Deutsche Ingenieurskunst auf Höchstleistung: Die digitale Planung der Taycan-Fabrik von Porsche
Im Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen wurde im September 2019 die komplexeste Fabrik in der Geschichte von Porsche eröffnet. In ihr wird der erste vollelektrische Sportwagen des Konzerns gebaut, der Taycan. Einerseits machen fahrerlose Transportsysteme die Fabrik maximal flexibel. Andererseits ist das Baugrundstück aufgrund der räumlich engen Stadtlage minimal beweglich gewesen. Till Moczarski hat diese Herausforderungen von Anfang an begleitet – er ist der Projektleiter Digitale Planung des neuen Montagegebäudes. Ein Rundgang in einer Fabrik der Superlative.
Till Moczarski steht an einer riesigen Fensterfront und schaut auf eine saftige Grünfläche hinab. „Das sind naturgeschützte Streuobstwiesen. Sie sind Teil des sogenannten Stuttgarter Rückens – über die Hügelkette dürfen Stuttgarter Gebäude nicht hinausragen, da sonst der Luftstrom im Stuttgarter Kessel gestört wird“, beschreibt er die Lage. Die Wiese sowie die benachbarten Bahngleise, auf die Moczarski zeigt, grenzen unmittelbar an das Porsche-Werk.
Ohne digitale Planung kaum realistisch
Das und der Umstand des sehr begrenzten Baufeldes zwangen Till Moczarski und sein Planungsteam, kreativ zu sein. Moczarski ist verantwortlich für die digitale Planung des neuen Montagegebäudes in Stuttgart/Zuffenhausen, in der seit September 2019 der erste vollelektrische Sportwagen des Konzerns gebaut wird, der Taycan. Drei Etagen zählt die neue Montage plus Untergeschoss, in dem sich die komplette Gebäudetechnik befindet. „Um den Kosten- und Terminplan einzuhalten, haben wir am Ende das Gebäude, die Gebäudetechnik wie Lüftung, Heizung, Elektro und Sprinkler und die Anlagen für die eigentliche Fahrzeugmontage parallel hochgezogen“, erinnert er sich. An einem Tag wurden die Heizplatten eingebaut, am nächsten Tag war der Anlagenstahlbauer schon vor Ort. „Wo, was und wann – all das muss vorab digital besprochen sein. Eine Generalprobe gab es einfach nicht“, so Moczarski. Er ist sich sicher: „Ohne digitale Absicherung wäre das nicht möglich gewesen. Eine Kollisionsprüfung vorab am Computer ist ein Muss.“
Kein Mülleimer und kein Roboter stehen in der Fabrik, ohne vorher auf Moczarskis Bildschirm abgesegnet worden zu sein. Alle Details aus der Fabrik befinden sich in dem sogenannten integrierten Fabrikplanungsmodell in der Autodesk Software Navisworks, das Moczarski noch weit vor Grundsteinlegung der Fabrik erstellte. Als Grundlage diente eine Revit-Szene, die das Gebäude inklusive Haustechnik zeigt und von dem Generalplaner RSE erstellt worden ist. „In dem Modell sprechen alle Konstrukteure, Planer und Lieferanten dieselbe Sprache. Es ist wie eine Art Sinfonie, wo man sich trifft und alles zusammenkommt.“ Bleibt man bei diesem Bild, dann ist Moczarski wohl der Komponist und Dirigent in einer Person. Und zwar einer, der die Liebe zum Detail besonders schätzt: „Das Koordinationsmodell ist zu 100 Prozent vollständig.”
Konstruktionen, die von Lieferanten kommen, wie Handhabungsgeräte oder Schraubwerkzeuge, werden zum Beispiel mit Autodesk Inventor erstellt. Sie müssen als 100-Prozent-Modell vorliegen und mit dem Gebäude im BIM-Modell der Baugewerke – das mit Autodesk Revit und AutoCAD erstellt wurde – harmonieren. Details, die könne man immer noch wegnehmen, wenn man sie nicht mehr brauche, so Moczarski. Aber sie im Nachhinein hinzuzufügen, das hingegen sei eher schwierig. „90 Prozent aller Fehlerkosten entstehen bereits in der Planung und müssen darum auch da behoben werden“, weiß Moczarski. Deswegen lasse er jedes Bauteil konstruieren, und sei es noch so winzig, um spätere Kollisionen mit dem realen Fahrzeug in der Montagelinie genauso zu vermeiden wie Kollisionen der einzelnen Gewerke der Fabrik.
Moczarski arbeitet nach eigenen Aussagen seit dem Jahr 1997 konsequent in 3D mit Autodesk-Lösungen. Als er damals noch Tuschezeichnungen von Konstruktionsbüros bekam, übertrug er diese erst einmal in eine 3D-Zeichnung am Computer. Auf die Frage, ob er den Software-Umgang in der Hochschule gelernt habe, antwortet er: „Die Hochschule hat es von mir gelernt“, und zwinkert.
