Smarte Wiederverwendung von Olympia-Infrastruktur: ein klarer Erfolg für Gastgeberstädte

Ist olympische Infrastruktur dazu verdammt, nach Ende der Spiele auf ewig leer zu stehen? Keineswegs: über die Strategien zur langfristigen Wiederverwendung.

olympic infrastructure

Radha Mistry

7. Mai 2019

Min. Lesedauer

Die Austragungsorte vergangener Olympischer Spiele tragen das Vermächtnis der Traditionsveranstaltung bis heute offen zur Schau ­– doch offenbaren zumeist ein alles andere als glänzendes Bild. Seit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, ausgetragen 1896 in Athen, ist es den wenigsten Gastgeberstädten gelungen, die anlässlich der Wettkämpfe errichtete Infrastruktur auf sinnvolle Weise wiederzuverwenden. So bleibt der Großteil der 80.000 Sitzplätze des für die Sommerspiele 2008 errichteten Nationalstadions Peking bis heute meist leer. Schlimmer noch: Die ehemaligen Olympischen Dörfer in Rio de Janeiro und Athen liegen ­– entgegen der von den Spielen verheißenen Stadterneuerung ­– brach und verödet.

Obwohl London in dieser Hinsicht besser als viele andere Gastgeberstädte abschneidet, äußerten die Einwohner der Metropole im Vorfeld der hier ausgetragenen Olympischen Sommerspiele 2012 tiefe Besorgnis über die möglichen Auswirkungen der Großveranstaltung – allen voran im Hinblick auf das öffentliche Transportwesen, lokale Unternehmen und Stadtviertel. Die enormen Besucherscharen, so die Befürchtung, könnten die ohnehin bereits überlasteten Strukturen zusätzlich unter Druck setzen. Unterdessen blieben Vorhaben zur Wiederverwertung der errichteten Olympia-Infrastrukturen – wie etwa die geplante Schaffung bezahlbarer Wohnräume im East End – auf der Strecke.

Dass es durchaus auch anders geht, zeigt seit 1972 die Stadt München. Ihr scheint gelungen zu sein, woran andere Olympia-Gastgeber gescheitert sind. Denn auch heute noch locken der Olympiapark und das Olympiastadion jedes Jahr zu sportlichen wie auch kulturellen Anlässen jeglicher Art Millionen von Besuchern an.

Als Los Angeles 2018 den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2028 erhielt, befand sich die weitläufig zersiedelte Stadt in der Anfangsphase eines Projekts zur Neugestaltung seines Transportnetzwerks, dessen Umsetzung nicht weniger als 20 Jahre in Anspruch nehmen soll. Ziel der zunächst von rechtlichen Hürden erschwerten Initiative „Measure M“ ist neben einer besser vernetzten Stadt dank effektiver Transportmöglichkeiten auch die Entwicklung einer nachhaltigeren Alternative zur veralteten Wasserinfrastruktur. Doch nun steigt angesichts des bevorstehenden Olympia-Events die Sorge, die langfristigen Bedürfnisse der Stadtbewohner könnten gegenüber den kurzlebigen Anforderungen der Spiele in den Hintergrund rücken.

illustration of robots building an arena

Was wäre jedoch, wenn LA seine derzeitigen Infrastrukturprobleme lösen und gleichzeitig Pionierarbeit im Hinblick auf die erfolgreiche Wiederverwendung seiner olympischer Stätten leisten könnte? Wie stehen die Chancen des zukünftigen Olympia-Veranstalters, das Erfolgsbeispiel München in den Schatten zu stellen?

Die Planung der Olympischen Spiele ist für jede Gastgeberstadt ein delikater Balanceakt. Es gilt, einen proaktiven und innovativen Ansatz auf Basis eines generativen Design-Modells zu verfolgen, der angesichts neu aufkommender Faktoren und lokaler Sachzwänge ausreichend Spielraum für Anpassungen und Veränderungen zulässt – das Ganze könnte auch als „vorausschauende Stadtplanung“ bezeichnet werden. Wenngleich dieses Konzept zugegebenermaßen anfangs etwas schwammig wirken mag, würde eine derartige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bedeuten, dass die Notwendigkeit, unvorhergesehene Probleme im Nachhinein lösen zu müssen, der Geschichte angehören könnte.

