Schichtholz – ein Game Changer im nachhaltigen Bau?

Ein vom Architekturbüro SOM aus speziellem, nachhaltigem Schichtholz hergestellter Pavillon verspricht, das Material zum Branchenstandard avancieren zu lassen.


Der SPLAM-Pavillon führt das Potenzial des innovativen, vom Architekturbüro SOM entwickelten Schichtholzes SLT vor Augen.

Der SPLAM-Pavillon führt das Potenzial des innovativen, vom Architekturbüro SOM entwickelten Schichtholzes SLT vor Augen.

Matt Alderton

4. Oktober 2022

Min. Lesedauer
  • Mit dem Ziel, der Umweltbelastung und anderen Nachteilen von Bauholz entgegenzuwirken, hat SOM unter dem Namen SLT (Spatial Laminated Timber) ein spezielles Schichtholz entwickelt

  • Zur Erprobung des Werkstoffs in der Praxis hat das Unternehmen einen aus SLT gefertigten Pavillon realisiert

  • Der Einsatz innovativer Materialien in kleinem Maßstab ist der erste Schritt in Richtung einer erfolgreichen Skalierung, um größer angelegte Projekte in Angriff zu nehmen und eine branchenweite Verwendung zu erzielen

Der SPLAM-Pavillon aus Schichtholz
Der SPLAM-Pavillon besteht aus 912 individuellen Holzplatten. Credit: Kendall McCaugherty/Hall+Merrick Photographers.

In der Baubranche ist Beton nach wie vor die unangefochtene Nummer eins – und das aus gutem Grund, gehört es doch zu den stärksten Materialien überhaupt. Aber: Beton hat auch erhebliche Nachteile. Die Herstellung eines seiner Hauptbestandteile, des Zements, ist für rund 8 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Im Bestreben, ihre Klimabilanz zu verbessern, setzen Baustoffanbieter heute verstärkt auf Modelle der Kreislaufwirtschaft, um die Herstellung kohlenstoffarmer oder gar -neutraler Produkte zu fördern. Die moderne Stahlindustrie steht ihrerseits vor ähnlichen Herausforderungen – und einer ähnlichen Verantwortung. Wenngleich der Werkstoff rezyklierbar ist, sind bis zu 11 % der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Stahlproduktion zurückzuführen. Mithilfe von Maßnahmen zur Reduzierung ihrer Emissionen und Abfälle hoffen Hersteller, ihre Auswirkungen auf die Umwelt möglichst zu reduzieren.

Könnte Holz als nachhaltige Alternative in Frage kommen? Auf der einen Seite werden 15 % der weltweiten Treibhausgasemissionen durch die Abholzung von Wäldern verursacht. Auf der anderen Seite absorbiert Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern jedoch mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre, als es abgibt. Der Grund: Bäume sind in der Lage, Kohlendioxid nicht nur aufzunehmen, sondern auch zu speichern. Wenn Bäume zu Bauholz verarbeitet werden, wird der darin enthaltene Kohlenstoff nicht automatisch freigesetzt. Das passiert erst, wenn das Holz verbrannt wird oder verrottet. Aus dieser Perspektive betrachtet, gehört Holz zu den nachhaltigsten Baumaterialien überhaupt.

Die Kehrseite der Medaille: Trotz seiner Vorteile ist Holz keineswegs klimaneutral. Durch die Produktion, den Transport und die Verarbeitung zu Bauwerken wird dennoch Kohlenstoff freigesetzt. Hinzu kommt die begrenzte Verfügbarkeit des Werkstoffs. Zwar können Bäume nachgepflanzt werden, doch der Wiederaufbau eines abgeholzten Waldes nimmt Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte in Anspruch.

Ein vom Architekturbüro Skidmore, Owings & Merrill (SOM) in einem neuartigen, forschungsbasierten Verfahren unter dem Namen Spatial Laminated Timber (SLT) entwickeltes Schichtholz könnte die Antwort liefern. Der Einsatz in großem Maßstab birgt das Potenzial, der Architektur-, Ingenieur- und Bauindustrie zu neuen Höhenflügen in puncto Nachhaltigkeit und Innovation zu verhelfen.

Schichtholz: Ein innovatives Baumaterial

Schichtholz SLT
Mithilfe einer CNC-Maschine werden präzise Holzplatten für den Zusammenbau auf der Baustelle hergestellt. Credit: Dave Burk.

