Generatives Design im Radsport: SRAM setzt auf Innovation
- Das US-amerikanische Unternehmen SRAM versteht sich sowohl als Hersteller von Fahrradkomponenten als auch als Innovationslabor
- Mit dem Ziel, Kunden ein besseres Fahrerlebnis zu bieten, setzte das Team von SRAM auf Generatives Design, um einen innovativen Kurbelarm zu entwerfen
- Die Erkundung der Möglichkeiten des Generativen Designs kann neue Perspektiven im Bereich des Produktdesigns eröffnen
Was ist der wichtigste Bestandteil eines Fahrrads? Richtig erkannt: Natürlich handelt es sich hierbei um eine Fangfrage. Im Gegensatz zu automatisierten Transportmitteln ist nichts an einem Fahrrad überflüssig. Ganz im Gegenteil: Jede einzelne Komponente ist für die ordnungsgemäße Funktion unerlässlich.
Eine dieser Komponenten ist der Kurbelarm, jenes Verbindungsstück zwischen Kurbelgarnitur und Pedalen, das die beim Pedalieren erzeugte kinetische Energie auf die Fahrradkette überträgt und diese somit in Gang bringt. Die auf den ersten Blick unspektakulär anmutende Komponente erfüllt daher eine ganz entscheidende Funktion: Ohne sie könnten Sie mit aller Kraft in die Pedale treten, ohne jemals vom Fleck zu kommen.
Das Gleiche trifft auch auf sämtliche anderen Komponenten eines Fahrrads zu. Dementsprechend ist das beliebte Transportmittel ein idealer Kandidat für innovatives Produktdesign. Das erkannte auch das in Chicago ansässige Unternehmen SRAM: Hier setzte man auf das kreative Potenzial des Generativen Designs, um einen innovativen neuen Kurbelarm zu entwickeln.
SRAM ist zwar auf die Herstellung von Fahrradkomponenten spezialisiert, versteht sich jedoch in erster Linie als Innovationsunternehmen. „Wir wollen unseren Kunden ein bestmögliches Erlebnis bieten. Daher legen wir großen Wert auf innovative Komponenten, die das Fahrvergnügen verbessern“, erklärt Will King, der als Senior Design Engineer die für den Entwurf und die Fertigung der Komponenten von SRAM zuständige Abteilung leitet.
Im Bestreben, das Innovationspotenzial des klassischen Kurbelarm-Designs auszuschöpfen, machte sich das Team von SRAM auf die Suche nach einem geeigneten Geschäftspartner. Diesen fand man in Autodesk: Hier profitierte das Team insbesondere von den Vorteilen des Cloud-Computing und der gezielten Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Wie Scott Reese, Executive Vice President im Bereich Produktentwicklung und Fertigungslösungen von Autodesk, gegenüber dem Forbes Magazine berichtete, könne man in Zukunft mit weiteren Partnerschaften dieser Art rechnen.
Generatives Design als Inspirationsquelle für neue Arbeitsweisen
Generatives Design hält zahlreiche unterschiedliche Vorzüge für verschiedene Branchen bereit. Unabhängig vom jeweiligen Anwendungsgebiet lassen sich vor allem kürzere Fertigungszeiten verzeichnen. Für Dhiraj Madura, Leiter der globalen Abteilung für Produktdesign bei SRAM, und seine Kollegen steht fest, dass komplexere Produkte neue, fortschrittliche Methoden und Fertigungsmittel erfordern. „Iterationen sind für uns fester Bestandteil des Produktdesigns. Allerdings ist der Prozess mitunter sehr langwierig“, so Madura.
Wie King erläutert, habe der Einsatz von Generativem Design erhebliche Zeiteinsparungen ermöglicht: „Für mich spielt das Verfahren eine ganz grundlegende Rolle bei der Entwicklung struktureller Komponenten“, betont er. „Je früher Generatives Design bei der Planung zum Einsatz kommt, umso besser können wir nachvollziehen, welchen Belastungen die geplanten Komponenten standhalten. So können wir nicht zuletzt auch aus optischer Sicht gezielter auf das Ergebnis hinarbeiten, das Kunden sich wünschen.“
Ungeachtet dieser vielversprechenden Aussichten ist Generatives Design aktuell noch ein neuartiges Verfahren, das sich in vielerlei Hinsicht noch bewähren muss – ganz besonders in den Augen von Herstellern, für die letztlich nur konkrete Ergebnisse bares Geld wert sind.
