Auf der Welle des Erfolgs: Energiegewinnung mit schwimmenden Solaranlagen

Wasseroberflächen clever genutzt: Wie in Japan mit Generativem Design neue Wege der Energiegewinnung dank schwimmender Solaranlagen erschlossen werden.

In Inselstaaten des asiatisch-pazifischen Raums, beispielsweise in Japan und auf den Philippinen, finden schwimmende Solaranlagen immer größere Verbreitung.

Elizabeth Rosselle

29. November 2022

Min. Lesedauer
  • Im weltweit zunehmenden Bestreben nach CO2-Neutralität schwimmen neuartige Solarmodule auf der Welle des Erfolgs

  • Schwimmende Solaranlagen nehmen an Land keinen kostbaren Platz ein und sind deshalb eine gefragte Alternative zu herkömmlichen Photovoltaikanlagen

  • Mit Generativem Design können Unternehmen und Entwickler mit minimalem Personaleinsatz vielfältige Varianten schwimmender Solaranlagen miteinander vergleichen

Das Thema CO2-Neutralität gewinnt immer mehr an Bedeutung. So überrascht es nicht, dass schwimmende Photovoltaikanlagen im Bereich Nachhaltigkeit mittlerweile eine wesentliche Rolle spielen. Diese schwimmenden Solarkraftwerke erzeugen nicht nur Energie, sondern können zudem Wasser speichern und stellen aufgrund ihres verhältnismäßig geringen Platzbedarfs kaum eine Belastung für die Umwelt dar – vorausgesetzt, am Einsatzort gibt es keine Meeresflora und -fauna.

Ebenfalls vorteilhaft: Die schwimmenden Solarmodule werden nicht von Bäumen und sonstigen Pflanzen abgeschirmt und können das Sonnenlicht somit den ganzen Tag über direkt aufnehmen und verarbeiten. Gleichzeitig kühlt das Wasser die Module und erhöht dadurch deren Wirkungsgrad. Zwar befinden sich die Standards für diese neue Art von Energiegewinnungssystemen derzeit noch in der Ausarbeitung, jedoch erfreuen sich die Produkte bereits jetzt zunehmender Beliebtheit. Abnehmer finden sich hierbei insbesondere überall dort, wo die Montage klassischer Solarpaneele keine Option ist. Des Weiteren ist diese Neuentwicklung für viele Länder ein weiterer Schritt in Richtung Netto-null-Emissionen. Deutschland hat sich 2045 als gesetzlich verankerte Frist für die Klimaneutralität gesetzt, während die Gesetze anderer Länder wie Japan das Jahr 2050 vorsehen.

Vom Land aufs Meer

Schwimmende Solaranlage
Satoshi Yanagisawa hat mit seinem Team von Triple Bottom Line bereits zahlreiche Projekte mithilfe von Generativem Design realisiert. Credit: Satoshi Yanagisawa.

Selbst in den Bergregionen Japans gibt es nicht viele Orte, an denen Photovoltaikanlagen ausreichend Sonnenlicht erhalten könnten. Ist ein solcher Ort dennoch einmal gefunden, müssen vor der Montage in der Regel große Waldflächen gerodet werden, was dem Netto-null-Vorhaben alles andere als zuträglich ist.

Industriedesigner Satoshi Yanagisawa kennt die Umweltrisiken, die Solaranlagen im Bergland und in Hügelregionen mit sich bringen: „Die Nutzung von Photovoltaik in den Bergen und an ähnlichen Orten wird zu einem echten Problem in Japan, da dafür Bäume gefällt werden müssen. Natürliches Grün für eine Technologie opfern zu wollen, die der Umwelt helfen soll, ist jedoch völlig widersinnig. Für unsere Energieprojekte müssen wir deshalb den Blick vom Land weg auf ein zuverlässigeres Gebiet richten: Seen und Ozeane.”

Die Verschmelzung von Funktion und Design

Die Performance der schwimmenden Solaranlage wurde mittels Computersimulationen auf den Prüfstand gestellt.
Die Performance der schwimmenden Solaranlage wurde mittels Computersimulationen auf den Prüfstand gestellt. Credit: Satoshi Yanagisawa.

Yanagisawa ist Geschäftsführer des in Tokyo ansässigen Planungsbüros Triple Bottom Line, das mit der Verknüpfung von funktioneller Innenarchitektur, nachhaltiger Technologie und für die Massenproduktion geeigneter Infrastruktur eine einzigartige Vision verfolgt. Bei seiner Arbeit schlagen in Yanagisawa zwei Herzen, die er stetig in Einklang zu bringen sucht: Der Designer in ihm strebt nach Ästhetik, während es dem Ingenieur auf praktischen Nutzen und Marktgängigkeit ankommt.

