Ein nachhaltiger Campus für die weltweit erste klimapositive Universität
- In vielen afrikanischen Ländern herrscht Ernährungsunsicherheit, die sich durch Bevölkerungswachstum, Verstädterung und Erderhitzung weiter verschärfen wird
- Zur Bewältigung dieser Herausforderungen durch regenerative Landwirtschaft im industriellen Maßstab entstand in Ruanda mit staatlicher Förderung und ausländischen Investitionen das Rwanda Institute for Conservation Agriculture (RICA)
- Das Architekturbüro MASS Design Group plante den Campus unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsprinzipien, die mithilfe digitaler Tools umgesetzt wurden
Was haben Eisbären, Gletscher und Skigebiete mit Küstenstädten, sauberer Luft und Korallenriffs gemeinsam? Die Liste der durch die Erderhitzung in ihrer Existenz bedrohten Lebewesen und Lebensformen ist lang und beklemmend. Aus Sicht politischer Entscheidungstragender weltweit liegt das wohl größte Risiko jedoch in den Auswirkungen der Klimakrise auf die Lebensmittelversorgung.
„Die Klimakrise verursacht bereits heute weltweit Hungersnöte und droht zum Auslöser humanitärer Katastrophen zu werden“, heißt es in dem im Oktober 2023 vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) veröffentlichten Bericht „Changing Lives: Climate Action for People & Planet“. Das WFP identifiziert „extreme Klimaereignisse“ als „Hauptursache für akuten Hunger in 12 Ländern, in denen 56,8 Millionen Menschen im Jahr 2022 von akutem Hunger bis an den Rand der Hungersnot betroffen waren“.
Angesichts der wachsenden Anzahl und Häufigkeit von Ereignissen, die die weltweite Lebensmittelerzeugung bedrohen oder beeinträchtigen – Hitzewellen, Orkane, Wildbrände, Überschwemmungen, Dürren –, muss man kein Pessimist sein, um sich ein Szenario auszumalen, in dem die Zahl der betroffenen Menschen und Länder um ein Vielfaches höher liegt. Selbst in den reichsten Ländern der Welt kann ein einziges Wetterereignis zum falschen Zeitpunkt, das eine größere Gruppe von Landwirten trifft, katastrophale Folgen für Millionen von Personen und Familien haben.
Ernährungsunsicherheit, die durch die Klimakrise bedingt wird, ist eindeutig ein globales Problem. Politische Maßnahmen zu ihrer Bewältigung müssen jedoch auf lokaler und regionaler Ebene ansetzen.
Wie das in der Praxis funktionieren kann, zeigen vielversprechende Projekte aus mehreren afrikanischen Ländern. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen ist bis 2050 mit einer Verdopplung der heutigen Bevölkerung auf dem gesamten Kontinent zu rechnen, wodurch sich die unsichere Ernährungslage weiter verschärfen wird. Dass in Ruanda 2023 die Bauarbeiten für die weltweit erste klimapositive Universität abgeschlossen wurden, hat vor diesem Hintergrund eine Bedeutung, die weit über den Symbolcharakter eines prestigeträchtigen Vorzeigeprojekts hinausgeht. Am Rwanda Institute for Conservation Agriculture (RICA) soll eine neue Generation die Methoden und Grundsätze der regenerativen Landwirtschaft erlernen, um mehr Menschen mit geringerer Umweltbelastung zu ernähren.
Durch die konsequente Förderung nachhaltigerer Praktiken sowohl in der Landwirtschaft als auch im Bauwesen will das neue Institut nicht nur einen Beitrag zur Ernährungssicherung leisten, sondern auch Lösungsansätze zur Bekämpfung der zahlreichen weiteren negativen Folgen des Klimawandels entwickeln und aufzeigen.
Von der Kleinparzelle zum industriellen Agrarbetrieb
Finanziert wurde das umgerechnet knapp 70 Millionen Euro teure Projekt durch eine Kombination aus staatlicher Unterstützung und Investitionen aus dem Ausland. Mit Unterstützung der Howard G. Buffett Foundation entstand auf einem Areal von knapp 14 km2, das vom ruandischen Landwirtschaftsministerium bereitgestellt wurde, eine Hochschule, die durch praxisorientierte Lehre auf der Basis regionsspezifischer Forschung zur Förderung von Nachhaltigkeit und Resilienz in der Agrarwirtschaft beitragen soll.
