Lernen Sie das Unternehmen kennen, das mit umweltfreundlicheren Surfboards Wellen schlagen will
Nach außen hin könnte die Surfkultur nicht umweltbewusster erscheinen. Die Vorstellung des Surfers, der eins mit den Wellen und dem Ozean wird und sich, einzig mit einem Surfboard unter den Füßen, den Urkräften der Erde hingibt, scheint wie das Sinnbild der Naturverbundenheit schlechthin.
Für den langjährigen Surfer Stu Bowen ist diese utopische Vision „totale Heuchelei“. Pro Jahr werden fast eine halbe Million Surfboards an den Mann gebracht, die nicht selten eine Lebensdauer von gerade mal sechs bis zwölf Monate haben, da sie dazu neigen, unter Belastung nachzugeben und zu brechen.
Bedenkt man, dass heutige Surfboards aus Polyurethan und Polystyrol bestehen, dürfte einem bewusst werden, dass ihre Produktion in etwa so umweltfreundlich ist wie die Erdölgewinnung oder der Müllstrudel im Pazifik. Und da das Surfen 2020 erstmals bei den Olympischen Spielen vertreten sein soll, dürfte die ohnehin große Beliebtheit des Sports noch um einiges steigen – und mit ihr die schädlichen Folgen der Surfboard-Fertigung für die Umwelt.
Genau mit diesem Problem möchte Bowen nun Schluss machen.
„Das Ganze ist ein hervorragendes Beispiel für ein Phänomen, das man heute als Linearwirtschaft bezeichnet“, so Bowen über die herkömmliche Surfboard-Fertigung. Als leidenschaftlicher Surfer seit seiner Jugend und überzeugter Umweltaktivist beschloss der gebürtige Australier, den Status quo in der Surfbranche auf den Kopf zu stellen. „Üblicherweise nimmt man Rohstoffe und macht etwas daraus, nur um es dann irgendwann zu entsorgen“, erklärt er. „Das ist der Fall für die überwiegende Mehrheit der menschlichen Wirtschaft.“
Unter dem Namen Lamina Flow gründete Bowen ein Unternehmen, das sich laut Eigenaussage der Fertigung von Surfboards nach den Grundsätzen des sogenannten Circular Design verschrieben hat. „Wir setzen auf Gestaltungsprozesse, die bewusst auf das Eliminieren von Abfallstoffen abzielen“, so Bowen. „Bevor der Mensch sich zum Herrscher über die Welt aufschwang, gab es das Konzept von Abfall nicht. Alles war entweder Nahrung oder ein Rohstoff für etwas anderes. Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft besteht darin, durch gezielte Gestaltung und Entwicklung ein Minimum an Abfall und ein Maximum an Effizienz zu erreichen. Uns geht es darum, besseres Surfen und mehr Leistung zu ermöglichen, und natürlich ist es uns sehr wichtig, Boards mit längerer Lebensdauer zu entwickeln.“
Mit Lamina möchte Bowen seiner seit Langem gehegten Überzeugung Rechnung tragen, dass Unternehmen – entgegen ihrem weit verbreiteten Ruf als größter Umweltsünder – möglicherweise die Lösung für eine nachhaltigere Zukunft sein könnten.
Die herkömmliche Surfboard-Gestaltung beschreibt Bowen als experimentelles Verfahren nach dem Prinzip des Versuchs und Irrtums. „Die Hersteller bestimmen die Maße und Formen der Bretter und erhalten dann Feedback von Kunden, die darauf surfen“, erläutert er. „Es ist ein riesiger ineffizienter Teufelskreis, der ewig weitergeht. Ich möchte dem Wahnsinn ein Ende setzen und Surfern mithilfe eines durchdachten, softwarebasierten Ansatzes genau das bieten, was sie haben wollen.“
Wie Bowen eingesteht, gilt es zunächst, eine Reihe von Hürden zu überwinden. So zum Beispiel die überaus ironische Tatsache, dass die Anhänger der Surfkultur mit geradezu religiöser Hingabe minutiös verschiedenste Veränderungen – von den Wetterbedingungen über den Wellengang bis hin zu Ebbe- und Flutzeiten – verfolgen müssen, um ihrer Leidenschaft nachzugehen, während der Großteil der Board-Hersteller jegliche Veränderung ablehnt und stur auf vertrauten Gestaltungs- und Fertigungsverfahren beharrt.