Größtes Bauvorhaben in der Geschichte Porsches
Till Moczarski war auch von Anfang an mit dabei, als das Porsche-Werk in Leipzig auf „grüner Wiese“ geplant wurde. Stuttgart hingegen sei eine ganz andere Nummer. Einige hätten vor Beginn des Projekts an solch einer komplexen Fabrikplanung in Zuffenhausen ihre Zweifel gehabt – zu komplex in zu kurzer Zeit sei die Umsetzung. Für Moczarski war es eine Herausforderung, nach der er gesucht hatte. „Die Erfahrungen, die ich in Leipzig gemacht habe, haben mir ungemein bei der Planung hier am Hauptstandort geholfen“, berichtet er.
Bei der neuen Taycan-Fabrik handelt es sich um das größte Bauvorhaben seit Bestehen des Werkes in Zuffenhausen. Es ist eine neue Fabrik in der Fabrik, die in Rekordzeit von nur wenigen Monaten errichtet worden ist. Der Fußboden des Montagegebäudes trägt durchgängig drei Tonnen pro Quadratmeter, und die Deckenhöhe beträgt dennoch mehr als acht Meter. Die Stützen des Gebäudes haben bis zu 1,2 Meter im Querschnitt und die Luft wird im gesamten Gebäude vier Mal pro Stunde komplett ausgetauscht. Hier ist man an technische Grenzen gestoßen – was schnell klar wird, wenn man die dicht gedrängte Anlagen- und Gebäudetechnik an der Decke sieht.
Albrecht Reimold, Vorstand für Produktion und Logistik bei Porsche, beschreibt diese Extreme bei der Eröffnung des Werkes so: „Ich habe jetzt 30 Jahre Automobilerfahrung und viele Aufgaben meistern dürfen. In einem Brownfield-Standort – also einem Standort in urbanem Umfeld – bei Höchstauslastung eine neue Fertigung mit neuer Technologie und neuen Prozessen zu integrieren, ist meine bislang größte Herausforderung.“
Fahrerlose Transportsysteme bieten Flexibilität in der Fabrik
Mit neuer Technologie meint Reimold vor allem die fahrerlosen Transportsysteme, die in der Fabrik entweder die Autos bewegen oder Werkzeug und Zubehör von A nach B fahren, ohne dass ein Mensch sie manövriert. Klassische Fließbänder sucht man in der Taycan-Fabrik vergebens – die Produktion verläuft damit auf sogenannten Flexi-Lines, die später auch einmal mäanderförmig durch das Gebäude fahren könnten. Ihren Weg finden sie mit Hilfe von QR-Codes auf dem Boden und Reflektoren an Stützen und Wänden. Damit ist nicht nur der Produktionsbetrieb flexibel gestaltbar, sondern auch die Architektur des Werkes.
Porsche ist damit einer der ersten Automobilhersteller auf diesem Globus, der die fahrerlosen Transportsysteme in Serie in einer Fließfertigung einsetzt. „Das ist ein echter Schritt nach vorne. Wir haben damit nicht nur richtig Geld gespart, sondern Flexibilität gewonnen – die Fördertechnik bestimmt nicht mehr starr den Fertigungsfluss, sondern kann flexibel auf die Bedürfnisse der Betriebsmittel reagieren. Sehen Sie – das ist jetzt ein Tanzpalast“, meint Moczarski. Die neuen Abläufe wurden vorab in Virtual Reality (VR) getestet. „Die Technologie und das mächtige Tool Autodesk VRED haben uns ungemein bei dieser Simulation geholfen“, so Moczarski.
Fabrik 4.0: nachhaltig, flexibel und smart
Bei der Fabrik handelt es sich zudem um eine Zero Impact Factory, auf die Porsche besonders stolz ist. Dem Unternehmen geht es dabei nicht allein um die CO₂-Bilanz: Der Umweltaspekt wird ganzheitlich betrachtet, so auch Ressourcenverbrauch, Abfall und Mobilität rund um den Standort. Das Dach der Fabrik ist außerdem begrünt und mit Photovoltaik-Anlagen ausgestattet. Die elektrische Energie stammt aus regenerativen Quellen und die mit Biogas betriebenen Blockheizkraftwerke am Standort versorgen die Fabrik mit Wärme und zusätzlichen Strom.
Till Moczarski hat sichtlich Freude, wenn er durch die Fabrik führt. Am Ende seines Rundgangs kommt ihm ein Roboter entgegen, der gerade Material transportiert. Der Roboter bleibt stehen und hupt. Moczarski und die anderen Personen weichen aus. Der Roboter fährt weiter. Die Montagehalle läuft. Auf die Frage, ob Moczarskis Job nun beendet sei, lacht er. „Viele unterschätzen die Zukunftsfähigkeit des digitalen Koordinationsmodells. Es ist nicht nur die Grundlage der Planung, sondern wird uns noch die ganze Laufzeit des Gebäudes begleiten.“