Freie Bahn für zunehmend intelligente und sichere autonome Fahrzeuge
Elon Musk, CEO von Tesla, hielt die Herausforderung selbstfahrender Autos längst für „gemeistert“. Bereits im März 2015 verglich er autonome Fahrzeuge mit Aufzügen, die früher „Aufzugführer benötigten, aber heute selbst bedienbar sind“. Im Jahr darauf starb der 40-jährige Joshua Brown beim Fahren eines halb automatischen Tesla Model S.
Ein Sattelzug bog ordnungsgemäß vor Browns Fahrzeug ab, das daraufhin nicht bremste, sondern unter den Anhänger raste. Mike Demler ist Senior Technology Analyst bei The Linley Group. Er sagt, ein Fahrer müsse trotz computergesteuerter Objekterkennung mit Sensoren, Radar, GPS und Bildverarbeitungssoftware zu jeder Zeit beide Hände am Steuerrad haben. „Die Sensoren sind für das Fahren auf der Autobahn ausgelegt, nicht für kreuzenden Verkehr“, erklärt Demler. „Sie hätten das Heck eines Fahrzeuges erkannt, aber nicht die Seite eines Lkw-Anhängers.“
Branchenexperten sind sich darüber einig, dass in der Entwicklung autonomer Fahrzeuge in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht wurden. Google, Volvo und Uber testen Fahrzeuge auf öffentlichen Strecken, und nuTonomy betreibt auf einem begrenzten Areal in Singapur – einem Stadtstaat mit vorhersagbarem Wetter und einer technophilen Regierung – eine Flotte aus sechs automatisierten Taxis, die öffentlich genutzt werden können. Nach Demlers Einschätzung werden die ersten vollständig autonomen Fahrzeuge auf festgelegten Strecken wie Universitäts- und Industriegeländen zum Einsatz kommen. Er fügt hinzu, dass sowohl Ford als auch BMW und GM in fünf Jahren selbstfahrende Autos auf den Markt bringen wollen – voraussichtlich zur begrenzten Nutzung im gewerblichen Verkehr auf speziellen Strecken.
Beharrlichkeit führt zum Ziel
Dennoch ist der Vorfall mit dem Tesla ein schwerer Rückschlag für die Branche. Er bestätigt einen schwerwiegenden Einwand, den John Leonard, Professor für Roboternavigation am Massachusetts Institute of Technology, bei einem Vortrag im Jahr 2015 erhob: Trotz vielversprechender Sicherheits- und Umweltvorteile müssen autonome Fahrzeuge grundsätzliche Fragen in Bezug auf Wahrnehmung und Semantik lösen – wie gegen den Verkehr links abgebogen wird, wie die Handzeichen eines Schülerlotsen oder Polizisten zu deuten sind, wie mit schneebedeckten Straßen umgegangen wird –, bevor sie auf öffentlichen Straßen breiter zum Einsatz kommen können.
Zum „Sehen“ nutzen viele autonome Fahrzeuge LiDAR, eine Art Laser-Radar-System mit einem rotierenden Zylinder, der in der Regel auf das Fahrzeugdach montiert wird. Das von der Oberfläche eines Objekts zurückfallende Licht des Lasers lässt Rückschlüsse auf den Abstand des Objekts zu und ermöglicht dem LiDAR einen „360-Grad-Rundumblick“. So wie sich die „Augen“ fahrerloser Autos aus hochauflösenden Laserscannern, Kameras, Radar und anderen Sensoren zusammensetzen, können intelligente Algorithmen und künstliche Intelligenz deren kognitive Fähigkeiten übernehmen. Diese gleichen die erzeugten Rohdaten gegen Informationen aus Referenzkarten ab, erklärt Sravan Puttagunta, CEO von Civil Maps in Kalifornien.
Puttagunta erläutert, wie die Plattform von Civil Maps (wie auch die der Mitbewerber Mobileye, Delphi und Bright Box) dem autonomen Fahrzeug nicht nur eine zweidimensionale Navigationskarte, sondern außerdem ein Bewusstsein für die Umgebung vermittelt. Mithilfe von künstlicher Intelligenz verarbeitet sie die mittels hochauflösender Laserbildgebung erzeugten Rohdaten, was dem Fahrzeug ermöglicht, eine exakte Fahrzeugortung vorzunehmen und strategisch bessere Entscheidungen zu treffen – wie zum Beispiel, was an einer Kreuzung oder einem Verkehrskreisel zu tun ist.
Sobald das Fahrzeug geortet ist, kann die Civil-Maps-Software semantische Kartendaten in das Sichtfeld der Sensoren des Autos projizieren. Dies hilft dem Entscheidungssystem des Fahrzeugs, das Umfeld in einen Kontext zu setzen und sich gezielt auf relevante Straßenmerkmale wie Verkehrsschilder, Spurmarkierungen, Ampeln und Ähnliches zu konzentrieren. Es erstellt eine maschinenlesbare Augmented-Reality-Karte (AR) und informiert den Bordcomputer darüber, was das Fahrzeug tun soll und wie es mit der Straßeninfrastruktur interagieren soll.