Auch Madura gesteht, dass er anfangs Bedenken hatte, ob die Methode für SRAM geeignet sei: „Die Prototypen hatten eine skelettartige Struktur. Offen gesagt zweifelte ich daran, dass sie bei den Verbrauchern gut ankommen würden.“
Doch der Schein trügt. Zwar weisen tatsächlich viele im generativen Verfahren hergestellte Produkte und Bauteile außergewöhnliche, oftmals gitterartige oder der Natur nachempfundene Formen auf. Doch die Technologie kann weitaus mehr: Je nach der gewünschten Ästhetik sowie den verwendeten Werkstoffen und Fertigungsmethoden lassen sich damit durchaus auch traditionellere Strukturen erreichen.
Das wahre Versprechen des Generativen Designs liegt dabei in seinem Potenzial, Produktdesigner zum Überdenken ihrer Arbeitsweisen zu inspirieren. Wie King es auf den Punkt bringt: „Wenn man im 3D-Drucker ein kostspieliges Bauteil herstellt, ist es erst mal nicht so wichtig, ob daraus ein Produkt wird oder nicht. Es geht in erster Linie darum, neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was in puncto Budget, Gewicht, Stil und Optik möglich ist und was nicht. Diese Informationen helfen uns letztendlich, Kunden ein Produkt zu bieten, das ihnen gefällt und das sie motiviert, sich aufs Fahrrad zu setzen.“
Mit seinem Projekt verfolgte das Team von SRAM zu keinem Zeitpunkt das Ziel, ein neues Serienteil zu entwickeln. Als zentrales Bestandteil eines jeden Fahrrads war der Kurbelarm lediglich das ideale Versuchsobjekt, um die möglichen Vorteile des Generativen Designs bei der Entwicklung zukünftiger Bauteile zu erproben. Ganz im Einklang mit der Unternehmensphilosophie ging es nicht um das Produkt an sich, sondern in erster Linie um Innovation.
Eine neue Ära der Innovation bei SRAM
Für Unternehmen, die sich intensiver mit dem Thema Produktentwicklung auseinandersetzen, tun sich neue Chancen in Bezug auf Design, Nutzung, Kosten und Materialien auf – eine Erfahrung, die auch Madura gemacht hat: Wie er berichtet, habe der Einsatz von Generativem Design im Rahmen des Kurbelarm-Projekts seinem Team völlig neue Horizonte auf dem Gebiet der Materialkunde eröffnet.
„Unser Geschäftsführer hat früher in einem Unternehmen gearbeitet, das auf Aufzüge für Baumaterialen spezialisiert war“, schildert er. „Sein Interesse an fortschrittlichen Herstellungsmethoden rührt daher, dass er hier aus erster Hand die Wettbewerbsvorteile beobachten konnte, die sich daraus ergeben. Daher machte es Sinn, die Möglichkeiten des Generativen Designs mit ihm zu besprechen.“
Wenngleich das Team bis dato jahrelang auf eine andere bewährte Softwarelösung vertraut hatte, barg das Experimentieren mit neuen Verfahren kaum Risiken. „Ich fragte meinen Chef, ob er einverstanden wäre“, erinnert sich Madura. „Da es uns abgesehen von Zeit und geistigen Ressourcen nichts kostete, war er gerne bereit, es auszuprobieren.“
Wenngleich das Erproben des Generativen Designs in der Praxis neue Herausforderungen für das Team mit sich brachte, verlief die Umstellung letztlich reibungsloser als von manchen Führungskräften angenommen. So betitelte beispielsweise der Leiter der Abteilung für Vorentwicklung – seines Zeichens selbst ausgebildeter Ingenieur – den mittels Generativem Design entwickelten Kurbelarm nach anfänglicher Skepsis als das Coolste, was er je gesehen habe.
„Es kann schwer sein, die Vorteile eines Verfahrens zu erkennen, das nicht direkt etwas mit dem eigenen Tätigkeitsbereich zu tun hat“, weiß Madura. „Als Produktdesigner habe ich jedoch gelernt, über den Tellerrand zu blicken und gemeinsam mit meinem Team neue Wege einzuschlagen. Um die Kluft zwischen Planung und Entwicklung zu überbrücken, muss man bereit sein, hin und wieder ausgefallene Ideen auszuprobieren – denn nur so lässt sich ermitteln, was funktioniert und was nicht.“