Im Zuge der Weiterentwicklung von Planungs- und Gestaltungsprozessen müssten nicht zuletzt auch jene Rollen überdacht werden, die bei der Umsetzung von Infrastruktur eine Rolle spielen. So könnten beispielsweise Fachkräfte für die dynamische Ressourcenplanung eine ganze Reihe verschiedener Bauprojekte in der Metropolregion rund um Los Angeles verwalten. Der Einsatz von Robotern würde in dieser Hinsicht das Potenzial bergen, auch auf Baustellen von der bereits in den Fertigungslinien bewährten Berechenbarkeit und Produktivität der elektronischen Helfer zu profitieren.

Das Potenzial von Automatisationsprozessen im Bereich der dynamischen Ressourcenplanung könnte völlig neue Wege eröffnen und selbst die Beaufsichtigung mehrerer, im Rahmen eines umfassenden Konstruktionsumfelds miteinander vernetzter Baustellen zum Kinderspiel machen. Die Arbeit über eine zentrale Plattform ­– anstatt an einer Vielzahl verschiedenster Parallelprojekte ­– könnte sich als Schlüssel für eine sichere, effektive und bedarfsgerechte Versorgung von Baustellen mit Materialien, Gerätschaften und Bauarbeitern entpuppen. So ließen sich Materialverschwendung und Überschüsse an Arbeitskräften verhindern. Kurz gesagt: Die Überdenkung des Status quo könnte der Baubranche zu mehr Ressourceneffizienz und einem besseren Marktgleichgewicht verhelfen.

In einer weiteren Rolle könnten Datenexperten – sogenannte Data Advocates – als Vermittler zwischen dem öffentlichen Sektor und Privatpersonen fungieren. Ihre Aufgabe bestünde darin, gemeinsam mit lokalen Gemeinschaften und Regierungen einerseits sowie dem Internationalen Olympischen Komitee (IOK) andererseits Entwicklungsstrategien auf die Beine zu stellen und in diesem Zusammenhang relevante Daten für die Öffentlichkeit zu „entziffern“. Besonders aussichtsreich wäre eine Zusammenarbeit zwischen Data Advocates und weiteren Fachleuten wie etwa Experten für die datengestützte Nachrüstung, die ihrerseits anhand von Predictive Analytics die Folgen von Nachrüstungen abschätzen und die benötigten Ressourcen bestimmen könnten. Die Berücksichtigung der öffentlichen Meinung ist ein anspruchsvoller, aber umso notwendigerer Bestandteil der Entwicklungsarbeit.

Angenommen, ein derart fortschrittliches Expertenteam ließe sich eigens für die Gestaltung und Umsetzung olympischer Infrastrukturen zusammenstellen, so könnte das IOK Anreize für eine realistische Budgetplanung, mehr Transparenz und nachhaltige Investitionen im Interesse der Öffentlichkeit schaffen. Wenn es gelänge, die Spiele als Gelegenheit zu positionieren, Politikern die Umsetzung regionaler Transport- und Infrastrukturziele zu ermöglichen und der Öffentlichkeit durch datengestützte Erkenntnisse ein höheres Maß an Mitbestimmung zu verschaffen, könnten die Gastgeberstädte daraus nachhaltige Vorteile ziehen.

Illustration of robots sitting on scaffolding

Noch knapp neun Jahre wird es dauern, bis in Los Angeles das Olympische Feuer entfacht wird. Bis dahin steht die Stadtverwaltung vor der Aufgabe, inmitten der anspruchsvollen Programm- und Kapazitätsplanung die Bedürfnisse ihrer Bürger nicht zu kurz geraten zu lassen. Schließlich spielen nicht nur Faktoren wie Projektkosten und Terminplanung, sondern auch Wohnbedürfnisse, der langfristige Zugang zu notwendigen Ressourcen – Lebensmittel, Wasser, Bildungseinrichtungen und Transportportinfrastruktur – sowie ein ansprechendes Besuchererlebnis eine wichtige Rolle.

