In der Champagne wird eine fast 60 Jahre alte Bausünde umweltgerecht saniert
Die Champagne ist eine der bedeutendsten historischen Provinzen Frankreichs und Namensgeber des weltberühmten Schaumweins. Die Champagnerregion wird nun um ein nachhaltiges Gebäudes reicher – der Hauptsitz der Gesellschaft für Management und Buchhaltung, deren Kunden u. a. Winzer sind, bekommt nun eine neue Fassade – sie ist mit Weinreben geschmückt und damit nachhaltig, umweltschonend und was für’s Auge zugleich.
Heute klären die besagten Weinkellereien ihr gesamtes Abwasser. 90 Prozent der Nebenprodukte sowie alle Abfälle der Champagnerherstellung werden zurückgewonnen und wiederverwendet. Gleichzeitig konnte der Einsatz von Rebenschutzprodukten um die Hälfte und der Kohlenstoff-Fußabdruck pro Flasche um 15 Prozent reduziert werden.
Als die CDER (Gesellschaft für Management und Buchhaltung) eine Vergrößerung ihrer Niederlassung in Épernay – auch bekannt als die „Hauptstadt der Champagne“ – plante, war es für das Unternehmen wichtig, sich an den Werten der Region zu orientieren. Ursprünglich erwog man, ein benachbartes, in der Umgebung berüchtigtes Blockbauwerk aus den 1960er-Jahren abzureißen. „Jeder kennt dieses Gebäude, und jeder findet es scheußlich“, bringt Aurélien Leriche, leitender Architekt beim Pariser Planungsbüro OuyOut, es unverblümt auf den Punkt. Als Außenstehende sahen die beauftragten Architekten das alte Gebäude jedoch mit anderen Augen. Beeindruckt von seiner effizienten Raumnutzung stellten sie eine weniger kostspielige Alternative vor: eine umweltgerechte Sanierung, die den Schandfleck des Dorfes mit seiner Umgebung in Einklang bringen sollte.
Einem Bericht des Buildings Performance Institute Europe (S. 31) zufolge werden in Frankreich 43 Prozent des Energieverbrauchs und ein Viertel der Treibhausgasemissionen durch Gebäude verursacht. Effizientere Abläufe haben große Auswirkungen auf den gewerblichen Gebäudesektor, wo Gebäude für einen jahrzehntelangen Betrieb geplant werden. „Unser Ziel ist es, dass dieses Gebäude 40, 60 … vielleicht mehr als 60 Jahre genutzt werden kann“, betont Leriche. Der sonst bei einem Abbruch und der Entsorgung von Altmaterial entstehende Abfall wird – genau wie der bei einem Neubau freigesetzte Kohlenstoff – bei Sanierungsarbeiten vermieden.
„Als wir uns mit unseren Ansprechpartnern bei der CDER über Energieverbrauch und Gebäudeperformance unterhielten, wurde ihnen bewusst, dass ihre Region sich in einem ökologischen Wandel befindet“, erzählt Leriche. „Also beschloss man, sich gezielt auf die Energieeffizienz des Gebäudes zu konzentrieren.“
Der Umbau des Gebäudes ist seit Anfang 2020 in vollem Gange und soll voraussichtlich bis Mitte 2021 dauern. Um ein möglichst nachhaltiges Ergebnis zu gewährleisten, mussten die Architekten die bestehende Konstruktion so weit wie möglich erhalten und restaurieren, neue Werkstoffe sparsam einsetzen und gleichzeitig moderne Wärmeschutzverordnungen und Umweltanforderungen berücksichtigen. „Das Prinzip des effizienten Bauens besteht darin, möglichst wenig Energie aufzuwenden. Also gilt es, Energie zu sparen – logisch“, erklärt Leriche.
Das vorrangige Ziel war es, den Energieverbrauch zu reduzieren. Da Brennstoff zum Heizen zur Zeit der Errichtung des Gebäudes im Jahr 1963 günstig war, hatte das Gebäude keinerlei Wärmedämmung. Die Architekten entwarfen eine zweischalige Fassade, die an die weinbewachsenen Pergolen Griechenlands oder Italiens erinnert. Auf einer neuen Außenhülle sollen Pflanzen wachsen, die dem Gebäude sowohl ein lebendiges Äußeres verleihen als auch Isolierung und Sonnenschutz spenden werden.
Grüne Schale, grüner Kern mit nachhaltiger Architektur
„Die Hauptdämmung befindet sich an der Fassade selbst“, erläutert Leriche. „Es handelt sich um eine Außenisolierung an den sechs Seiten des Gebäudes, ohne Wärmebrücke oder Dämmstoffbruch.“ Die Doppelfassade – eine leichte Metallkonstruktion aus 80 Zentimeter breiten vertikalen Gitterbändern – dient den Pflanzen als Rankhilfe. Das in einem Meter Abstand zur Fassade angebrachte Gerüst ist mit großen Blumenkübeln ausgestattet, sodass die Reben auf jeder Ebene des Gebäudes wachsen können.
