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Die Architektur des Londoner Fotografiska-Museums nimmt dank VR und Fotografie Form an

VR architecture Whitechapel Fotografiska

Die Räumlichkeiten des neuen Fotografiska-Museums in London sind mit Bedacht darauf ausgelegt, Besuchern die Welt der Fotografie auf bisher unbekannte Weise näherzubringen. Das ursprünglich in Schweden beheimatete Fotografiemuseum wagt den Schritt aufs internationale Parkett und plant neben Ausstellungsräumen in New York, seine Pforten im Frühjahr 2019 auch im Londoner Stadtteil Whitechapel zu eröffnen. Hinter den Mauern der neuen Einrichtung soll ein nachhaltiger Gemeinschaftsbereich entstehen, der sich gleichermaßen als internationale Fotogalerie, aufgeschlossenes Sammelbecken für Gleichgesinnte und kulturelles Zentrum versteht.

Durch die gezielte Verwendung sorgfältig ausgewählter Materialien gelang es Guise, dem schwedischen Architekturbüro hinter dem Fotografiska-Projekt in London, in den Räumlichkeiten des Museums eine Atmosphäre zu schaffen, die Assoziationen zur Geschichte der Fotografie heraufbeschwört. Der Gestaltungsprozess war dabei maßgeblich durch den Einsatz virtueller Realität (VR) geprägt: Hatte das Fotografiska bereits zuvor das Grundverständnis dessen revolutioniert, was ein Museum ausmacht, setzte Guise nun auf VR, um bei der Planungsarbeit bahnbrechende neue Wege einzuschlagen.

Seit Jahrhunderten gelten zweidimensionale Baupläne als das A und O der Architekturbranche. „Symmetrische Strukturen innerhalb von Rastern erfüllen bei der Gestaltung durchaus ihren Zweck, wenn man ausschließlich mit 2D-Ansichten arbeitet“, erklärt Architekt Jani Kristoffersen, einer der Gründungspartner von Guise. „Wenn man sich jedoch in einer virtuellen Umgebung durch geplante Räumlichkeiten bewegen kann, ermöglicht das eine völlig neue Arbeitsweise.“

vr architecture fotografiska lobby
Die Visualisierungsmöglichkeiten von VR spielten bei der Integration von Innenräumen eine maßgebliche Rolle. Mit freundlicher Genehmigung von Guise.

Mithilfe von 3ds Max und weiteren Tools entwickelte das Team von Guise Visualisierungen komplexer Gestaltungskonzepte, die fest in der Tradition der Fotografie selbst verankert sind – klare Bezüge und Referenzen offenbaren sich zum einen im Layout des Projekts, zum anderen auch in den verwendeten Materialien, die nicht nur betrachtet und angefasst, sondern zu einem festen Bestandteil der Museumserfahrung an sich werden sollen. „So gesehen agierten wir selbst gewissermaßen als eine Art Fotograf“, fährt Kristoffersen fort. „Das Material bestimmt die Lichtverhältnisse und schafft eine gewisse Stimmung.“

Als Museum, das ganz im Zeichen der Fotografie stehen soll, stellte das Fotografiska London in gestalterischer Hinsicht eine ganz besondere Gelegenheit für das Team von Guise dar. Inspiration fand man in der frühen Fotografie des 19. Jahrhunderts: Diese wurde damals nicht als präzises Abbild der Realität, sondern vielmehr als abstrakte Kunstform betrachtet und die ersten Bildaufnahmen wiesen eine gewisse Grobkörnigkeit auf – eine Ästhetik, die für das Team von Guise bei der Materialauswahl zum Leitprinzip wurde.

So beschloss man beispielsweise, für die Gestaltung der Böden sowie der farblich abgesetzten Wände des Museums Terrazzo zu verwenden, da die „Schwarz-, Weiß- und Grautöne des Materials die Schwarz-Weiß-Fotografie der ersten Tage in Erinnerung rufen“, so Kristoffersen. In anderen Bereichen versah das Team Innenwände mit einer kunstvollen, auf beiden Seiten mit einer Farbschicht überzogenen Oberflächenstruktur – ein Verfahren, das den Wänden eine gewisse Tiefe verlieh, die sowohl die texturierte Beschaffenheit früher Fotografien als auch die Art, wie das Medium Perspektiven in zweidimensionaler Form darstellt, widerspiegeln soll.

Ein weiterer wichtiger Werkstoff im Repertoire von Guise war galvanisiertes Metall: „So wie die Fotografie eine Ausdrucksform darstellt, wurde auch galvanisiertes Metall für uns zu einer Ausdrucksform“, so Kristoffersen. Die Verarbeitung des Materials beschreibt er als „Eintauchen von Blechplatten in eine spezielle Flüssigkeit, die mit dem Einlegen von Fotopapier in verschiedene Lösungen in der Dunkelkammer vergleichbar ist“.

Frappierend ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass sich das galvanisierte Metall – genau wie alte Fotografien – im Laufe der Zeit verändern soll: „Wir setzen das Material unter anderem im Außenbereich ein, wo es durch Sonneneinstrahlung und Verschmutzung zunehmend grau und matt wird“, erklärt Kristoffersen. „Im Innenbereich wird es hingegen seinen Glanz bewahren und eine reflektierende Qualität aufweisen, die den sich verändernden Schimmer eines Fotos im Laufe der Zeit repräsentieren soll.“ Nicht zuletzt erinnert auch die kristalline Beschichtung des galvanisierten Metalls an die beschriebene Körnigkeit alter Fotoaufnahmen.