Ein neues Problem
Noch Tausende von Jahren nach der Erfindung des Wellenreitens in der Südsee bastelten Einheimische sich Surfbretter aus Holzbohlen und Schilfgeflechten. Doch so umweltfreundlich diese frühen Prototypen gewesen sein mögen, so schwer und unförmig waren sie auch. Inspiriert vom Schiffsbau, entdeckte die Surfbranche in den 30er und 40er Jahren schließlich die Möglichkeiten von Harz, Glasfaser und Polyurethanschaum für sich.
Eine bessere Alternative, so Bowen, habe es für die Branche damals nicht gegeben. Gleichzeitig begann damit jedoch ein dunkles neues Zeitalter der Surfboard-Fertigung auf Basis von Petrochemikalien und ihren Derivaten. Der Fertigungsprozess eines Surfboards erfordert jede Menge Ressourcen – weitaus mehr als nur die toxischen Stoffe, die in das Endprodukt fließen –, die sich letzten Endes nicht entsorgen lassen. „Wenn ein Surfbrett bricht, was durchaus schon bei der ersten Session passieren kann, macht sich niemand Gedanken um die Überreste“, so Bowen. „Das Brett ist entweder bis in alle Ewigkeit in den Tiefen des Ozeans verschollen oder es landet auf der Mülldeponie, falls es an Land geschwemmt wird.“
Mit Lamina Flow verfolgt Bowen einen Ansatz, der Gestaltung und Fertigung miteinander kombiniert. „Die Software, die uns zur Verfügung steht, ist einfach Wahnsinn“, freut er sich. „Auch in Sachen Materialien hat es Fortschritte gegeben. Es tut sich wirklich einiges im Moment. Meine Aufgabe besteht im Grund nur darin, die für die Surfbranche relevanten Entwicklungen zusammenzubringen und mir zu überlegen, wie wir uns in Zukunft noch verbessern können.“
Zu den Meilensteinen, die Bowen erreichen möchte, gehört nicht zuletzt Präzision. Denn obwohl die Fertigung in Handarbeit dem romantischen Ideal des Surfens treu bleibt, ist es äußerst schwierig, das für ein Surfboard erforderliche Maß an Präzision zu erreichen und verschiedene Leistungseigenschaften präzise miteinander in Einklang zu bringen.
Bei seiner Arbeit lässt sich das Team von Lamina Flow von verschiedensten Vorbildern wie etwa Skiern und Snowboards, die überaus widerstandsfähig sind, und sogar Pfeil und Bogen inspirieren. So kam man auf die Idee, bei der Fertigung eine Reihe von Laminaten einzusetzen – und das Unternehmen Lamina Flow zu taufen. Statt eines einzelnen Schaumkerns mit einem sogenannten Stringer in der Mitte (einem dünnen Holzstreifen, der zur Längsversteifung des Bretts dient, es aber gleichzeitig zerbrechlicher macht) bestehen die Surfboards von Lamina Flow aus drei verschiedenen Kernstrukturen mit mehreren Schichten. So kann jede einzelne Schicht gezielt verstärkt werden.
