So schaffen Emissionsrechner mehr Nachhaltigkeit in der Architektur
- Effektive Methoden zur Berechnung der verbauten Emissionen sind eine entscheidende Voraussetzung für mehr Nachhaltigkeit im Architektur-Bereich
- Eine neue Generation von Software-Tools unterstützt Architekten und Bauunternehmer bei der Abwägung zwischen klimatischer Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Rentabilität – ganz ohne umständliche und zeitraubende Tabellenkalkulationen
- Durch präzise Quantifizierung der Umweltfolgen von Planungsentscheidungen bereits in der Frühphase eines Projekts wird eine deutliche Reduzierung der verbauten Emissionen – teilweise um über 50 % – möglich, wie die hier vorgestellten Praxisbeispiele zeigen
Ecohelix ist ein schwedisches Unternehmen, das sich auf Biotechnologie und grüne Baustoffe auf Holzbasis spezialisiert hat. Entsprechend stand beim Bau einer neuen Produktionsstätte mitten in einem Waldgebiet das Bemühen im Vordergrund, die Umweltbelastung durch Kohlenstoffemissionen auf ein absolutes Minimum zu beschränken.
Zahlen und Daten haben in der Architektur-, Ingenieur- und Baubranche (AEC) einen hohen Stellenwert, daher wollte man die Klimabilanz des Bauprojekts präzise quantifizieren. „Wir stellen einen holzbasierten Werkstoff her, der sich positiv auf die Klimabilanz der gesamten Wertschöpfungskette eines Gebäudes auswirkt“, betont der Chief Technology Officer von Ecohelix, Oskar Schmidt. „Insofern liegt es nahe, für die Fabrik, in der er produziert wird, ebenfalls möglichst nachhaltige Baustoffe zu verwenden, soweit das praktisch und wirtschaftlich machbar ist.“
Mit der Planung der neuen Anlage wurde das Stockholmer Unternehmen Sweco beauftragt, das zu den führenden beratenden Architektur- und Ingenieurbüros in Europa zählt und im Rahmen seines Leistungsangebots mit dem Carbon Cost Compass (C3) eine intern entwickelte digitale Lösung zur Berechnung von Kohlenstoffemissionen bereitstellt. Der Emissionsrechner gehört zu einer neuen Kategorie von Software-Tools, die Architekten und Ingenieure in der Entwurf- und Planungsphase eines Bauvorhabens bei der schwierigen Abwägung zwischen Nachhaltigkeit und Kosten unterstützen.
Die heute gängigen Emissionsrechner berücksichtigen die verbauten (grauen) Emissionen (sog. „Embodied Carbon“) spezifischer Baustoffe bzw. prognostizieren die Klimabelastung, die durch den Betrieb des fertiggestellten Gebäudes entsteht. Teilweise können auch weitere Faktoren in die Berechnung für mehr Nachhaltigkeit in der Architektur einbezogen werden – etwa die Konsequenzen bestimmter Entscheidungen bei der Auswahl von Logistikpartnern oder die Vorkehrungen für Abriss und Entsorgung am Ende des Gebäudelebenszyklus.
Nachhaltigkeit in der Architektur: Genau gemessen ist halb gewonnen
Aktuell zählt die AEC-Branche zu den größten Klimasündern. Aus einem im November 2022 veröffentlichten Statusbericht der Uno geht hervor, dass sowohl der Energieverbrauch als auch die CO2-Emissionen 2021 neue Spitzenwerte erreichten. Insgesamt entfielen 37 % der globalen energie- und prozessbedingten CO2-Emissionen auf den Bausektor – 2 % mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019.
Bis 2060 sollen Neubauten mit einer weltweiten Gesamtfläche von 230 Milliarden m2 entstehen. Die Branche muss daher dringend Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass diese rege Bautätigkeit zu einer weiteren Zunahme ihrer direkten und indirekten Treibhausgasemissionen führt. Emissionsrechner können hier wichtige Impulse geben, indem sie Planungsfachleuten aussagekräftige Daten und Fakten liefern, die sie bei strategischen Entscheidungen über Klima- und Kostenfolgen in sämtlichen Phasen des Gebäudelebenszyklus unterstützen können.
Früher wären für derartige Berechnungen zeitaufwändige Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Daten mithilfe von Tabellenkalkulationen erforderlich gewesen – einmal abgesehen davon, dass unter Umständen gar keine zuverlässigen Daten zur Gebäudegeometrie und den Baustoffen verfügbar waren. Jede noch so kleine Änderung hätte eine Neuberechnung erforderlich gemacht.
Mit der richtigen Software lässt sich dieser Vorgang, der früher mehrere Tage gedauert hätte, heute mit wenigen Klicks erledigen. AEC-Fachleute können in Minutenschnelle die Klimafolgen unterschiedlicher Planungsentscheidungen – sowie etwaiger Änderungen im weiteren Projektverlauf – präzise berechnen und miteinander vergleichen.
Ein effektiver Emissionsrechner gibt anhand von granularen Daten auf dem jeweils aktuellen Stand des Architekturmodells präzise Auskunft über die Kohlenstoffbilanz eines Bauvorhabens. Damit haben alle Projektbeteiligten die Möglichkeit, die Auswirkungen von Planänderungen auf die Emissionen und Kosten in Echtzeit zu visualisieren und bei der Abwägung zwischen Nachhaltigkeit und betriebswirtschaftlicher Rentabilität zu berücksichtigen.