Keine Frage: Solche neuen Wege stellen eine Herausforderung dar, die sich gewaschen hat. Doch Hilfsmittel wie generatives Design erlauben es Planungsfachleuten, selbst komplizierteste Projekte zu bewältigen und in Zusammenarbeit mit Gestaltungs- und Konstruktionsteams einen ganzheitlichen Lösungsansatz zu verfolgen. Gibt es für Bauexperten der Extraklasse insofern eine bessere Gelegenheit, ein solch innovatives System zu erproben als ein Projekt von buchstäblich olympischen Ausmaßen? Dank der Möglichkeit, Ressourcenbeschränkungen wie Wasserknappheit oder enge Bautermine zu berücksichtigen, könnten generative Design-Tools einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer auf Anpassbarkeit ausgelegten Planungsweise leisten. Und auch bereits vorhandene Einrichtungen ließen sich dadurch zu Austragungsorten für Olympia-Wettkämpfe umfunktionieren, während temporär errichtete Infrastrukturen problemlos wieder abgerissen werden könnten, um die Rohmaterialien im Rahmen anderer Projekte wiederzuverwerten.

Unabhängig von der konkreten Umsetzung wird die vorausschauende Stadtplanung zweifelsohne kein vollkommen reibungsloses Unterfangen sein. Wie dem IOK schnell bewusst wurde, stellt Los Angeles unter den bisherigen Gastgeberstädten einen Sonderfall dar: Aufgrund der Unmöglichkeit, unvorhersehbare Eventualitäten wie die Veranstaltung der Olympischen Spiele bei den Vorbereitungsarbeiten für das laufende, auf mehrere Jahrzehnte angelegte Stadterneuerungsprojekt in Betracht zu ziehen, steht die Stadtverwaltung heute vor der Aufgabe, geplante Initiativen unter dem Gesichtspunkt neu zu bewerten, ob sie sich mit den Infrastrukturanforderungen der Spiele in Einklang bringen lassen.

Illustration of connected roads and walking paths

So wird zum Beispiel das U-Bahn-Netz der Stadt, das US-weit zu den besten seiner Art zählt, nur von einem Bruchteil seiner Einwohner genutzt. Die umfangreichen Vorbereitungsarbeiten für die Olympischen Spiele könnten jedoch den Ball ins Rollen bringen und die notwendigen Änderungen anstoßen, um Transport- und sonstigen Infrastrukturen in LA ­– sowie in anderen künftigen Olympia-Gastgeberstädten – neues Leben einzuhauchen.

Malen Sie sich folgendes Zukunftsszenario aus: In einer frisch renovierten U-Bahn-Station ertönt in gleichmäßigem Rhythmus das Signal sich öffnender und schließender Wagontüren auf einer einst eingestellten und erst kürzlich wieder ins Leben gerufenen U-Bahn-Strecke. Die Haltestellen: eine für LA typische Kulisse aus Einfamilienhäusern, Coffee Shops und Straßenmärkten. Eine Gruppe von Teenagern steigt aus der U-Bahn aus, gefolgt von einer Mutter mit zwei kleinen Kindern und ein paar müden Berufspendlern. Eine Reihe selbstfahrender Privatautos flitzt vorbei, doch nur öffentliche Transportmittel (selbstverständlich mit elektrischem Antrieb), Fahrräder und Fußgänger dürfen in dieser staufreien Zone anhalten.

Im Falle von Los Angeles und weiteren Olympia-Gastgebern könnten solche Stadterneuerungs-Szenarien bereits in absehbarer Zukunft zur Realität zu werden. Werden die vielfältigen flexiblen Möglichkeiten der vorausschauenden Stadtplanung erst einmal genutzt, steht einer nachhaltigen Zukunft der Olympischen Spiele nichts mehr im Wege.

Ein besonderer Dank gilt unserer Autodesk-Praktikantin Jessy Escobedo, deren Recherchearbeit einen wesentlichen Beitrag zu diesem Artikel leistete.

Radha Mistry

Zur Person: Radha Mistry

Radha Mistry ist Expertin für Architektur, Narrative Environments und strategische Vorausschau. Bei Autodesk erforschte sie die potenziellen Auswirkungen neuer Technologien in den Bereichen der Architektur, des Ingenieurwesens, des Baugewerbes, der Fertigung sowie der Medien und Unterhaltung.

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