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Nachhaltiger Straßenbau: Ein niederländisches Konsortium setzt neue Maßstäbe

  • Eine nachhaltige Autobahn soll die Verkehrslage um Rotterdam entlasten und neue Maßstäbe für umweltschonenden, energieneutralen und somit nachhaltigen Straßenbau setzen
  • Naturschutzmaßnahmen, Solarpaneele und innovative Bauverfahren zur Reduzierung der Lärmbelastung und Luftverschmutzung sind Kernelemente des Nachhaltigkeitskonzepts
  • BIM und 3D-Modellierung spielen bei der Umsetzung eine entscheidende Rolle

Ob Autostrada, Autopista oder Interstate – Hochgeschwindigkeitsstraßen bedeuten Freiheit und Mobilität: Gaspedal durchtreten, keine Stoppschilder in Sicht, freie Fahrt für Menschen und Güter, die auf schnellstem Weg von Stadt zu Stadt und zwischen Stadt und Land rasen.

Diese Vorteile haben ihren Preis. Autobahnen belasten die lokalen Ökosysteme. Neben den Abgasen aus Millionen von Verbrennungsmotoren durchtrennen große Straßen auch natürliche Lebensräume. Tierwanderungen werden beeinträchtigt, und Verlagerungen des Oberflächenabflusses verändern die Menge und Richtung der Wasserströme. Wenn Straßen aus Naturschutzgründen unterirdisch verlegt werden, erhöht das wiederum den Energieverbrauch für die Beleuchtung, Wartung, Überwachung und Belüftung von Tunneln.

Die Folgen für die menschliche Gesundheit sind ebenfalls beträchtlich. Anwohnende stark befahrener Straßen sind erheblichen Zusatzbelastungen durch Luftverschmutzung und damit auch einem höheren Risiko von Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgesetzt.

In Rotterdam arbeitet eine Gruppe niederländischer Bauunternehmen, Planungs- und Ingenieurbüros nun daran, diese Negativfolgen durch den Bau einer neuartigen nachhaltigen Autobahn zu minimieren, die sich besser in die natürliche und gebaute Umgebung einfügen soll.

Staus sind ein tägliches Problem auf der Umgehungsstraße um Rotterdam. In Zukunft soll eine 11 km lange Verbindungsstrecke zwischen den Autobahnen A13 und A20 im Norden der Stadt den Durchgangsverkehr reduzieren und die Lebensqualität der Anwohnenden verbessern.

Für die Planung und Ausführung zeichnet ein Konsortium namens De Groene Boog (Grüner Bogen) verantwortlich, dem die renommierten Firmen Croonwolter&drosMobilisBESIXDura VermeerJohn Laing und Rebel angehören.

Mit dieser Auftragsvergabe setzte die niederländische Straßenbaubehörde ein deutliches Zeichen für die Bedeutung und den Vorbildcharakter des ehrgeizigen Milliardenprojekts, dessen nachhaltiger Ansatz für den gesamten Infrastrukturlebenszyklus im Straßenbau bislang einzigartig ist. 

Unterirdische Straßenführung als Naturschutzmaßnahme

Bauarbeiten für den verlängerten Tunnel. Die Tunnelsohle besteht aus einer verstärkten Unterwasserbetonsohle. Credit: Topview Luchtfotografie.

„Insgesamt geht es darum, die Autobahn so unauffällig wie möglich zu gestalten“, so Arjan Visser, technischer Leiter bei MOBILIS. Der Schlüssel zur Integration in die Umgebung ist ein verlängerter Tunnel, der die Straße und den Verkehr aus dem Blickfeld nimmt.

Der Tunnel soll sowohl das Naherholungsgebiet Lage Bergse Bos als auch den Fluss Rotte unterqueren. „Unsere Planung sieht auch eine Aufwertung des Erholungsgebiets durch neue Rad-, Reit- und Wanderwege vor“, erläutert Visser. 

Intelligente Lösungen für Strom, Heizung, Lüftung und Beleuchtung sollen die Ökobilanz des Tunnels verbessern. Die LED-Beleuchtung springt ein, wenn das natürliche Tageslicht nicht ausreicht. Die Fahrbahnen und Wände des Tunnels werden außerdem mit einer reflektierenden Oberfläche beschichtet, die die Umgebungsbeleuchtung verstärkt. 

Alle Tunnelsysteme und straßenseitigen Einrichtungen wie Notrufsäulen werden mit Gleichstrom betrieben – eine nachhaltigere Alternative zur bislang gängigen Standard-Wechselspannung. Der gesamte Strom wird durch Solarenergie aus Photovoltaik-Paneelen mit einer Gesamtfläche von 20.000 m2 erzeugt. Damit entsteht die erste energieneutrale Autobahn mit Tunnel in Europa.

Gezielte Maßnahmen zum Schutz der lokalen Umwelt gehören ebenfalls zum Baukonzept. So wurde z. B. ein spezielles Gewebe aufgespannt, das den Fledermäusen, die im Gebiet um die Baustelle ihren natürlichen Lebensraum haben, zusätzliche Deckung und Schutz bietet, um den Verlust an Baumbestand auszugleichen. 

