Das Plastikproblem: Wie kann man den Müll reduzieren?
- Plastik in der Umwelt: Die alarmierende Zunahme der Plastikmengen
- Warum es sich lohnt, an Lösungen für Plastikmüll zu arbeiten
- Wie kann man Kunststoff vermeiden: 3 Möglichkeiten für Fertigungsunternehmen
- Eine Zukunft ohne Plastikmüll
Vor 70 Jahren galt Plastik in der Fertigungsindustrie als die große Revolution. Die Vorteile lagen auf der Hand: Kunststoffe waren leichter als andere Materialen. So ersetzten sie zum Beispiel Glas oder Metall, wodurch sich Energie für den Transport und teurere Rohstoffe sparen ließen. Heute ist Plastik in der Fertigung nicht mehr wegzudenken. Hierfür gibt es neben den rein wirtschaftlichen Aspekten auch zahlreiche andere Gründe, die für das günstige Massenprodukt sprechen. So ist Plastik auch ein hygienisches Material. Medizinische Geräte aus Kunststoff lassen sich leicht versiegeln und sterilisieren, sodass Kreuzkontaminationen ausgeschlossen sind.
Aufgrund dieser Eigenschaften ist Plastik nicht nur in der Fertigung, sondern auch im menschlichen Alltag allgegenwärtig. Mittlerweile wurden sogar Spuren von Plastik auf dem Mount Everest und im menschlichen Verdauungssystem gefunden.
Plastik in der Umwelt: Die alarmierende Zunahme der Plastikmengen
In den letzten 40 Jahren hat sich die Plastikproduktion weltweit vervierfacht. Insgesamt haben sich rund um den Globus in den letzten 70 Jahren mehr als 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff angesammelt. Das liegt daran, dass der überwiegende Teil des jemals produzierten Plastiks noch immer auf dem Planeten existiert. Falls dieses Produktionsniveau anhält, gäbe es in 30 Jahren so viel Plastik, dass die Erde doppelt darin verpackt werden könnte, wie die Seite Harvard Business Review veranschaulicht.
Der Wille, Verpackungsmüll und Abfall zu vermeiden, hatte sich gerade zu einem Trend entwickelt, als die Corona-Krise ihm 2020 ein jähes Ende setzte. Die Pandemie führte weltweit dazu, dass die Herstellung bestimmter Einwegprodukte massiv hochgefahren wurde. Nachgefragt wurden vor allem Masken, Handschuhe, Verpackungen für Handdesinfektionsmittel, medizinische Schutzanzüge und Abstrich-Sets, aber auch Verpackungen für geliefertes Essen aus Restaurants.
In Bangkok verbrauchten die Menschen im April 2020 bis zu 62 Prozent mehr Plastik als noch 2019. Der Kunststoffmarkt rechnet auch für die kommenden Jahre mit einem beschleunigten Wachstum. Die gegenwärtigen Marktchancen für Kunststoffe sind zwar nur temporär den Sicherheitsbedürfnissen inmitten einer Pandemie geschuldet, doch die Konsequenzen werden weit darüber hinaus spürbar sein.
Das größte Problem entsteht, wenn Plastik zu Abfall wird: Schätzungen zufolge wird jedes Jahr Einwegplastik im Gegenwert von 100 Milliarden US-Dollar (PDF, S. 15 und 25) einfach weggeworfen. Zahlreiche Alltagsgegenständen aus Kunststoff werden lediglich für ein paar Minuten gebraucht und danach entsorgt. Noch immer beträgt der Anteil des wiederverwerteten Plastiks weltweit weniger als neun Prozent der Produktion. Der Rest wird bestenfalls thermisch verwertet oder landet direkt auf Deponien. Die Ozeane und die Lebewesen in ihnen leiden unter einer unübersehbaren Verschmutzung mit Kunststoffdreck.
Warum wird so wenig Plastik wiederverwertet?
Bisher war die Herstellung von Neuplastik im Vergleich zum Recycling schlicht billiger. Warum?
- Neuplastik wird aus billigem Rohöl hergestellt. Waren die Rohstoffkosten davor bereits gefallen, brach der Rohölpreis 2020 regelrecht zusammen. Damit sank vorläufig auch der Preis für Neuplastik erheblich und machte das Material wirtschaftlich attraktiv. Im gleichen Zeitraum verharrte der Preis für Rezyklate auf einem hohen Niveau. Oft ist dies den unwirtschaftlichen Rückgewinnungssystemen geschuldet. Manche Hersteller stellen sogar wieder auf Neuware um, anstatt rezyklierte Stoffe einzusetzen, wodurch sich die Nachfrage erhöht.
