Was ist das Besondere an skandinavischer Architektur? Die Nordeuropäer sind weltweit führend, wenn es um einen nachhaltigen Baustil geht. Anhand von drei einzigartigen Projekten beschreiben nordische Architekten die Ansätze hinter ihren innovativen, budgetbewussten und umweltfreundlichen Gebäuden – und warum es wichtig ist, diese auf globaler Ebene zu skalieren.
Was macht jenen besonderen Zauber aus, der skandinavischer Architektur innewohnt? Vom städtischen Wohnungsbau bis hin zum Gewerbepark mitten auf dem flachen Land strahlt die gebaute Umwelt im Norden Europas ein beneidenswertes Charisma aus. Dabei ist es nicht nur die Ästhetik, die sie so attraktiv macht – auch in puncto Nachhaltigkeit im Bauwesen haben die skandinavischen Länder die Nase vorn.
Der Leiter der Stockholmer Handelshochschule, Lars Strannegård, brachte es im Interview mit der Financial Times auf den Punkt: Für skandinavische Unternehmen stehe das Bemühen im Vordergrund, „Nachhaltigkeit in sämtliche Abläufe zu integrieren“. Er beruft sich auf seine Landsmännin Greta Thunberg, wenn er sagt: „Die Nähe zur Natur liegt für uns auf der Hand. Sie ist nicht nur die Grundlage für einen Großteil unserer Industrie, sondern auch Teil unserer Kultur.“
Entsprechend hat Nachhaltigkeit für viele Menschen in Dänemark, Finnland, Schweden, Norwegen und Island einen enormen Stellenwert. Skandinavische Architektur besticht durch den Einsatz naturbelassener Werkstoffe wie Holz und Stein. Bei der Planung spielt die optimale Nutzung des Tageslichteinfalls eine ebenso wichtige Rolle wie die Überzeugung, dass Räume flexibel anpassbar und Gebäude weniger für die Ewigkeit errichtet als vielmehr problemlos rückbaubar sein müssen. Farben und Konturen sind oft von Vorbildern aus der Natur inspiriert. Insgesamt ergibt sich eine Ästhetik, die sich auf Vereinfachung, Minimalismus und effiziente Funktionalität als Grundpfeiler stützt und für die Nachhaltigkeit praktisch kein Thema, sondern eine Selbstverständlichkeit ist.
Woher kommt dieser Fokus auf Nachhaltigkeit? Die Vermutung liegt nahe, dass es mit der Kälte zu tun hat. In Ländern mit langen, dunklen Wintern ist die Sehnsucht nach Licht und Wärme besonders stark ausgeprägt und findet Ausdruck in Bauwerken, die beides zelebrieren.
Diese Erklärung greift jedoch zu kurz – meint jedenfalls Noel Wibrand, der beim dänischen Architekturbüro Dorte Mandrup für die digitale Planung zuständig ist. Er macht eher geopolitische Realitäten für den skandinavischen Hang zur Nachhaltigkeit verantwortlich, und zwar insbesondere die Ölkrise in den 1970er Jahren. Der damalige Schock habe zu umfassenden Reformen des Steuersystems und der Bauvorschriften geführt und die Reduzierung des Energieverbrauchs in sämtlichen Phasen des Planungszyklus in den Mittelpunkt gerückt.
Entsprechend nahmen die Entscheidungsträger in der skandinavischen Bauwirtschaft und -politik Nachhaltigkeit und Umweltschutz bereits zu einem Zeitpunkt ernst, als sie anderswo noch als esoterische Randthemen galten. Auch die Vorteile von BIM und Generativem Design wurden sehr früh erkannt und ausgenutzt.
Die in diesem Beitrag präsentierten Projekte der Architekturbüros Dorte Mandrup, White Arkitekter und ARKÍS arkitektar veranschaulichen auf ihre je eigene Weise sehr überzeugend den Erfolg eines Baustils, der Nachhaltigkeit in sämtlichen Phasen von der Werkstoffauswahl über das Building Lifecycle Management bis hin zum Abriss des Gebäudes zum Maß aller Dinge erhebt.
„Diese Projekte zeigen, was sich durch eine konsequent nachhaltige Planung erreichen lässt: eine Architektur mit heilsamer Wirkung, mehr Sicherheit und weniger Verschwendung“, bekräftigt Lynelle Cameron, die als Vice President bei Autodesk für Nachhaltigkeit zuständig ist und die Autodesk Foundation leitet. „Die hier vorgestellten Ansätze weisen den Weg in Richtung kohlenstofffreie Wirtschaft und zahlen sich sowohl menschlich als auch finanziell aus.“