Kunden sind Menschen und keine Produkte: Ein Hoch auf das Ende des Werbegeschäftsmodells
Stellen Sie sich vor, Sie lesen gerade einen Online-Artikel über die Bedeutung von Stahlzöllen für die Bau- und Fertigungsindustrie – und mit einem Mal werden Sie von einem „echten“ Foto abgelenkt, das eine Familie mit einem angeblich selbst aufgezogenen Braunbären beim Festmahl zeigt.
In Wahrheit handelt es sich um ein mit Photoshop bearbeitetes Bild – ein Clickbait, der Sie aus dem Konzept bringt und Ihre wertvolle Zeit vergeudet. Dahinter steckt laut Tristan Harris, dem Begründer der Initiative „Time Well Spent“, der „verquere Anreiz“ der Social-Media-Unternehmen und Medienkonzerne, ihre Nutzer mit allen Mitteln dazu zu bewegen, mehr Zeit auf ihren Plattformen zu verbringen. Clickbaiting ist der größte Missbrauch, der mit dem Werbegeschäftsmodell im Internet (kostenlose Inhalte gegen personalisierte Werbung) betrieben wird. Denn anstatt Ihnen einen Mehrwert zu bieten, geht es lediglich darum, Sie auf ein bestimmtes Ziel hinzulenken.
Branchenunabhängig gilt: Für Unternehmen, die den Endnutzer als Kunden ansehen, steht der Mehrwert im Vordergrund, den ihre Interaktionen und Tools ihm bieten können. Unternehmen, die den Endnutzer als Produkt ansehen – bzw. als Quelle von Daten, die sie wiederum gewinnbringend weiterverkaufen können –, interessiert das herzlich wenig.
Abo-Modell vs. Werbegeschäftsmodell
Die Alternative zu einem auf Werbung basierenden Geschäftsmodell ist ein Modell, das sich durch Abo-Gebühren finanziert. So betrachten etwa Apple und Netflix die Nutzer, die für ihre Dienste bezahlen, als Kunden und nicht als Produkte. Beide Unternehmen bieten Ihnen eine Gegenleistung an, wenn Sie für ein Abonnement zahlen; es geht ihnen dabei nicht darum, Sie länger auf ihren Plattformen zu halten. Netflix möchte zwar, dass Sie sich mehr Filme ansehen, verzichtet aber darauf, Sie mit fragwürdigen Methoden dazu zu verleiten.
Anders verhält es sich mit Social-Media-Unternehmen wie Facebook, weil das Werbegeschäftsmodell so unglaublich lukrativ ist. Wem es nur um den Gewinn geht, der läuft nämlich eher Gefahr, ethische (oder sogar rechtliche) Grenzen zu überschreiten. Nehmen wir zum Beispiel die jüngste Enthüllung, dass Facebook den Missbrauch personenbezogener Daten von Millionen Nutzern gestattet hat, was zu enormem Protest und zu einer Untersuchung durch den Kongress der Vereinigten Staaten geführt hat.
Dabei wären viele Menschen, die Facebook einfach nur dazu verwenden wollen, um mit einer Gruppe von Personen zu kommunizieren, womöglich gerne bereit, eine monatliche Abo-Gebühr im ein- bis zweistelligen Bereich zu zahlen, wenn sie dafür nie wieder eine einzige Facebook-Anzeige sehen müssten.
Meiner Meinung nach sollte jeder die Möglichkeit haben, für ein Nutzungserlebnis ohne Anzeigen oder personalisierte Werbung zu bezahlen. Allerdings würden dann die Werbungtreibenden herkommen und sagen: „Damit wurde nun ein ganzes Segment mit Personen geschaffen, an die ich nicht herankomme.“ Außerdem könnte Facebook die Umsatzeinbußen niemals durch ein Abonnement ausgleichen. 2017 erwirtschaftete Facebook 98 Prozent des Umsatzes mit Werbung.
Google hat zwar viele kostenlose Angebote, zeigt aber mittlerweile möglichst viele Inhalte nur noch angemeldeten Nutzern an. Denn wer nicht angemeldet ist, ist längst nicht so wertvoll. Wenn Sie sich abgemeldet haben, kann Google Ihr Gerät verfolgen. Wenn es Sie aber kennt, kann Google den Zugang zu Ihnen und Ihren Präferenzen vermarkten.
Unternehmen, die sich dem Werbegeschäftsmodell verschrieben haben, müssen stets dafür sorgen, dass die Nutzer mehr und mehr Zeit auf ihrer Plattform verbringen, da der Mehrwert der Plattform daran geknüpft ist. Wenn man aber den Mehrwert der Plattform davon entkoppelt, kommt man weiter.
Ich tendiere daher zum Ökosystem von Apple. Die Prämisse dieses Modells: Ihre Daten gehören Ihnen. Apple schafft ein Paralleluniversum – ein in sich geschlossenes Ökosystem, bei dem man für nützliche Inhalte und Services zahlt und dafür einen viel besseren Schutz genießt.
Herr der eigenen Daten
Das Geschäftsmodell vieler Unternehmen fußt darauf, möglichst viele Daten über den einzelnen Nutzer zu sammeln, um sie anschließend zu verkaufen. Aber jeder sollte selbst die Kontrolle über die eigenen Daten haben. Die Blockchain-Technologie – ein unveränderlicher Datensatz zur Dokumentation wirtschaftlicher Transaktionen – ermöglicht es jedem, über seine eigene Online-Identität selbst zu verfügen. Entsprechend sollten Wirtschaftsauskunfteien im Austausch für den Zugang zu personenbezogenen Daten Zugang zu Krediten gewähren.
