Neue technologische Höhenflüge in der nachhaltigen Luftfahrt
- Die Luftfahrtindustrie gehört weltweit zu den bedeutendsten Wirtschaftszweigen: Sie umfasst 87,7 Millionen Arbeitsplätze, ist an mehr als einem Drittel aller Handelstransaktionen beteiligt und für 4,1 % des weltweit erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts verantwortlich – und für 2,4 % aller Treibhausgasemissionen
- Die Vorteile des Generativen Designs und der Additiven Fertigung versprechen, die Umweltbilanz der Branche angesichts ihres anhaltenden Wachstums zu verbessern
- Fortschrittliche Fertigungstechnologien ermöglichen die Entwicklung leichterer und effizienterer Flugzeuge, die die Branche bei der Einhaltung der internationalen Emissionsvorgaben und der Förderung der nachhaltigen Luftfahrt unterstützen
Am 17. Dezember 1903 ereignete sich im Himmel über Kitty Hawk im US-Bundesstaat North Carolina etwas, das damals wie ein Wunder erschienen sein muss. An diesem historischen Tag gelang Orville und Wilbur Wright – zwei Brüdern, die in Dayton, Ohio, einen Fahrradladen besaßen – erstmals in der Geschichte der Menschheit ein kontrollierter Flug mit einem motorisierten Flugobjekt, das schwerer als Luft war. Das auf den Namen „Wright Flyer“ getaufte Flugzeug blieb gerade einmal zwölf Sekunden lang in der Luft, erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von rund 11 km/h und legte eine Strecke von 37 Metern zurück. Doch so kurz der Flug war, so groß war auch seine Wirkung: Fast 120 Jahre später gehört die Luftfahrtindustrie zu den bedeutendsten globalen Wirtschaftszweigen. Sie umfasst 87,7 Millionen Arbeitsplätze, ist an mehr als einem Drittel aller Handelstransaktionen beteiligt und für 4,1 % des weltweit erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts (BIP) verantwortlich.
Anders ausgedrückt: Wäre die Luftfahrt ein Land, stünde ihre Wirtschaft weltweit auf Platz 17 und wäre damit etwa mit Indonesien oder den Niederlanden vergleichbar. Prognosen der Air Transport Action Group (ATAG) zufolge wird die Nachfrage im Luftverkehr in den nächsten 20 Jahren um durchschnittlich 3 % pro Jahr steigen und bis 2038 143 Millionen Arbeitsplätze und ein BIP von mehr als 6 Billionen Euro generieren.
Luftfahrt ist auch ein Umweltfaktor
Für die Millionen von Touristen, die von einem unersättlichen Fernweh gepackt sind, und für die unzähligen globalen Unternehmen, die über Grenzen und Ozeane hinweg ihren Geschäften nachgehen möchten, mag das eine gute Nachricht sein. Doch das unaufhörliche Wachstum der Branche geht zulasten der Umwelt: Laut Angaben des Environmental and Energy Study Institute (EESI) erzeugt der Luftverkehr etwa 2,4 % der weltweiten Kohlenstoffemissionen.
Auch wenn die Branche damit weniger Kohlenstoffemissionen verursacht als die Automobilindustrie, die Stromerzeugung sowie der Industrie- und Landwirtschaftssektor, so ist diese Zahl dennoch nicht zu unterschätzen. Um den vorherigen Vergleich aufzugreifen: Wäre die kommerzielle Luftfahrt ein Land, so wäre sie der sechstgrößte Umweltverschmutzer der Welt und läge damit zwischen Deutschland und Japan. Trotz der Effizienzgewinne, die im Laufe der letzten 60 Jahre in der Flugzeugherstellung erzielt wurden, stellte der Passagierflugverkehr Statistiken der EESI zufolge vor der COVID-19-Pandemie die weltweit wachstumsstärkste Quelle von Treibhausgasemissionen dar.
Kritiker der Luftfahrt – darunter etwa der niederländische Umweltschutzverband Fossielvrij NL, der im Juli gegen die niederländische Fluggesellschaft KLM die erste Greenwashing-Klage in der Geschichte der Luftfahrt einreichte – beteuern, dass die einzige Möglichkeit, die ökologischen Auswirkungen des Luftverkehrs zu bekämpfen, darin bestehe, weniger zu fliegen. Bei Fluggesellschaften findet diese Ansicht wenig Anklang. Diese setzen ihrerseits auf die Macht der Technik, um ihre Klimabilanz mittels fortschrittlicher Technologien zu verbessern, ohne das Wachstum der Branche auszubremsen.