- Die Recycling-Infrastruktur ist überfordert und ineffizient. War es für Länder wie die USA oder Deutschland zuvor noch gang und gäbe, riesige Mengen ihrer Kunststoffabfälle nach China zu exportieren, hatte das Reich der Mitte 2018 buchstäblich genug davon. Chinas unvermittelter Einfuhrstopp überforderte die Recyclingindustrie in den Exportländern, sodass viele Abfälle seitdem auf Deponien landen oder in andere Länder abgeschoben werden. Unrühmliche Krönung dieser Misswirtschaft: Die USA sind inzwischen der größte Erzeuger von Plastikabfall weltweit; Deutschland ist in Europa Spitzenreiter. Die lokale Stoffstromwirtschaft muss leistungsfähiger werden, Recyclinganlagen müssten aufstocken.
- Nicht standardisierte Plastikprodukte erschweren das Recycling. Mit den bisherigen mechanischen Recyclingverfahren ist es nicht möglich, gemischte Kunststoffabfälle zu verarbeiten. Sogar unterschiedliche Farben stellen ein Problem dar. Recyclingunternehmen müssen daher große Mengen an sortenreinem Kunststoff sammeln und zwischenlagern, bevor sich das Recycling für diese Plastikart lohnt. Zu dieser Kategorie zählt beispielsweise Plastikbesteck. Da es in der Praxis schwierig ist, genügend davon zu sammeln, wird Einwegbesteck aus Kunststoff normalerweise auch nicht recycelt.
Ein Lösungsansatz liegt in einer höheren Standardisierung. Wären alle Plastikgabeln aus demselben Material und hätten die gleiche Farbe, könnte deren Recycling wirtschaftlicher gestaltet werden. Diesen Weg schlagen Initiativen wie NextGen Cup und die Aktion „Beyond the Bag“ ein. Die Idee dahinter: Unternehmen auf einer vorwettbewerblichen Ebene zusammenbringen und Alltagsprodukte wie Papierbecher oder Plastiktüten gründlich überdenken. Das Ziel dabei ist die Standardisierung dieser Produkte, sodass diese vollständig wiederverwertet werden können – auch unabhängig von der Marke.
Warum reagieren die Hersteller so langsam auf das Plastikproblem?
Noch gibt es Unternehmen, die weiter auf Plastik setzen. Doch auch sie verspüren einen zunehmenden Druck, beispielsweise durch Wettbewerber, die nachweislich umweltfreundlicher produzieren und diese Tatsache im Marketing einsetzen. Darüber hinaus kann ein unverantwortlicher Umgang mit Einwegplastik bestraft werden oder die Kapitalbeschaffung wird erschwert, wenn ein Unternehmen noch von Kunststoffen abhängig ist.
Da das Material jedoch so preiswert, vielseitig und langlebig ist, scheint es mitunter schwer zu fallen, Plastik zu ersetzen. Oft sind Spritzgießmaschinen und andere Geräte zur Herstellung von Plastikprodukten bereits abgeschrieben, während Investitionen in physisches Kapital für die Umstellung auf neue Materialien und Maschinen schwer darstellbar sind. An diesem Punkt kommt es daher maßgeblich auf die Selbstverpflichtung der Unternehmensführung an.
Die Umstellung mag schwierig sein, aber sie ist unumgänglich. Unternehmen können dies entweder ignorieren und die zunehmend kostspieligen Konsequenzen tragen oder aber den Sprung wagen und von den exzellenten Möglichkeiten profitieren, die ihnen der Wandel bietet.
Warum es sich lohnt, an Lösungen für Plastikmüll zu arbeiten
Lokale Verbote von Plastiktüten überall auf der Welt zeigen, dass gesetzliche Regelungen Teil der Lösung für das Problem sein können. Dennoch geht der vielversprechendste Einfluss vom Verbraucher aus. Für Hersteller ergeben sich neue Möglichkeiten, auf die Nachfrage umweltfreundlicher Lösungen zu regieren.