Zwar würde dieses Modell einen gesetzlichen Rahmen notwendig machen. Aber wenn man das Potenzial von Technologien wie der Blockchain zum dezentralisierten Austausch verschlüsselter Informationen nutzt, kann jeder Mensch die Kontrolle über die gesammelten Informationen über ihn erlangen und selbst bestimmen, wer diese zu welchem Zweck nutzen darf.
„Wenn der Endnutzer Ihr Kunde ist, sind seine Ziele Ihre Ziele, weil Sie in jeder Interaktion mit ihm einen Mehrwert schaffen wollen.“
In Europa ist bereits die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft getreten, in der festgeschrieben wird, dass die Daten dem Einzelnen gehören sollten. Demnach gilt: „Personen haben das Recht, die Löschung ihrer Daten zu verlangen – das Recht auf Vergessenwerden.“ In den USA gibt es weder ein solches Modell, noch scheint man daran interessiert, es einzuführen.
Wie Ihre Daten Sie unterstützen können
Technologiekonzerne sollten mehr Abo-Modelle konzipieren, bei denen jedem die eigenen Daten gehören. Bei Autodesk verfolgen wir das Ziel, für Kunden, die uns ihre Daten freiwillig zur Verfügung stellen, aus ebendiesen Daten einen Mehrwert zu generieren. Wir sammeln diese Daten, um Verhaltensweisen zu analysieren und andere Informationen zu gewinnen, die wir ihnen dann zugutekommen lassen – und nicht, um daraus ein Produktpaket zu schnüren, das wir an einen Dritten verkaufen.
Mithilfe der lernenden Maschine im BIM 360 Project IQ erhalten die Abonnenten zum Beispiel von uns Informationen, die auf ihren eigenen Projektdaten beruhen. IQ ist in der Lage, die größten Probleme in puncto Bauqualität und -sicherheit zu identifizieren und zu priorisieren, sodass die Subunternehmer schneller darauf reagieren können. Diese Projektdaten sind geschützt – und können nur von der Baufirma eingesehen werden, der die Daten gehören.
Beim generativen Design setzt Autodesk maschinelles Lernen ein, um Konstrukteure und Ingenieure bei komplexen Entscheidungen zu unterstützen. So sollen sie in die Lage versetzt werden, schon während des Konstruktionsprozesses die Herstellbarkeit eines Produkts zu beurteilen.
Es ist nicht unsere Absicht, Menschen dazu zu zwingen, aufs Geratewohl Zeit in unseren Anwendungen zu verbringen. Wenn der Endnutzer Ihr Kunde ist, sind seine Ziele Ihre Ziele, weil Sie in jeder Interaktion mit ihm einen Mehrwert schaffen und ihn nicht einfach nur beschäftigen wollen.
Pro und Kontra
Man kann nicht leugnen, dass soziale Medien Erstaunliches bewirkt haben und dass das Werbegeschäftsmodell zahlreichen Menschen den Zugang zu Technologien überhaupt erst ermöglicht hat. Diese Plattformen haben eine Vielzahl neuer Kommunikationswege eröffnet. Allerdings glaube ich, dass man irgendwann auf diese Ära der sozialen Plattformen zurückblicken wird und erkennen wird, dass sie eine neue Form der Kontrolle über das Leben der Menschen hervorgebracht hat – eine Zeit, in der Unternehmen Menschen zu Produkten gemacht haben.
Das ist meiner Meinung nach beunruhigend und letztlich auch gefährlich. Man braucht nur an die Kontroversen um staatliche Maßnahmen wie seinerzeit den Patriot Act in den USA oder auch die geplante Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zu denken. Das Argument, dass die Befugnis zur Überwachung von Telefongesprächen und E-Mail-Korrespondenz der inneren Sicherheit dient, ist durchaus stichhaltig. Trotzdem reagieren viele Menschen mit Besorgnis darauf – damals wie heute. Aber wissen Sie was? Google hat noch viel mehr Daten. Und warum sollte man Google mehr Vertrauen schenken als der eigenen Regierung? Ich wüsste keinen triftigen Grund.
Ich finde es merkwürdig, dass manche Menschen Probleme damit haben, dass der Staat dieses oder jenes über sie weiß, sie aber gleichzeitig Google bereitwillig mitteilen, wo sie jeden Tag hinfahren. Wenn ich ins Auto steige, sagt mir Google, dass das nächste Pizzarestaurant nur fünf Kilometer entfernt ist, weil es weiß, dass ich jeden Freitagabend Pizza für meine Familie hole. Google weiß, wo ich mein Auto geparkt habe, wo ich überall gewesen bin, und macht mir Vorschläge basierend darauf, wie ich mich in der Vergangenheit verhalten habe. Wenn Google eines Tages diese Informationen verwenden wollte, um mich aufzuspüren, könnte es das. Wir müssen uns eingestehen: Unternehmen wie Google haben Daten, die so etwas möglich machen. Dabei handelt es sich um Daten, die die meisten Menschen nicht in den Händen des Staats wissen wollen.
Mir selbst wäre es lieber, wenn diese Daten mir gehörten und ich genau wüsste, wie ich über sie bestimmen kann, als mich auf die internen Kontrollmechanismen bei Google zu verlassen. Es stellt sich die Frage: Werden die Menschen zukünftig bereit sein, für Leistungen mit einem Mehrwert Geld auszugeben, um die Kontrolle über ihre Daten zurückzuerlangen, oder tauschen sie diese Kontrolle lieber gegen kostenlosen Schnickschnack von Unternehmen ein, die auf diesem Weg mit ihnen zu kommunizieren versuchen? Wir dürfen gespannt sein.
Eins jedenfalls steht fest: Technologieanbieter, die diese Zukunft mitgestalten wollen, sollten lernen, ihre Endnutzer als Kunden und nicht als Produkte zu behandeln.