Kleines Autoteil ganz groß: Die japanische Firma DENSO erfindet die Motorsteuerung neu
Die Autoindustrie steht zurzeit vor schwierigen Herausforderung: angefangen bei höheren Auflagen seitens von Regierungen und dem Pariser Klimaabkommen über enorme technische Neuerungen bis hin zu Kundenforderungen nach höherer Effizienz und niedrigeren CO2-Emissionen. Ein japanisches Unternehmen macht nun vor, wie man dank Generativem Design das Automobil revolutionieren könnte.
Automobilhersteller sind zurzeit um neue Möglichkeiten bemüht, die Motorleistung zu steigern und das Gewicht von Fahrzeugen zu minimieren, indem sie die mehr als 30.000 Teile, aus denen ein Auto besteht, genauer unter die Lupe nehmen: sei es das Lenkrad, die Pedale, die Sitze, der Motor, die Bremsen oder auch eine ganz bestimmte Schlüsselkomponente, die winzig genug ist, um sie in einer Hand zu halten – die Motorsteuerung.
Die Motorsteuerung ist ein elektronisches Kontrollsystem zur Steuerung, Regelung und Überwachung des Motors. Es berechnet u. a. den genauen Kraftstoffverbrauch: Man kann sich die Motorsteuerung als das „Gehirn“ des Motors vorstellen. Dieses System spielt eine wichtige Rolle dabei, die Menge und den richtigen Zeitpunkt des eingespritzten Kraftstoffs zu bestimmen, was die Fahrleistung verbessert und zu einem geringeren Ausstoß schädlicher Emissionen führen kann.
Im Jahr 2010 ging der iF Design Award für Konzeptdesign an die japanische DENSO Corporation, einen marktführenden Autoteilehersteller, der die Jury mit einer innovativen neuen Motorsteuerung überzeugen konnte. DENSO wurde vor 70 Jahren gegründet und entwickelt heute Technologien für selbstfahrende und elektrisch angetriebene Fahrzeuge, Künstliche Intelligenz (KI), Mobilitätsdienstleistungen und sogar Quantencomputer. Zur Optimierung der Motorsteuerung setzte Akira Okamoto, Direktionsassistent für Produktdesign bei DENSO, auf Generatives Design, um gleich zwei Kernziele umzusetzen: die Reduzierung des Gewichts und die Optimierung der Kühlleistung.
Okamoto entwickelt Motorsteuerungen, die an kleinen Dieselmotoren – wie bei Baufahrzeugen oder in Landmaschinen – angebracht werden. Hierzu vertraut er bei seinen Arbeitsabläufen auf Generatives Design, um komplexe Modelle zu erstellen. „Von Anfang an hatte ich beim Entwurf der Komponenten nur Leichtigkeit im Sinn“, berichtet Okamoto. „Dann wurde mir klar, dass Generatives Design eine noch stärkere Reduzierung des Gewichts ermöglichen würde.“
Die „Zimmertemperatur“ eines Motors kann bis zu 120 °C erreichen. Damit die Motorsteuerung problemlos funktioniert, muss die Temperatur ihrer Hardware unter dieser Schwelle liegen. Ermöglicht wird dies durch Ableitung ihrer Hitze an der Stelle, wo sie auf dem Motorblock aufliegt und an der etwa 105 °C herrschen.
„Ich kann aus meiner Erfahrung schöpfen, um mir eine Form auszumalen, in der sich Wärme gut verteilen kann“, erzählt Okamoto. „In einem besonders leichtgewichtigen Entwurf gibt es jedoch weniger Leitbahnen, um die Hitze abzuleiten, und das verringert die Effizienz beim Wärmetransfer. Mein Gedanke war es, mithilfe von Generativem Design neue Bauteile zu erstellen, die zwar leichter sind, aber trotzdem die gleichen Eigenschaften in Sachen Wärmetransfer besitzen.“
Die Lösung des Wärmetransfer-Dilemmas
Bei seiner Recherche vertraute Okamoto auf die Funktionen für Generatives Design von Autodesk Fusion 360, obwohl die Lösung nicht für die den Wärmetransfer betreffenden Parameter ausgelegt ist. „Um die Wärmeleitung zu berechnen, stellte ich die Hypothese auf, dass ich die Wärme als Ladung betrachten müsste. Durch Hinzufügen von Ladung zu den Bereichen, in denen Wärme abgeleitet werden musste, konnte ich so die optimale Form errechnen“, erläutert er. Unterstützt wurde das Team von DENSO während dieses Prozesses von Partnern der Nichinan Group und den Produktentwicklern Satoshi Yanagisawa und Yujiro Kaida.
