Skip to main content

Fertighaus statt Wellblechhütte: Mobile Feldfabrik sorgt für sicheres und bezahlbares Wohnen

Mobile Feldfabrik

Das österreichische Start-Up NEULANDT hat eine mobile Feldfabrik für die Herstellung von Betonfertigteilen konzipiert und will damit industrialisiertes Bauen in Entwicklungsländern etablieren. Lokale, von NEULANDT geschulte Fachkräfte sollen so standardisierte Häuser errichten und auf den demografischen Wandel mit ausreichend Wohnraum reagieren können.

Kein anderer Kontinent der Welt wächst so schnell wie Afrika. Bereits heute leben hier rund 1,3 Milliarden Menschen. Bis zum Jahr 2050 soll sich die Bevölkerungszahl nach Modellrechnungen der Vereinten Nationen nahezu verdoppelt haben und bei 2,4 Milliarden angekommen sein. Grund ist die hohe Geburtenrate.

Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitssystem sowie Wirtschaft sind auf dieses rasante Wachstum nicht vorbereitet, junge Menschen wandern in der Hoffnung auf bessere Lebensqualität und Jobperspektiven in Millionenmetropolen wie Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo oder Lagos in Nigeria ab. Dort spaltet sich der urbane Raum beispiellos in Armut und Reichtum, da sind einerseits die Slums, Zelte und Wellblechhütten dicht auf dicht, andererseits die Luxusvillen auf den Lagunen im Besitz wohlhabender Investoren.

Dem demografischen Wandel müsse mit entsprechenden stadtplanerischen und architektonischen Entwicklungen und Lösungen begegnet werden, sagt Johann Peneder. Er ist Geschäftsführer der Umdasch Group Ventures, dem Innovationshub des österreichischen Konzerns Umdasch Group, aus dem vor zwei Jahren die Marke NEULANDT hervorgegangen ist, um den Bedarf an ebenjenen stadtplanerischen und architektonischen Lösungen zu decken – oder zumindest Schritte einzuleiten, um ihn zu decken.

Industrielle Konvergenz: Baustelle und Produktionsstätte verschmelzen

Hinter der Lösung NEULANDT steckt die Idee einer mobilen Feldfabrik für Betonfertigteile. Der Name gibt die Richtung vor: Mit der Fabrik sollen sowohl neues Land als auch innovative Alternativen des zukünftigen Bauens erschlossen werden. Die Unternehmer wollen sie dorthin verfrachten und montieren, wo bezahlbare Wohnungen in einem überschaubaren Zeitraum entstehen sollen.

Produziert wird dort, wo gebaut wird – Baustelle und Fertigungsstätte wachsen zusammen, dieses Prinzip findet sich im Begriff der industriellen Konvergenz wieder. Das funktioniert vor allem mit standardisierten Verfahren. „Wir haben teils auf eine Technologie gesetzt, die mit innovativen Lösungen so ausgebaut wurde, dass wir im Vergleich zur klassischen Herstellung in der Batterieschalung die Produktivität deutlich steigern können“, sagt Christine Fasching, Head of Sales und Business Development bei NEULANDT.

Amy Marks, Head of Industrialized Construction Strategy & Evangelism bei Autodesk, ergänzt: „NEULANDT ist ein Paradebeispiel für industrialisiertes Bauen, um die Bedürfnisse aufstrebender Volkswirtschaften wie Afrika zu erfüllen und lokale Fachkräfte zu befähigen, was sich positiv auf die ökologische, wirtschaftliche, industrielle und soziale Nachhaltigkeit auswirkt.“

Die Feldfabrik ist mit der kompletten Infrastruktur ausgestattet, unter anderem auch mit zwei Kränen. Credit: NEULANDT

Mithilfe der Schmetterlingstechnologie wird die Anlage effizient im Schichtbetrieb bedient. Credit: NEULANDT

Mit der sogenannten Schmetterlingstechnologie ließen sich nach Angaben von Umdasch bis zu 1000 ein- oder mehrgeschossige Häuser im Jahr realisieren. Schmetterlinge sind faltbare Stahlschalungen und können die Produktivität von Batterieschalungen an vorgelagerten Arbeitsplätzen steigern. Johann Peneder sagt: „Wir haben mit dieser Technologie zweimal 7×3 Meter Spielfläche, auf die wir das Fertigteil aufspannen können. Wir geben keine Architektur vor, sondern stellen eine architektonische Spielwiese zur Verfügung, einen Baukasten, aus dem die Kunden sich bedienen können, um sich den für Ihre Bedürfnisse passenden Wohnraum zu realisieren.“

„Wohnräume für die Masse müssen nicht mit der negativ behafteten Überschrift des ‘Plattenbaus’ versehen werden.“ – Christine Fasching, Head of Sales & Business Development NEULANDT

Standardisierung heißt allerdings meist auch Loslösen vom Individuellen. Christine Fasching räumt ein: Herrsche ein Mangel an Wohnraum, sei es erst mal wichtiger, ihn zu minimieren. „Wohnräume für die Masse müssen nicht mit der negativ behafteten Überschrift des ‘Plattenbaus’ versehen werden“, sagt sie. „Man kann sie auch so gestalten, dass sie den individuellen Ansprüchen weitgehend entsprechen.“ Dafür bestehe die Möglichkeit, mit lokalen Gewerken zu kooperieren. Der Grundriss wird auf Basis lokaler Bedürfnisse gestaltet und standardisiert, Verfeinerungen wie der Anstrich, Möblierung, architektonische Anreicherungen bleiben flexibel.

