Die Schaffung nachhaltiger Städte setzt zunächst eine gründliche Planung voraus. Die einzelnen Maßnahmen und Systeme müssen aufeinander abgestimmt sein und in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Allerdings erschwert ein besonderer Umstand diese Aufgabe ungemein: Die Städte existieren bereits. Viele der notwendigen Maßnahmen beinhalten die Umgestaltung vorhandener Gebäude und greifen in bestehende Netzwerke, Lebens- und Arbeitsgewohnheiten ein. Alle Veränderungen müssen daher umso gründlicher durchdacht und simuliert werden. Auch die umfassende Beteiligung der Community ist dabei entscheidend für den Erfolg.
Ein sehr häufiges und wirksames Beispiel für tiefgreifende Veränderungen im Stadtbild ist die Beruhigung vom Autoverkehr, an den wir uns irgendwie gewöhnt hatten. In den Nachkriegsjahren wurden die Städte schließlich auf den Individualverkehr mit dem Auto zugeschnitten. Entsprechend kämpft der öffentliche Nahverkehr noch heute damit, den dadurch geprägten hohen Komfortanspruch der gewohnten „Tür-zu-Tür-Mobilität“ zu erreichen.
Dabei spielen nicht nur Kosten für den Umbau eine wichtige Rolle. In vielen Gebieten mit besonders unzureichenden Mobilitätsanageboten, in denen von A nach B zu gelangen mit erheblichem Stress verbunden ist, sind neben Investitionen auch innovative Ansätze gefragt. Das nachhaltige Bauen ist bei öffentlichen Bauvorhaben bereits selbstverständlicher Teil der Planung, Ausschreibung und Ausführung. Gleichzeitig setzt sich die Verbreitung digitaler Werkzeuge durch, die diese Prozesse entscheidend unterstützen.
Die digitale Bauwerksmodellierung mit BIM (Building Information Modeling) bietet solche Werkzeuge. Mit der BIM-Methode lassen sich Bauwerksinformationsmodelle sowohl für Neubauten als auch für Bestandsobjekte erstellen. Der so erstellte digitale Zwilling bildet nicht nur Grundrisse oder Ansichten des architektonischen Entwurfs ab, sondern enthält ein komplettes Ökosystem des Gebäudes, darunter die Beleuchtung, Heizung und Klimatechnik, Brandschutzsysteme oder auch Informationen wie Laufwege, die von den Überwachungskameras erfasst werden. Ein digitaler Zwilling ist damit ein virtuelles Abbild des Gebäudes in Echtzeit, das durch die Verbindung von Datensätzen oder Analysen angepasst werden kann, und gibt so Auskunft über alle denkbaren Aspekte der Nutzung und Systemeffizienz. Anhand der Daten können so Analysen und Vorhersagen erstellt werden, die beim Entwurf, während des Baus oder im Betrieb intelligentere und fundiertere Entscheidungen ermöglichen.
Dabei kann zum Beispiel auffallen, dass ein Flur normalerweise kaum genutzt wird, nachdem alle Mitarbeitenden im Gebäude angekommen sind. Damit dieser Bereich des Gebäudes nicht unnötigerweise beleuchtet wird, kann ein Bewegungsmelder installiert und programmiert werden, der die Beleuchtung dort ausschaltet, wenn keine Personen anwesend sind.
Ebenso könnte die gesamte Heizungs- und Klimatechnik des Gebäudes über Internet der Dinge (IoT) zahlreiche Daten von Sensoren in Leuchten, Lüftungssystemen und Thermostaten, die sich in einem Bürogebäude befinden, sowie Informationen über die Energieaufnahme aus dem Stromnetz, Nutzungsdaten und sogar Wetterdaten von außen zusammenführen. Auf der Grundlage dieser Daten könnten dann Anpassungen vorgenommen werden, um den Bedarf an Beleuchtung, Heizung und Klimatisierung eines Gebäudes, einzelner Räume oder Bereiche zu optimieren. Diese Steuerungsmaßnahmen können durch Menschen oder sogar durch Programme vorgenommen werden, die in der Lage sind, gesammelte Nutzungsdaten dank maschinellem Lernen selbst auszuwerten.
Derartige Verbesserungen können auf jedes System in einem Gebäude ausgeweitet werden. Im nächsten Schritt können die Kennzahlen von Gebäuden oder Gebäudekomplexen in einem riesigen, cloudbasierten Datensatz verknüpft werden, um einen ständig aktualisierten Echtzeit-Überblick über alle Informationen zu erhalten, die für Umwelt, Kultur, Finanzen und die Ressourcenbilanz der Quartiere relevant sind. Ab diesem Punkt wird die nachhaltige Stadtentwicklung nicht mehr von einem Bauchgefühl geleitet, sondern kann sich auf harte Fakten stützen.
