Zauberpulver und Düsenantrieb: Die Zukunft vom Spritzguss liegt im „lebendigen Metall”
Noch wartet die Fertigungsbrache darauf, dass sich der angekündigte Segen der additiven Metallfertigung erfüllt: Die Verfahren sind nach wie vor kostspielig und am ehesten auf Bauteile mit komplexen Geometrien in geringer Stückzahl ausgelegt. Ein Raketentriebwerk, das Metallpulver auf Maschinenbauteile abfeuert, könnte die Industrie nun aufrütteln.
Diese Idee stammt von drei jungen Kaliforniern, die es sich zum Ziel erklärt haben, die Metallfertigungsbranche umzukrempeln. Gemeinsam entwickelten Deepak Atyam, Alex Finch und Jesse Lang, die Gründer des Start-ups Tri-D Dynamics, eine Technologie, die sie selbst als „Kaltmetallfusion“ („Cold Metal Fusion“) bezeichnen. Darin vereinen sie Pulvermetallurgie mit Raketentechnik – und könnten einen bisher noch unerschlossenen Markt bedienen.
Tri-D Dynamics beschäftigt sich mit der Entwicklung von Methoden, um elektronische Sensoren an Maschinenbauteilen aus Metall anzubringen und sie dabei zum Schutz vor schädlichen Außeneinwirkungen mit geeigneten Legierungen zu versehen. „Dadurch können wir die elektronischen Schnittstellen mit Werkstoffen verstärken, die beständiger sind als das Metall des Bauteils selbst“, erläutert Finch die Technologie des jungen Unternehmens. „So erhält der Kunde mehr Leistung zu einem geringeren Preis.“ Durch die nahtlose Integration der Hardware zur Steuerung der Elektronik werden Bauteile „smart“.
Im Rahmen ihrer sogenannten „erweiterten additiven Fertigung“ schichten Finch und seine Kollegen unterschiedliche Metalle aufeinander und verbessern so die grundsätzlichen Eigenschaften der Bauteile. Da die Metalle in der Kaltmetallfusion nicht erst zum Schmelzen gebracht werden müssen, sinkt das Risiko, dass empfindliche elektronische Bestandteile einen Hitzeschaden erleiden. Außerdem spart das Verfahren Zeit: Zur Überprüfung der Leistung in Echtzeit arbeiten Finch und Atyam Sensoren in die Bauteile ein, um auf diese Weise Vernetzungsinfrastrukturen nutzen zu können, wie man sie vom Internet der Dinge kennt. Die Schnittstellen für diese Sensoren, Leitungen und Chips sind in den durch Kaltmetallfusion verstärkten Gehäusen sicher vor äußeren Einwirkungen.
In ihrer TerraForma nutzen die Tüftler von Tri-D erhitzten Stickstoff, um Metallpulver durch ein kleines Triebwerk mit Düse zu befördern. Dabei werden die Pulverteilchen auf Überschallgeschwindigkeit beschleunigt und auf das Trägermetall geschleudert, auf dem sie sofort haften bleiben, ohne vorher erhitzt oder geschmolzen werden zu müssen. Und das Beste – der Prozess ist problemlos skalierbar: So wäre es etwa denkbar, riesige Containerschiffe, Wolkenkratzer, Werftkrane und dergleichen mithilfe dieser neuen Methode zu verstärken und zu schützen.
3D-Druck verhilft zu mehr Sicherheit
Seit jeher kommen Maschinen in den unwirtlichsten Lebensräumen und unter extremsten Arbeitsbedingungen zum Einsatz: in heißen und staubigen Minenschächten, unter unvorstellbarem Druck und gefährlicher Salzwasserkorrosion in der Tiefsee oder unter extremer Bestrahlung im Weltall. An solchen Orten kann technisches Versagen ziemlich teuer werden – wenn nicht sogar lebensbedrohlich. Die smarte, auf Daten gestützte Nutzung technischer Geräte kann daher schon im Vorfeld eine Menge Ärger ersparen.