Um den Wirkungsgrad des Sonnenschutzes zu bestimmen, berechnete das Team von OuyOut die Energieeffizienz der Fassade mithilfe von Autodesk Insight. Neben dem Sonnenschutz des Gebäudes durch äußere Isolierierung sieht der endgültige Entwurf vor, auch die thermische Trägheit der Betonstruktur im Inneren nutzbar zu machen.
„Wir versuchen nicht, das Rad neu zu erfinden“, räumt Leriche ein. „Aber die Doppelfassade ist eine Strategie. Man hätte für das Gebäude auch eine andere Lösung finden können, da aber die Verbindung mit dem Kontext der Region wichtig war, haben wir diesen Ansatz gewählt.“ Folgerichtig schließt das grüne Dach des Gebäudes an einen bergaufwärts gelegenen Stadtgarten an.
Während das ursprüngliche Gebäude in gewissem Sinne zwar wirtschaftlich war, hatte es keinen Bezug zum Kontext oder zur Ästhetik der Weinbautradition. Das sanierte Gebäude sollte effizienter sein und zugleich seinem Umfeld gerecht werden.
„Die Stadt ist umgeben von Flüssen und mit Weinbergen bedeckten Hügeln“, so Leriche. „Das Gebäude wird eine visuelle Brücke zur Natur schlagen. Außerdem sind viele CDER-Klienten Winzer. Sie sollen sich beim Besuch des Gebäudes wohlfühlen. Die Architektur wird auf sie vertraut, aber zugleich modern wirken und auch für die Mitarbeiter soll der Arbeitsplatz zum Symbol für ihre Region werden.“
Den architektonischen Grundlagen auf der Spur
Sanierung ist komplizierter als Neubau: Da bestehende Gebäude ein höheres Maß an Einschränkungen mit sich bringen, sind Architekten auf exakte Informationen angewiesen, um die vorhandene Bausubstanz vollständig zu verstehen. „Die Fassade sieht sehr einfach aus, ist es aber nicht“, sagt Leriche. „Säulen, Putz und Konstruktion greifen ineinander, und es ist schwer zu unterscheiden, was Tragwerk ist und was Ornament.“
Obwohl die handgefertigten Originalzeichnungen des Gebäudes als PDF-Dateien verfügbar waren, waren sie nicht genau genug. Deshalb vermaß das Team von OuyOut das Gebäude zunächst mit einem geografischen Informationssystem (GIS). „Aber GIS kann nicht jeden Millimeter einer Fassade messen und es ist schwierig, jeden Teil des Gebäudes zu erreichen. So verlässt man sich auf Vermutungen, die nicht selten zu Fehlern und Nacharbeit führen“, wendet Leriche ein.
Die Lösung des Problems: OuyOut beauftragte auf dem Autodesk Services Marketplace gelistete Experten damit, einen besseren Ansatz zu finden. Der Prozess begann mit der Realitätserfassung: der Durchführung eines vollständigen 3D-Laserscans zur Erfassung aller Details des bestehenden Gebäudes und der Verwendung einer Punktwolkenvermessung, um Millionen von Datenpunkten zu messen. Anschließend wandte das Team sich über den Autodesk Services Marketplace an ein weiteres Unternehmen, um sich in der Verwendung von Autodesk ReCap zur Konvertierung der Daten in 3D-Modelle und 2D-Zeichnungen schulen zu lassen. Zur Erstellung modellbasierter Gebäudeentwürfe verwendete man schließlich Autodesk Revit.
„Die Durchführung des Scans dauerte etwa einen Tag und war denkbar einfach“, berichtet Leriche. „Wir stellten tatsächlich fest, dass wir mit unseren bisherigen Annahmen komplett falsch gelegen hatten. Jetzt sind wir in der Lage, mit den tatsächlichen Dimensionen zu arbeiten, sodass Entscheidungen schneller getroffen und wir besser mit unseren Stakeholdern kommunizieren können.“
Nachhaltiges Bauen: Moderne trifft auf Geschichte
Die präzise visuelle Darstellung des bestehenden Gebäudes hilft den Planern, Fehler zu vermeiden, und eröffnet gleichzeitig den Weg für kreativere Sanierungslösungen. „Es ist viel aufregender, weil man auf Ideen kommt, die einem sonst nie in den Sinn gekommen wären“, freut sich Leriche. „Wenn man ganz von vorn anfängt, kann man seine eigene Vorstellung entwickeln, aber die Arbeit mit einem bestehenden Gebäude ist wie ein Gespräch, eine Auseinandersetzung zwischen dem Architekten und dem Gebäude.“
„Das Ergebnis ist ein Dialog zwischen Geschichte und Moderne, bei dem sich unterschiedliche Zeitebenen verbinden“, fährt er fort. „Beispielsweise werden wir die Büros erneuern, aber das Treppenhaus erhalten, um die Menschen daran zu erinnern, dass das Gebäude einmal etwas anderes war. Das macht das Konzept so interessant und reichhaltig – die Verschmelzung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für die Menschen, die dort arbeiten werden“.