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Maschinen statt Menschen? Wie sich Arbeit durch KI und Automatisierung verändert

Mensch und Maschine Hand in Hand – früher hat der Mensch Teile manuell zusammengeschraubt, das erledigt heute der Roboter. Und der Mensch? Kümmert sich um das Laufen der Maschine.

Neue Studien untersuchen, welche Auswirkungen Technologie und Digitalisierung auf die Zukunft der Arbeit haben. Die Frage steht schon seit Jahren im Raum, doch noch nie war sie so präsent wie in Zeiten der Corona-Pandemie.

Es ist eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte. In „Modern Times“ steht Stummfilmikone Charlie Chaplin am Fließband, Einzelteile rasen an ihm vorbei in einen Maschinenschlund, er hat nur wenige Sekunden, um ihre Schrauben festzuziehen. Er ist zu langsam, sein Chef sitzt ihm im Nacken, blafft ihn an. Da landet Charlie selbst auf dem Fließband, wird in die Maschine gerissen, wie eine Gummifigur durch die Zahnräder gedreht und am Ende wieder ausgespuckt, unversehrt, immerhin. In Filmen von und mit Charlie Chaplin brechen weder Knochen noch spritzt Blut. Trotzdem sind sie ernsthafter, als sie vorzugeben scheinen.

„Modern Times“ ist aus dem Jahr 1936 – und 2021 genauso aktuell wie damals, als die Sorge herrschte, der arbeitende Mensch würde von der Industrie und ihren Maschinen verschluckt, sei nur noch ein Rädchen im Getriebe, das acht Stunden lang monoton Schrauben zieht und Bleche stanzt und Metall montiert. Weil die Industrie seit Henry Fords Massen- und Serienproduktion nie aufgehört hat, Arbeitsschritte zu optimieren und sie so effizient wie möglich zu gestalten, steht auch heute die Frage im Raum, wie Maschinen und Technologie die Jobs beeinflussen. Die Roboter sind längst am Fließband angekommen, haben die schwitzenden, von Stechuhr geknechteten Akkordarbeiter, wie Charlie Chaplin sie spielte, nach und nach ersetzt – und erlöst.

Vor kurzem sind zwei Studien zur Zukunft der Arbeit erschienen. Die gab es zwar in den vergangenen Jahren immer wieder, aber die Corona-Pandemie, ein Ereignis, das Arbeitgeber und -nehmer von heute auf morgen zwang, ihren Job neu zu denken, flößt dem Thema eine größere Dringlichkeit ein als je zuvor.

Die britische Kultureinrichtung RSA (Royal Society for Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce) hat im Auftrag von Autodesk untersucht, ob und in welchem Ausmaß Arbeitsplätze in Europa und Afrika künftig von der Automatisierung und Digitalisierung erfasst und verdrängt werden und welche Branchen und Berufe dabei einem höheren Risiko ausgesetzt sind. Vorausgegangen war unter anderem eine OECD-Studie im Jahr 2018, wonach 14 Prozent der Berufe in den 37 OECD-Mitgliedsstaaten einem hohen Risiko der Automatisierung ausgesetzt seien und 32 Prozent der Jobs auf Grund neuer Technologien zumindest ein entscheidender Wandel bevorstünde.

Automatisierung kommt nicht gegen Kreativität an

Grundsätzlich hält die RSA-Studie fest, dass vor allem jene Jobs drohen, von der Automatisierung eingeholt zu werden, die sehr technisch, standardisiert und repetitiv ablaufen und weniger Kreativität und emotionale Intelligenz erfordern. Zum Beispiel Fließband-, Büro- und Fabrikarbeiten. Jobs in Ballungsgebieten seien in der Regel schwieriger zu automatisieren, weil dort spezifischere Industrien zu finden sind, die besondere Fertigkeiten und Fähigkeiten von ihren Mitarbeitenden verlangen. Dazu zählen zum Beispiel juristische Tätigkeiten, Jobs im Management oder in der Informatik und soziale Berufe. Das sind teils Branchen, die im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich gewachsen sind.

