Klimawandel in urbanen Regionen: Wie gute Stadtplanung städtische Wärmeinseln verhindert
- In der Stadtplanung der meisten großen Städte werden die wachsenden Herausforderungen des Klimawandels bisher kaum berücksichtigt
- In Architektur und Stadtplanung bestehen diese Herausforderungen darin, Gebäude, öffentliche Flächen und andere städtische Räume so zu gestalten, dass städtisch Wärmeinseln vermieden werden und die Bevölkerung vor den steigenden Temperaturen geschützt ist
- Um städtische Bauprojekte auf steigende Temperaturen vorzubereiten, können Architekturteams unter anderem auf Lösungen wie Passivbau, schattige Grünzüge, Kanäle und Wasserflächen zurückgreifen und sich Technologien zur Mikroklimaanalyse bedienen
Wie sich an diversen Extremwetterlagen in diesem Jahr gezeigt hat, ist der Klimawandel längst keine abstrakte Theorie mehr, sondern schlägt sich unausweichlich in unserer Wirklichkeit nieder: Allein in den USA wurden diverse Hitzerekorde erreicht. Bereits Ende April 2022 wurden in Indien die 47 °C geknackt. In ganz Europa sorgte die extreme Hitze für Dürren und Hungersnöte, die über 20 000 Hungertote forderte. Und auch in Deutschland wurden zahlreiche Rekordwerte übertroffen – so war 2022 der sonnenreichste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 und selbst im sonst recht kühlen Hamburg wurden am 20. Juli 2022 erstmals 40,1 °C gemessen.
All diese Daten und Fakten vernachlässigen jedoch einen wichtigen Aspekt: Das Problem wird durch die Städte überall auf der Welt noch entscheidend vergrößert. Durch die innerstädtische Verdichtung, die weniger Grünflächen zulässt, und die Verwendung von Wärme speichernden Werkstoffen sind städtische Bereiche durchschnittlich noch wärmer als die sie umgebenden ländlichen Gebiete. In der Meteorologie wird dieses Phänomen als „städtische Wärmeinsel“ bezeichnet. Doch was genau versteht man darunter? Wie kommen diese Inseln zustande und wie können sie durch intelligente Architektur, Stadtplanung und die Verwendung moderner Technologien vermieden werden?
Was sind städtische Wärmeinseln?
Stellt man sich die Metropolen der Welt vor, denkt man wahrscheinlich zunächst an stählerne Wolkenkratzer, gigantische Parkhäuser aus Beton und Menschenmassen beim innerstädtischen Schaufensterbummel – und tatsächlich sind genau diese Faktoren die entscheidenden Treiber städtischer Wärmeinseln.
Dunkle Oberflächen wie etwa Asphalt wirken tagsüber wie Wärmespeicher und nehmen weitaus mehr Sonnenenergie und -wärme auf als hellere Materialien. Hohe Gebäude halten zudem den Wind ab und bieten große Flächen zur Reflexion des Sonnenlichtes. Nachts wird diese angestaute Hitze allmählich in die Umgebungsluft abgegeben, während die warme Abluft von zahllosen Automobilen, elektrischen Geräten und Klimaanlagen ihr Übriges tut.
„Dies führt dazu, dass unsere Städte nachts nicht so sehr abkühlen, wie sie eigentlich sollten“, betont Dr. Ariane Middel, die als Assistenzprofessorin an der Arizona State University (ASU) seit vielen Jahren Forschungen zur Wärmeentwicklung in Städten anstellt. Mit ihrem Forschungsteam The SHaDe Lab simuliert sie städtische Wärmeinseln unter anderem am Beispiel von Phoenix. Laut ihrer Forschungsergebnisse könnte die Wüstenmetropole im US-Bundesstaat Arizona infolge der durch den Klimawandel beschleunigten Hitzeentwicklung schon bald unbewohnbar werden.
„Allmählich bekommen die Menschen in den Stadtverwaltungen ein besseres Gefühl für dieses Problem“, ist sich David Hondula sicher. Er ist ebenfalls Assistenzprofessor an der ASU und leitet zugleich die Behörde für Wärmemanagement und Schadensbegrenzung der Stadt Phoenix, die erste staatlich finanzierte Behörde ihrer Art in den Vereinigten Staaten. „Bisher war nur noch nicht klar“, so Hondula, „wer für die Behebung des Problems zuständig ist.“
Hondula und sein Team wurden beauftragt, die extreme Hitze in Phoenix zu bekämpfen, bevor es zu spät ist. Dazu wurde kürzlich das städtische Pilotprojekt „Cool Pavement” auf den Weg gebracht. In Zusammenarbeit mit der ASU wurde in diesem Projekt herausgearbeitet, dass mithilfe von Schutzschichten, die das Sonnenlicht reflektieren, auf dem Asphalt die Oberflächentemperaturen tagsüber deutlich verringert werden können – im Vergleich zu herkömmlichem Asphalt sogar durchschnittlich um bis zu 12 Grad.