Vier Wochen Montage mit einem lokalen Team

NEULANDT will mit der Feldfabrik das Baugewerk und die damit zusammenhängenden Gewerbe in „sozialen Brennpunkten“, so Johann Peneder, ausweiten. Das Wissen um die Technologie und die Möglichkeit effizienten Bauens sollen an lokale Fachkräfte weitergetragen werden. „Wir gehen nicht als Hersteller in ein Land, sondern wir sind der Technologie- und Know-how-Lieferant, der auch die Infrastruktur zur Verfügung stellt. Wir legen hiermit die Basis für eine lokale Entwicklung des Ökosystems“, sagt Fasching.

Höherer Umschlag durch eine standardisierte Produktion von Fertigteilen. Credit: NEULANDT

Der Reihe nach: Betonwände mit Fenster- und Türrahmen in der finalen Aushärtephase. Credit: NEULANDT

Ein Team soll bei der vier- bis sechswöchigen Montage der Fabrik vor Ort helfen und Personal schulen.

Johann Peneder sagt: „Wir haben uns intensiv mit der Realisierung auseinandergesetzt und eine originale Anlage an unserem Standort in Amstetten errichtet.“ Dort war die 70 Meter lange und 15 Meter breite Feldfabrik probeweise in Betrieb. Mit 80 Mitarbeitern verschiedenster Nationen glich das einem Labor der internationalen Zusammenarbeit für die späteren realen Projekte in den Zielmärkten.

Mobile Feldfabrik
Dort, wo die Feldfabrik zum Einsatz kommt, wird lokales Personal geschult, um die Anlage zu betreiben. Credit: NEULANDT

Die mobile Fabrik umfasst beim Transport zum Zielort 40 Seefrachtcontainer und bleibt so lange wie nötig auf dem Baufeld, bis sie zum nächsten Ort weiterwandert.

Lynelle Cameron, Vice President für Nachhaltigkeit bei Autodesk und Geschäftsführerin der Autodesk Foundation, fasst die Vorteile dieses Projekt mit folgenden Worten zusammen: „Digitalisiertes Bauen und fabrikmäßig hergestellte Häuser können nicht nur bei der drohenden Wohnungskrise helfen, sondern auch die Baukosten kontrollieren, Abfall reduzieren und den Arbeitern vor Ort wichtige neue Fähigkeiten für die Zukunft vermitteln.“

Potenzial für Impfzentren, Notfallkrankenhäuser und Flüchtlingsunterkünfte

Auch wenn NEULANDT den Fokus auf afrikanische, indische und lateinamerikanische Märkte legt, kann das Konzept der mobilen Fabrik in mehrere Richtungen weitergedacht werden. In europäischen Städten spitzt sich die Wohnsituation zu, bezahlbares Wohnen in deutschen Großstädten wie München, Hamburg oder Frankfurt entpuppt sich längst als nahezu unvereinbarer Wunsch, in Paris und London eskalieren die Immobilienpreise seit Jahren und trotzdem ziehen Menschen in genau diese Städte.

In Katastrophengebieten, jüngst von Tsunamis oder Hurrikans heimgesuchten und zerstörten Regionen, müssen binnen kürzester Zeit Notunterkünfte aus dem Boden gestampft werden. Zeltstädte und Flüchtlingsunterkünfte wie in Lipa in Bosnien-Herzegowina halten harten Witterungsbedingungen oft nicht Stand. Ausnahmesituationen wie die Corona-Pandemie erhöhen den Druck, Notfallkrankenhäuser zu bauen und Impfzentren zu errichten. Eine Anlage wie die mobile Feldfabrik könnte Mittel zum Zweck werden, um schnell und resilienter auf solche Zustände zu reagieren.

Über den Autor

Carolin Werthmann hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften an der Universität Konstanz studiert, absolvierte ein Volontariat beim Callwey Verlag für Magazinjournalismus mit den Schwerpunkten Architektur und Restaurierung und spezialisierte sich an der Hochschule für Fernsehen und Film München und der Bayerischen Theaterakademie auf Kulturjournalismus. Sie schreibt u. a. für die Süddeutsche Zeitung.

Profile Photo of Carolin Werthmann - DE