Schichtholz – ein Game Changer im nachhaltigen Bau?
- Mit dem Ziel, der Umweltbelastung und anderen Nachteilen von Bauholz entgegenzuwirken, hat SOM unter dem Namen SLT (Spatial Laminated Timber) ein spezielles Schichtholz entwickelt
- Zur Erprobung des Werkstoffs in der Praxis hat das Unternehmen einen aus SLT gefertigten Pavillon realisiert
- Der Einsatz innovativer Materialien in kleinem Maßstab ist der erste Schritt in Richtung einer erfolgreichen Skalierung, um größer angelegte Projekte in Angriff zu nehmen und eine branchenweite Verwendung zu erzielen
In der Baubranche ist Beton nach wie vor die unangefochtene Nummer eins – und das aus gutem Grund, gehört es doch zu den stärksten Materialien überhaupt. Aber: Beton hat auch erhebliche Nachteile. Die Herstellung eines seiner Hauptbestandteile, des Zements, ist für rund 8 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Im Bestreben, ihre Klimabilanz zu verbessern, setzen Baustoffanbieter heute verstärkt auf Modelle der Kreislaufwirtschaft, um die Herstellung kohlenstoffarmer oder gar -neutraler Produkte zu fördern. Die moderne Stahlindustrie steht ihrerseits vor ähnlichen Herausforderungen – und einer ähnlichen Verantwortung. Wenngleich der Werkstoff rezyklierbar ist, sind bis zu 11 % der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Stahlproduktion zurückzuführen. Mithilfe von Maßnahmen zur Reduzierung ihrer Emissionen und Abfälle hoffen Hersteller, ihre Auswirkungen auf die Umwelt möglichst zu reduzieren.
Könnte Holz als nachhaltige Alternative in Frage kommen? Auf der einen Seite werden 15 % der weltweiten Treibhausgasemissionen durch die Abholzung von Wäldern verursacht. Auf der anderen Seite absorbiert Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern jedoch mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre, als es abgibt. Der Grund: Bäume sind in der Lage, Kohlendioxid nicht nur aufzunehmen, sondern auch zu speichern. Wenn Bäume zu Bauholz verarbeitet werden, wird der darin enthaltene Kohlenstoff nicht automatisch freigesetzt. Das passiert erst, wenn das Holz verbrannt wird oder verrottet. Aus dieser Perspektive betrachtet, gehört Holz zu den nachhaltigsten Baumaterialien überhaupt.
Die Kehrseite der Medaille: Trotz seiner Vorteile ist Holz keineswegs klimaneutral. Durch die Produktion, den Transport und die Verarbeitung zu Bauwerken wird dennoch Kohlenstoff freigesetzt. Hinzu kommt die begrenzte Verfügbarkeit des Werkstoffs. Zwar können Bäume nachgepflanzt werden, doch der Wiederaufbau eines abgeholzten Waldes nimmt Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte in Anspruch.
Ein vom Architekturbüro Skidmore, Owings & Merrill (SOM) in einem neuartigen, forschungsbasierten Verfahren unter dem Namen Spatial Laminated Timber (SLT) entwickeltes Schichtholz könnte die Antwort liefern. Der Einsatz in großem Maßstab birgt das Potenzial, der Architektur-, Ingenieur- und Bauindustrie zu neuen Höhenflügen in puncto Nachhaltigkeit und Innovation zu verhelfen.
Schichtholz: Ein innovatives Baumaterial
Das Team von SOM entwickelte das Schichtholz SLT in Zusammenarbeit mit Studierenden des Taubman College of Architecture and Urban Planning der University of Michigan im Rahmen eines gemeinsamen Technologie-Forschungsprojekts anlässlich der Chicago Architecture Biennial 2021. Als Inspiration diente dabei herkömmliches Kreuzlagenholz. Für dessen Herstellung werden Schichten aus technisch getrocknetem Holz kreuzweise miteinander verleimt, was dem Material seine typische strukturelle Stabilität und Integrität verleiht. Im Gegensatz dazu entsteht SLT, indem kleinere, präzise geschnittene Kantholzbalken anhand ineinandergreifender Holzverbindungen wie Fäden zu einer Art Gewebe miteinander verbunden werden. Je nach erforderlicher Stabilität verfügt das dadurch entstehende Konstrukt an wichtigen Stellen über zusätzliche Schichten.
„Einige der Herausforderungen bei der Verwendung von herkömmlichem Kreuzlagenholz sind die Größe der benötigten Bohlen sowie der Zeit- und Platzaufwand für die Anpflanzung von Bäumen im entsprechenden Maßstab“, erklärt Scott Duncan, Design Partner bei SOM. „Wenn man kleinere Holzplatten verwendet, braucht man nicht nur weniger Bäume, sondern kann auch Teile eines Baumes verwerten, die sonst weggeworfen werden. Man könnte sogar Holzüberreste von abgerissenen Gebäuden wiederverwerten.“ Schätzungen von SOM zufolge ließe sich der Holzbedarf im Rahmen von Bauprojekten im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren um 46 % reduzieren.