Die Methoden und Plattformen, mit denen BIM-Ergebnisse kombiniert, gemessen und ausgewertet werden können, existieren bereits. Zu den anerkannten Indikatoren der nachhaltigen Stadtentwicklung gehören unter anderem Kennziffern zur Beschreibung der Treibhausgasemissionen oder des Abfallaufkommens. Mithilfe von Plattformen, die diese Daten zusammenführen, können Stadtverwaltungen prognostizieren, wie sich diese Kennzahlen über Raum und Zeit hinweg verändern werden. So kann herausgefunden werden, wie sie zusammenwirken – vom Lebenszyklus eines einzelnen Gebäudes bis hin zu demografischen Veränderungen.
Die Zukunft gestalten
Jeden Tag packen mindestens 200.000 Menschen ihre Koffer und ziehen in die Großstadt. Bis zum Jahr 2050 werden fast 70 % der Weltbevölkerung in Städten leben – das sind etwa sieben Milliarden Menschen.
Die gebaute Umwelt verbraucht bereits bis zu einem Drittel der geförderten natürlichen Ressourcen und erzeugt ein Viertel aller festen Abfälle.
Um eine nachhaltige Stadtentwicklung zu ermöglichen, muss sich daher das Bauen ändern. Das Wissen darum, welche Strategien und Technologien das Planen und Bauen verbessern, ist nicht neu und setzt sich zunehmend sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik durch. Zu den wesentlichen Ansätzen gehören:
Eine postfossile Entwicklungsstrategie, bei der eine klima- und ressourcenschonende Stadtentwicklung im Mittelpunkt steht
Eine Fertigteil-/Modulbauweise, bei der die Bauteile fernab der Baustelle hergestellt, verschifft und vor Ort zusammengebaut werden, was den Materialbedarf und die Beeinträchtigung vor Ort reduziert und die Sicherheit erhöht
Das Planen und Bauen mit der BIM-Methode, bei der ein digitales Abbild eines Objekts mit all seinen Anforderungen, Prozessen und Nutzungen vor Baubeginn getestet und optimiert werden kann, um den nachhaltigsten Entwurf zu finden.
Die Stadt der Zukunft braucht Resilienz
Die Auswirkungen des Klimawandels verschärfen sich weiter. Dabei werden die Wetterextreme immer zerstörerischer, teurer und tödlicher. Gemäß einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz haben Extremwetter wie die außergewöhnlich heißen und trockenen Sommer der vergangenen Jahre sowie die Hochwasserkatastrophe von 2021 allein in Deutschland Schäden von insgesamt über 80 Milliarden Euro verursacht.
Resiliente Städte sind daher das Leitbild der Stunde, das für eine Abmilderung der physischen, ökologischen und sozialen Folgen extremer Klimaphänomene sorgen soll. Betroffene Städte sollen diese dadurch besser wegstecken, Gesundheits- und Bildungswesen oder andere systemrelevante Einrichtungen auch im Katastrophenfall funktionieren. Die finanzielle Effektivität von Vorsorgeinvestitionen wurde 2018 in einem Bericht des National Institute of Building Sciences untersucht. Demnach betragen die Vermeidungskosten nur ein Sechstel der zu erwartenden Schadenskosten.
Die Resilienz von Gebäuden lässt sich heute bereits im Modell testen, indem dreidimensionale Planungsdaten in eine entsprechende BIM-Software geladen werden. Beispielsweise können verschiedene Plattformen das Gebäudemodell in einem virtuellen Windkanal oder Erdbebengebiet testen und wertvolle Daten darüber liefern, welche Änderungen am Entwurf notwendig sind. Ein anderes Beispiel ist der Meeresspiegelanstieg, der Millionen Menschen in Küstenstädten bedroht. Auch zeigen moderne Technologien bessere Lösungen im urbanen Gebäude- und Küstenschutz auf. Anhand von Simulationen lässt sich ermitteln, wohin die Wassermassen im Falle eines katastrophalen Starkregenereignisses oder bei einem Deichversagen fließen und welche Fluchtwege benötigt werden. Daraus geht auch hervor, welche Elemente der kritischen Infrastruktur verstärkt werden müssen, damit beispielsweise Krankenhäuser oder Kraftwerke den Betrieb im Katastrophenfall aufrechterhalten können.