„Einer der Vorteile der Augmented-Reality-Perspektive ist die Möglichkeit, ein Auto zu orten und Zusatzinformationen mit einem Signal zu verknüpfen, sodass das Auto das Signal vorhersehen kann, selbst wenn es dieses nicht von selbst erkennt“, sagt Puttagunta. „Dies ist beispielsweise auch dann besonders wichtig, wenn bei schlechten Witterungsverhältnissen die Spurmarkierungen schwer zu sehen sind.“
Die AR-Karten des Unternehmens bieten außerdem eine visuelle Anzeige, sodass der Passagier die Absichten und Wahrnehmungen des Fahrzeugs nachvollziehen kann. Puttagunta glaubt, dass dies Passagieren mit der Zeit ein Gefühl des Vertrauens und der Sicherheit vermitteln wird.
Mit hocheffizienter Kompressionstechnologie für Kartendaten kann Civil Maps diese Daten über 4G-Mobilfunknetze in Echtzeit aktualisieren und gemeinsam mit anderen Autos nutzen. Das Unternehmen setze eine Ortung auf Basis von Signalen auf Straßenebene ein, die sie aggregiert und verfeinert, um die Sicherheit zu verbessern, berichtet Puttagunta – ganz ähnlich, wie die Musikerkennungs-App Shazam eine akustische Signatur dazu verwende, ein Musikstück anhand von ein paar Noten abzugleichen.
Anstatt eine ganze Flotte von Autos auszusenden, um eine bestimmte Stadt zu kartieren, wie Uber es in Pittsburgh macht, plane Civil Maps die Daten mittels Crowdsourcing zu generieren und mit Autoherstellern zusammenzuarbeiten, erzählt Puttagunta. Mit einer Frühfinanzierung von über 6,2 Millionen Euro, einschließlich einer Investition von Ford Motor Company, arbeitet das Start-up-Unternehmen auf drei Kontinenten mit Partnern und großen Erstausrüstern (OEMs) in der Automobilbranche zusammen.
Das Rennen läuft
Die Schweizer Firma Bright Box gehört zu den Mitbewerbern um das hart umkämpfte Marktsegment, in dem sich Civil Maps bewegt. Für den Automobilersatzteilmarkt entwickelte das Unternehmen die auf künstlicher Intelligenz basierende Plattform Remoto, die bereits in Prototypen von mehreren Autoherstellern wie Infiniti, KIA, Hyundai und Nissan getestet wurde. „Das Rennen wird dasjenige Unternehmen machen, das ein funktionierendes System mit einer minimalen Anzahl von Sensoren entwickelt sowie technischen Support für OEMs mit großen Produktionsvolumen anbietet“, meint Alexander Demtschenko, CTO von Bright Box. „Entscheidend ist, wer das größte Datenvolumen sammeln kann.“
Demtschenko zufolge hat die Konkurrenz zwischen Lieferanten, Softwarefirmen und Automobilherstellern die Kosten für autonome Fahrzeuge deutlich gesenkt. Noch 2012 gab Google auf dem ersten Driverless Car Summit in Detroit bekannt, dass seine fahrerlosen Testfahrzeuge ein Ausrüstungspaket im Wert von circa 140.000 Euro enthalten – darunter ein LiDAR-System im Wert von rund 65.000 Euro. Im Vergleich dazu schätzt Dimchenko die Kosten für einen völlig autonomen Honda CR-V Geländewagen bis zum Jahr 2018 auf 27.000 bis 28.000 Euro.
Aber auch wenn die Kosten für Taxidienste oder individuelle Fahrer überschaubarer werden, müssen noch erhebliche Herausforderungen gemeistert werden, bevor fahrerlose Autos auf öffentlichen Straßen zum Einsatz kommen, warnt Demler. Dazu zählten staatliche und bundesstaatliche Vorschriften, die Einführung standardisierter Fahrversuche und die Gewährleistung der Übernahme durch Versicherungen; der Ausbau einer intelligenten Infrastruktur sowie – was vielleicht am wichtigsten ist – die Notwendigkeit, das Vertrauen einer skeptischen Öffentlichkeit zu gewinnen.
Eingefleischte Befürworter autonomer Fahrzeuge wie Grayson Brulte, Co-Vorsitzender der „City of Beverly Hills Autonomous Vehicle Task Force“, glauben, dass vermehrter Kontakt mit der Technik das Vertrauen in der Öffentlichkeit entscheidend verbessern wird. Er ist überzeugt, dass fahrerlose Autos das Potenzial haben, tödliche Unfälle durch Ablenkung am Steuer zu verhindern sowie Verkehrsstaus und Parkprobleme in städtischen Gebieten zu lösen. Das funktioniere aber nur, wenn die Menschen bereit seien, sie anzunehmen. In diesem Frühjahr soll ein nicht namentlich genannter Hersteller nach Beverly Hills kommen, um autonome Fahrzeuge unter realen Bedingungen auf öffentlichen Straßen zu testen – ein Ereignis, das Brulte mit Spannung erwartet. „Ein Kind, das heute geboren wird, wird niemals selbst fahren“, glaubt er. „Wenn man diese Tatsache einmal begreift, wird die Sache erst richtig spannend.“