„Viele unnötige Ausgaben entstehen dadurch, dass Bauteile und Werkzeuge den Geist aufgeben und ersetzt werden müssen“, bestätigt Finch. „Teilweise sind sie nur für eine gewisse Zeit in einem bestimmten Temperaturumfeld einsetzbar. Wenn man nicht weiß, wie sich die Temperaturen oder andere Faktoren im Einsatzumfeld verhalten, kann man nicht einschätzen, wie lange ein Gerät oder eine Kabelverbindung mitspielt.“
Dem Fortschritt auf der Spur
In seiner Abschlussarbeit setzte sich Finch mit der Herstellung von Werkstoffen anhand additiver Fertigung auseinander, während Atyam und Lang aus dem Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik stammen. Atyam und Finch lernten sich an der Universität von San Diego kennen und waren das erste Team von Wissenschaftlern, das die bis dahin unmögliche Aufgabe bewältigte, mit einem im 3D-Druckverfahren hergestellten Raketentriebwerk einen Testflug durchzuführen. Der Erfolg brachte ihnen viel Aufmerksamkeit seitens von Ingenieuren aus der Luft- und Raumfahrtbranche ein.
Bereit für eine neue Herausforderung wagten Finch und Atyam den Schritt in die Welt der Start-ups, Geschäftspläne und Marketingstrategien. Zwar scheiterte der Versuch, in der angestrebten Luft- und Raumfahrtbranche Fuß zu fassen, doch zum Glück wurde ihnen bald das Potential ihrer Innovation für die additive Fertigungsindustrie bewusst und so begannen sie, eine Idee auszuhecken, die frischen Wind in den Markt zu bringen versprach: den Einsatz von Raketentriebwerken zur Herstellung von Bauteilen im Spritzgussverfahren.
Heute sind die Gründer von Tri-D Teil des Residenzprogramms des Autodesk Technology Center in San Francisco. Hier konnten sie schnell und effektiv unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten austesten und entsprechende Informationen sammeln, um für jeden Anwendungsfall die optimale Maschine zu entwickeln.
„Auf längere Sicht wollen wir versuchen, eine dem menschlichen Nervensystem nachempfundene Sensorik in unsere mechanischen Systeme zu integrieren, also Berührungen und andere Sinneswahrnehmungen zu messen und darauf zu reagieren“, erklärt Atyam. „Bisher wissen wir noch nicht, was ein Roboter bei seiner Arbeit fühlt – ganz zu schweigen von einem Bohrkopf. Wenn wir ein Nervensystem entwickeln, das einem Gehirn mitteilt, welche Einwirkungen auf unsere Werkzeuge stattfinden, können wir uns den jeweiligen Gegebenheiten besser anpassen.“ Dieses Prinzip bezeichnet er als „lebendiges Metall“.
Kurz und schmelzlos – die Zukunft der additiven Fertigung
Man nehme Stickstoff aus einem herkömmlichen Tank und eine großzügige Prise Metallpulver, gebe die beiden Zutaten in die TerraForma und voilà: Der Stickstoff wird erhitzt und das Metallpulver schießt mit Höchstgeschwindigkeit durch eine Öffnung.
„Im Gegensatz zu vielen anderen Verfahren in der additiven und der generellen Metallverarbeitung muss man das Metall nicht zum Schmelzen bringen“, so Atyam. „Man muss nur Metallpulver mit einer ausreichend hohen Geschwindigkeit nach außen befördern, damit die Pulverteilchen platt werden wie ein Pfannkuchen und am Trägerobjekt haften. Dabei geht es weniger um den Schmelzpunkt der Metallpartikel, sondern vielmehr um ihre Formbarkeit und Elastizität.“
Um diesen Pfannkucheneffekt auch bei härteren Metallen zu erzielen, muss die Schussgeschwindigkeit entsprechend angepasst werden – der einzige wirkliche Kostenfaktor der TerraForma, denn zur Gewährleistung eines höheren Drucks, sprich einer größeren Schussgeschwindigkeit, gilt es, die Gastemperatur zu erhöhen. Jede neue Schicht des aufgetragenen Metalls komprimiert die darunterliegenden Schichten, wodurch ein extrem dichtes und stabiles Endprodukt entsteht.
