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Herstellung von Windkraftanlagen: Wie Fertigungsroboter zu dreimal mehr Produktivität führen

Herstellung von Windkraftanlagen

  • Das dänische Unternehmen Odico könnte die Windenergiebranche durch den Einsatz von Fertigungsrobotern zur Herstellung von Windkraftanlagen revolutionieren
  • Die Fertigungsroboter können sich schnell an neue Anforderungen anpassen und Änderungen im Produktionsprozess nahtlos integrieren. Das könnte die Produktivität in der Fertigung um das Dreifache steigern und die Herstellung von Windkraftanlagen kostengünstiger und effektiver machen 
  • Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ist nach wie vor von großer Bedeutung. Innovative Lösungen wie die "Factory on the Fly" von Odico können helfen, Arbeitsplätze zu sichern und gleichzeitig die Industrie voranzubringen

Dänemark nimmt seit jeher eine Pionierrolle im Bereich der erneuerbaren Energien ein. So konnte das skandinavische Land den Anteil der Windenergie an seinem Stromverbrauch bereits 2019 auf beachtliche 47 % steigern und stellt auch seitdem immer wieder neue Rekorde auf. Nun will das dänische Unternehmen Odico die Pionierarbeit fortführen und die Windkraftbranche weiter revolutionieren – durch den Einsatz von Fertigungsrobotern.

Löcher in ein Aluminiumblech zu bohren, mag banal erscheinen. Allerdings: Wenn die Bohrung für die Befestigung eines zwölf Tonnen schweren Rotorblattes an einer Windenergieanlage in der rauen Nordsee herhalten muss, ist Präzisionsarbeit gefragt. Schon eine Abweichung von einem Millimeter könnte die Verbindung schwächen und die monatelange Arbeit an der Konstruktion, Fertigung und Errichtung der Anlage gänzlich zunichtemachen.

Bei Odico möchte man unbedingt verhindern, dass die so aufwendig konstruierten Bauteile frühzeitig ermüden und auf dem Schrott enden. Das Unternehmen hat sich auf innovative Robotik spezialisiert und entwickelt besonders wendige, mobile Fertigungsroboter, die im Handumdrehen neu kalibriert werden können. In Unternehmen, in denen kleine Fertigungsserien typisch sind – wie beim Bau von Windenergieanlagen – können die Roboter die Produktivität in der Fertigung verdreifachen.

Das liegt daran, dass Skaleneffekte, wie sie bei der Fertigung von Großserien angestrebt werden, im Windanlagenbau wegen der geringen Stückzahlen noch immer schlecht genutzt werden können. Dass die Konstrukteure nicht – wie in anderen Fertigungsbranchen üblich – zehntausende gleicher Bauteile herstellen, sondern stets nur einige hundert Anlagen, hat Vor- und Nachteile. So können sie zwar häufig die Konstruktion nachbessern und optimieren, eine Standardisierung der Fertigung stellt sich so aber nicht ein. Für fast jeden neuen Auftrag beginnt der Konstruktionsprozess von vorn.

Herstellung von Windkraftanlagen: Fertigungsroboter können die Produktivität verdreifachen
In Unternehmen mit kleinen Fertigungsserien können die Roboter von Odico die Produktivität verdreifachen. Credit: Odico.

Mit dem Drill Mate hat Odico ein wahres „Ungetüm von einem Roboter“ entwickelt, der automatisch und immer wieder präzise Bohrlochmuster in komplexe Metallprofile setzen kann. Jede Einheit verfügt über genügend eigene Rechenkapazität für einen nahtlosen File-to-Factory-Workflow. Das bedeutet, dass Konstrukteure im Handumdrehen Prototypen erstellen und die Mitarbeitenden im Werk Änderungen sofort umsetzen können.

Davon profitieren insbesondere die Kunden von Odico in Dänemarks boomendem Sektor der erneuerbaren Energien. Da die Windenergieproduktion bis 2024 auf 23,3 TWh gesteigert werden soll, kommen die Fähigkeiten der Roboter gerade recht. Schließlich verdreifachen sie nicht nur die Produktivität, sondern ermöglichen auch eine agile, kontinuierliche Verbesserung.