Derzeit nutzt Bowens Team im Rahmen des Rapid Prototyping subtraktive CNC-Fräsverfahren zur Umsetzung seiner Vorstellungen. Doch der nächste Schritt ist bereits in Planung. „Es ist uns gelungen, die Abfallstoffe in jedem Schritt auf ein Minimum zu reduzieren“, freut sich Bowen. „In der nicht ganz so fernen Zukunft – wahrscheinlich schon Ende des Jahres – wollen wir das Ganze mit additiver Fertigung angehen. Doch vorher müssen wir ganz genau wissen, was wir tun. Momentan geht es erst mal darum, alles zu lernen, was es zu lernen gibt.“
Wie Bowen betont, verfolgt er mit Lamina Flow neben umweltbewusster Fertigung jedoch noch ein weiteres Ziel. „Das Unternehmen wurde aus Liebe zur Umwelt gegründet und ist im Laufe der Zeit zum Ausdruck unserer Leidenschaft für gute Surfboards geworden“, fährt er fort. „Ich musste mir von vielen Seiten anhören, nachhaltige Surfboards würden herkömmliche Modelle in Sachen Performance niemals übertreffen. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt. Bis vor Kurzem war das Formen von Surfbrettern mehr Kunst als Wissenschaft. Ich versuche, das Ganze mit einem datenbasierten Ansatz anzugehen.“
Ein weiterer Vorteil, den Lamina Flow Kunden als Kleinunternehmen bietet, ist die Möglichkeit der Personalisierung: Surfboards lassen sich gezielt an die Anforderungen unterschiedlicher Surfer anpassen. „Wir können den Boards mehr Flex verpassen, ihre Federungseigenschaften verstärken oder sie steifer machen“, meint Bowen. „Ich habe mir die Wünsche von Surfern angehört und festgestellt, dass Performance ganz oben auf der Liste steht. Diese erreicht man durch Flex, Rückfederung und so weiter.“
Die Bewegungen des Bretts und der Wellen unter den Füßen spielen für Surfer eine genauso wichtige Rolle wie die dezente Verlagerung des Gleichgewichts beim Radfahren. „Beim Surfen gibt es ein Phänomen, bei dem man eine derartige Kontrolle über das Board hat, dass es wie eine Erweiterung des eigenen Körpers wirkt“, erklärt Bowen. „Ich habe mich mit Themen wie Biomimetik und Circular Design beschäftigt, um neue Wege zu finden, dieses Phänomen zu erzeugen.“
Grenzen sprengende Zusammenarbeit
Bowen beteuert, er habe kein Interesse daran, der Star der Geschichte von Lamina Flow zu werden. Für ihn drehe sich alles um die Umwelt und den Fortschritt, aber auch um die Zusammenarbeit im Team, die dem Unternehmen zu besseren Ergebnissen verholfen habe. Von Bowens Heimat im berühmten australischen Surfmekka Byron Bay aus arbeiten er und seine Kollegen trotz 17-stündiger Zeitverschiebung eng mit Autodesk-Entwicklern in San Francisco zusammen – eine anspruchsvolle, aber umso lohnenswertere Herausforderung.
Für die Gestaltung der spitz zulaufenden Laminatformen nutzten Bowen und sein Team die 3D-Gestaltungssoftware Autodesk Fusion 360. Diese erlaubte es, über die Cloud Modelle mit den Frästechnikern in den USA zu teilen und Probleme, die während der Prototypen-Entwicklung aufkamen, direkt durch Änderungen oder Anpassungen innerhalb der Software zu lösen. „Die Cloud-basierte Plattform hat es auf jeden Fall leichter gemacht, die physische Distanz zu überbrücken“, so Bowen.
Lamina Flow mag noch einen weiten Weg vor sich haben, doch die Machbarkeitsnachweise des Unternehmens im Gestaltungs- und Fertigungsbereich sprechen für sich. Und außerdem: Auch jener polynesische Prinz, der vor Tausenden von Jahren beschloss, sich auf einem zurechtgeschnitzten Baumstamm in die Wellen zu stürzen, galt zu seiner Zeit als einsamer Ausreißer unter seinen Zeitgenossen.