Auch wenn Yanagisawa gebürtig aus Japan stammt, hat er sein Studium in Ingenieurdesign und Werkstofftechnik im Vereinigten Königreich absolviert, wobei sein Fokus auf Produktdesign und nachhaltigem Mobiliar lag. Schon früh faszinierten ihn Generatives Design und die damit verbundene Möglichkeit, mithilfe KI-gestützter Algorithmen eine das menschliche Vermögen übersteigende Vielzahl an Designvarianten zu erstellen. Dies machte er sich zu eigen, um seine Fähigkeiten weiter zu perfektionieren und praktische Lösungen für verschiedene Anwendungsfälle zu erkunden.

Seine Beflissenheit zeitigte eine große Bandbreite an Produkten, von LED-Hängeleuchten bis hin zu einem im 3D-Druck hergestellten Straßenrad mit IoT-Funktionalität, das 2016 mit dem CES Innovation Award ausgezeichnet wurde – übrigens nicht Yanagisawas einzige Auszeichnung: 2019 folgte der iF Design Award für seine Mitarbeit an einer Motorsteuerung von DENSO, die gegenüber herkömmlichen Kfz-Motorsteuerungen mindestens 12 % leichter ist. Seine neueste Entwicklung ist eine auf dem Wasser schwimmende Solaranlage, wofür Yanagisawa und fünf Mitarbeiter lediglich sechs Monate benötigten. Ohne Fusion 360 und Generatives Design hätte dies seiner persönlichen Einschätzung nach mehr als zwei Jahre gedauert.

Mit Generativem Design und Künstlicher Intelligenz zu Nachhaltigkeit im großen Stil

 Funktionell und optisch ansprechend zugleich: die von Satoshi Yanagisawa mittels Generativen Designs entwickelte schwimmende Solaranlage.
Funktionell und optisch ansprechend zugleich: die von Satoshi Yanagisawa mittels Generativen Designs entwickelte schwimmende Photovoltaikanlage. Credit: Satoshi Yanagisawa.

Als ein japanisches Generalunternehmen den Auftrag erhielt, einen neuen Schwimmkörper für Solarmodule zu entwickeln, musste es feststellen, dass es weder über die erforderlichen Kenntnisse für die Massenproduktion verfügte noch in der Lage war, die gesetzte Deadline einzuhalten. Also wandte sich die Projektleitung an jemanden mit mehr Expertise: Satoshi Yanagisawa. Die Empfehlung kam von einem Mitglied des Projektteams, das mit Yanagisawas Arbeit vertraut war und ihn für die optimale Wahl hielt.

An diesem Punkt hatten die im Rahmen des Projekts erforderlichen Personalschulungen bereits Unmengen an Zeit und finanziellen Ressourcen verschlungen, weshalb die Verantwortlichen nicht wieder bei null anfangen wollten. Dies war jedoch nicht der einzige Grund: Das Unternehmen hatte zudem nur noch 15 Monate Zeit. Yanagisawa und seinem Team war deshalb früh klar, dass klassische Design- und Prüfverfahren keinesfalls in Frage kämen. Ein weiteres Problem: Es gab zwar bereits viele schwimmende Photovoltaiksysteme auf dem Markt, die eigentlichen Schwimmkörper unterlagen bis dato jedoch keinen Standards und mussten jedes Mal aufs Neue konzipiert werden. Aus diesem Grund entschloss sich Yanagisawa, es mit Generativem Design zu versuchen. Schon nach kurzer Zeit lagen auf Basis der voraussichtlich erforderlichen Stärke 500 Entwürfe mit möglichst geringer und optimierter Wanddicke vor.

Bestimmte Standards machten Yanagisawa zufolge jedoch weitere Modifikationen nötig: „Wir mussten die Konzeptmodelle gemäß dem Feedback der Werksingenieure, die für die Produktion verantwortlich waren, anpassen.“ Diese Verfahrensweise – bezeichnet als „Design for Manufacturing“ oder kurz „DFM“ – ist unentbehrlich, um die Massentauglichkeit des jeweiligen Produkts zu gewährleisten. Eine weitere Hürde bildeten bestehende Patente, da schwimmende Photovoltaiksysteme bereits von zwei großen globalen Unternehmen mit Sitz in Frankreich bzw. China angeboten wurden.

Da schwimmende Solaranlagen jedoch noch keinen endgültigen systemspezifischen Gesetzen, Bestimmungen oder Normen unterlagen, arbeiteten Yanagisawa und sein Team eigene Standards für die Schwimmkörper aus. Hierzu befassten sie sich ausführlich mit den geltenden Vorschriften für Schwimmersysteme, Verankerungen und landgebundene Stromerzeugungsanlagen anderer Bereiche sowie mit den Vorschriften bezüglich der Wasserverschmutzung. So konnten sie die erforderlichen Funktionsaspekte einbinden und die ursprünglich 500 Lösungsvorschläge schlussendlich auf das Endmodell reduzieren.

