„Das Museum ist geschlossen“ – Kunstinstitute setzen nun mehr denn je auf Digitalisierung
Lange wurde die Digitalisierung von Kunst und Kultur nicht allzu ernst genommen. Dann kam Corona. Museen wurden geschlossen, die Kunst konnte ausschließlich digital bestaunt werden. Museen, die hier vorbereitet waren, hatten Glück. Andere waren erfinderisch. Wie sich eine Branche dreht.
„Mitte März haben die Zugriffszahlen auf die digitalen Angebote sprunghaft angezogen. Wir reden hier von einem Anstieg von bis zu 200 Prozent im AppStore“, sagt der Geschäftsführer Dennis Willkommen von DroidSolutions – das Unternehmen entwickelt mobile Applikationen für Museumguides. „Die klassischen Multimedia-Inhalte dieser Apps, die vorher schon existierten, kann man wunderbar in 360-Grad-Ansichten integrieren, um so das Museum auch von zu Hause aus zu besuchen“, so Willkommen.
Ein Beispiel ist das Museum Wiesbaden, das eigentlich eine Ausstellung des Expressionisten Alexej von Jawlensky plante, bevor es schließen musste. Viele Kunstwerke waren geliehen und müssen im Sommer wieder zurückgesendet werden. Um die Kunst dennoch zu zeigen, gibt es eine Museums-App zum Download – jetzt auch für zu Hause.
Von der Architektur lernen
Den großen Ansturm auf digitale Angebote von Kunst während dieser Situation bestätigt auch Christian Popp von „3D-Scans“. Das österreichische Unternehmen arbeitet mit professionellem Kameraequipment, um für Museen hochauflösende und interaktive 3D-Rundgänge aufzunehmen – wie für das Kunsthistorische Museum Wien. Hierfür nimmt Popp die Ausstellung mit einer Matterport-Kamera auf, die auch im Architektur-, Bau- und Ingenieurwesen zum Einsatz kommt. „Für den Scan bin ich ca. zwei bis drei Stunden vor Ort. Die Bearbeitung dauert dann noch einmal 48 Stunden“, erklärt Popp. Später gibt es noch die Möglichkeit, die Rundgänge mit Texten, Bildern, Audio, Videos und Links anzureichern. Mit einem PC, Tablet oder Smartphone lässt sich die Ausstellung dann auch von zu Hause aus besuchen.
Mit Virtual Reality (VR) in die Kunstwelt eintauchen
Für das Virtual-Reality-Erlebnis reicht schon ein einfaches Cardboard – ein Papp- oder Kunststoffgehäuse, in das man das Smartphone stecken kann – eine recht simple und kostengünstige VR-Lösung. „Das beste Seh-Erlebnis hat man jedoch mit einer VR-Brille“, weiß Popp.
Dazu zählen Brillen wie eine Oculus Go oder HTC Vive. Der Grund dafür: „Die Bildqualität und Sensorik im Smartphone ist nicht so umfangreich wie in einer VR-Brille“, so der Digital-Experte Willkommen. Der Effekt ist erstaunlich: Es scheint, als stünde man tatsächlich im Museum und bewege sich durch die Ausstellung.
Ein weiterer Vorteil von VR-Brillen: Früher brauchten Anwender für die VR-Brillen noch Hochleistungsrechner, heute benötigen einige VR-Brillen noch nicht einmal einen Computer.
Laser-Farbscanner erfasst alle Details
Auch das Unternehmen Art Graphique & Patrimoine – einer der führenden Anbieter Frankreichs im Bereich der digitalen Erfassung und Erhaltung von Kulturerbe – weiß, wie Kultur 3D-gescannt wird. Mit einem Laser-Farbscanner nehmen die Mitarbeiter der französischen Firma millimetergenau Kunst auf. „Um einen Vergleich aus der Medizin heranzuziehen, würde ich sagen, wir fertigen eine Röntgenaufnahme […] an“, so Gaël Hamon, Gründer von Art Graphique & Patrimoine. Die vom Laserscanner erfassten Daten werden mithilfe der Software Autodesk ReCap Pro zusammengeführt, um so ein 3D-Modell zu erzielen. Die Software kreiert eine Punktewolke, die dann mit anderen CAD-Programmen oder Tools weiterverarbeitet werden kann.
Ansturm auf Online-Kunstsammlungen
Viele der digitalisierten Kunstwerke befinden sich entweder auf den Websites der Museen oder auf der weltgrößten Online-Kunstsammlung Google Arts & Culture – die Plattform erfährt derzeit einen nie zuvor dagewesenen Ansturm. An die 2.000 Museen, Galerien und Institute aus 70 Ländern kooperieren mit Google Arts & Culture. Mit dem Art Projektor können Kunstinteressierte sich Monets „Seerosen“ sogar in Originalgröße an die Wand beamen.
Der Art Projektor von Google funktioniert mit Augmented Reality (AR), genauso wie das neue „Museum From Home“-Feature in der AR-App des amerikanischen Unternehmens Cuseum. Mit diesem Feature lassen sich ebenfalls Kunstwerke an die eigene Wohnzimmerwand projizieren.
„Angesichts der COVID-19-Pandemie und der weit verbreiteten Schließungen von Museen auf der ganzen Welt war die Notwendigkeit, eine alternative, abgelegene Möglichkeit zu schaffen, Kunst und Kultur zu erleben, nie größer als heute”, sagt Brendan Ciecko, CEO & Gründer von Cuseum.
Viele Museen seien bislang bei dem Thema Digitalisierung zögerlich gewesen, blickt auch Dennis Willkommen zurück. Sie hatten Angst, dass niemand mehr ins Museum kommt. Das wird sich nun ändern.
Und hier ein weiteres Argument für die digitalen Angebote: Haben wir jemals auf eine New York-Reise verzichtet, nur weil wir Filme vor New Yorker Kulisse geschaut haben? Eher nicht.