Natürlich lässt sich eine solche Apparatur auch für kleinere Größenordnungen anpassen, zum Beispiel bei Geräten für den Handbetrieb. Die Vorteile sind die gleichen wie in der Galvanotechnik – es gibt weder giftige Abfallprodukte noch ist man extremen Temperaturen ausgesetzt –, nur dass das Ganze dazu noch deutlich schneller vonstattengeht. Der Zeitaufwand beim Abkühlen ist kaum der Rede wert und so sind die Endprodukte umgehend einsetzbar, ohne dass die extreme Hitze und das anschließende Abkühlen das Material unnötig strapazieren.
Angesichts des zunehmendem Interesses seitens von Investoren werden sich, so Atyams Überzeugung, die Einsatzmöglichkeiten der neuartigen Technologie erweitern und die Produktionskosten verringern lassen. Zurzeit wird der Stickstoff noch in Tanks von einem kommerziellen Zulieferer bezogen, doch diese Kosten ließen sich durch eine betriebsinterne Gasversorgung senken. Dabei haben sich die Ingenieure von Tri-D anstatt des früher verwendeten und zehnmal teureren Heliums bereits für Stickstoff entschieden. „Im Grunde bestimmen die Werkstoffe über den Preis“, fügt Atyam hinzu. „Härtere Metalle wie etwa Carbide sind kostspieliger, weil sie mit höherer Geschwindigkeit beschossen werden müssen – und dafür braucht man mehr Gas und mehr Hitze.“
Bis zur Unendlichkeit – und noch viel weiter
Wie sieht also die Zukunft der additiven Fertigung mit Raketenantrieb aus? Werden bald alle Bereiche der Industrie mit Bauteilen aus dem Hause Tri-D beliefert?
„Sinn und Zweck des Einsatzes von Sensoren in Metallverbindungen ist es, sie zu stärken und zu schützen“, fasst Atyam zusammen. „Das ist zunächst interessant für Unternehmen, die Maschinen unter besonders ungünstigen Bedingungen einsetzen. In einem nächsten Schritt wollen wir aber auch ausgereiftere Sensoren entwickeln, die für diese Art von Prozess besser geeignet sind. So wären wir in der Lage, Bauteile herzustellen, die mit einem vollständigen sensorischen Nervensystem ausgestattet sind und sich präzise kontrollieren lassen.“
Die Gründer von Tri-D sind außerdem große Verfechter des Smart-City-Konzepts. Da mehr Sensoren im Alltag – ob in der Verkehrsüberwachung, an Gebäuden, Autos oder Zügen – natürlich auch eine entsprechend größere Flut an Informationen bedeuten, ist es umso wichtiger, auch in der Fertigung mit der Zeit zu gehen.
Für Tri-D war die Entwicklung einer Technologie, mit deren Hilfe sich Sensoren zum Sammeln von Datensätzen in Metallbauteile einsetzen lassen, eine vollkommen natürliche Entwicklung, die durch Nachfrage und Forschung vorangetrieben wurde. „Das Ziel ist es, wichtige Informationen von der Maschine in Echtzeit wieder an den Anwender zu übermitteln“, fährt Atyam fort. „So lassen sich auch komplexe Systeme optimieren und der langfristige Einsatz von Zeit, Geld und natürlichen Ressourcen reduzieren.“
Fakt ist: Wir leben in einer Zeit, in der Energieerzeugung, Flugreisen und Stadtplanung laufend optimiert werden müssen, um Kosten und Zeit einzusparen und unseren ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, gibt es wohl tatsächlich keinen besseren Zeitpunkt als heute, um mit der Entwicklung zukunftsträchtiger Lösungen zu beginnen – und mit seiner innovativen neuen Fertigungsmethode hat das Team von Tri-D beste Chancen, sich einen Platz an der Spitze der Innovationsbewegung zu ergattern.