Beim Generativen Design werden mittels KI eine Vielzahl von Designvarianten entworfen, die sich auf die vom Entwickler eingespeisten Parameter berufen. Bei der sorgfältigen Durchsicht aller Optionen – unbrauchbare Entwürfe werden verworfen und brauchbare angenommen – erreicht der Nutzer das optimale Design.
„Mir gefiel an diesem Vorgang, dass ich einen 3D-Druck einer Simulation herstellen konnte, um einen besseren Eindruck davon zu bekommen, wie die Wärme über das Teil verteilt wird“, fährt er fort. „Viele Modelle waren zunächst ziemlich unansehnlich, aber mit der Zeit konnte man die Ästhetik in den Entwürfen erkennen. Der finale Entwurf hatte eine wirklich schöne Form, die wir etwas abänderten, um auch eine Fertigung mit konventionellen Methoden zu ermöglichen.“
Ein produktionsfreundlicher Entwurf
Im Generativen Designverfahren erstellte Gegenstände lassen sich mitunter nur sehr schwer ohne 3D-Druckverfahren reproduzieren. „Wenn man Zehntausende Teile benötigt, werden Kosten und Herstellungsdauer zu großen Hürden“, erklärt Okamoto. Bei diesem Projekt kombinierte sein Team deshalb Teile aus dem generativen Designprozess mit solchen, die auch mit konventionellen Druckgussverfahren hergestellt werden können.
Zu diesem Zweck entwarf man eine geometrisch geformte Platine, die anschließend in einen mittels Generativem Design gefertigten Rahmen integriert wurde. Nachdem es dank Autodesk Alias SpeedForm und Fusion 360 gelang, dem Bauteil eine möglichst schlanke Form und einen glatten Schliff zu verleihen, nahm das Team die erforderlichen Änderungen am Modell vor, um eine Fertigung mit konventionellen Verfahren zu ermöglichen. „Wir haben die einzelnen Komponenten kombiniert, um die Form der gesamten Einheit zu gestalten“, erläutert Okamoto.
Unter dem Titel „Direct Mounted ECU Concept“ – zu Deutsch etwa „direktmontiertes Motorsteuerungsmodell“ – hat das Team von DENSO kürzlich eine Nachbildung des Ergebnisses aus Metall enthüllt. „Wir haben eine 12-prozentige Gewichtsreduzierung bewirken können”, berichtet Okamoto. „Aber wir konnten auch die Wärmetransferleistung des Originals beibehalten. Und obschon das reduzierte Gewicht weniger Möglichkeiten zur Wärmeableitung bedeutet, haben wir festgestellt, dass die exotherme Fähigkeit des neuen Bauteils besser ist als die des Originals, da beide Modelle die gleiche Leistung aufweisen.“
Obwohl Okamoto auch mit anderen Ansätzen zur Reduzierung des Gewichts experimentiert hatte, darunter zum Beispiel die Topologieoptimierung, war Generatives Design für ihn bisher noch Neuland. So brauchte er rund drei Monate, um das Projekt zu Ende zu bringen. „Wir haben ein wenig Zeit gebraucht, um uns mit der für uns unbekannten Methode vertraut zu machen, aber letztendlich haben wir in relativ kurzer Zeit gute Ergebnisse erreicht“, fasst Okamoto zusammen. „Wir können wahrscheinlich noch viel bedeutendere Ergebnisse mit größeren Motorsteuerungen erzielen, und wir haben Bereiche identifiziert, die wir in der nächsten Runde der Konzeptionsarbeit weiterentwickeln können.“
„Wenn es uns gelingt, nach und nach jedes Teil ein bisschen leichter zu machen, werden wir als Endergebnis ein viel leichteres Fahrzeug bauen können“, bringt Okamoto es auf den Punkt. „Die Ergebnisse unserer Forschung können wir auf andere Teile als nur die Motorsteuerung anwenden. Es wäre ideal, wenn wir diese Methoden regelmäßig nutzen könnten, um das Gewicht von Autos insgesamt zu reduzieren. Das aktuelle Modell ist erst einmal nur ein Entwurf für unseren Auftraggeber. Der nächste Schritt besteht jedoch darin, die Elektronik einzubauen und zu sehen, ob unsere Arbeit die erforderliche Leistung bringt.“