Eine Lösung mit Hilfe von Generativem Design und Additiver Fertigung
Genau dieser Aufgabe hat sich auch das Gemeinsame Unternehmen für saubere Luftfahrt der Europäischen Union – anknüpfend an sein Vorgängerprogramm, das Gemeinsame Unternehmen Clean Sky 2 – verschrieben. Mit dem Ziel, die Netto-Treibhausgasemissionen des Flugverkehrs bis 2030 um mindestens 30 % zu senken, hat die Initiative bisher 4 Milliarden Euro an Zuschüssen in Forschungsprojekte zur Steigerung der Treibstoffeffizienz investiert. Zu den Nutznießern gehören das Advanced Technology Team von GE Aerospace in München, die Technische Universität Dresden und ein Konsortium zur Förderung der Technologiereife unter der Leitung der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Letzteres ist gemeinsam mit Autodesk UK in ein Forschungsprojekt zur Entwicklung fortschrittlicher, energieeffizienterer Flugzeugtriebwerke involviert.
Das gemeinsame Projekt trägt den Namen MOnACO (die Abkürzung steht für „Manufacturing of a Large-Scale Additive Manufacturing Component“) und konzentriert sich auf die Entwicklung, Optimierung und Erprobung einer mehr als 100 Einzelteile umfassenden Komponente, die für jedes Flugzeug unentbehrlich ist: das Turbinenzwischengehäuse. Dabei setzt das Team auf Generatives Design und Additive Fertigung.
„Im Grunde ging es darum, die ganzen Einzelteile zu einem einzigen zu verschmelzen“, erklärt Andy Harris, leitender Forschungsingenieur bei Autodesk Research in London. Von diesem Ansatz erhoffte das Team sich nicht nur einen einfacheren Fertigungsprozess, sondern vor allem ein Ergebnis mit geringerem Gewicht: „Je leichter das Turbinenzwischengehäuse ist, desto weniger Treibstoff wird verbraucht und desto niedriger sind auch die Kohlenstoffemissionen. Außerdem lassen sich durch den geringeren Treibstoffverbrauch auch die mit dem Fliegen verbundenen Kosten reduzieren. Das Ganze hat also sowohl ökonomische als auch ökologische Vorteile.“
Um die denkbar große Herausforderung der Fusion von mehr als 100 Einzelteilen zu meistern, entschied man sich bei MOnACO für den Einsatz von Generativem Design und Additiver Fertigung. Nach der Bestimmung der entsprechenden Designparameter und Leistungsanforderungen vertraute das Team auf Autodesk Fusion 360, um automatisch eine Reihe verschiedener Entwurfsoptionen mit unterschiedlichen Anforderungen in puncto Materialien und Fertigungsverfahren zu generieren.
„Die Software liefert Informationen über die Leistung des Entwurfs – also zu Faktoren wie Steifigkeit, Festigkeit und Sicherheit – sowie über die Masse und die Kosten der Komponente auf der Grundlage des Materials, des Fertigungsverfahrens und der Komplexität des Entwurfs“, fährt Harris fort. „So werden die verschiedensten Entwürfe in der Cloud generiert. Diejenigen, die zu teuer oder zu schwer ausfallen würden, können dann einfach aussortiert werden. Das erleichtert die Entwurfserkundung wirklich enorm.“
Insgesamt durchlief das Team vier Iterationen, die allesamt rigorosen Tests unterzogen wurden.
„Nach der Durchführung von Struktur-, Flüssigkeits- und Fertigungssimulationen ließen wir einige der Komponenten in Hamburg herstellen und stellten sie in Dresden auf den Prüfstand“, schildert Harris. Dabei habe sein Team die tatsächliche Leistung der physischen Prototypen mit den Simulationen verglichen. „So gewannen wir mit jeder Iteration ein besseres Verständnis des Verhaltens des Bauteils unter reellen Bedingungen. Die gewonnenen Erkenntnisse ließen wir dann jeweils in die nächste Iteration einfließen. Mit jedem neuen Versuch gelang es uns, die Steifigkeit zu erhöhen, die Masse zu reduzieren und den Druckabfall innerhalb des Systems zu optimieren, bis wir schließlich bei unserer vierten und letzten Iteration angelangt waren.“
Einer der Hauptvorteile der letzten Iteration des Teams betrifft das Wärmemanagement. Hier konnten dank einer mit Autodesk Volumetric Kernel – einem neuen Tool zur Gestaltung überaus komplexer Geometrien in Fusion 360 – gestalteten Gitterstruktur bedeutende Fortschritte erzielt werden.