Die am schnellsten wachsenden Industrien in Europa und ihr Rang auf der Risikoliste für Automatisierung der OECD. Quelle: RSA-Analyse der europäischen Arbeitskrafterhebung

Die am schnellsten wachsenden Industrien in Europa und ihr Rang auf der Risikoliste für Automatisierung der OECD. Quelle: RSA-Analyse der europäischen Arbeitskrafterhebung

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung nannte Carl Benedict Frey, Forscher und Lehrender an der Universität Oxford zur Zukunft der Arbeit, „drei Nadelöhre der Automatisierung“, mit denen man gut verstehen könne, welche Jobs verschwinden würden und welche nicht. In komplexen sozialen Interaktionen seien Algorithmen unfähig. Kreativität könnten sie nicht, ebenso wenig wie die Beeinflussung von Wahrnehmung. „Also wenn Sie einen Job haben, in dem Sie verhandeln müssen oder Teamwork wichtig ist, wenn Sie neue Ideen oder Produkte entwickeln, oder wenn Sie Kollegen motivieren und leiten müssen, kann man Ihre Arbeit nicht automatisieren.“

Kompensation der Verluste und Weiterbildung für neue Technologien

In Europa liegt das Durchschnittsalter bei 43 Jahren. Die Herausforderung, die sich laut RSA stellt, ist nicht nur, wie es gelingen kann, die von Automatisierung und Digitalisierung bedrohten Jobs zu kompensieren und Betroffene umzuschulen oder weiterzubilden, sondern wie auch ältere Arbeitnehmende in den Wandel integriert werden können. Darin liege zugleich eine Chance, räumt die Studie ein. Dort, wo ältere Menschen tätig seien, beschleunige das den Druck, Abhilfe mit Automatisierung zu schaffen. Nicht, um die Menschen zu ersetzen, sondern um sie zu unterstützen. Die Ökonomen Daron Acemoglu und Pascual Restrepo fanden heraus, dass Länder mit hohem Durchschnittsalter und einem großen Bevölkerungsanteil von über 65-Jährigen wie etwa Japan besonders schnell darin waren, Industrieroboter einzuführen. Denn auch die müssen bedient und gesteuert werden.

Die RSA-Studie richtet den Blick auch nach Afrika. Südafrika, Nigeria und Kenia gelten als die digital fortschrittlichsten Regionen und wichtigsten Innovationshubs, doch viele andere Länder des Kontinents leben vorrangig von der Landwirtschaft und sehen sich großen Digitalisierungsbarrieren gegenüber. Internetzugang ist nicht überall selbstverständlich. Vorausgesetzt, es würde entsprechend in Know-how und digitale Infrastruktur investiert, könnten bis zum Jahr 2030 etwa 4,5 Millionen Jobs durch die Entwicklung neuer Technologien geschaffen werden, schätzt die Unternehmensberatung McKinsey. 3,3 Millionen hingegen würden den Technologien zum Opfer fallen. In Afrika kommt hinzu, dass die Bevölkerung rasant wächst und immer jünger wird. Zieht die Wirtschaft nicht nach, fehlen die Jobperspektiven – und Jugendarbeitslosigkeit wird zum Brennpunktthema.

Zweifellos werden manche Jobs früher oder später komplett von Maschinen oder einer KI ersetzt. Andere werden sich an den digitalen Wandel anpassen, auf neue Weise funktionieren, aber nicht unwiderruflich verschwinden. Jobs werden entstehen, von denen man gestern nicht wusste, dass es sie heute geben wird. Hätte man vor 30 Jahren geahnt, was ein Social Media-Manager tut? Oder was ein BIM-Manager ist? Durch das Building Information Modeling, eine digitale Planungsmethode vom Entwurf bis zum Bewirtschaften eines Gebäudes, mit dem im besten Fall künftig jeder in der Baubranche arbeiten soll, sind Stellen wie die des BIM-Managers notwendig geworden.

Markus König, Professor und Leiter des Lehrstuhls für Informatik im Bauwesen an der Ruhr-Universität Bochum sagt: „Ich sehe viel Potential in bestehenden Rollen, die sich weiterentwickeln.“ Es brauche nicht unbedingt einen für die Stelle ausgebildeten neuen Mitarbeiter, sondern man könne genauso gut im vorhandenen Team Ressourcen freisetzen und dem Bedarf mit Weiterbildungen gerecht werden.

Mobiles Arbeiten, eCommerce, KI-Technologien

Und nun also die Corona-Pandemie. Büros in den Städten sind seit mehr als einem Jahr nahezu verwaist, die Menschen, die es können, arbeiten von zu Hause aus, digitale Konferenzen sind Standard geworden. Einkäufe werden online getätigt und vor die Wohnungstür geliefert, und wer kann, stellt wie in Hong Kong einen Roboter an die Hotelrezeption, der den Empfang übernimmt und Gäste in Quarantäne betreut – um das menschliche Personal vor möglicher Ansteckung mit dem Virus zu bewahren.