Speziell entwickelte Rechner für unterschiedliche Bauphasen
Die Anwendungsfälle für die heute erhältlichen Emissionsrechner korrespondieren weitgehend mit spezifischen Phasen innerhalb des Gebäudelebenszyklus. Alle hier vorgestellten Lösungen lassen sich nahtlos mit BIM-Daten integrieren. Informationen zu weiteren Tools finden Sie auch auf der Website des Carbon Leadership Forum (CLF).
Vorplanung
Das US-Architekturbüro EHDD stellt mit dem EPIC-Tool einen Rechner bereit, der die grauen Emissionen eines Gebäudes anhand von Vorentwürfen und Planungskonzepten projizieren kann. Wenn keine ausreichenden Angaben zu Werkstoffen und Bemaßung vorliegen, werden anhand des c.scale-Datenmodells Schätzwerte errechnet, die auf dem Vorentwurf sowie aktuellen Branchendaten basieren. Der C3-Rechner von Sweco kann in dieser Phase ebenfalls zielführend eingesetzt werden und hat sich u. a. bei der Planung der Ecohelix-Fabrik als Grundlage für klimaschonende und kostensparende Materialentscheidungen bewährt.
Entwurfs- und Genehmigungsplanung
In späteren Planungsphasen, wenn bereits ausreichende Informationen zur Gebäudegeometrie und den Bauprodukten vorliegen, um ein komplettes BIM-Modell zu erstellen, empfiehlt sich der Einsatz von Rechnern wie dem C3 von Sweco, tallyCAT (siehe unten) sowie Autodesk Insight: Carbon Insights. Mit Carbon Insights (aktuell als Tech Preview erhältlich) kann die Kohlenstoffbilanz von Außenwänden und Fenstern direkt in Autodesk Revit berechnet werden. Das Tool liefert unmittelbar verwertbare Erkenntnisse zur klimatischen Nachhaltigkeit unterschiedlicher Baustoffe und berücksichtigt sämtliche energie- und prozessbedingten Emissionen von der Rohstoffgewinnung bis zur industriellen Fertigung.
Ausführungsplanung
Der EC3-Rechner (Embodied Carbon in Construction Calculator) wird vom gemeinnützigen Fachverband Building Transparency gebührenfrei bereitgestellt. Die Integration mit dem ebenfalls gebührenfreien Tally Climate Action Tool (tallyCAT) in einer zentralen Plattform ermöglicht eine ganzheitliche Bilanzierung aller verbauten und operativen Emissionen des geplanten Gebäudes. Die Berechnung der grauen Emissionen aus der Logistikkette der ausgewählten Bauprodukte ist ebenfalls möglich.
Ganzheitliche Analyse: von der Projektierung bis zum Abriss
One Click LCA ist ein Software-Tool, das über die Analyse der verbauten und operativen Emissionen hinaus auch die klimatischen Auswirkungen der Außerbetriebnahme sowie der Vorkehrungen für Abriss und Entsorgung am Ende des Gebäudelebenszyklus berücksichtigt und berechnet. Damit verfügen Architekten über alle erforderlichen Informationen zur Unterstützung eines auf Nachhaltigkeit optimierten Planungsprozesses, der den Zertifizierungskriterien für klimaschonende Bauprojekte entspricht./p>
Im Einsatz für mehr Nachhaltigkeit in der Architektur: Emissionsrechner in der Praxis
Die Entwurfspläne für die neue Unternehmenszentrale von Interface, einem Hersteller von Bodenbelägen, in Atlanta sahen ursprünglich eine Grundfläche von 6.500 m2 vor. Infolge der Analyse mit dem E3-Rechner entschied man sich letztlich für eine drastisch verkleinerte Variante mit entsprechend geringerer Umweltbelastung.
Durch ein flexibles Hotdesking-Konzept anstatt fester Arbeitsplätze wurde zunächst der Flächenbedarf auf 3.700 m2 reduziert. Im nächsten Schritt berechnete das für die Planung zuständige Architekturbüro die Kohlenstoffbilanz für zwei unterschiedliche Ausführungsoptionen: einen Neubau bzw. die Sanierung einer Immobilie aus den 1960er Jahren in der Innenstadt von Atlanta.
Interface entschied sich für den Umbau und konnte durch Sanierung der vorhandenen Bausubstanz und Wiederverwendung von Ziegeln die verbauten Emissionen um 50,48 % reduzieren. Insgesamt wurde die Klimabelastung des Bauprojekts (einschließlich Parkplätze) um 42 % reduziert.
Nachhaltigkeit als Planungsprinzip der Architektur-, Ingenieur- und Baubranche
Die AEC-Branche ist seit Jahren auf der Suche nach zuverlässigen Methoden zur Messung von Umwelt- und Klimafolgen. Bislang scheiterten einschlägige Bemühungen an mangelnder Transparenz aufgrund der unübersichtlichen Vielzahl konkurrierender Modelle und Maßnahmen. Die aktuellen Fortschritte in der Entwicklung von Emissionsrechnern versprechen hier Abhilfe und stellen Architekten und Bauträgern zukunftsfähige Möglichkeiten zur Gewinnung präziser und aussagekräftiger Ergebnisse in Aussicht.
„In den Frühphasen eines Bauprojekts besteht ein sehr enger Zusammenhang zwischen den Emissions- und Materialkosten der unterschiedlichen Werkstoffoptionen“, berichtet Mathias Näll, der bei Sweco für digitale Entwicklung zuständig ist. „In diesem Frühstadium kann man entscheidende Weichenstellungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Materialauswahl vornehmen und sich dadurch mehr Kontrolle über den weiteren Projektverlauf verschaffen.“