Wo Solaranlagen schwimmen lernen

Schwimmende Solaranlagen wie hier in der thailändischen Stadt Ubon Ratchathani liefern saubere, erneuerbare Energie, ohne wertvolles Acker- oder Waldland zu beanspruchen.
Schwimmende Solaranlagen wie hier in der thailändischen Stadt Ubon Ratchathani liefern saubere, erneuerbare Energie, ohne wertvolles Acker- oder Waldland zu beanspruchen.

Nach der Fertigstellung musste sich der Prototyp in der Praxis bewähren. Als Testareal fiel die Wahl auf die japanische Präfektur Kagawa im Nordosten der Insel Shikoku, die eine hohe landwirtschaftliche Prägung aufweist. Der fruchtbare Boden Kagawas eignet sich hervorragend für den Anbau verschiedener Pflanzen, auch wenn in der Region nur wenig Regen fällt. Zur Bewältigung dieses Mankos haben die Einheimischen jedoch schon in historischen Zeiten mit dem Manno-See ein nachhaltiges Wasserreservoir angelegt.

Für die dortige Schwimmprüfung des Prototyps wurde zusammen mit den Landwirten aus der Region eigens eine Prüfanlage errichtet, wobei auch die für den Anlagenbetrieb benötigte Energie selbst erzeugt wurde. Zur weiteren Unterstützung wurde Misao Mizuno hinzugezogen, ein Experte auf den Gebieten computergestützte Entwicklung, Baustatik und Fluiddynamik. Anhand von Simulationen analysierte er, ob das Modell den vorgegebenen Leistungsanforderungen gerecht wurde.

„Computersimulationen beschleunigen den Entwicklungsprozess und führen zu einer geringeren validierungsbedingten Abfallproduktion, da weniger physische Tests erforderlich sind“, erläutert Yanagisawa. Ursprünglich war vorgesehen, den Prototyp fünf bis sechs Monate lang zu erproben. Da jedoch die meisten Tests simuliert werden konnten, verkürzte sich diese Zeit auf lediglich zwei Monate.

Nach diesem Zeitraum bestätigte sich, dass die Schwimmkörper ordnungsgemäß funktionierten, und die Massenfertigung konnte beginnen. Yanagisawa war zufrieden: „Unser System hat die Erwartungen erfüllt. Aufgrund mangelnder standardisierter Sicherheitsbestimmungen findet es vorerst zwar nur auf einigen Feldern im asiatischen Raum Anwendung, aber auch einige europäische Unternehmen zeigen Interesse.“

Als Emerging Market mangelt es der Photovoltaik bislang noch an einigen neuen Regelungen, bevor sich Unternehmen an großflächige Investitionen wagen. Doch die Technologie ist weiter im Kommen, nicht zuletzt dank Generativem Design, mit dem sich in kürzester Zeit vielfältige Prototypen erstellen und schwimmende Solaranlagen prüfen lassen. Somit ist es eventuell nur eine Frage der Zeit, bis sie den Markt endgültig erobern.

Mensch und Maschine: eine perfekte Symbiose?

Die Weltbevölkerung wächst und fordert immer mehr Raum auf unserem blauen Planeten. Innovative Systeme wie Yanagisawas Schwimmkörper könnten diesem Trend nachhaltig und elementar entgegenwirken. „Eigentlich bin ich Designer und möchte schöne, makellose Dinge erschaffen”, meint Yanagisawa. Folglich wünscht er sich auch von KI und Generativem Design stilvollere Resultate.

„Der Schwerpunkt des Generativen Designs liegt derzeit auf Modellen, die im Hinblick auf Masse und Struktur optimiert sind sowie unter anderem nach ihren mechanischen Eigenschaften und ihren Kosten beurteilt werden“, führt er weiter aus. „Ästhetik spielt keine Rolle, sondern es geht nur darum, mechanischen und funktionellen Anforderungen zu genügen, die auf spezifischen Bedingungen und vorangegangenen Überlegungen basieren. Die Ergebnisse, die KI liefert, scheinen diesem Anspruch nicht immer gerecht zu werden. Für ein erfolgreiches Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine müssen wir deshalb genau verstehen lernen, welche Designsprache eine KI verwendet, und diese Sprache in unsere eigene übersetzen.“

Yanagisawas nächstes Ziel: schwimmende Photovoltaikanlagen, die auch auf dem Ozean eingesetzt werden können. Allerdings lauern hier wesentlich größere Gefahren als auf einem See: Ebbe und Flut, die raue Witterung sowie die Risiken, die Schwimmkörper für die Biodiversität darstellen können. Möglicherweise kann Generatives Design aber auch hier dazu beitragen, umweltfreundliche Lösungen zu finden. Die Interaktion von Mensch und KI ist ein aufregendes Forschungsfeld. Sollte es gelingen, beider Stärken zu vereinen, ist alles möglich.

Elizabeth Rosselle

About Elizabeth Rosselle

Elizabeth Rosselle ist freiberufliche Journalistin, Texterin und Designerin und pendelt zwischen San Francisco und Bali.

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