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Wie der thyssenkrupp Testturm die Städte von morgen vor dem Kollaps rettet

thyssenkrupp Testturm

Jeden Tag entsteht auf der Erde eine urbane Neufläche in der Größe von Manhattan. Das stellt die Städte vor große logistische Herausforderungen. Das weiß man nirgends besser als im süddeutschen Rottweil: Dort steht der thyssenkrupp Testturm mit einer Höhe von 246 Metern. In den zwölf eingebauten Schächten erforschen Ingenieure die modernsten Aufzugtechnologien für die Wolkenkratzer der Zukunft. Das Gebäude ist so komplex, dass Planung und Bau nur digital funktionierten.

thyssenkrupp Testturm
Der Wolkenkratzer thyssenkrupp Turm wurde zum Testen eines Aufzugs ohne Kabel gebaut. Mit freundlicher Genehmigung von thyssenkrupp Elevator.

Wie eine Schraube bohrt er sich inmitten von sattem Grün in den Himmel. Schaut man hinter die Fassade, entdeckt man hochkomplexe Technologie. Denn der thyssenkrupp Testturm trägt nicht nur Deutschlands höchste öffentliche Aussichtsplattform, sondern kann sich auch mit modernster Aufzugstechnik von morgen brüsten.

In insgesamt zwölf Schächten testet das deutsche Unternehmen thyssenkrupp seine Aufzüge von unten nach oben – aber auch von links nach rechts. In drei Schächten fährt der weltweit erste horizontale Aufzug seiner Art ohne Seil – er wird mit Elektromagneten betrieben und kann dank eines Exchangers die Richtung ändern. Durch diese Technologie können mehrere Kabinen gleichzeitig im selben Schacht fahren und niemand wird mehr länger als 30 Sekunden auf einen Aufzug warten müssen.

„In Zukunft werden die Städte größer, die Häuser komplexer und in der Folge müssen mehr Menschen befördert werden – genau für solch eine Situation ist der sogenannte MULTI Aufzug wie gemacht“, so die Turmmanagerin Beate Höhnle. Im Rahmen einer nachhaltigen Bewirtschaftung werde außerdem die Bremsenergie der Aufzüge zum Beheizen der Räume rückgewonnen.

Der Aufzug im thyssenkrupp Testturm arbeitet vertikal wie ein herkömmlicher Aufzug. Mit freundlicher Genehmigung von thyssenkrupp Elevator.
 
Es fährt aber auch horizontal. Mit freundlicher Genehmigung von thyssenkrupp Elevator.

Der thyssenkrupp Testturm: Das größte Gebäude mit einer Membranfassade

Aber auch in anderer Hinsicht ist der thyssenkrupp Testturm ein Wolkenkratzer der Superlative – es ist das größte Gebäude, das jemals mit einer Membranfassade gebaut worden ist. Die Architekten Dr. Werner Sobek und Helmut Jahn wollten „die kreisrunde Röhre mit einem Negligee überwerfen“ und verkleideten den Körper der Aufzugsschächte mit einer Stoffhülle aus Glasfasergewebe.

Von weitem sieht die Fassade aus wie eine geschlossene Betonwand, tatsächlich handelt es sich aber um ein textiles Netz mit Öffnungen, die mit der Höhe des Turms größer werden. „Durch die unterschiedlichen Maschenweiten wollten wir den Blick nach oben weiten“, so Maximilian Karcher vom Ingenieur- und Architekturbüro Werner Sobek.

Zudem schützt das Gewebe die Betonhülle vor thermischer Belastung wie Sonneneinstrahlung und Witterung und schwächt durch seine spiralförmige Drehung die Querschwingungen durch den Wind, damit der Turm nicht umfällt. Hinzu kommt ein tonnenschwerer Schwingungstilger im Inneren des Turmes. Dieser kann Schwingungen nicht nur schwächen, sondern auch forcieren, um beispielsweise Orkane zu simulieren. So kann sich der Testturm wie der Burj Khalifa in den Wüstenstürmen von Dubai bewegen.