- Sie können Betriebskosten senken. Der französische Architekt und Designer Phillipe Starck hat zusammen mit dem italienischen Möbelhersteller Kartell einen Stuhl entwickelt, der zu 100 Prozent aus recyceltem Material besteht. Der Rohstoff wird aus dem eigenen Gewerbeabfall des Unternehmens gewonnen. Erstmalig verwendet damit ein Möbelhersteller Material, das aus den Abfällen seiner eigenen Produktion stammt. Dadurch spart das Unternehmen die Kosten sowohl für die Rohstoffe als auch für das Abfallmanagement.
- Sie sichern sich einen Wettbewerbsvorteil. Schon heute trifft ein Drittel der Verbraucherschaft eine bewusste Kaufentscheidung für ein nachhaltigeres Produkt. Für Fertigungsunternehmen steckt in der Umstellung auf zukunftstaugliche Produkte und Dienstleistungen ein erhöhtes Umsatzpotenzial von 338 Milliarden US-Dollar. Damit verbunden sind eine verbesserte Kundengunst und Loyalität, die dieses Angebot mit sich bringt.
- Erschließen Sie neue Investments. In seinem Anfang 2020 verfassten offenen Brief an Konzernchefs erläuterte Larry Fink, CEO beim weltgrößten Vermögensverwalter BlackRock, dass für Investoren längst neue Benchmarks zählen. Sie wollen nachhaltig investieren und interessieren sich für die Umwelt-, Sozial- und Führungsrichtlinien (ESG) eines Unternehmens. Dabei stellte Fink dar, wie wichtig der Verbrauch von Energie und Material eines Unternehmens ist. Aber auch auf Aspekte wie Arbeitssicherheit, Gesundheit und Diversität der Angestellten, Geschäftsethik, Shareholder-Rechte und Vergütungsregelungen für Führungskräfte würden Investoren genau schauen. Gleichzeitig erwarten Analysten der Bank of America Merrill Lynch, dass ESG-Fonds in den nächsten 20 Jahren noch einmal 20 Billionen US-Dollar an Vermögen zulegen können.
Wie kann man Kunststoff vermeiden: 3 Möglichkeiten für Fertigungsunternehmen
Die bewusste Abkehr von der unreflektierten Verwendung von Kunststoff ist auch eine Frage der Verantwortung. Unternehmen können bewusst Schritte einleiten, um den Wandel zu beschleunigen.
1. Ersetzen Sie Plastik durch alternative Stoffe
Fertigungsunternehmen können regenerative Materialien nutzen, die nach und nach auf dem Markt erscheinen und erdölbasierte Rohstoffe ersetzen.
- Dämmstoffe aus Pilzmyzel ersetzen Polysterol,
- Fischhaut und Algen ersetzen Verpackungsfolie aus Kunststoff,
- Biokunststoffe und kompostierbare Ersatzmaterialien für Plastik, die von Unternehmen wie Arkema und SABIC entwickelt werden, ersetzen Materialien in einer Reihe von Branchen, einschließlich Automobilbau und Elektronik.
Unternehmen, die eine Zertifizierung für den Einsatz moderner und nachhaltiger Stoffe erhalten, können ihre Produkte beispielsweise bei Amazon in der Kategorie Climate Pledge Friendly anbieten, die gezielt Verbraucher bedient, die nach umweltfreundlichen Produkten suchen.
2. Schließen Sie Stoffkreisläufe
Einige Unternehmen überdenken das Design und den Lebenszyklus ihrer Kunststoffprodukte und stellen ihr Geschäftsmodell auf eine Kreislaufwirtschaft um. So geht die Einkaufsplattform Loop beispielsweise neue Wege bei Lebensmittel- und Produktverpackungen. Das Unternehmen treibt die Entwicklung und Verwendung von wiederverwendbaren Mehrwegverpackungen bekannter Marken voran und bietet beispielsweise Verpackungen für Eiscreme von Häagen-Dazs aus Edelstahl und Deodorant von Dove aus Glas an.
Die Ellen MacArthur Foundation hilft den Übergang zu einer regenerativen Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Laut der Stiftung eröffnet die Umstellung von nur 20 Prozent der Kunststoffverpackungen auf wiederverwendbare, zirkuläre Modelle heute ein Marktpotenzial von zehn Milliarden US-Dollar. Viele bekannte Unternehmen wie IKEA, SC Johnson, Philips und BlackRock sind inzwischen strategische Partnerschaften mit der Stiftung eingegangen.