Für Planung und Bau des Campus in der ländlichen Kommune Kamara 60 km südöstlich der Hauptstadt Kingalli zeichnet die MASS Design Group verantwortlich, die vor Beginn der eigentlichen Bauphase zunächst die erforderliche Infrastruktur – insbesondere Wasser- und Stromversorgung sowie eine Zugangsstraße – anlegen musste. „Die ganze Ortschaft verwandelte sich in eine Kleinstadt“, erzählt Noella Nibakuze, die die Planung für das RICA-Projekt leitete. „Dadurch, dass es plötzlich eine Straße und elektrisches Licht gab, nahm die wirtschaftliche Aktivität enorm zu – die Menschen fanden es toll, dass sie sich nach sechs Uhr abends draußen aufhalten konnten und dort noch Licht hatten.“
Die Bauarbeiten begannen 2018 und wurden in drei Phasen bis 2023 abgeschlossen. Insgesamt entstanden rund 70 Gebäude, darunter Wohnheime für Studierende und Lehrkräfte, Seminarräume, Scheunen, Lagerhallen und Verarbeitungsanlagen. Im ersten Jahr erlernen die Studierenden traditionelle kleinbäuerliche Anbaumethoden auf Parzellen mit einer Fläche von zwei Hektar, die den Familienbetrieben nachempfunden sind, die die ruandische Landwirtschaft dominieren. Im zweiten und dritten Studienjahr stehen spezialisierte agrar- und betriebswirtschaftliche Ansätze auf dem Lehrplan, die die Studierenden darauf vorbereiten sollen, nach dem Abschluss erfolgreiche Agrarunternehmen im industriellen Maßstab zu gründen und zu führen.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf Methoden der konservierenden Landwirtschaft wie Direktsaat, Dauerbegrünung, Fruchtfolge, Wasserbewirtschaftung und Ressourcenmanagement.
„Ruanda ist ein kleines, sehr hügeliges Land, daher ist von Natur aus nur ein begrenzter Anteil der vorhandenen Flächen für die Agrarwirtschaft geeignet“, so Nibakuze. „Wenn sich unsere Bevölkerung wie erwartet bis 2050 verdoppelt, müssen wir mit noch weniger Agrarland eine noch größere Anzahl von Menschen versorgen. Diese Frage bildete den Ausgangspunkt für den ganzen Lehrplan: Wie bringt man angehenden Landwirten bei, mit nachhaltigen Methoden auf weniger Land mehr zu produzieren?“
Nachhaltigkeit als Planungsprinzip
Das Konzept, die Nachhaltigkeitsprinzipien, die die Universität vermitteln soll, bereits in der Planungsphase einzubringen, stammt von MASS, wie Nibakuze berichtet: „Niemand hat uns Nachhaltigkeitskriterien auferlegt oder von uns gefordert. Uns erschien es jedoch wichtig, den Nachweis zu erbringen, dass ein derartiges Großprojekt mit emissionsarmen Baustoffen machbar ist.“
Als Unterzeichner des 2030 Commitment, mit dem das American Institute of Architects sich zur Umsetzung der Kohlenstoffneutralität bis 2030 verpflichtet hat, hat MASS bei sämtlichen Aspekten der Planung Wert auf Nachhaltigkeit gelegt. Der gesamte Campus ist netzunabhängig und deckt seinen gesamten Energiebedarf aus einer auf dem Gelände installierten Solarfarm. Das benötigte Wasser wird aus einem angrenzenden See bezogen und in eigenen Kläranlagen gereinigt. Das Regenwasser wird über natürliche Bioswales mit einheimischen Pflanzen abgeleitet, und die Gebäude wurden so ausgerichtet, dass sie möglichst viel natürliches Licht und Belüftung erhalten, sodass praktisch keine mechanische Belüftung und künstliche Beleuchtung erforderlich ist. Dank langfristiger Aufforstungsmaßnahmen soll das RICA bis 2040 klimapositiv werden, d. h. mehr Kohlenstoff binden als ausstoßen.
Noch beeindruckender ist die Tatsache, dass MASS 96 % der verbauten Werkstoffe (nach Gewicht) aus dem Inland beschaffte, wodurch die transportbezogenen Emissionen drastisch reduziert wurden. Dies gilt auch für die Einrichtungsgegenstände, die MASS mit Unterstützung von 85 ruandischen Handwerkern, Unternehmern und Genossenschaften entwarf und fertigte. Zusammen haben sie über 3.300 Objekte hergestellt, die langfristig weniger Abfall verursachen, da sie vor Ort gewartet und repariert werden können, während Importgüter bei Defekten normalerweise entsorgt und ersetzt werden.