Dank Software Kollisionen vermeiden

Damit der Turm diese Extreme aushält, sind in den Wänden und Decken circa 2.700 Tonnen Stahl verbaut. Ein Foto von den Bauarbeiten zeigt, wie eng die Bewehrung sitzt. „Das Gebäude ist im Inneren so komplex, dass wir eventuelle Kollisionen vorab unbedingt in einem digitalen Modell prüfen mussten“, so Dr. Jan Niklas Franzius, der damalige Planungskoordinator für den Rohbau vom Unternehmen Züblin.

Das komplette Gebäude existiert digital als BIM-Modell (Building Information Modeling) in Autodesk Revit und konnte somit frühzeitig mit der Software Navisworks auf etwaige Kollisionen untersucht werden. Auch der Bauablauf war digitalisiert – einige Bauteile, wie beispielsweise die Fertigteiltreppen, wurden hierzu mit einem QR-Code versehen. Damit konnten die Baubeteiligten die Werkstoffe jederzeit tracken und wussten sofort, wenn etwas auf der Baustelle mal nicht nach Plan verlief.

thyssenkrupp Testturm
Simuliert sowohl Windstille als auch hohe Windstärken: Der thyssenkrupp Testturm kann sich dank eines Pendels im Inneren des Turmes wie ein Gebäude im Orkan bewegen. Mit freundlicher Genehmigung von thyssenkrupp Elevator.

Der Turm entstand in der sogenannten Gleitbaumethode, das ist eine vertikale Bauweise: Der Wolkenkratzer wurde von unten nach oben gezogen und „glitt“ damit in die Höhe. Im Dreischichtbetrieb betonierte man ihn in einem Stück, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. „Einen Baustopp kann man sich bei der Gleitbauweise nicht leisten, sonst wird der Beton hart“, so Franzius.

Außerdem darf unterhalb des Gleitstangensystems aus sicherheitstechnischen Gründen keiner arbeiten – das führte dazu, dass der Eingangsbereich am Fuße des Turms erst ganz zum Schluss gebaut wurde. „Das stellte uns vor eine statische Herausforderung. Damit wir die Stabilität des Turms gewährleisten konnten, haben wir spätere Öffnungen wie Fenster erst einmal zubetoniert“, erzählt der Planungskoordinator.

thyssenkrupp Testturm
Bei so viel Stahl verliert man schnell den Überblick. Einen Durchblick geben Software-Lösungen, um Kollisionen schon vorab zu vermeiden. Mit freundlicher Genehmigung von Züblin.

Der thyssenkrupp Testturm wäre „ohne BIM nicht möglich gewesen“

Als schon nach wenigen Monaten die Turmwände standen, wurden die Decken von oben mit einem Kran eingesetzt. Trotz aller schwindelerregenden Herausforderungen entstand der Turm in einer Rekordbauzeit von circa zwei Jahren. Die feierliche Eröffnung war im Herbst 2017. Ohne BIM wäre das nicht möglich gewesen. Zeitersparnis und ein gut geplanter Ressourcenumgang sind klare Vorteile von digitalem Bauen. Das zeigen auch diverse Auszeichnungen: Der Turm gewann bereits mehrere Architekturpreise für seine nachhaltige Bauweise.

Nun bleibt noch die Frage, warum solch ein Turm, der Standards für die Megastädte der Zukunft setzt, ausgerechnet am Schwarzwald steht – sicher nicht primär, um Besucher mit dem Weitblick ins umliegende Grün zu beeindrucken. Vielmehr sucht man die Nähe zu den 10.000 Studierenden der Ingenieurwissenschaften an den umliegenden Universitäten und Fachhochschulen sowie den Wissenschaftlern der benachbarten Forschungszentren, um diesen Talentpool für die Gestaltung der Städte von morgen zu nutzen.

Über den Autor

Friederike Voigt war früher als Journalistin tätig und ist heute in ihrer Rolle als Content Manager bei Autodesk für Redshift in EMEA verantwortlich. Während ihres Studiums der Fächer Medienmanagement und Kunstgeschichte erhielt sie ein journalistisches Stipendium und arbeitete für die Deutsche Presse-Agentur sowie verschiedene Zeitungen und Zeitschriften wie das Cicero Magazin.

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