Durch den Einbau von lärmminderndem Asphalt sowie durch die Errichtung von Lärmschutzwänden und Erdwällen in der Nähe von Wohngebieten und anderen bebauten Bereichen soll die Lärmbelastung verringert werden. Außerdem wird im Taktschiebeverfahren eine Überführung gebaut, d. h. die einzelnen Abschnitte der Überführung werden in einer Gießerei vorgefertigt und anschließend vor Ort eingeschoben.

Dadurch lässt sich die wochenlange Lärm- und Umweltbelastung durch die eigentliche Baustelle erheblich verringern. Digitale Tools zur Gebäudedatenmodellierung (BIM) und 3D-Modellierung sind für den reibungslosen Ablauf dieser Verfahren unverzichtbar.

Die Errichtung einer Überführung im Taktschiebeverfahren ist ein Novum im niederländischen Infrastrukturbau. Credit: Sjaak Boot Photography.

Intelligente Beleuchtung ist der Schlüssel zum nachhaltigen Autobahnbau

„Das BIM-Modell ist das Herzstück unserer Planung“, bekräftigt Hans Pos, Senior Consultant bei Croonwalter&dros. „Wir verwenden es zur Visualisierung und zum Testen der reinen Strukturelemente sowie aller Kameras, Notrufstationen und der Beleuchtung für 54 Anlagen im Tunnel. Wir können das Auftreten von Rauch oder einen Stau simulieren und den Katastrophenmodus aktivieren, um zu sehen, wie die Kontrollsysteme reagieren, und die Auswirkungen auf den Straßenverkehr zu berechnen.“ 

Als Energiefresser Nr. 1 auf Autobahnen und in Tunneln ist die Beleuchtung ein entscheidender Aspekt für die Erreichung der Projektziele in puncto Nachhaltigkeit. Auch hier spielt BIM eine wichtige Rolle, indem die Kalibrierung des Energieverbrauchs im Verhältnis zum verfügbaren Tageslicht unterstützt wird.

„Wir verwenden digitale Tests zur Vorbereitung und nehmen dann die Feinabstimmung der Beleuchtung mit dem menschlichen Auge vor“, erläutert Pos. „Die Kombination beider Verfahren verbessert die Präzision, und man kann den Energieverbrauch bereits viel früher im Bauprozess berechnen und berücksichtigen. Beispielsweise kann eine Sonnenlichtanalyse über das ganze Jahr hinweg durchgeführt werden, auf deren Grundlage wir entsprechende Maßnahmen ergreifen und so 30 % des Energieverbrauchs einsparen können.“

Fernüberwachung per digitalem Zwilling

Ein Rendering der fertigen Autobahn. Credit: Rijkswaterstaat.

Nach der Fertigstellung soll der Echtzeitbetrieb auf der neuen Autobahn mithilfe eines virtuellen 3D-Modells überwacht werden. Ihr digitaler Zwilling Twin-16 wird mit Daten von eingebetteten Sensoren und Kameras gespeist und unterstützt Verkehrsleitzentralen und Straßenbauingenieure bei der laufenden Überwachung aller Vorgänge und Leistungskennzahlen. Statt auftretende Störungen und potenzielle Gefahren wie bisher vor Ort zu untersuchen, ist mit dem digitalen Zwilling eine zuverlässige Fernüberwachung möglich.

Im Vergleich zum 3D-BIM-Modell bietet der digitale Zwilling andere Möglichkeiten zur Vernetzung mit Echtzeitdaten. BIM wird hauptsächlich in der Entwurfs- und Konstruktionsphase verwendet. Mit dem digitalen Zwilling kann überwacht werden, wie sich die Autobahn tatsächlich verhält, wenn sie von Pkw und Lkw mit hoher Geschwindigkeit befahren wird.

BIM unterstützt die Kommunikation

Der Einsatz von BIM vereinfacht die Zusammenarbeit und vermittelt allen Beteiligten ein klares Verständnis des aktuellen Projektstands. 

„Für Menschen, die nicht aus der Branche kommen, sind unsere Zeichnungen oft schwer durchschaubar“, meint Pos. „Wenn Sie den Standort und das Layout für ein Feld mit Solarmodulen planen, ist eine flache Zeichnung für jemanden aus der Gemeindeverwaltung schwer zu verstehen. Mit einem 3D-Modell können Sie dem Bauherrn die Perspektive des Autofahrers veranschaulichen. Dann versteht jeder, warum ein Fahrer z. B. von einem Schild abgelenkt werden könnte. BIM bedeutet, dass man eine Idee für Auftraggeber und Projektpartner zum Leben erwecken kann und ihnen die Entscheidung erleichtert, was in der Praxis möglich ist und was nicht.“

Über den Autor

Mark de Wolf ist freier Journalist und preisgekrönter Copywriter, der sich auf Technologie-Themen spezialisiert hat. Er wurde im kanadischen Toronto geboren, beschreibt sich selbst als „Made in London“ und lebt heute in Zürich. Sie erreichen ihn online unter markdewolf.com.

Profile Photo of Mark de Wolf - DE