3. Binden Sie neue Technologien ein
Auch technologische Entwicklungen können den Wandel in der Branche voranbringen. Konstrukteure können mit Hilfe von Entwurfswerkzeugen wie Autodesk Moldflow alternative Materialien im Prozess problemlos berücksichtigen. Dabei können sie die Auswirkungen bestimmter Materialien auf die Wiederverwertbarkeit des Produkts und den Energiebedarf zu dessen Herstellung optimal überblicken. Autodesk Fusion 360 bietet beim Produktdesign die Möglichkeit, den Wert nachhaltiger Materialien, wie dem von Arkema entwickelten erneuerbaren Hochleistungspolymer Rilsan PA11, zu erkennen und diese Stoffe einzusetzen.
Andere Technologien, wie die Künstliche Intelligenz (KI), lassen sich im Produktlebenszyklus ebenfalls nutzen. So wendet beispielsweise AMP Robotics Künstliche Intelligenz in automatisierten Anlagen zur Stofferkennung und -trennung an. Dabei werden wiederverwertbare Stoffe von solchen getrennt, die nicht wiederverwertet werden können, wodurch sich die Recyclingrate erhöht.
Eine Zukunft ohne Plastikmüll
Beim Pariser Klimaabkommen wurde das Ziel beschlossen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Prognosen zufolge werden die Nationen dieses Ziel klar verfehlen, wenn keine drastischen Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen ergriffen werden. Der Stoffkreislauf von Kunststoffen trägt bereits jetzt einen erheblichen Anteil an der globalen Erderwärmung. Zur Herstellung der Produkte, die selbst aus Erdöl bestehen, werden zusätzlich große Mengen fossiler Primärenergie eingesetzt, bevor sie am Ende des Produktlebenszyklus schlimmstenfalls die Ökosysteme belasten. Nach derzeitiger Einschätzung wird die Kunststoffherstellung im Jahr 2050 einen Anteil von 15 Prozent der weltweiten Emissionen ausmachen. Das ist so viel, wie alle weltweiten Transportsysteme heute ausstoßen. Hinzu kommt, dass es in 40 Jahren, bezogen auf die Masse, mehr Plastik als Fische (PDF, p. 14) in den Weltmeeren geben könnte.
“Die globale Verpflichtung besteht darin, das nicht notwendige Plastik zu eliminieren, Innovationen für das von uns unbedingt benötigte Plastik zu entwickeln und dieses Plastik im Kreislauf zu halten.“—Dame Ellen MacArthur, britische Weltrekordseglerin und Gründerin der gleichnamigen Stiftung
Die Verantwortung liegt zu einem großen Teil beim produzierenden Gewerbe, aber auch die Verbraucher selbst können Druck auf die Hersteller ausüben, damit diese ihren Plastikeinsatz reduzieren. Greenpeace hat 2018 die zehn größten Plastiksünder in einer Liste veröffentlicht. Daraufhin haben all diese Unternehmen sich für mehr Nachhaltigkeit ausgesprochen und bemühen sich öffentlich darum, ihren Plastikeinsatz zu reduzieren oder mehr Rezyklate einzusetzen. 2019 kündigte Trader Joe’s an, sich um nachhaltigere Verpackungen zu bemühen, nachdem eine Greenpeace-Petition mit fast 100.000 Unterschriften das Unternehmen in die Pflicht genommen hatte. Auch die Umweltschutzorganisation „Break Free From Plastic“ hat kürzlich das Ergebnis ihrer jährlichen Recherchen über die weltweit größten Umweltverschmutzer für das Jahr 2020 veröffentlicht.
In ihrem Eröffnungsvideo zur Circularity 20-Konferenz sagte die britische Weltrekordseglerin Dame Ellen MacArthur: „Die globale Verpflichtung besteht darin, das nicht notwendige Plastik zu eliminieren, Innovationen für das von uns unbedingt benötigte Plastik zu entwickeln und dieses Plastik im Kreislauf zu halten.“ MacArthur räumte ein, dass Plastik zwar benötigt werde – vor allem für medizinische Zwecke –, aber es müsse dort zirkulieren, wo es einen echten Wert habe. Keinesfalls dürfe es im Meer landen.
Der Mensch hat die intellektuellen Fähigkeiten, Plastik aus dem Alltag zu verbannen und aus den Ökosystemen herauszuhalten. Für Fertigungsunternehmen, die ihr Geschäftsmodell umstellen und ihren Plastikeinsatz reduzieren, bieten sich vielversprechende Möglichkeiten. Die Kreislaufwirtschaft besitzt dafür ein milliardenschweres Potenzial. Unternehmen können Teil der Lösung für eines der größten und dringendsten Probleme der Welt sein.