Das Team von SOM entwickelte das Schichtholz SLT in Zusammenarbeit mit Studierenden des Taubman College of Architecture and Urban Planning der University of Michigan im Rahmen eines gemeinsamen Technologie-Forschungsprojekts anlässlich der Chicago Architecture Biennial 2021. Als Inspiration diente dabei herkömmliches Kreuzlagenholz. Für dessen Herstellung werden Schichten aus technisch getrocknetem Holz kreuzweise miteinander verleimt, was dem Material seine typische strukturelle Stabilität und Integrität verleiht. Im Gegensatz dazu entsteht SLT, indem kleinere, präzise geschnittene Kantholzbalken anhand ineinandergreifender Holzverbindungen wie Fäden zu einer Art Gewebe miteinander verbunden werden. Je nach erforderlicher Stabilität verfügt das dadurch entstehende Konstrukt an wichtigen Stellen über zusätzliche Schichten.

„Einige der Herausforderungen bei der Verwendung von herkömmlichem Kreuzlagenholz sind die Größe der benötigten Bohlen sowie der Zeit- und Platzaufwand für die Anpflanzung von Bäumen im entsprechenden Maßstab“, erklärt Scott Duncan, Design Partner bei SOM. „Wenn man kleinere Holzplatten verwendet, braucht man nicht nur weniger Bäume, sondern kann auch Teile eines Baumes verwerten, die sonst weggeworfen werden. Man könnte sogar Holzüberreste von abgerissenen Gebäuden wiederverwerten.“ Schätzungen von SOM zufolge ließe sich der Holzbedarf im Rahmen von Bauprojekten im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren um 46 % reduzieren.

Ein weiterer Vorteil besteht laut Duncan darin, dass das Schichtholz eine effizientere Platzierung von Versorgungsinfrastuktur wie Rohrleitungen, Beleuchtung und Sprinkleranlagen ermöglicht. Da diese üblicherweise unter strukturellen Holzträgern untergebracht werden, müssen Wände höher gebaut werden, als dies andernfalls nötig wäre. Da sich die erforderlichen Anlagen bei der Verwendung von SLT stattdessen direkt in die Holzstrukturen integrieren lassen, ist es möglich, Gebäude mit niedrigeren Außenwänden zu bauen, ohne dass dies sich auf die Deckenhöhe im Innenraum auswirkt.

„Neben der Struktur enthält auch die Außenverkleidung eines Gebäudes große Mengen an Kohlenstoff“, fährt Duncan fort. Als gängige Verkleidungsmaterialien mit hohem Kohlenstoffgehalt nennt er Glas und Aluminium. „Wenn man die Höhe der Außenwand reduziert, benötigt man natürlich auch weniger Material.“

Zur Herstellung von Schichtholz werden kleine, präzise geschnittene Kantholzbalken anhand ineinandergreifender Holzverbindungen wie Fäden zu einer Art Gewebe miteinander verbunden.
Zur Herstellung von SLT werden kleine, präzise geschnittene Kantholzbalken anhand ineinandergreifender Holzverbindungen wie Fäden zu einer Art Gewebe miteinander verbunden. Credit: Dave Burk.

Tsz Yan Ng, außerordentliche Professorin für Architektur am Taubman College of Architecture and Urban Planning, unterstreicht die entscheidende Rolle der Technologie bei der Entwicklung des Schichtholzes. Zunächst gilt es, anhand von Raumanalysen unter Verwendung von Computermodellen die optimalen strukturellen Voraussetzungen zu ermitteln , d. h. wie viele SLT-Schichten erforderlich sind, um mit möglichst wenig Material ein Maximum an Stabilität zu gewährleisten. Anschließend werden in einem Labor mithilfe einer robotergesteuerten CNC-Maschine präzise Holzplatten geformt und zugeschnitten, die später auf der Baustelle zusammengesetzt werden.

„Die Vorteile der Technologie äußern sich weniger im Hinblick auf einzelne Lösungen als vielmehr im Hinblick auf Prozesse und Arbeitsweisen“, so Ng. „In diesem Fall nutzen wir Technologie mit dem Ziel, einen in der nordamerikanischen Bauindustrie allgegenwärtigen Baustoff aufzuwerten und möglichst sparsam einzusetzen.“

SLT in Aktion an der EPIC Academy

Der SPLAM-Pavillon aus Schichtholz
Die Chicagoer EPIC Academy nutzt den SPLAM-Pavillon für Schulunterricht und -aufführungen im Freien. Credit: SOM.