Gebaut wurde u. a. mit Lehmquadern sowie Dachziegeln aus Terrakotta, die vor Ort hergestellt wurden. Der Lehmbau hat weltweit eine über tausendjährige Tradition, war in Ruanda jedoch aus Sicherheitsgründen verboten. Stattdessen wurden bei Bauprojekten überwiegend Betonblöcke und Tonziegel aus nicht nachhaltiger Produktion verwendet, erläutert Nibakuze. Dabei sei die schlechte Sicherheitsbilanz des Baustoffs Lehm vor allem darauf zurückzuführen, dass er beim Hausbau ohne Beratung durch entsprechend ausgebildete Ingenieure oder Maurer eingesetzt wurde. „Seit 2019 sind Lehmziegel für spezifische Anwendungen im Wohnungsbau zugelassen“, berichtet Nibakuze weiter. „MASS hat später in Kooperation mit der ruandischen Regierung und anderen Interessengruppen neue Normen und Richtlinien für ihre Verwendung erarbeitet.“
Lehmziegel weisen im Vergleich zu Stahl eine sehr viel bessere Kohlenstoffbilanz auf. Ihre Verwendung entsprach zudem dem Auftrag der Universität, wie Nibakuze ausführt: Da es bei der konservierenden Landwirtschaft vor allem um die Erhaltung eines gesunden Bodens gehe, sei es nur folgerichtig gewesen, den Campus aus der gleichen Erde zu bauen, die die Studierenden bewirtschaften sollen. Der Stein, den MASS für die Gebäudefundamente verwendete, wurde ebenfalls vor Ort beschafft; beim Dachbau kam nachhaltig bewirtschaftetes Holz aus Ruanda, Tansania und Südafrika zum Einsatz.
Technologie als entscheidender Erfolgsfaktor
Als weiteren entscheidenden Erfolgsfaktor nennt Nibakuze den Einsatz digitaler Tools bei der Planung und Umsetzung des Bauvorhabens. Autodesk Revit unterstützte die Zusammenarbeit zwischen Architektur- und Ingenieurbüros und Bauunternehmern, durch die Zentralisierung von Projektdaten und die Erleichterung der Kommunikation in Echtzeit. BIM 360 wurde als Plattform für das Baumanagement vor Ort genutzt, um die Kommunikation zu verfolgen, Modelle zu prüfen und Arbeitsabläufe zu planen.
MASS verwendete außerdem AutoCAD für herkömmliche Planungsaufgaben und Civil 3D zur Entwicklung nachhaltiger Strategien für die Wasserwirtschaft, insbesondere Systeme für die effiziente Sammlung, Speicherung und Nutzung von Regenwasser sowie die ressourcenschonende Landschaftsgestaltung.
„Tools wie AutoCAD, Revit und Civil 3D leisten einen wichtigen Beitrag bei der Planung und Realisierung nachhaltiger Gebäude. Sie machen es Planenden einfacher, die Gebäudeleistung zu optimieren, umweltfreundliche Materialien auszuwählen, Ressourcen effizient zu verwalten und effektiv zusammenzuarbeiten, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen“, resümiert Nibakuze. Den Hauptvorteil sieht sie in der effizienteren Zeitplanung: Durch die Straffung von Kommunikation, Verwaltung und Dokumentenmanagement können Architekten und Architektinnen mehr Zeit für die Lösung von Planungsproblemen aufwenden, die die negativen Umweltfolgen ihrer Projekte verringern.
Die Erfahrungen aus dem RICA-Projekt stimmen sie optimistisch, dass sich bei zukünftigen Bauvorhaben ähnlich positive Ergebnisse erzielen lassen. „Wir hoffen, dass mehr Kollegen und Kolleginnen Zeit darin investieren, die Ökobilanz ihrer Bauprojekte zu verbessern“, so Nibakuze. „Das gilt nicht nur für Ruanda. Ich würde mir wünschen, dass der ganze Kontinent und die ganze Welt nachhaltige Architektur und Werkstoffe aus lokalen Quellen als wertvollen Kulturschatz wahrnehmen und behandeln.“