Fertigung am Tablet

Weil Rotorblätter so groß sind, mussten alle Bohrungen in der Vergangenheit manuell ausgeführt werden. Ein Mensch musste die riesige Bohrmaschine bedienen und hatte dabei auch sicherzustellen, dass jede Bohrung den genauen Spezifikationen für Art, Form, Tiefe, Durchmesser, Lage und Güte entspricht.

Herstellung von Windkraftanlagen: Anders Bundsgaard ist Gründer und CEO von Odico
Anders Bundsgaard ist Gründer und CEO von Odico. Credit: Odico.

Um die vielen Anforderungen zu erfüllen, musste die Bohreinheit perfekt kalibriert, ausgerüstet und penibel gewartet werden. Den Verantwortlichen verlangten die zeitaufwendigen Prozesse einiges an Ausdauer und Geduld ab.

„Man muss sich vorstellen, dass die Profile für die Rotorblätter vor jeder Bohrung mit einem Kran in Position gebracht werden müssen“, erklärt Anders Bundsgaard, Gründer und CEO von Odico.

Nach Fertigstellung einer Bohrung muss das Profil in eine neue Position bewegt und dort fixiert werden. Dabei sind rigorose Anforderungen zu erfüllen. Da jedes Profil bis zu 48 Bohrungen aufweist, stellt der Einsatz dieses Systems hohen Ansprüche an eine gleichbleibende Sorgfalt und Aufmerksamkeit. An einem guten Tag können auf diese Weise ungefähr sechs Profile bearbeitet werden.

Der Drill Mate von Odico vereinfacht all das, indem er das robotergestützte Bohren mit den neuesten Entwicklungen in der computergestützten Fertigung (CAM) kombiniert. Er wurde für präzise Hochleistungsanwendungen entwickelt und verfügt über eine modulare Architektur, die eine schnelle Installation im Werk ermöglicht. Dabei ist der Sechsachsroboter mit Wechselbohrkopf äußerst beweglich. Die direkt von der Software erhaltenen Bohraufträge führt er zuverlässig immer wieder in Perfektion aus.

Diese Präzision reduziert das Prozessrisiko und beschleunigt die Abläufe gewaltig – ein großer Vorteil für jeden Hersteller, der seine Produktivität und Lieferfähigkeit steigern möchte. Für Unternehmen, die sich auf kleinere Fertigungsserien mit kurzen Lieferzeiten spezialisiert haben, stellt die optimierte Programmierbarkeit und Flexibilität des Drill Mate eine nahezu perfekte Lösung dar.

Kleinserienfertigung wird effizienter

Um das Portfolio des Unternehmens für diesen wachsenden Markt zu ergänzen, experimentierten Bundsgaard und sein Produktentwicklungsteam mit Wegen, den Drill Mate noch nahtloser in einen Standard-CAM-Workflow einzubinden. Dadurch soll es den Mitarbeitenden im Werk noch einfacher gemacht werden, eine Bohrspezifikation zu ändern.

Dafür hat Odico den Drill Mate in Zusammenarbeit mit Autodesk auf eine Integration mit Autodesk Fusion 360 ausgelegt. Änderungen der Bohrlochpositionen und der sonstigen Spezifikationen können nun über die CAM-Schnittstelle von Fusion 360 mit wenigen Berührungen auf dem Tablet direkt in der Fertigungshalle ausgeführt werden. Diese bahnbrechende Innovation passt zu den aktuell branchenprägenden Trends wie Kleinserienproduktion und 3D-Druck.

„Für Kleinserien mit Stückzahlen von 100 bis 120 kann man die Produktion nicht auf klassische Weise automatisieren", weiß Bundsgaard. „In einer jungen, dynamischen Branche wie der Windenergie liegt den Konstruktionsteams der Ehrgeiz im Blut. Sie lassen keine Innovation liegen und spüren Möglichkeiten für Verbesserungen schnell auf. Die meisten robotergestützten Fertigungssysteme stammen jedoch aus der Automobilindustrie, wo normalerweise hunderttausende gleicher Fahrzeugteile in einer Serie hergestellt werden. Da kann man auf Änderungen schlechter reagieren.“

Herstellung von Windkraftanlagen: Drill Mate in Aktion
Odico hat seinen Drill Mate gemeinsam mit Autodesk für den Einsatz mit Autodesk Fusion 360 optimiert. Credit: Odico.