Um die Vorteile von SLT in der Praxis unter Beweis zu stellen, entwarf das Team von SOM gemeinsam mit den Studierenden des Taubman College einen maßstabsgetreuen Prototyp eines Holzpavillons, einer Konstruktion, die sonst in mehrstöckigen, feuerfesten Gebäuden als Tragwerk dient. Die Konstruktion tauften sie – in Anlehnung an die Bezeichnung Spatial Laminated Timber – auf den Namen „SPLAM“.

Errichtet wurde der SPLAM-Pavillon, der aus 412 Schichtholz-Platten besteht, die insgesamt 912 Holzstücke umfassen, auf dem Campus der EPIC Academy, einer öffentlichen Highschool in Chicago. Nach seiner Fertigstellung im September 2021 war er zunächst Schauplatz einer Reihe von Veranstaltungen im Rahmen der Chicago Architecture Biennial, heute dient er Schülerinnen und Schülern der Academy als Klassenzimmer und Aufführungsort im Freien.

„Anstatt einen Prototyp als simplen Machbarkeitsnachweis zu entwerfen, nur damit er auf der Mülldeponie landet, war es uns wichtig, einen Pavillon zu bauen, der tatsächlich genutzt wird“, so Ng. Als Inspirationsquelle hätten dem Team dabei die US-amerikanischen Freedom Schools der 1960er Jahre gedient – temporäre alternative Schulen, die von führenden Vertretern der Bürgerrechtsbewegung organisiert wurden und sowohl afroamerikanischen Schülern als auch ihren Eltern Räume boten, in denen sie als gleichberechtigte Bürger mit Wahlrechten behandelt wurden. „Als die Bauarbeiten begannen, befanden wir uns auf dem Höhepunkt der Pandemie, und es war tatsächlich sicherer, draußen zu sein als drinnen. In dieser Zeit kam außerdem die Black-Lives-Matter-Bewegung auf“, erinnert sich Ng. „Freedom Schools waren informelle Versammlungen, bei denen bürgerschaftliches Engagement und gemeinschaftliches Wachstum im Vordergrund standen. Durch das Schaffen einer Art offenen, flexiblen Unterrichtsraum sahen wir eine Gelegenheit, an dieses Kapitel der Geschichte anzuknüpfen.“

Maßgeblich an der Umsetzung des Pavillons beteiligt waren laut Ng die Masterstudierenden der Architekturabteilung des Taubman College. Diese hätten – in enger Zusammenarbeit mit den Ingenieuren von SOM – ein ganzes Studienjahr damit verbracht, SLT-Prototypen zu entwickeln und zu testen.

Während des gesamten Planungsprozesses vertraute das Team von SOM auf Autodesk Revit: Die Baupläne ermöglichten es, sämtliche Elemente des Pavillons vor Ort zusammenzubauen und entsprechend zu dokumentieren. Um die Bauarbeiten zu beschleunigen, wurden alle in Revit erstellten Modelle an das zuständige Unternehmen übermittelt. Darüber hinaus waren aufgrund des Designs der Kantholzplatten hochgradig gelenkige Holzverbindungen und vorinstallierte Schraubenhalterungen erforderlich. Mit Autodesk Dynamo ließen sich nicht nur diese Aufgaben in Angriff nehmen, sondern es konnte auch eine Animation erstellt werden, die dem Bauunternehmen als Montageanleitung diente. Nach Fertigstellung des Machbarkeitsnachweises, des endgültigen Designs und der Skripte erfolgte die Herstellung und Montage des Pavillons in jeweils einer knappen Woche.

Der Schlüssel für eine nachhaltigere Zukunft?

Der unmittelbare Nutzen von SPLAM als Unterrichts- und Gemeinschaftsort liegt auf der Hand. Von größerer Bedeutung ist jedoch das Potenzial des SLT-V

Matt Alderton

Zur Person: Matt Alderton

Matt Alderton lebt und arbeitet in Chicago als freischaffender Publizist. Er hat sich auf Wirtschaftsthemen, Design, Ernährung, Reisen und Technologie spezialisiert. Unter anderem hat der Absolvent der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois bereits über Beanies, Mega-Brücken, Roboter und Hähnchen-Sandwiches berichtet. Er ist über seine Website MattAlderton.com zu erreichen.

Sie empfohlen