Im Kampf gegen extreme Hitze sollten im Grunde weitaus mehr Stadtverwaltungen ein Umdenken wagen – und je eher desto besser! Denn die Weltbevölkerung wird sich höchstwahrscheinlich bis 2050 mehr als verdoppeln und dann könnten bereits bis zu 80 % aller Menschen in städtischen Ballungsräumen leben. Mit dem vom Klimawandel beeinflussten Anstieg der Temperaturen in Städten wäre somit ein Großteil der Weltbevölkerung erheblichen Risiken ausgesetzt.
Die gute Nachricht: Immer mehr Städte stellen sich der Herausforderung, im Kampf gegen den Klimawandel auf interdisziplinäre Lösungen zurückzugreifen.
Erstmals trafen sich im September 2022 die Wärmebeauftragten unterschiedlicher Städte aus aller Welt zur globalen Extreme Heat Resilience Alliance. Ausgerichtet wurde dieser weltweite Hitzegipfel vom Adrienne Arsht-Rockefeller Foundation Resilience Center des Atlantic Council. Dort stellte eine gänzlich aus Frauen bestehende Gruppe von Fachleuten die Herausforderungen vor, die die Klimakrise und der Umgang mit ihr längerfristig mit sich bringen. In ihrem Bericht, der auf der Veranstaltung vorgestellt wurde, werden die Auswirkungen der Erderwärmung auf zwölf Metropolregionen untersucht. Einige der Städte sind zwar bei der Kartierung und Analyse schon weiter fortgeschritten, gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie sich alle auf den Ausbau der Kühlungsinfrastruktur und hierbei insbesondere auf die Vorteile von Mikroparks und die Nutzung von Baumkronen konzentrieren.
Kluge Planung für ein besseres Stadtklima
Die Verantwortung bei der Lösung der Klimaprobleme liegt aber nicht nur in der Politik. Auch die Planung und Architektur von Neubaugebieten beinhaltet zunehmend, städtische Wärmeinseln zu vermeiden. Von einer optimalen Ausrichtung eines Gebäudes reichen die Aufgaben dabei über die Einbettung zusätzlicher kleiner Parkanlagen mit Gewässern bis hin zur Verwendung hellerer Farben für die Dachdeckung zur Reflexion der Sonnenwärme.
Eine Schlüsselrolle für die Vermeidung von Wärmeinseln nimmt der Passivbau ein. Indem in Gebäuden für eine natürliche Luftzirkulation gesorgt wird, kann so auf den Einsatz von elektrischen Klimaanlagen weitgehend verzichtet werden und die Innenräume bleiben auch an sonnigen Tagen angenehm kühl. Doch Luftzug spielt nicht nur innerhalb von Gebäuden, sondern auch zwischen einzelnen Bauwerken eine wichtige Rolle. „Viele Menschen sind der Meinung, dass unsere städtische Umwelt noch stark ausbaufähig ist“, meint Hajime Aoyagi, der beim japanischen Unternehmen Nikken Sekkei, das als das weltweit zweitgrößte Architekturbüro gilt, die Design-Abteilung leitet.
Ihm zufolge besteht die Kernaufgabe für das Team von Nikken Sekkei darin, das Wärmemanagement von vornherein in die Planung neuer Projekte zu integrieren. Die Berücksichtigung nachhaltiger Werkstoffe wie etwa Holz kann bereits in der Bauplanung dazu beitragen, die Auswirkungen städtischer Wärmeinseln abzumildern, da Holz eine geringere Wärmekapazität als beispielsweise Beton aufweist. Auch durch die optimale Ausrichtung von Gebäuden kann ein Wärmestau umgangen werden.
