem mehrere Positionen im Bereich Marketing, Neugeschäftsentwicklung, Produktmanagement und Produktentwicklung inne. Bevor er 2017 President und CEO von Autodesk wurde, war er als Chief Marketing Officer und SVP für den Bereich Business Strategy & Marketing tätig. In dieser Rolle plante und lenkte er die Transformation des Geschäftsmodells zum Software-as-a-Service(SaaS)-basierten Angebotsmodell. Zuvor war Dr. Anagnost in diversen leitenden Positionen im Unternehmen tätig. Ganz zu Beginn seiner Karriere bei Autodesk verantwortete er die Entwicklungsaktivitäten für das Fertigungsproduktangebot und steigerte dabei die Umsätze für Autodesk Inventor auf über 460 Millionen Euro. Dr. Anagnost ist Vorstandsmitglied von Autodesk. Er hat einen Bachelor of Science in Maschinenbautechnik von der California State University, Northridge (CSUN), einen Master of Science in Ingenieurwissenschaften und einen Doktor in Luftfahrttechnik und Computerwissenschaft von der Stanford University.

Profile Photo of Andrew Anagnost, Autodesk CEO - DE