Wie die Digitale Transformation das Geschäft beflügelt
Eine langfristige Strategie zur Einführung digitaler Modelle für Produktentwicklung und Fertigung macht sich bezahlt, auch für kleine und mittlere Unternehmen. Ein Leitfaden.
Digitale Transformation wird gerade für Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) zu einem Schlüsselfaktor ihres zukünftigen Unternehmenserfolgs. Das hängt zum einen mit den wachsenden Anforderungen des Marktes zusammen, Stichwort „Individualisiertes Design“, aber auch mit der zunehmenden Innovationsgeschwindigkeit des Wettbewerbs auf den Heimat- und Exportmärkten.
Doch gerade der klassische Mittelstand tut sich oftmals noch schwer mit der Implementation entsprechender Konzepte. Wie der Spagat zwischen dem laufenden Tagesgeschäft und der strukturellen Neuausrichtung gelingt, erklärt der nachfolgende Beitrag.
Digitale Transformation braucht langfristige Planung
„Wenn ich mit Geschäftsführern und Inhabern über Digitale Transformation spreche, kommt bei vielen meiner Gesprächspartner der Wunsch auf, dass man diesen Prozess am besten schlüsselfertig geliefert bekommt. Wie das Ganze funktionieren soll, wird oftmals nicht wirklich hinterfragt“, berichtet Karl Osti, Senior Industry Manager Manufacturing bei Autodesk, von seinen Erfahrungen mit Entscheidern aus dem Mittelstand. Dabei sei die Digitale Transformation ein schrittweiser Prozess, der behutsam eingeleitet werden müsse. Davon ist auch Sven Dickmans, Senior Technical Sales Specialist bei Autodesk, überzeugt: „Ich kann nicht von Null Digitalisierung auf 100 Digitalisierung gehen. Das würde in den meisten Unternehmen zum Stillstand führen. Außerdem muss ich die Mitarbeiter bei diesem Prozess berücksichtigen und sie mitnehmen.“
Viele kleine Schritte statt einen großen Wurf
Wer also seine betrieblichen Prozesse von der Entwicklung über die Fertigung bis hin zum Vertrieb mithilfe eines umfassenden Product Lifecycle Managements (PLM) effizient organisieren will, sollte dies in kleinen Schritten tun, die in einer Roadmap festgehalten werden. Das heißt, dass zunächst ein Teilprozess wie die Angebotserstellung genau unter die Lupe genommen wird: Welche Arbeitsschritte sind notwendig, wie sind diese organisiert, welche Mitarbeiter und Abteilungen sind involviert und welche Feedback- bzw. Kontrollschleifen sind dabei zu berücksichtigen.
„Dabei sind viele Prozesse bzw. Meilensteine noch gar nicht benannt und brauchen erst einmal eine klare Bezeichnung, damit alle Beteiligten wissen, was damit gemeint ist“, so Dickmans. Er plädiert bei der Einführung eines solchen Systems auch dafür, zunächst einen kleinen Bereich zu digitalisieren, damit sich die Mitarbeiter leichter an das System gewöhnen und man es schneller testen kann, denn das erspart später aufwendige Korrekturen.
Schnellere Entwicklungszyklen, mehr Umsatz
Im Bereich Vertrieb ergeben sich mit der Einführung agiler Produktszenarien neue Argumente bei der Auftragsakquise, beispielsweise durch schnellere Produktionszyklen, aber auch günstigere und dennoch individuellere Produktvarianten dank modularisierter Fertigungstechniken. Nicht zu vergessen ist hierbei das immer mehr an Bedeutung gewinnende Segment „After Sales Services“ bzw. Added Value Services. „Hierbei biete ich nicht mehr nur das physikalische Produkt an, sondern schaffe eine Reihe zusätzlicher Services wie beispielsweise einen Digitalen Zwilling, Remote Maintenance oder einen digitalen Ersatzteilkatalog. Dadurch verbessere ich nicht nur den Gesamtnutzen des Produkts für den Kunden selbst, sondern verringere gleichzeitig auch den eigenen Aufwand, beispielsweise dann, wenn der Servicetechniker dank Remote Maintenance nicht mehr so oft zur Anlage rausfahren muss“, erklärt Osti.
Innovationsmanagement digitalisieren
Doch die mit der Digitalen Transformation verbundenen Vorteile gehen weit über die unmittelbaren betrieblichen Prozesse hinaus. Sie haben auch eine wichtige strategische Komponente. So ist deren Implementation zunächst einmal innovationsfördernd – die Umstellung der eigenen Produktions- und Lieferketten bringt in vielen Fällen erstaunliche Innovationspotenziale an den Tag. So erlaubt es die Kombination aus Künstlicher Intelligenz und der Simulation von Konstruktionsplanung, neue Bauteile schneller und leistungsfähiger zu entwickeln. Der Schlüsselbegriff hierfür lautet Generatives Design.