„Unser Unternehmen wird häufig mit mehreren Großbauprojekten innerhalb von Tokio gleichzeitig beauftragt“, so Aoyagi. „Deshalb können wir bei der Planung auf viele Faktoren aus unterschiedlichen Perspektiven eingehen.“ Nikken Sekkei war etwa für die Planung und Entwicklung für den Yaesu-Eingang am Hauptbahnhof von Tokio zuständig. „Wir haben das Dach der zentralen Eingangshalle bewusst niedrig gehalten, um den Wind von der Bucht von Tokio in den innerstädtischen Bereich zu leiten.“
Für Dr. Middel und ihr Team liegt der wichtigste Faktor bei der Stadtplanung darin, ausreichend Platz für beschattete Flächen zu lassen. „Menschen in Städten nehmen Hitze schließlich nicht nur über die Luft wahr“, erläutert sie. „Auch Gebäude und horizontale Oberflächen sondern Wärme ab, die sich messbar auf den Körper auswirkt.“ Daher sei die Verfügbarkeit von Schatten ein Faktor, der nicht vernachlässigt werden dürfe. „Im Schatten fühlt man sich viel wohler als im direkten Sonnenlicht. Dabei ist es egal, woher der Schatten kommt. Deshalb sollten schon in der Planung schattenspendende Gebäude, Baumbestand und sogar photovoltaische Überdachungen berücksichtigt werden, wo immer es geht.“
Diesen Aspekt nicht in die Planung einzubeziehen, kann schnell mehr als nur fahrlässig werden, denn immer mehr Zertifizierungen oder Normen im Bauwesen, wie etwa LEED oder die Londoner Richtlinien zur thermischen Behaglichkeit, fördern Maßnahmen zur Wärmereduktion. Die städtische Wärmeentwicklung zu vernachlässigen, kann bereits nach wenigen Jahren kostspielige Nachrüstungen notwendig machen.
Eine solche Nachlässigkeit kann Stadtplanungsprojekte jedoch auch kurzfristig zum Scheitern verurteilen, wie Dr. Middel zu berichten weiß: „In einem unserer Projekte ging es um einen Grünzug zu einer sehr beliebte Parkanlage. Das Ziel bestand darin, die Menschen in der Nachbarschaft dazu zu bringen, nicht mehr mit dem Auto zum Park fahren zu müssen.“ Was in der Theorie gut klingt, stellte sich jedoch in der Praxis als Fehleinschätzung heraus. „Der Grünzug wurde längst nicht so stark genutzt, wie das Stadtplanungsteam gehofft hatte“, so Dr. Middel. „Erst als wir mit unseren meteorologischen Instrumenten Messungen zur Wärmebelastung des Grünzugs anstellten, fanden wir den Grund heraus. Es gab überhaupt keinen Schatten, deshalb war es eine Qual dort entlangzugehen. Dieses Problem im Nachhinein zu beheben, wäre ein zeitaufwändiger und teurer Prozess.
Technologie kann Abhilfe schaffen
Mithilfe von Softwareanwendungen zur Mikroklima-Analyse können bei der Planung eines Projekts zur Eindämmung des Wärmeinseleffekts klare Fakten geschaffen werden. „Mit der richtigen Technologie kann man Szenarien erstellen,“ erläutert Dr. Middel, „zum Beispiel, wo man idealerweise Bäume pflanzt, damit sie die bestmögliche Auswirkung auf die Wärmeentwicklung haben. Früher hat man sie einfach gepflanzt und dann zugesehen, was anschließend passiert. Heute hingegen kann man das alles vorher am Computer simulieren.“
Softwareanwendungen wie etwa Spacemaker von Autodesk können in der Architektur und Stadtplanung dabei helfen, in der Planungsphase anhand von Simulationen unterschiedliche Strategien zum Wärmemanagement zu testen. Dazu werden Visualisierungen zur thermischen Behaglichkeit für bestimmte Zeitpunkte erstellt, um herauszufinden, wie sich extreme Temperaturen unterschiedlich auf bestimmte Orte auswirken. Mithilfe von Wärmekarten lässt sich ablesen, zu welchen Tageszeiten Freiflächen wie etwa Parkplätze besser oder weniger gut nutzbar sind. In Kombination können diese Technologien einen großen Teil dazu beitragen, dass Städte in Zukunft so schnell und effizient wie möglich kühler werden.
„Am wichtigsten ist es allerdings, dass schnell gehandelt wird“, betont Hondula. „Städtische Wärmeinseln sind ein Problem, das uns alle etwas angeht. In 30 oder 40 Jahren werden die Städte maßgeblich von den Entscheidungen geprägt sein, die wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren treffen. Deshalb müssen wir schon heute entsprechende Maßnahmen ergreifen.“ Einigen Modellrechnungen zufolge könnten künftig Städte bei fortgesetzter globaler Erwärmung sogar kühler sein als heute, wenn wichtige Faktoren zur Kühlung, wie etwa Bäume und reflektierende Oberflächen, sinnvoll und flächendeckend eingesetzt würden. „Das ist doch ein ermutigendes Zeichen.“
Wichtiger Hinweis: Derzeit ist die Mikroklimaanalyse in Spacemaker von Autodesk nicht in der Lage, die Auswirkungen verschiedener Bodentypen oder Baumaterialien zu unterstützen. Sie geht davon aus, dass die Temperatur dieser Oberflächen entsprechend der Lufttemperatur ist.