Ein weiterer Vorteil besteht laut Duncan darin, dass das Schichtholz eine effizientere Platzierung von Versorgungsinfrastuktur wie Rohrleitungen, Beleuchtung und Sprinkleranlagen ermöglicht. Da diese üblicherweise unter strukturellen Holzträgern untergebracht werden, müssen Wände höher gebaut werden, als dies andernfalls nötig wäre. Da sich die erforderlichen Anlagen bei der Verwendung von SLT stattdessen direkt in die Holzstrukturen integrieren lassen, ist es möglich, Gebäude mit niedrigeren Außenwänden zu bauen, ohne dass dies sich auf die Deckenhöhe im Innenraum auswirkt.
„Neben der Struktur enthält auch die Außenverkleidung eines Gebäudes große Mengen an Kohlenstoff“, fährt Duncan fort. Als gängige Verkleidungsmaterialien mit hohem Kohlenstoffgehalt nennt er Glas und Aluminium. „Wenn man die Höhe der Außenwand reduziert, benötigt man natürlich auch weniger Material.“
Tsz Yan Ng, außerordentliche Professorin für Architektur am Taubman College of Architecture and Urban Planning, unterstreicht die entscheidende Rolle der Technologie bei der Entwicklung des Schichtholzes. Zunächst gilt es, anhand von Raumanalysen unter Verwendung von Computermodellen die optimalen strukturellen Voraussetzungen zu ermitteln , d. h. wie viele SLT-Schichten erforderlich sind, um mit möglichst wenig Material ein Maximum an Stabilität zu gewährleisten. Anschließend werden in einem Labor mithilfe einer robotergesteuerten CNC-Maschine präzise Holzplatten geformt und zugeschnitten, die später auf der Baustelle zusammengesetzt werden.
„Die Vorteile der Technologie äußern sich weniger im Hinblick auf einzelne Lösungen als vielmehr im Hinblick auf Prozesse und Arbeitsweisen“, so Ng. „In diesem Fall nutzen wir Technologie mit dem Ziel, einen in der nordamerikanischen Bauindustrie allgegenwärtigen Baustoff aufzuwerten und möglichst sparsam einzusetzen.“
SLT in Aktion an der EPIC Academy
Um die Vorteile von SLT in der Praxis unter Beweis zu stellen, entwarf das Team von SOM gemeinsam mit den Studierenden des Taubman College einen maßstabsgetreuen Prototyp eines Holzpavillons, einer Konstruktion, die sonst in mehrstöckigen, feuerfesten Gebäuden als Tragwerk dient. Die Konstruktion tauften sie – in Anlehnung an die Bezeichnung Spatial Laminated Timber – auf den Namen „SPLAM“.
Errichtet wurde der SPLAM-Pavillon, der aus 412 Schichtholz-Platten besteht, die insgesamt 912 Holzstücke umfassen, auf dem Campus der EPIC Academy, einer öffentlichen Highschool in Chicago. Nach seiner Fertigstellung im September 2021 war er zunächst Schauplatz einer Reihe von Veranstaltungen im Rahmen der Chicago Architecture Biennial, heute dient er Schülerinnen und Schülern der Academy als Klassenzimmer und Aufführungsort im Freien.
„Anstatt einen Prototyp als simplen Machbarkeitsnachweis zu entwerfen, nur damit er auf der Mülldeponie landet, war es uns wichtig, einen Pavillon zu bauen, der tatsächlich genutzt wird“, so Ng. Als Inspirationsquelle hätten dem Team dabei die US-amerikanischen Freedom Schools der 1960er Jahre gedient – temporäre alternative Schulen, die von führenden Vertretern der Bürgerrechtsbewegung organisiert wurden und sowohl afroamerikanischen Schülern als auch ihren Eltern Räume boten, in denen sie als gleichberechtigte Bürger mit Wahlrechten behandelt wurden. „Als die Bauarbeiten begannen, befanden wir uns auf dem Höhepunkt der Pandemie, und es war tatsächlich sicherer, draußen zu sein als drinnen. In dieser Zeit kam außerdem die Black-Lives-Matter-Bewegung auf“, erinnert sich Ng. „Freedom Schools waren informelle Versammlungen, bei denen bürgerschaftliches Engagement und gemeinschaftliches Wachstum im Vordergrund standen. Durch das Schaffen einer Art offenen, flexiblen Unterrichtsraum sahen wir eine Gelegenheit, an dieses Kapitel der Geschichte anzuknüpfen.“
Maßgeblich an der Umsetzung des Pavillons beteiligt waren laut Ng die Masterstudierenden der Architekturabteilung des Taubman College. Diese hätten – in enger Zusammenarbeit mit den Ingenieuren von SOM – ein ganzes Studienjahr damit verbracht, SLT-Prototypen zu entwickeln und zu testen.