Das McKinsey Global Institute (MGI) hat zur Entwicklung der Arbeit in Abhängigkeit von Corona jüngst eine Studie publiziert, deren Erkenntnisse sich mit jenen decken, die auch in der RSA-Studie aufgeführt werden.

Wie verändert sich Arbeit durch KI und Automatisierung: Weniger Servicepersonal, dafür Automaten an Flughäfen
Schon länger sieht man an Flughäfen weniger Servicepersonal an den Schaltern der Airlines als Automaten, die den Boarding Pass ausdrucken.

Corona habe demnach drei Trends beschleunigt, die sich bereits vor der Pandemie in der Arbeitswelt, im Verbraucherverhalten und in Geschäftsmodellen abzeichneten: den Trend zum mobilen Arbeiten, zu eCommerce und virtuellen Interaktionen sowie zur Automatisierung von Produktion sowie Prozessen und dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Von den Umbrüchen am Arbeitsmarkt langfristig betroffen seien insbesondere Tätigkeiten mit direktem Kunden- oder Kollegenkontakt, also im Handel oder in Banken.

Die Studie legt offen, dass die Veränderungen in der Arbeitswelt Deutschland mit am stärksten berühren. Ein Grund ist der große Anteil des verarbeitenden Gewerbes, das eine der höchsten Automatisierungsverschiebungen von 27 Prozent aufweist. Im Vergleich mit den anderen untersuchten Wirtschaftsnationen hat Deutschland neben dem Vereinigten Königreich zudem den größten Anteil an Arbeitstätigkeiten, die ins Home-Office verlegt werden können. Nahezu jeder vierte Beschäftigte (24 Prozent) könnte seine Arbeit an drei bis fünf Tagen von zu Hause aus ausüben – im Vergleich zu 22 bzw. 21 Prozent in den USA und Frankreich.

Weniger Festanstellungen, Co-Working, minimale Team-Präsenzzeiten

Gleichzeitig ist Deutschland der Analyse zufolge besser gerüstet für die Bewältigung dieser Verschiebungen am Arbeitsmarkt, was auf den größeren Anteil von Berufen, welche einen Universitätsabschluss erfordern (formaler Berufsbildungssektor) zurückzuführen ist. Rund 50 Prozent der Beschäftigten im Bildungsbereich haben eine tertiäre Ausbildung im Vergleich zu rund 35 Prozent in anderen europäischen Ländern. Auch zeichnet sich durch den prognostizierten Rückgang der Erwerbsbevölkerung um fünf Prozent bereits bis 2030 ab, dass es mehr Arbeitsplätze als Arbeitnehmende geben könnte.

Wie verändert sich Arbeit durch KI und Automatisierung: Hier dient ein Exoskelett dem Boten als Kraftstütze beim Paketaustragen.
Hier dient ein Exoskelett dem Boten als Kraftstütze beim Paketaustragen.

Weit vor der Pandemie, im Jahr 2016, hatte die Bertelsmann Stiftung im Rahmen einer internationalen Delphi-Studie ganz ähnliche Prognosen publiziert, diese reichen bis ins Jahr 2050: multilokales Arbeiten, weniger Festanstellungen, dafür mehr Freiberufliche, Co-Working und mobile Büros, minimale oder gar keine Team-Präsenzzeit. Grundlegende Technologiekompetenz und Datenanalyse schätzte die Studie als wichtige Fähigkeiten ein. Das Erlernen eines Berufs sei nicht mehr entscheidend, vielmehr gehe es darum, ein Portfolio von Fähigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln.

Die Arbeitgeber und -nehmer von Morgen sind Digital Natives. Schon allein deshalb wird Technologie und Digitalisierung kaum mehr wegzudenken sein. Der Berufsalltag wird durchdigitalisiert. Man darf vor diesem Wandel Respekt haben. Aber mindestens genauso viel Neugier. Das nennt man dann moderne Zeiten.

Über den Autor

Carolin Werthmann hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften an der Universität Konstanz studiert, absolvierte ein Volontariat beim Callwey Verlag für Magazinjournalismus mit den Schwerpunkten Architektur und Restaurierung und spezialisierte sich an der Hochschule für Fernsehen und Film München und der Bayerischen Theaterakademie auf Kulturjournalismus. Sie schreibt u. a. für die Süddeutsche Zeitung.

Profile Photo of Carolin Werthmann - DE