Einen weiteren Aspekt der Innovationsförderung mittels Digitaler Transformation sieht Lennart Schulenburg, Geschäftsführer der VisiConsult X-ray Systems & Solutions GmbH in der Automatisierung des innerbetrieblichen Verbesserungswesens. Sein Unternehmen, das sich auf die Herstellung von Systemen zur zerstörungsfreien Prüfung von Werkstoffen und Bauteilen für Kunden aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie sowie der Öl- und Gasindustrie spezialisiert hat, arbeitet gerade an der praktischen Umsetzung: „Aktuell läuft unser Innovationsmanagement noch recht unstrukturiert. Das soll sich in Kürze jedoch ändern, denn hierfür bietet unser PLM-System ein entsprechendes Modul an. Mithilfe eines digitalisierten Innovationsfunnels kann dann jeder Mitarbeiter über eine entsprechende Schnittstelle seine Verbesserungsvorschläge einreichen. Diese werden dann von der Entwicklungsabteilung geprüft und gehen dann in eine Pipeline.“
Neue Geschäftsfelder dank After Sales Services
Des Weiteren führt die Digitale Transformation zu einer oft erheblichen Produktivitätssteigerung: Eine hohe Auslastung personeller und maschineller Ressourcen ist gerade für KMU ein entscheidendes Wirtschaftlichkeitskriterium. Wer hier besonders effizient Aufträge verarbeiten und damit Liefertermine optimieren kann, steigert damit auch seine Produktivität. Die Steigerung der Produktivität verbessert schließlich die Ertragskraft und stabilisiert so die finanzielle Basis des Unternehmens. Die Bilanz wird entlastet, neue Mittel stehen für Akquise, aber auch Forschung und Entwicklung zur Verfügung.
Das Unternehmen stärkt außerdem seine Position am Markt: Eine konsequente Orientierung an den Prinzipien der Digitalen Transformation spricht sich herum. Die eigene Wettbewerbsposition verbessert sich dank ausgefeilter Auftrags-, Produktions- und Logistikabläufe, aber auch mehrwertorientierter Service im After-Sales-Bereich. So wird die Digitale Transformation zum echten Wettbewerbsvorteil für KMU. Die Verlängerung der Wertschöpfungskette generiert darüber hinaus neue Einnahme- und Absatzmöglichkeiten. Wer mithilfe der Digitalen Transformation neue Services und Produkte anbietet, erweitert sein eigenes Portfolio und schließt Marktlücken zu seinen Gunsten.
KMU: Ziele definieren und sukzessive umsetzen
Eine im Mai 2020 veröffentlichte Studie der Boston Consulting Group hat ergeben, dass das Servicegeschäft bei den dort untersuchten Herstellern zwar nur 30 Prozent der Umsätze, jedoch 40 Prozent der Rohertragsmarge generiert. Zudem wächst das Servicesegment fast 30 Prozent stärker als das übrige Geschäft.
Auch VisiConsult setzt auf zusätzliches Wachstum durch Serviceleistungen: „Früher haben wir in Aufträgen oder Projekten gedacht und mit dem Kunden bei Abschluss vielleicht noch einen Wartungsvertrag abgeschlossen. Heute setzen wir dagegen viel stärker auf das Thema ‚Recurring Revenues‘, also wiederkehrende Umsätze durch Dienstleistungen wie Garantieverlängerungen oder Ersatzteilgarantien oder eben Value Added Services wie zum Beispiel auf KI basierende Auswertungsalgorithmen für unsere Anlagen. Die Maschine ist dann das Vehikel, um diese zusätzlichen Services zu realisieren. Ich kann nur jeden Maschinenbauer dazu anregen, sein Geschäft in einmalige Umsätze sowie wiederkehrende Umsatz zu zerlegen und sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen“, so Schulenburg.
Damit KMU diesen Prozess erfolgreich meistern, empfiehlt Karl Osti ihnen eine nachhaltige Implementierung ihrer Digitalen Transformationsstrategie mit Hilfe des Change Managements: „Wichtig ist, sich als KMU kleinschrittige Ziele zu setzen und den digitalen Wandel sukzessive, aber konsequent voranzutreiben. Dabei sollte man sich jedoch stets darüber im Klaren sein, dass der Schritt vom Blechbearbeiter zum High-Tech-Unternehmen nicht über Nacht vollzogen werden kann“, gibt Osti zu bedenken. Wichtig sei zu Beginn vielmehr, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und die eigenen Zielvorstellungen klar zu definieren. Hierfür braucht man einen langen Atem, der sich am Ende aber auszahlt.