Nachhaltige Luftfahrt durch effizientere Triebwerke
„Durch das Turbinenzwischengehäuse strömt eine Menge Gas, das extrem heiß ist und enorm viel Wärme abgibt“, wie Harris erklärt. „Die Gitterstruktur ist eine Art Schutzschicht zwischen der heißen Innenhaut und der Außenhaut, was die Wärmeübertragung von innen nach außen deutlich reduziert. Wir schätzen, dass dadurch über die gesamte Lebensdauer der Komponente 16 Gigajoule an Wärmeenergie eingespart werden. Das heißt, dass mehr Energie das Triebwerk erreicht, um dort die Turbine anzutreiben, bevor sie hinten wieder austritt.“
Konkret bedeutet das: Das Triebwerk ist um einiges effizienter, als es mit herkömmlichen Herstellungsverfahren möglich wäre. Dessen war sich auch das Team bewusst. Daher fasste man den Entschluss, auf die Additive Fertigung, genauer gesagt auf das Laser-Pulverbett-Verfahren, zurückzugreifen. Dabei wird schichtweise Metallpulver aufgetragen und mit einem Hochleistungslaser Schritt für Schritt gesintert.
„Die Additive Fertigung bietet die gestalterische Freiheit, fast jeden beliebigen Entwurf umzusetzen, den Generatives Design hervorbringen kann“, so Dirk Herzog, der als Forscher an der Technischen Universität Hamburg arbeitet. „Die Technologie hat eindeutig bewiesen, dass sie das Potenzial birgt, die Masse von Bauteilen in einem anders nicht denkbaren Ausmaß zu reduzieren.“
Tatsächlich waren die MOnACO-Forscher eigenen Angaben zufolge in der Lage, die Masse des Turbinenzwischengehäuses um ganze 30 % zu verringern. Nach der Fertigstellung des Entwurfs wurde in einer Anlage von GE Additive ein maßstabsgetreuer Prototyp hergestellt, der anschließend bei Autodesk intern nachbereitet und mit dem Entwurf verglichen wurde. Da die Industrie strengen Sicherheitsnormen unterliegt, wird es zwar vermutlich noch einige Jahre dauern, bis das Bauteil in großem Maßstab in Flugzeugen zum Einsatz kommt, doch das Projekt stellt einen wichtigen nächsten Schritt auf dem Weg zu einer umweltfreundlicheren Luftfahrt dar.
„Die Luftfahrt ist nach wie vor maßgeblich an den globalen Kohlenstoffemissionen beteiligt“, so Herzog. „Langfristig könnten Elektroflugzeuge hier Abhilfe schaffen, doch in der Zwischenzeit sollte man jede Gelegenheit nutzen, die Emissionen von Flugzeugen mit Verbrennungsantrieb zu reduzieren.“
Ashish Sharma, leitender Ingenieur für Luftfahrttechnik bei GE Aerospace in München, hebt das in seinen Augen enorme Potenzial des innovativen Turbinenzwischengehäuses hervor. Das Projekt, so Sharma, sei der Beweis, dass sich Generatives Design und Additive Fertigung für die Herstellung großformatiger Bauteile und Komponenten eignen. „Die Resonanz und das Interesse seitens der Luftfahrindustrie sind groß“, berichtet er und betont, dass die gleichen Technologien und Prozesse auch zur Herstellung anderer Triebwerksteile eingesetzt werden könnten, um Flugzeuge vom Bug bis zum Heck noch effizienter zu gestalten.
„Gleichzeitig bringt die Tatsache, dass wesentlich weniger Bauteile benötigt werden, Wettbewerbsvorteile mit sich, da dadurch der mit der Montage verbundene Kosten- und Arbeitsaufwand sinkt“, betont Christina-Maria Margariti, Projektleiterin des Gemeinsamen Unternehmens für saubere Luftfahrt.
Indem sie die Entwicklung und Markteinführung innovativer neuer Produkte bis 2035 fördert, verfolgt die Initiative das Ziel, bis 2050 ganze 75 % der Luftflotte umweltfreundlicher zu machen. Vor diesem Hintergrund wären kurze Fertigungszeiten ein entscheidender Vorteil – insbesondere in der EU, die sich im Rahmen des europäischen Grünen Deals verpflichtet hat, bis 2050 eine klimaneutrale Wirtschaft zu schaffen. „Damit bis 2035 genügend Flugzeuge durch klimafreundlichere Varianten ersetzt werden, um bis 2050 unsere Umweltziele zu erreichen, sind wir daher auf kürzere Markteinführungszeiten und höhere Produktionsraten angewiesen“, betont Margariti. „Jede Verbesserung im Hinblick auf die Entwicklungs- und Fertigungszeiten bringt uns diesen Zielen näher.“