„Es ist normalerweise nicht so einfach, Änderungen an den Spezifikationen der Konstruktionen vorzunehmen. Eigentlich muss das jemand mit einer Ingenieursausbildung machen“, ergänzt er. „Mit unserem neuen System kann jeder, der mit einer CAD/CAM-Schnittstelle umgehen kann, innerhalb kürzester Zeit Änderungen vornehmen.“

Produktivität steigern, Arbeitsplätze erhalten

Produktivität steigern, Arbeitsplätze erhalten Schon jetzt kann der Robotereinsatz von Odico voll überzeugen. Konnten die Windkraftzulieferer mit dem bisherigen manuellen System und den dazugehörigen Maschinen zuvor im Schnitt nur sechs Profile pro Arbeitstag fertigstellen, sind es mit der Lösung von Odico ganze 18. Dabei entfallen auf jedes der Bauteile 48 Bohrungen – insgesamt fast 900.

Bei einem derart eindrucksvollen Produktivitätsschub könnte man meinen, dass die neuartigen Maschinen Arbeitsplätze gefährden. Das allerdings muss laut Bundsgaard nicht sein. Seiner Ansicht nach verdrängt die Automatisierung durch Roboter nicht unbedingt die Menschen von ihrem Arbeitsplatz. Es verändere sich lediglich die Art und Weise, wie Menschen und Maschinen zusammenarbeiten.

„Roboter erhalten Arbeitsplätze in der Fertigung“, ist er überzeugt. „Durch den Wettbewerb mit Niedriglohnmärkten sind wir einem großen Druck ausgesetzt. Dies trifft vor allem die Mitarbeitenden im Werk. Indem wir die Roboter an die individuellen Bedürfnisse anpassen, gehen wir mit den Entwicklungen des Marktes. Von den Menschen verlangt dies lediglich die Bereitschaft, sich neue Kompetenzen anzueignen. So können sich Berufsbilder weiterentwickeln, um einer breiteren Palette von Robotikanwendungen gerecht zu werden.

Herstellung von Windkraftanlagen: Die Art und Weise, wie Mensch und Maschine zusammenarbeiten, wird sich ändern
Bundsgaard sieht in der Automatisierung durch Roboter keine Arbeitsplätze vernichtet. Lediglich die Art und Weise, wie Menschen und Maschinen zusammenarbeiten, werde sich verändern. Credit: Odico.

Laut eines 2020 erschienenen Berichts des Weltwirtschaftsforums mit dem Titel Future of Jobs stimmen viele Angestellte diesbezüglich mit Bundsgaard überein: Darin wird geschätzt, dass bis zum Jahr 2025 zwar 85 Millionen Arbeitsplätze durch eine Verschiebung der Arbeitsteilung zwischen Menschen und Maschinen verdrängt werden könnten. Gleichzeitig könnten aber auch 97 Millionen neue Jobs entstehen – vorausgesetzt ihre Rollen werden besser an die neue Arbeitsteilung zwischen Menschen, Maschinen und Algorithmen angepasst.

Zu den zahlreichen Veränderungen werden mit Sicherheit auch mobile und flexible Lösungen zählen, wie sie Odico mit seiner „Factory on the Fly“ anbietet. Die auf einem Anhänger untergebrachte Miniatur-Fertigungshalle wurde speziell für Anwendungen in der Bauindustrie konzipiert. Dadurch wird die Nutzung der Robotik zur Fertigung von Bauteilen für die breite Anwendung durch jedermann möglich. So kann die Fertigung in unmittelbarer Nähe der Logistikkette erfolgen, was lange Transportwege überflüssig macht.

„Wir träumen von einem Szenario, in dem wir die volle Kontrolle über die Technologie an die Menschen in der Fabrik oder auf der Baustelle übergeben können“, so Bundsgaard. „Daher werden wir die Anwendungsfreundlichkeit dieser Werkzeuge weiter optimieren. Wir möchten an einen Punkt kommen, an dem jeder beliebige Mitarbeitende im Werk sie nach einer 15-minütigen Einweisung bedienen kann.“

Über den Autor

Mark de Wolf ist freier Journalist und preisgekrönter Copywriter, der sich auf Technologie-Themen spezialisiert hat. Er wurde im kanadischen Toronto geboren, beschreibt sich selbst als „Made in London“ und lebt heute in Zürich. Sie erreichen ihn online unter markdewolf.com.

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