Jani Kristoffersen, unten links, bei der Leitung eines Gestaltungs-Workshops mit dem Team von Guise. Im Uhrzeigersinn von Kristoffersen aus gesehen: Susanne Berggren, Ragnar Eythorsson und Andreas Ferm. Mit freundlicher Genehmigung von Andy Liffner.
 
Guise-Partner Jani Kristoffersen. Mit freundlicher Genehmigung von Andy Liffner.
 
Guise-Partner Andreas Ferm. Mit freundlicher Genehmigung von Andy Liffner.
 
Susanne Berggren von Guise. Mit freundlicher Genehmigung von Andy Liffner.
 
Guise-Architektin Mia Nygren. Mit freundlicher Genehmigung von Andy Liffner.
 
Ragnar Eythorsson von Guise. Mit freundlicher Genehmigung von Andy Liffner.

Kristoffersen vergleicht die gestalterische Arbeit mithilfe von VR mit der Verwendung filmischer Konzepte und Strategien in der Architektur – ein Ansatz, den er schon seit jeher verfechtet. „Bei der Entwicklung unseres Konzepts haben wir sowohl zu Beginn als auch zum Ende des Prozesses großen Wert darauf gelegt, die filmische Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren.“

Ein besonders wichtiger Aspekt dieses Projekts war der Besucherfluss durch das Museum. „Es geht darum, Menschen von der Straße in das Gebäude zu locken. Sie müssen am Empfang ein Ticket kaufen, sich von dort aus durch den Souvenirladen und an der Lobby vorbei zu der galvanisierten Treppe begeben, um unten an der Bar einen Espresso zu trinken. Von dort aus geht es zum Ausstellungsbereich und dann zurück zur Bar für einen zweiten Kaffee und eine kleine Stärkung. Anschließend sollen die Besucher sich wieder die Treppe hinaufbegeben, wo sie nach einem Zwischenstopp im Souvenirladen eventuell Lust auf einen Cocktail an der Bar bekommen, um so zu guter Letzt im Restaurant anzukommen“, schildert Kristoffersen.

Dank VR war das Planungsteam in der Lage, das Besuchererlebnis in den unterschiedlichen Bereichen des Museums genauestens nachzuvollziehen und den Pfad, auf dem sich Besucher durch das Museum bewegen sollen, zu koordinieren. „Eine simple Zeichnung der Museumsbereiche hätte uns nicht allzu sehr weitergeholfen, was die Planung des Besucherflusses angeht“, bemerkt Kristoffersen lachend.

Auch bei der Verknüpfung verschiedener Museumsbereiche griff das Team auf VR zurück. Da das Restaurant des Fotografiska von den Betreibern des Museums selbst und nicht etwa von einem externen Unternehmen geleitet wird, bot sich hier zum Beispiel die Möglichkeit, das kulinarische Angebot und die Ausstellungen des Museums näher aufeinander abzustimmen.

VR architecture fotografiska stairwell
Das mithilfe virtueller Realität entwickelte Museumslayout begünstigt einen reibungslosen und ausgewogenen Besucherfluss. Mit freundlicher Genehmigung von Guise.

„Museum und Restaurant sind eng miteinander verbunden, was daran liegt, dass wir bei der Gestaltung stets besonders darauf achteten, Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Bereichen des Museums herzustellen“, schildert Kristoffersen. Bei der Ermittlung und Gestaltung ebendieser Zusammenhänge erwies sich virtuelle Realität wiederum als nützliches Hilfsmittel, da sie die Möglichkeit bietet, „eine Umgebung zu begehen und in Bewegung zu erleben.“

Heute vertraut Guise nicht nur auf VR, um Kunden von neuen Entwürfen zu überzeugen oder sich die Unterstützung von Investoren zu sichern, sondern auch, um auf präzise Art und Weise zu vermitteln, warum bestimmte Ideen funktionieren und andere nicht. „Virtuelle Realität ist um einiges realistischer als zweidimensionale Bilder – und besonders 3D-Renderings von Bildern –, da sich mit Bildern allzu leicht Fantasiewelten erstellen lassen“, so Kristoffersen.

So ist es mithilfe von 3D-Renderings beispielsweise möglich, eine idyllische statische Abbildung eines Gebäudes an einem wolkenlosen Sommertag zu erstellen – mitsamt einer meisterhaft in Schatten gehüllten Fassade und wohlerzogenen Kindern, die lachend um das Gebäude umhertollen. Visualisierungen auf Basis von VR, so Kristoffersen, fallen hingegen in der Regel lebensechter aus, da sie mit einem immersiven Eintauchen in die dargestellte Umgebung einhergehen: „Man kauft nicht die sprichwörtliche Katze im Sack – was man sieht, entspricht nachher auch der Realität. Aus diesem Grund ermöglicht VR ein größeres Vertrauen zwischen Kunden und Architekten, als dies bisher möglich war.“

Über den Autor

Taz Khatri ist lizenzierte Architektin und Inhaberin des Architekturbüros Taz Khatri Studios. Ihr Unternehmen ist spezialisiert auf kleinere gewerbliche Projekte und Mehrfamilienhäuser sowie auf den Denkmalschutz. Wichtige persönliche Themen sind für Khatri die Stadtplanung, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit. Sie lebt und arbeitet in Phoenix, im US-Bundesstaat Arizona.

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