Während des gesamten Planungsprozesses vertraute das Team von SOM auf Autodesk Revit: Die Baupläne ermöglichten es, sämtliche Elemente des Pavillons vor Ort zusammenzubauen und entsprechend zu dokumentieren. Um die Bauarbeiten zu beschleunigen, wurden alle in Revit erstellten Modelle an das zuständige Unternehmen übermittelt. Darüber hinaus waren aufgrund des Designs der Kantholzplatten hochgradig gelenkige Holzverbindungen und vorinstallierte Schraubenhalterungen erforderlich. Mit Autodesk Dynamo ließen sich nicht nur diese Aufgaben in Angriff nehmen, sondern es konnte auch eine Animation erstellt werden, die dem Bauunternehmen als Montageanleitung diente. Nach Fertigstellung des Machbarkeitsnachweises, des endgültigen Designs und der Skripte erfolgte die Herstellung und Montage des Pavillons in jeweils einer knappen Woche.
Der Schlüssel für eine nachhaltigere Zukunft?
Der unmittelbare Nutzen von SPLAM als Unterrichts- und Gemeinschaftsort liegt auf der Hand. Von größerer Bedeutung ist jedoch das Potenzial des SLT-Verfahrens, die Holzbauindustrie langfristig von Grund auf zu verändern.
„Besonders in Zeiten der Umweltkrise ist es wichtig, die realen Auswirkungen des Betriebs von Städten und Gebäuden anzuerkennen und alles daran zu setzen, diese einzudämmen“, weiß Duncan. „Ein Projekt wie SPLAM ist nur ein kleines Rädchen im System, aber wir hoffen, dass wir damit ein Umdenken in der Bauindustrie anstoßen.“ Denn, so Duncans Überzeugung, weitreichende Veränderung beginne mit kleinen Schritten. Wie er betont, investiere SOM nicht aus Gründen der Anerkennung in forschungsbasierte Projekte wie SPLAM, sondern um den Weg für einen handfesten Wandel in der Planungs- und Baubranche zu ebnen.
„Bei SOM sprechen wir häufig über das Konzept der schrittweisen Innovation“, so Duncan. „Die Idee ist, dass man aus bisherigen Erfahrungen lernt und darauf aufbaut. Da wir oft an umfangreichen, komplexen Großprojekten arbeiten, müssen wir uns auf unsere eigenen Erfahrungen stützen, um Innovationen zu fördern.“
Forschungsbasierte Projekte bieten die Möglichkeit, völlig neue Bereiche zu erkunden und somit den Weg für weitgreifende Veränderungen zu ebnen, die früher oder später in neuen Maßstäben in Sachen Produktivität und Effizienz münden könnten. In dieser Hinsicht können innovative Pilotprojekte wie dieses ein wichtiger Schritt in eine gleichermaßen lukrative wie nachhaltige Zukunft des Bauwesens sein.
Natürlich findet ein solcher Wandel nicht über Nacht statt. Um einen praktischen Nutzen aus Innovationen ziehen zu können, müssen Unternehmen, die Forschungsprojekte finanziell unterstützen, ebenfalls in die für die Skalierung der auf diese Weise entwickelten Lösungen investieren.
„Ein oftmals übersehener Aspekt, wenn es um die Durchsetzung innovativer neuer Ansätze geht, ist die Rolle von Bauunternehmen“, betont Duncan. Ihm zufolge sei es wichtig, in Zusammenarbeit mit entsprechenden Auftragnehmern zu erproben, inwiefern sich innovative Ideen in der Praxis umsetzen lassen. „Es ist eine Sache, etwas in einem Labor unter optimalen Bedingungen zu entwickeln. Aber es auf einer echten Baustelle zu rekonstruieren, ist etwas ganz anderes.“
Hinzu kommt, dass neue Ansätze nicht nur funktionieren müssen. Zahlende Kunden erwarten Ergebnisse – und zwar mindestens genauso schnell und zu einem vergleichbaren Preis wie mit herkömmlichen Baustoffen und -methoden.
„Um neue Ideen in großem Maßstab umsetzen zu können, muss man die Baubranche in ihrer derzeitigen Form verstehen“, so Ng. „Ein Machbarkeitsnachweis ist nur dann etwas wert, wenn die Prozesse und Arbeitskräfte vorhanden sind, um ihn unter reellen Bedingungen zu rekonstruieren.“
Um ihre innovativen Visionen zu verwirklichen, müssen Unternehmen neue Rollen und Aufgaben übernehmen. So müssen Planungs-, Ingenieur- und Baufirmen beispielsweise ebenfalls in der Lage sein, Branchenakteure von den Vorteilen neuer Methoden zu überzeugen und entsprechende Fachkräfte auszubilden.
„Wer Wege einschlagen möchte, die noch niemand gegangen ist, muss über den eigenen Tellerrand blicken“, bringt Duncan es auf den Punkt – und fügt hinzu, dass SLT und ähnliche Innovationen es seinem Unternehmen in Zukunft ermöglichen werden, sowohl die eigenen Baukosten als auch den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. „Unser Ziel ist es, ein Gleichgewicht zwischen ökologischer und wirtschaftlicher Effizienz zu finden. Holzstrukturen bieten in dieser Hinsicht einen wirklich vielversprechenden Ansatzpunkt.“